Verrat - Teil 1
by Tia



1. Ein Versuch

Der Schlag traf voll auf seinen Hinterkopf auf. Niemand hatte ihn bis jetzt so fest geschlagen. Er hatte das Gefühl, als explodiere sein Kopf. Viele kleine Sternchen tanzten vor seinen Augen, bevor der Himmel sie alle verschluckte und er nur noch Schwärze sah. Er spürte, wie man seine Hände nahm und sie zusammen band. Dann stellte man ihn auf die Beine und jemand strich sanft über seine Wange, die von Schrammen und Blutergüssen überdeckt war.
„Keine Angst, mein Süsser, dir wird nichts passieren, sofern du keine Schwierigkeiten machst. Es wäre doch schade, wenn ich dich in eine Zelle sperren lassen müsste“, flüsterte eine sanfte, aber gleichzeitig auch respekteinflössende Frauenstimme.
Er erkannte vor sich den leichten Umriss einer wunderschönen, gut gebauten Frau, der allerdings sehr verschwommen war.
„Bringt ihn in mein Zimmer! Ich kümmere mich später um ihn“, befahl sie denen, die ihn hielten.
Er stöhnte, als er vorwärts gestossen wurde und dabei das Gleichgewicht verlor, so dass er mit seiner Schulter auf den Boden aufschlug. Wieder zog man ihn auf die Beine und stützte ihn soweit, dass er wenigstens halbwegs gehen konnte.
Man brachte ihn, nicht wie er erwartet hatte, in ein dunkles, finsteres Loch, sondern in einen hellen, gut eingerichteten Raum, wo er auf ein weiches Bett geworfen wurde.
Er unterdrückte die kommende Schwärze und rappelte sich auf. Keiner war ausser ihm im Zimmer und soweit er gehört hatte, hatte man die Türe auch nicht abgeschlossen. Sollte er die Chance nutzen und verschwinden? Doch wahrscheinlich würde das nicht viel bringen, denn es war wohl kaum abzustreiten, dass vor der Tür Wachen standen. Es wäre sehr fahrlässig, wenn das nicht so wäre. Er schüttelte den Kopf, um die Benommenheit abzuwerfen, bedauerte es aber gleich wieder, denn das verursachte nur noch mehr Kopfschmerzen. Seine Hände arbeiteten heftig daran, die Stricke, mit denen sie gefesselt waren, zu lösen, doch sie waren fest zugeschnürt. Er schürfte sich dabei nur die Handgelenke auf.
Sein Blick klärte sich langsam und er stellte fest, dass er in einem wunderschönen Zimmer war, das von einer sehr geschmackvollen Person eingerichtet worden war. Die gesamte Einrichtung hatte einen hellen, bräunlichen Ton, der immer wieder von farbigen Flecken unterbrochen war. Da und dort lagen wie zufällig hingeworfene Kleidungsstücke, Decken und Tücher, die alle zusammen in eine warme Atmosphäre zusammenflossen, in der er vergessen könnte, dass er hier ein Gefangener war.
Plötzlich ging die Tür auf und eine Frau, die das Kürzeste anhatte, was man anhaben konnte, ohne gleich nackt zu sein, kam herein. Sie trug ihre braunen Haare mit einem strengen Knoten im Nacken. Ihre Augen waren aufmerksam und schienen dauernd in Bewegung. Ihr Mund war ein wenig zu schmal, doch das hatte sie mit ihrem Lippenstift perfekt ausgeglichen. Sie trug Handtücher und Verbandszeug mit sich.
Er starrte sie an und wich zuerst zurück, als sie näher kam, aber als sie beruhigend lächelte, liess er zu, dass sie seine Wunden versorgte. Sie wusch seine Verletzungen mit sanften Händen aus und strich eine kühlende Salbe darauf. Bei den schlimmsten Schnittwunden, die von den Messerstichen stammten, machte sie einen Verband darum, damit sie endlich aufhörten zu bluten und er sich später keine Blutvergiftung einholen konnte. Sie löste sogar die Fesseln, um seine Schürfungen zu behandeln. Danach ging sie, ohne ein Wort gesagt und ohne die Fesseln wieder angelegt zu haben, wieder hinaus.
Er sah ihr nach, fühlte sich nach dieser Behandlung schon um einiges besser. Aber warum befahl die Frau, die ihn vorher hatte hierher bringen lassen, so etwas? Warum wollte sie, dass er gut versorgt wurde? Warum liess sie ihn ohne Fesseln herumlaufen? Er war ihr Gefangener und hatte bestimmt nicht vor hierzubleiben, wenn man ihm die Chance bot zu fliehen. Er ging zu einem Fenster und versuchte es zu öffnen, doch es war abgeschlossen und vergittert.
„Vergessen Sie es, mein Süsser. Das Fenster ist mit einem Code gesichert und wenn Sie es einschlagen, wird der Alarm ausgelöst“, sagte da plötzlich wieder diese sanfte Stimme.
Er drehte sich um und sah die Frau nun ohne einen Schleier vor den Augen. Sie war wirklich wunderschön. Von ihren langen, schlanken Beinen hin über ihre sanften Rundungen bis hin zu ihrem wundervollen, gelockten Haar und ihren verführerischen Lippen sah sie einfach hinreissend aus. Wenn sie nicht die wäre, die ihn gefangen genommen hatte, hätte er bestimmt versucht etwas mit ihr anzufangen. Aber in dieser Situation liess er das lieber bleiben; obwohl es für ihn vielleicht Vorteile gehabt hätte, wenn sie sich überzeugen liess, dass sie auf der falschen Seite stand. Aber er glaubte nicht daran, dass sie sich nicht überzeugen lassen würde.
Sie lächelte über seinen Blick. „Mein Name ist Judy Dexter. Ich bin ... die Leiterin dieses Unternehmens. Wer sind Sie?“
Er sah sie ruhig an. Man hatte ihm immer wieder eingebleut, dass man nie auf Fragen antworten sollte, die einem später zum Verhängnis werden konnten. Wenn er ihr seinen Namen sagte, dann würde sie bestimmt auch herausfinden, für wen er arbeitete und was er hier suchen sollte. Und dann würde sie wissen, wer er war und eventuell würde sie ihn später einmal umbringen lassen, wenn sie es nicht jetzt schon tat.
Sie zuckte ungerührt mit den Schultern.
„Ich würde gerne wissen, was Sie hier machen, aber ich nehme an, das sagen Sie mir auch nicht freiwillig.“ Er zeigte wieder keine Reaktion.
Sie ging zur kleinen Bar und schenkte sich ein Glas Champagner ein. Der Wein sprudelte auf und schäumte, doch nichts ging daneben.
„Möchten Sie auch?“
Sie seufzte leise, als er ihr keine Beachtung schenkte. Er wusste nicht, ob nicht irgendein Mittel in diesem Wein war. Vielleicht hatte sie ja ein Gegenmittel genommen, so dass es ihr nichts machen, ihn aber umbringen würde. Allerdings wäre das ziemlich unlogisch. Warum sollte sie ihn vergiften wollen, wenn sie ihn auf jede andere Art auch umbringen konnte?
Seine Blicke folgten jeder ihrer Bewegungen. Er wusste zwar nicht, was sie jetzt noch tun könnte, was sie nicht schon vorher hätte tun können, aber sicher war sicher. Sie setzte sich auf einen Stuhl und deutete auf den anderen vor ihr.
„Setzen Sie sich doch“, meinte sie.
Er schüttelte den Kopf. „Ich stehe lieber“, antwortete er als ersten Satz, den er überhaupt sagte.
Sie lächelte und das machte sie noch attraktiver als sie sonst schon war. Es war ein Lächeln, das jeden Mann erweichen liess und das eine Anziehungskraft hatte, der keiner widerstehen konnte. Er aber liess sich nicht davon beeindrucken.
„Sie können ja sogar sprechen“, flüsterte sie verführerisch und stellte ihr Glas auf den Tisch.
„Wer hat Sie hierher geschickt?“ Er zeigte keine Reaktion.
Sie seufzte. „Wirklich schade. Sie sind so weit gekommen, doch jetzt werde ich Sie leider töten lassen müssen, denn Sie wissen, wo ich bin.“
Er zuckte ungerührt mit den Schultern. „Ändert sich mein Wissen, wenn ich tot bin?“
Sie lächelte. „Sie gehören wohl dem Buddhismus an, was? Glauben Sie an die Reinkarnation?“
Er antwortete nicht und sie ging nicht weiter auf seine Bemerkung ein.
„Bevor Sie sterben, sollten Sie mir aber noch ein paar Informationen geben.“
Er deutete eine Verbeugung an. „Zu Ihrem Diensten, Ma’am, doch ich glaube kaum, dass ich Ihnen da weiter helfen kann.“
Sie schmunzelte wieder. „Ich bin da anderer Meinung.“
Mit einem Zeichen von ihr ging die Tür auf und zwei Männer, die mehr Bären glichen als Menschen, kamen herein.
„Das sind meine persönliche Bodyguards. Sie werden dafür sorgen, dass Sie mir die Informationen geben, die ich von Ihnen haben will.“
Er lächelte leicht. Viele hatten es schon mit Folter bei ihm versucht, aber keinem war es je gelungen. Er hatte keine Angst vor Schmerzen und auch keine Angst vor dem Tod. Sein alter Lehrer hatte ihm beigebracht, wie man die Schmerzen wirkungsvoll unterdrücken konnte.
Judy stand auf und drückte auf einen Knopf auf dem Tisch, worauf sich dessen Platte umdrehte und eine Fläche hervorkam, an der Halter befestigt waren, mit denen man einen Menschen ohne Probleme festmachen konnte, um ihn zu foltern.
Einer dieser Bärenmänner kam auf ihn zu, hob ihn, als wäre er eine Feder, auf diesen Tisch und schnallte ihn fest. Er lag auf dem Bauch, Arme und Beine von sich gestreckt, mit Lederriemen festgemacht, die erneut auf seiner wunden Haut scheuerten. Er hatte keine Chance, sich zu befreien.
Man riss ihm das Hemd auf. Der Schlag einer knallenden Peitsche traf ihn auf den Rücken und er zuckte zusammen. Ein heisser Schmerz zuckte durch seinen ganzen Körper. Bis jetzt hatte ihn noch nie jemand mit einer Peitsche gefoltert, aber er hatte von Berufskollegen gehört, dass man das nicht aushalten konnte. Es sei viel barbarischer als wenn man einfach zusammengeschlagen wurde, bis man alle Knochen gebrochen hatte und nicht mehr klar denken konnte.
Wieder und wieder raste die Peitschenschnur auf seinen nackten Rücken. Er unterdrückte die Schmerzensschreie und begann langsam damit, sich zu konzentrieren und das Komoru vorzubereiten, das ‚Sich-zurückziehen‘, um die Schmerzen zu vergessen. Er atmete tief ein, versuchte, die Peitsche zu ignorieren und spürte langsam Erleichterung. Die Stimme von Judy Dexter drang von weit her in sein Ohr.
„Wollen Sie mir nicht sagen, wer Sie geschickt hat und was Sie hier wollen?“
Er antwortete nicht. Seine Gedanken schwebten frei irgendwo umher, getrennt von seinem Körper, der Höllenqualen durchlitt. Und dann war es auf einmal vorbei. Er spürte keine Schläge mehr, nur noch die brennenden Spuren auf seinem Rücken. Seine Gedanken kehrten wieder zu seinem Körper zurück.
„Wie es mir scheint, beherrschen Sie das Komoru. Dann müssen wir es eben auf eine andere Art versuchen.“ Sie gab den Männern wieder ein Zeichen, worauf diese verschwanden.
Sie öffnete seine Fesseln, aber als er aufstehen wollte, fiel er vom Tisch auf dem Boden, direkt auf den Rücken, worauf es doppelt schmerzte. Er blieb erschöpft liegen und hoffte inständig, dass die Schmerzen bald aufhörten. Judy setzte sich neben ihn und musterte ihn freundlich, als habe sie nicht gerade den Befehl gegeben, ihn zu foltern, auf eine so grausame Art und Weise, wie er es selbst nie machen würde.
„Eigentlich bin ich nicht so brutal, aber wenn man mir keine Wahl lässt, muss ich eben zu solchen Mitteln greifen“, säuselte sie ihm ins Ohr. Er war nicht sicher, ob er ihr das glauben sollte, aber es spielte sowieso keine grosse Rolle, ob sie so grausam war oder nur so tat, als sei sie es.
Die Tür ging wieder auf und er glaubte, unterdrückte Schreie zu hören. Er sah auf, war aber viel zu erschöpft, um eine richtige Reaktion zu zeigen. Die Bären hatten seine Frau Nora und seine zehnjährige Tochter Jessica fest in ihren Klauen. Jessica sah ihn verängstigt an und verstand nicht, was mit ihr geschah. Beide Bären grinsten hämisch, und er konnte nichts dagegen tun.
„Nun, Mister, wollen Sie mir nicht jetzt das geben, was ich will?“ fragte Judy erneut.
Er schloss die Augen und hoffte, dass seine Familie nicht mehr da war, wenn er sie wieder öffnete. Leider wurde seine Hoffnung enttäuscht. Seine Tochter sagte zu einem der Bären, dass er solle sie loslassen, er täte ihr weh, worauf dieser nur noch mehr grinste. Es schien ihm Spass zu machen, die Schwäche aller Menschen ausnutzen: die Menschen, die sie liebten.
Als er seine Frau kennengelernt hatte, hatte er sich gegen die Liebe gewehrt. Er wusste, dass er sie damit nur in Gefahr bringen würde, wie er jetzt genau feststellen konnte. Er hätte sie niemals heiraten und seine Tochter hätte nie auf die Welt kommen dürfen. In seinem Beruf konnte man keine Menschen brauchen, die man liebte. Es brachte nur Schaden.
Ein Mann gab seiner Tochter eine Ohrfeige. Sie schrie auf und er konnte ihren Schmerz genau fühlen. Seine Gedanken füllten sich mit Hass, aber er wusste genau, dass er nichts tun konnte. Er war zu schwach und unbewaffnet.
„Haben Sie es sich überlegt?“ fragte Judy wieder.
Er nickte geschlagen. Was hätte er sonst tun können? Die Frau lächelte erfreut. Sie gab ein Zeichen, dass seine Familie wieder weggebracht werden sollte.
„Also, wie heissen Sie, von wem wurden Sie geschickt, was wollen Sie?“
Er setzte sich mühsam auf. „Mein Name ist Alex Garcia. Hisayo Ming hat mich geschickt, um Kunstwerke zu ihm zurückzubringen, die Sie ihm gestohlen haben. Er meinte, er habe ein Recht darauf, sie wiederzuhaben. Er will auch Ihre ganze Bande haben, aber dafür bin ich alleine zu schwach. Ich sollte nur Sie und die Kunstwerke bringen. Den Rest will er die Polizei erledigen lassen.“
„Sie sind also der berühmte Alex Garcia. Ich habe schon viel von Ihnen gehört. Sie scheinen ja grossen Erfolg mit Ihrem Geschäft zu haben, was?“ Judy lächelte, scheinbar ungerührt vom Rest, was er sonst noch gesagt hatte. Vermutlich hatte sie damit gerechnet, dass er von Ming kam.
Er antwortete nicht. Er sah seine Tochter vor sich, mit weit aufgerissenen Augen, in denen nur Schmerzen und Angst war, wie diese ihn stumm baten, ihr zu helfen, dafür zu sorgen, dass man ihr nicht noch mehr weh tat. Es war richtig, dass er es gesagt hatte. Niemals hätte er seine Tochter leiden lassen können, nur wegen ein paar Informationen, wegen denen die Welt nicht unterging.
„Von wo wussten Sie von meiner Familie, wenn Sie nicht wussten, wie ich heisse?“
Sie zuckte mit den Schultern. „Das war reiner Zufall. Sie hatten Ihre Jacke draussen gelassen und irgendwie brachten es Ihre Frau und Ihre Tochter fertig, genau in diesem Moment vorbeizugehen und die Jacke zu finden, als einer meiner Männer seine Runde drehte. Ihre Tochter sagte: ‚Mum, das ist doch die Jacke von Dad‘ und als sie dann auch noch ein Sackmesser fand, auf das ein Herz gekritzelt war, waren sie sicher, dass Sie hier sind und haben nach Ihnen gesucht. Meine Männer brachten sie dann hierher.“
Er schloss die Augen. Er hatte ihnen gesagt, sie sollen sich von diesem Haus fernhalten. Warum taten sie nie das, was er ihnen sagte? Die vorigen Male hatte es ja nichts ausgemacht, aber diesmal hatte es ihn und auch sie in erhebliche Schwierigkeiten gebracht. Würde er sie nicht so lieben, wie er es tat, dann wären sie jetzt tot. Vielleicht wären sie sogar zu Tode gefoltert worden, nur weil er nichts sagen wollte. Warum kapierten sie nicht, dass er einen nicht gerade ungefährlichen Job machte? Aber es war auch seine Schuld. Er hätte sie niemals hierher mitnehmen dürfen. Es war viel zu gefährlich. Sie hätten zu Hause bleiben sollen, dort wäre ihnen so etwas nie passiert.
Judy holte eine blaue Dose von einem Tisch und befahl ihm, sich auf den Bauch zu legen. Sie öffnete den Deckel und ein unangenehmer Duft entströmte.
„Es riecht grässlich, ich weiss, aber es hilft, glauben Sie mir.“ Sie kniete sich neben ihn hin und strich ein bisschen auf seine Wunden. Er zuckte zusammen. Die Salbe brannte wie Feuer.
„Es geht gleich vorbei“, meinte sie und strich seinen Rücken weiter damit ein.
Er musste sich beherrschen, um sie nicht wegzustossen, denn er hatte das Gefühl, als ob die Salbe noch mehr weh tat als die Peitschenhiebe selber. Es war, als ob das Feuer, das von ihr ausging, durch seinen ganzen Körper raste, in jede Faser seiner selbst und den Schmerz, den er sowieso schon verspürte, verstärkte und nährte und ihn immer stärker werden liess.
„So, das hätten wir. Sie hätten sich das ersparen können, wenn Sie mir alles schon von Anfang an gesagt hätten.“ Er gab ihr wieder keine Antwort, setzte sich nur langsam auf.
„Sagen Sie Mr. Ming, dass er die Kunstwerke vergessen soll. Er soll endlich aufgeben. Er wird sie nie mehr wiedersehen, ausser er kauft sie uns ab.“
Einer der Bären kam herein und reichte ihm eine Decke, die er dankbar um sich schlang. Er führte ihn hinaus, wo eine schwarze Limousine vorfuhr. Die Tür ging auf und er wurde hineingestossen. Judy setzte sich neben ihn, worauf das Auto sofort wieder losfuhr.
„Ich dachte, Sie wollen mich töten“, sagte er.
Judy schüttelte lächelnd den Kopf. „Ich töte grundsätzlich niemanden. Wir wollten sowieso bald von hier verschwinden und da kommt es nicht darauf an, ob Sie Ming jetzt sagen, wo ich war oder nicht.“ Er sagte nichts darauf.
„Wo ist meine Familie?“ fragte er nach einer Weile.
„Sie wurde bereits zum Flugzeug gebracht. Machen Sie sich keine Sorgen.“
Er sah aus dem abgedunkelten Fenster. Die Menschen, die hier auf der Strasse entlang gingen, ahnten nicht, was für eine Verbrecherin gerade an ihnen vorbei fuhr. Natürlich, es gab schlimmere Verbrecher als sie. Soweit er wusste, hatte sie noch nie einen Mord begannen, aber was sie alles schon geleistet hat, war unglaublich. Sie könnte aus jedem noch so gut bewachten Raum mindestens eine Sache stehlen, ohne dass sie je erwischt würde. Bis jetzt hatte man ihr jedenfalls nie etwas nachweisen können. Es ging ein Gerücht herum, dass sie sogar einmal in Fort Nokes eingebrochen war und dort ein paar hunderttausend Dollar in Gold gestohlen hat. Allerdings glaubte er das nicht. Fort Nokes war zu gut bewacht, da kam nicht einmal eine Maus unbeachtet hinein.
Judy nahm eine Zigarette. „Wollen Sie auch eine?“
Er schüttelte den Kopf. Er konnte Zigaretten nicht ausstehen, obwohl sie manchmal die nötige Ablenkung brachten. Sie zündete sich eine an und nahm einen tiefen Zug.
Er versuchte, sich so aufrecht zu halten, dass sein Rücken nicht an die Lehne kam, aber die Wunden schmerzten trotzdem. Der Wagen wurde langsamer und fuhr direkt unter einen Jet, der mit offenen Türen auf der Fahrbahn des Flughafens stand. Der Fahrer öffnete die Tür und sie stiegen aus. Die kalte Nachtluft strich um seine Schultern und er zog die Decke enger um sich.
„Versuchen Sie nicht noch einmal, die Kunststücke zu ihrem Besitzer zurückzubringen. Dann werde ich nämlich nicht mehr so gnädig sein können“, drohte sie ihm und nickte in Richtung Flugzeug. „Steigen Sie jetzt ein. Der Pilot weiss, wohin er Sie bringen muss.“
Er zögerte. „Und wohin soll er uns bringen?“
Judy lächelte und zog ebenfalls ihren Mantel enger um ihrer Schultern, als sie aus dem Windschutz des Autos trat. „Er wird Sie zu Ihnen nach Hause bringen. Von dort aus können Sie ja dann mit Ihrem Auftraggeber reden.“
Er zögerte wieder. Konnte er ihr trauen oder hatte sie es so organisiert, dass das Flugzeug irgendwann einfach explodierte und es aussah, als sei es ein Unfall? Wollte sie nur ja nicht des Mordes verdächtigt werden? Seine dunklen Augen bohrten sich in ihre.
„Warum sollte ich Ihnen das glauben?“ fragte er wieder.
Sie zuckte mit den Schultern. „Haben Sie schon einmal davon gehört, dass ich jemanden habe umbringen lassen?“
Er schüttelte den Kopf.
„Wie gesagt, ich bin nicht der Typ dafür, der einfach Menschen umbringen lässt. Wenn Sie alleine wären, dann müsste ich es mir überlegen, aber Ihre Familie ist auch da drin und ich töte keine unschuldigen Menschen, schon gar nicht zehnjährige Kinder, die nichts dafür können, wenn sie das Kind von einem Spion sind.“
Er nickte langsam und drehte sich um. Er glaubte ihr, obwohl er nicht wusste warum, aber er tat es. Es war ein Gefühl, das ihm sagte, er soll es tun. Sie hatte wirklich keinen Grund, ihn und seine Familie zu töten, wenn sie sowieso gleich von hier verschwinden wollten.
 
 

 2. Kurze Pause

Die Flugzeugtür wurde hinter ihm geschlossen. Er hatte nicht angenommen, dass sie ihn und seine Familie alleine fliegen lassen würde, und so war er auch nicht überrascht, als ausser ihm noch zwei Bodyguards mit hinein kamen, die mit ihrer monströsen Gestalt allen Platz wegzunehmen schienen.
„Dad!“ rief seine Tochter und sprang auf. Ein Wächter hinter ihr drückte sie aber wieder auf den Platz. Alex lächelte sie beruhigend an und ging zu ihr.
„Dad“, flüsterte sie noch einmal und umarmte ihn. Er verzog das Gesicht, als sie zu fest auf seine Wunden drückte.
„Was hast du, Dad?“
Er winkte ab. „Nichts, meine Kleine. Es ist nichts.“
Er setzte sich wieder und umarmte seine Frau. Nora achtete darauf, ihn nicht am Rücken zu berühren, denn sie hatte ihn gesehen, als er so hilflos am Boden lag, mit roten Striemen auf dem Rücken.
„Es tut mir leid, Alex. Es tut mir so leid“, flüsterte sie.
Er lächelte verzeihend und setzte sich auf seinen Stuhl, als das Flugzeug startete. Keiner von den dreien sagte ein Wort, aber das brauchten sie auch nicht. Sie lebten seit fünfzehn Jahren zusammen und kannten sich, da brauchte es nicht mehr viele Worte. Seine Tochter kuschelte sich an ihre Mutter und schlief gleich darauf ein. Seine Frau lächelte leicht und strich ihr sanft über den Kopf.
„Jessi wollte unbedingt einkaufen gehen und ich habe nicht darauf geachtet, wohin wir gehen. Es tut mir leid“, entschuldigte sich Nora erneut.
Er nickte müde. Am liebsten hätte er sich auch einfach an seine Frau gekuschelt und wäre eingeschlafen. „Ist schon in Ordnung.“
Doch sie schüttelte den Kopf. „Wir hätten dich fast umgebracht!“ entfuhr es ihr, „Und jetzt musstest du alle Geheimnisse verraten, nur wegen uns.“
Er lächelte. „Irgendwann hätte sie mich soweit gehabt, dass ich alles gesagt hätte.“
Seine Frau schien das ganz anders zu sehen, aber sie schwieg jetzt. Mit ihm konnte man über solche Sachen nicht diskutieren. Sie wusste, dass er sich immer in Lebensgefahr befand, weil ziemlich viele Menschen auf ihn wütend waren. Sie hatte schon viele Male versucht, ihn zu einem anderen Job zu überreden, aber es war ihr nicht gelungen. Dieser Job war sein Leben. Er konnte sich ein Leben ohne die Gefahr gar nicht vorstellen.
Er lehnte seinen Kopf an die Wand und schloss die Augen. Er analysierte sein Verhalten, die Fehler, die er gemacht hatte, um aus ihnen zu lernen. Das Problem war nur, er konnte keine Fehler entdecken. Es war richtig gewesen, Judy Dexter die Wahrheit zu sagen, weil sie seine Familie hatte. Er hätte sie nicht leiden lassen dürfen. Ausserdem war in diesem Fall diese Information nicht so schlimm gewesen wie in anderen. Es ging nur um Kunstgegenstände, nicht um Waffen oder Bomben oder wahnsinnig viel Geld. Natürlich waren diese Gegenstände wertvoll, aber eigentlich hatten sie nur Sammlerwert. Vielleicht tauchten sie ja irgendwann einmal wieder auf und dann konnte Ming sie zurückkaufen, wenn er wirklich so interessiert daran war.
Er unterdrückte ein Seufzen. Das war einer der wenigen Fällen, die ausser Kontrolle geraten waren. Er war bekannt dafür, dass er alle Aufträge richtig erledigte und nicht scheiterte. Wenn das bekannt wurde, würde das für seinen Ruf nicht gut sein, aber vielleicht konnte er es wieder aufholen, wenn er dafür die nächsten noch perfekter als sonst machte. Es war ein Einzelfall gewesen. Das nächste Mal wusste er, was er machen musste, damit er das Ganze ohne Zwischenfälle abwickeln konnte.
Das Flugzeug begann zu rütteln und er schrak auf. Hatte er sich etwa in Judy getäuscht? Hatte sie nicht doch etwas manipuliert, so dass es jetzt wie eine Funktionsstörung aussah?
Er sprang auf und begegnete dem warnenden Blick der Wächter, also setzte er sich wieder, fragte aber: „Was ist los mit dem Jet?“
Der Wächter zuckte mit den Schultern. Er war nicht sonderlich beunruhigt. „Wahrscheinlich ein Luftloch. Machen Sie sich keine Sorgen, Sie stürzen schon nicht ab.“
Das erleichterte ihn nicht gerade, aber er sagte auch nichts mehr. Das Flugzeug hörte aber nicht auf zu rütteln und Jessica erwachte. Er konnte wieder die Angst in ihrem Augen sehen.
Die Wache ging nach ein paar Minuten - jetzt ebenfalls sichtlich beunruhigt - nach vorn zum Cockpit und erkundigte, was los ist.
Gleich darauf schien es so, als seien sie beschossen worden. Der Jet wackelte immer mehr und es konnte bestimmt kein Luftloch mehr sein und auch kein Sturm - was er sowieso ausschloss, denn es war wunderschönes Wetter.
Der Anblick draussen vor dem Fenster wurde immer interessanter. Ein riesiges Flugzeug näherte sich ihnen von der Seite, und es war ein Wunder, dass sie nicht schon lange in dessen Zog gezogen worden waren. Es öffnete eine Art Luke, in der der kleine Jet ohne weiteres Platz gehabt hätte. Und genau das hatten sie scheinbar auch vor. Sie wollten ihre kleine Maschine in die andere hineinbringen. Darum wakkelte alles so gewaltig. Er starrte den grossen Frachter durch das Fenster an. So etwas hatte er noch nie gesehen. Zwar wusste er von solch grossen Flugzeugen, aber dass man auch während dem Flug einladen konnte, davon hatte er noch nie gehört.
Die Wache kam zurück und stellte sich wieder ruhig an ihren Platz. Er beobachtete sie, wartete auf eine Erklärung, aber sie schien nun über dieses Manöver informiert worden zu sein und hielt es nicht für nötig, auch ihn zu informieren.
„Alex, was geht hier vor?“ fragte seine Frau verängstigt und sah ihm mit grossen, nervösen Augen an.
Er konnte nur mit den Schultern zucken. „Ich habe keine Ahnung, Nora.“
Gleich darauf sahen sie nur noch die schwarze Hülle des grossen Flugzeugs und dann konnten sie in sein Inneres blicken. Es war ein riesiger Laderaum, der ausser ihnen jetzt leer war. Sobald sie sich vollständig im Innern der Maschine befanden, schloss sich unter ihnen die Luke und es wurde einen Moment lang stockdunkel, bis die Lichter angingen und die Tür ihres Jets geöffnet wurde.
Eine Wache nach der anderen ging hinaus. Sie liessen die verunsicherten Gefangenen alleine. Als Alex es endlich wagte aufzustehen, kamen plötzlich wieder Wachen hinein. Allerdings waren sie jetzt nicht mehr mit normalen Jeans und Hemden gekleidet, sondern mit schwarzen Uniformen, so wie man sie sonst eigentlich nur im Fernsehen sah.
„Aufstehen, Hände hoch und hinausgehen!“ befahl einer und unterstrich seine Worte durch eine Geste mit seinem Maschinengewehr. Auf Jessicas Wangen strömten Tränen hinab.
Er befolgte die Anweisungen, wobei die Decke von seinem Rücken rutschte. Sie wurden hinaus geführt, wo ein nicht mehr ganz junger Mann in Anzug und Krawatte stand, umgeben von zirka zehn Bodyguards.
„Sie können die Hände wieder herunter nehmen“, meinte er mit einem russischen Akzent und sofort drückte sich Jessica an ihre Mutter.
Alex stellte sich schützend vor die beiden und fragte: „Was wollen Sie von uns?“
Der Mann lächelte. „Nicht von euch, nur von Ihnen, Mr. Garcia.“
Alex legte den Kopf auf die Seite und sah ihn auffordernd an.
„Kommen Sie doch erst mal in ein bequemeres Quartier mit. Hier ist es so ungemütlich kalt, finden Sie nicht auch?“
Er deutete auf eine Tür und Alex und seine Familie folgten ihm langsam. Die Tür führte in ein luxuriös eingerichtetes Zimmer. Der Boden war mit einem Teppich belegt, der sich in einem undefinierbaren Muster in allen verschiedenen Farben dahin zog. An der rechten Wand war eine kleine Nische, die als Küche diente. Alles darin war aus Marmor. In der anderen Ecke war eine Polstergruppe - natürlich alles mit echtem Leder bezogen.
„Setzen Sie sich doch“, meinte der Mann und zeigte auf die Diwans.
Alex zögerte und ging dann an ihm vorbei auf eine Couch zu. Nora und Jessica blieben bei der Tür stehen und sahen sich immer wieder nervös nach ihr um, als könne sie ihnen weglaufen.
„Was haben Sie denn mit Ihrem Rücken gemacht?“ fragte der Mann Alex und schien ehrlich besorgt zu sein. Alex antwortete nicht, sah ihn nur mit einem Blick an, der sagte, dass ihn das nichts angehe, worauf der Mann abwehrend die Hände hob.
„Schon gut, es geht mich nichts an. Setzen Sie sich doch auch, Miss Garcia und du auch, Jessica. Es passiert euch hier nichts.“
Sie setzten sich, wenn auch nur zögernd und in der Nähe der Tür.
„Es sieht im ersten Moment vielleicht so aus, als wolle ich Ihnen irgend etwas tun, aber das ist nicht der Fall. Im Gegenteil, ich brauche Ihre Hilfe.“
Er hob die Brauen. Warum sollte dieser Mann sie entführen, um sie dann um Hilfe zu bitten? Das konnte man doch alles auf festem Boden machen, mit einer normalen Einladung zum Essen oder so.
„Was meinen Sie mit Hilfe?“ fragte er und gab seine Verteidigungsstellung auf. Seine Gefühle sagten, dass ihnen hier wirklich keine Gefahr drohte.
Der Mann antwortete: „Zuerst möchte ich mich vorstellen. Mein Name ist Captain Nicolai Mirankov. Ich bin vom russischen Geheimdienst. Die Frau, von der Sie gerade kommen, Mr. Garcia, Judy Dexter, hat von uns kostbare Objekte gestohlen, und nun wird meine Abteilung für den Diebstahl verantwortlich gemacht. Diese Gegenstände haben für Russland nicht nur materiellen Wert. Sie repräsentieren einen Teil unserer Vergangenheit, unserer Geschichte. Und wenn wir sie nicht innerhalb von vier Tagen wieder zurückbringen, wird die gesamte Einheit einem Gericht überstellt, das bestimmt nicht unparteiisch ist, wenn Sie verstehen, was ich meine. Ich möchte Sie im Namen meiner Abteilung bitten, uns diese Objekte wieder zu bringen.“
Er sah ihn ohne jegliche Reaktion an. Dann runzelte er langsam die Stirn.
„In vier Tagen? Für wie viele Objekte von welchem Wert?“
Der Captain zögerte. Aber er antwortete, weil er es musste, da er schliesslich Alex um Hilfe bat und nicht umgekehrt: „Drei Objekte zu je hunderttausend amerikanischen Dollars.“
Diesmal konnte er sich die Reaktion nicht mehr verkneifen und er fragte: „Hunderttausend Dollar? Sind Sie wahnsinnig? Objekte mit solchem Wert werden nicht einfach gestohlen!“
Mirankov zuckte mit den Schultern, unberührt von Alex‘ Überraschung. „Das ist aber geschehen. Dreihunderttausend Dollar liegen in Ihren Händen, wenn Sie den Auftrag annehmen. Keine Sorge, Sie werden dafür auch ausreichend bezahlt.“
Er lächelte leicht. Kunstwerke mit so viel Wert waren schon eine Herausforderung, vor allem weil dazu noch das Leben von zwanzig oder mehr Männern und Frauen auf dem Spiel stand. Ausserdem war es eine offizielle Organisation, die ihn hier um Hilfe bat. Wenn er ihr helfen konnte, würde er auch von anderen legalen Organisationen Aufträge bekommen. Es war die beste Werbung, die er kriegen konnte. Er biss sich überlegend auf die Lippen.
„Es gibt da nur noch ein kleines Problem. Ich weiss nicht, wo sich Judy Dexter und ihre Bande im Moment befindet.“
Der Captain winkte ab. „Wir beobachten sie rund um die Uhr. Sie brauchen sich keine Sorgen darüber zu machen.“
Alex zuckte mit den Schultern und meinte: „Ich habe noch nicht zugesagt. Ausserdem, warum wollen Sie ausgerechnet mich? Wie Sie sehen können, bin ich nicht gerade in Topform und ich bräuchte dringend wieder einmal ein bisschen Schlaf.“
Mirankov nickte verständnisvoll. „Sie wissen genauso gut wie ich, dass Sie der Beste in Ihrem Job sind, auch wenn Sie nicht in Topform sind, wie Sie sagen. Ich kann versuchen, eine Verlängerung einzuholen. Vielleicht einen oder zwei Tage. Sie könnten sich einen Tag ausruhen und dann mit dem Job beginnen.“
Er nickte. Ein Tag sollte reichen, um seinen Schlaf nachzuholen und die Wunden würden sich bis dahin wenigstens schliessen. „Okay, ich mache es, aber nur, weil ich mit dieser Frau noch eine Rechnung offen habe.“
Seine Frau Nora sah ihn entsetzt an. „Du bringst dich um, wenn du das machst, Alex. Diese Frau ist unberechenbar. Das hast du doch selbst gemerkt! Du kannst den Auftrag doch nicht wirklich annehmen wollen. Du bist verletzt und brauchst medizinische Hilfe.“
Er lächelte sie beruhigend an. „Keine Sorge, Nora. Ich habe nicht vor, mich noch einmal schnappen zu lassen.“
Mirankov seufzte erleichtert. „Wir bringen Sie, wenn es Ihnen recht ist, zu unserem Hauptquartier. Dort bekommen Sie alle restlichen Informationen. Sie können sich ausruhen und wenn Sie bereit sind, bringen wir Sie zu Judy Dexter.“
Alex war damit einverstanden.
„Würden Sie meine Frau und meine Tochter nach Hause bringen? Ich möchte nicht, dass sie noch einmal in eine solche Situation wie eben geraten.“
Bevor Mirankov antworten konnte, protestierte seine Frau: „Das kommt gar nicht in Frage! Wir bleiben bei dir, bis du anfängst. Wir gehen jetzt sicher nicht nach Hause!“
Er lächelte leicht und sah auf den Boden. „Ihr bringt mich und euch selbst in Gefahr, wenn ihr jetzt mitkommt! Wie kann ich mich konzentrieren, wenn meine wunderschöne Frau bei mir ist?“ fragte er leise und verführerisch, liess aber keinen Zweifel zu, dass er es zulassen würde, dass sie bei ihm blieben. Nora ignorierte das Kompliment, das er ihr gemacht hatte.
„Aber in ihrem Hauptquartier droht dir noch keine Gefahr“, meinte Jessica, die sich wieder ein bisschen von ihrem Schrecken erholt hatte.
Alex kniete sich vor ihr nieder und sah sie sanft an. „Es ist nicht so, dass ich euch nicht bei mir haben möchte, ganz im Gegenteil, aber ich muss mich vorbereiten und es würde euch dort auch gar nicht gefallen. Ich komme in spätestens fünf oder sechs Tagen wieder nach Hause und dann machen wir alle zusammen Ferien, okay?“
Jessica seufzte und auf einmal lächelte sie mit glänzenden Augen. „Muss ich in dieser Zeit in die Schule?“
Alex grinste auch. „Nein, dein Urlaubsgesuch ist ja noch bis Ende Woche. Also kannst du zu Hause noch ein bisschen Ferien machen, okay?“ Sie nickte, er stand auf und sah zu Nora hinunter.
Sie zuckte mit den Schultern. Wenn es Jessica egal war, nach Hause zu gehen, ging sie eben auch mit. Er wandte sich wieder zu Mirankov.
Dieser sagte: „Wir werden Ihre Frau und Ihre Tochter gleich mit dem Jet zu Ihnen nach Hause bringen. In zwei Stunden sind sie sicher.“ Er winkte zwei Wachen zu und diese gingen zum Jet, um ihn wieder startklar zu machen. „Wollen Sie, dass sie bewacht werden? Es könnte sein, dass Dexter sie als Geiseln zurückholt.“
Aber Alex schüttelte den Kopf. Nein, das war nicht Judys Art. Sie würde keine Geiseln holen.
Mirankov zuckte mit den Schultern und sagte zu Nora und Jessica: „In ein paar Minuten können Sie starten. Sie können schon einsteigen.“
Nora stand auf und lächelte Alex an. Sie hatte Mühe, ihre Tränen zurückzuhalten. „Ich wünschte, du würdest es nicht tun“, flüsterte sie.
Er sah sie beruhigend an und küsste sie. „Es ist mein Job, Nora. Wir haben schon ein paar Mal darüber diskutiert.“
Sie nickte und fragte dann: „Wann wirst du endlich auf mich hören?“
Sie wartete seine Antwort nicht ab, sondern ging mit schnellen Schritten hinaus.
Jessica sah ihn an und meinte dann sarkastisch: „Sie wird es überleben. Komm‘ bald wieder zurück, Daddy.“ Sie umarmte ihn und diesmal achtete sie ebenfalls darauf ihn nicht zu fest zu drücken.
„Pass ein bisschen auf deine Mutter auf, Jessi“, flüsterte er.
Sie nickte, ging ein paar Schritte, drehte sich noch einmal um, winkte und rannte dann zum Flugzeug, wo ihre Mutter mit roten Augen auf sie wartete.
Er drehte sich um. Die Tür wurde hinter ihm verschlossen und gleich darauf war ein ohrenbetäubendes Rauschen zu hören, das aber bald wieder aufhörte, als der Jet das Flugzeug verlassen hatte.
„Warum macht dieser Auftrag nicht einer Ihrer Einheit? Sie sind doch ein Geheimdienst, oder?“ fragte er schliesslich und versuchte seine Frau zu vergessen. Er liebte sie wie wahnsinnig und könnte es nicht ertragen, sollte ihr etwas zustossen.
Mirankov nickte. „Das schon. Aber ich fürchte, diese Angelegenheit wird nicht ganz legal ablaufen und da wir verpflichtet sind, alles auf legalem Weg zu machen, muss ein Ausstehender miteinbezogen werden.“
Alex sah aus dem Fenster den Lichtern des Jets durch das Fenster nach. Der Captain stellte sich neben ihn.
„Sie sollten Ihre Familie für einen Augenblick vergessen. Sie werden sicher zu Hause ankommen, darauf gebe ich Ihnen mein Wort.“
Er nickte leicht. „Ich weiss. Ich frage mich nur, warum sie sich ausgerechnet heute nicht an meine Anweisungen gehalten haben. Nora sagte, sie wollten einkaufen gehen, aber in dieser Gegend, in der Judy Dexter Quartier war, gibt es keine Einkaufshäuser. Warum sollte sie dann also in die Gegend gehen, wo sie mich in Gefahr brachte?“
Mirankov musterte ihn, schien aber wenig erstaunt zu sein. „Sie meinen, Ihre Frau hat Sie angelogen?“
Das stritt Alex heftig ab. „Nein, sie würde mich nie anlügen. Warum sollte sie das tun? Vielleicht war es eine Notlüge oder so etwas. Vielleicht ist ihre Neugierde mit ihr durchgebrannt.“ Er wandte sich vom Fenster ab.
„Ich denke nicht, dass es so war“, sagte da Mirankov plötzlich.
Alex drehte sich überrascht zu ihm. „Was meinen Sie damit?“
Der Captain zuckte leicht mit den Schultern. „Ich möchte Ihrer Frau nichts unterstellen, Mr. Garcia, wirklich nicht, aber bevor wir Sie engagieren wollten, haben wir natürlich Ihre Akten geprüft, und auch die Ihrer Familie. Dabei haben wir ein paar Hinweise gefunden, dass Ihre Frau nicht ganz so unschuldig ist, wie sie sich gibt.“
Alex wurde immer verwirrter. Was sollte das denn heissen? Was meinte er damit: Sie ist nicht so unschuldig, wie sie sich gibt?
Mirankov öffnete eine Schublade im Gestell und holte eine Akte hervor. „Das ist die Akte Ihrer Frau. Sie hat in ihrer Vergangenheit für eine Gruppe namens LOTFA gearbeitet zu haben, was soviel heisst wie ‚Lovers of the Fine Art‘; Kunstliebhaber also. Sie war kaum volljährig, als sie da angefangen hat.“
Alex spürte, wie ihm langsam alles klar wurde, worauf Mirankov hinauswollte.
„Sie glauben, dass das alles .. kein Zufall war? Dass ...?“ Er schüttelte vor dieser schrecklichen Erkenntnis den Kopf. „Nein, das würde Nora nicht tun. Das glaube ich nicht! Sie würde mich nicht verraten.“
Mirankov war aber davon überzeugt, dass er recht hatte. „Diese LOTFA-Organisation hat damals viele wertvolle Kunststücke gestohlen. Eine Zeitlang geriet sie in den Hintergrund, als ob sie aufgelöst worden wäre. In letzter Zeit wurden aber wieder vermehrt Kunstgegenstände gestohlen, aber noch keine Gruppe hat sich dazu bekannt. Es ist durchaus möglich, dass es die LOTFA ist, die auch uns unsere Objekte gestohlen hat. Wenn es so ist, dann ist es bestimmt kein Zufall, dass Ihre Frau heute dort aufgetaucht ist.“
Alex schüttelte ungläubig den Kopf. Das konnte doch nicht wahr sein! Würde seine Frau ihn verraten für ein paar alberne Kunstwerke? Anderseits, warum war sie sonst dort? Noch etwas fiel ihm ein, und das gefiel ihm ganz und gar nicht.
„Judy Dexter wusste nicht, wer ich bin. Sie sagte, es sei reines Glück gewesen, dass man sie gefangennehmen konnte. Sie hätten meine Jacke gefunden mit dem Taschenmesser, auf das Jessi ein Herz gekritzelt hatte. Es war aber gar nicht in der Jacke. Ich weiss genau, dass ich es gebraucht hätte, es aber nicht gefunden habe.“
Ihm wurde plötzlich schmerzlich klar, dass seine eigene Frau ihn verraten hatte. Sie hatte mit Judy zusammengearbeitet und sich einen schönen Plan ausgedacht, wie sie ihn am Besten überlisten konnten, damit es wirklich so aussah, als sei alles purer Zufall. Sie hatte ihn verraten, ohne mit der Wimper zu zucken.
Mirankov musterte ihn besorgt, denn dieser starke, selbstbewusste Geheimagent wurde vor seinen Augen zu einem geschlagenen Mann. „Es ist alles nur ein Verdacht, Mr. Garcia“, versuchte er ihn zu beruhigen, „Es kann auch sein, dass Ihre Familie auch gefoltert wurde und Judy nach diesen Details gesucht hatte, um die Geschichte zu erfinden. Vielleicht wusste sie Ihren Namen schon lange bevor Sie ihn sagten.“
Natürlich, diese Version wäre auch, aber mit der anderen wurde vieles klarer. Nora war in letzter Zeit oft weggegangen, ohne ihm zu sagen, wohin sie ging. Sie erfand immer Ausreden, doch er verzieh es ihr, weil er sie liebte. Wenn sie zurückkam, war es immer Nacht und sie wurde von einem schwarzen, kleinen Bus gebracht. Sie trug dann zwar keine schwarze Kleidung, aber in ihrem Schrank hingen schwarze Jeans und ein schwarzer Pullover, die aber nie da waren, wenn sie weg war. Obwohl sie ihm erzählte, dass sie schwarz eine ganz schreckliche Farbe fände.
Alex setzte sich und starrte vor sich hin. Konnte das wirklich wahr sein? Könnte es sein, dass sie noch immer für diese LOTFA arbeitete und ihn verriet? Nur für ein paar Kunstwerke? Eigentlich dürfte er ja gar nicht erst auf den Verdacht kommen, so dass sie dieses Spiel immer weiter spielen konnte, aber sie hatte nicht mit Mirankov gerechnet. Der machte ihr jetzt einen Strick durch die Rechnung. Warum hatte er es selbst nicht gemerkt? War er blind gewesen, weil er seine Frau liebte? Es war ja ein bekanntes Sprichwort, dass Liebe blind machte.
„Sie wussten, dass meine Frau etwas mit Judy Dexter macht. Warum haben Sie mich über Ihren Plan aufgeklärt, während sie auch da war und alles hören konnte? Sie wird bestimmt gleich ihre Freunde bei der LOTFA anrufen und sagen, dass sie sich vorbereiten sollen. Der ganze Plan wird scheitern.“
Mirankov setzte sich vor ihn auf einen Stuhl. „Ich weiss, aber die LOTFA ist nicht ungefährlich, wie Sie sicher selber gemerkt haben. Wenn ich Ihre Frau hinausgeschickt hätte, wäre sie wahrscheinlich auf den Gedanken gekommen, dass ich etwas weiss und hätte alles daran gesetzt, um mich - und vielleicht auch Sie - umbringen zu lassen.“
Alex starrte ihn ungläubig an. „Sie würde mich umbringen lassen wollen? Das glaube ich nicht. Das würde sie nicht tun!“
Mirankov zuckte ungerührt mit den Schultern. Er kannte Alex‘ Frau nicht und konnte darum objektiv nachdenken. Und aus seiner Sicht würde sie alles tun, um ihre Identität zu schützen. „Vielleicht lässt sie Sie nicht umbringen, aber sie wird auf jeden Fall etwas unternehmen, um Sie aufzuhalten. Sie sollten sich also vorsehen, wenn Sie wieder hineinzukommen versuchen.“
Alex nickte langsam. Er musste sich an den Gedanken gewöhnen, dass seine Frau ihn vielleicht gar nicht mehr liebte, sondern er nur noch ein Mittel zum Zweck war. Er hatte ihr immer alles von seinen Aufträgen erzählt, bis ins kleinste Detail, weil er ihr vertraute. Sie war einfach so an Informationen herangekommen, die man sonst für viel Geld kaufen musste. Das war vermutlich der einzige Grund, warum sie ihn nicht schon längst verlassen hatte.
Er straffte sich langsam, verdrängte die Gedanken an sie und fragte: „Wie lange brauchen wir noch bis zu Ihrem Stützpunkt?“
„Noch ungefähr fünf Minuten. Dann gehen wir runter und Sie können sich ausruhen“, antwortete Mirankov und war erleichtert darüber, dass sich Alex scheinbar wieder gefasst hatte.
Er stand auf und holte aus einem Schrank einen Pullover heraus, der sehr warm und bequem aussah.
„Sie können den anziehen. In Russland ist es selten so warm, dass man ohne einen Pullover herumlaufen könnte.“ Alex nickte dankend und zog ihn über seine brennenden Wunden an.
„Sind Sie verheiratet, Mr. Mirankov?“ fragte er nach einer Weile.
Dieser nickte und wusste schon, was die nächste Frage war, bevor Alex sie stellte.
„Können Sie sich vorstellen, dass Ihre Frau Sie an den Feind verraten würde?“
Mirankov schüttelte den Kopf. „Nein, das könnte ich mir nicht.“
Alex seufzte leicht. „Ich mir auch nicht.“
Der Lieutenant klopfte ihm freundschaftlich und aufmunternd auf die Schultern. „Vielleicht stimmt ja alles auch nicht. Es könnte ja sein, dass sie wirklich nicht mehr bei der LOTFA ist und das alles ein blöder Verdacht ist.“
Alex schüttelte leicht den Kopf und stand wieder auf. Das Flugzeug neigte sich nach unten und durch das Fenster konnte er schon die vielen Lichter von Moskau erkennen. Sie waren irgendwie beruhigend, gleichzeitig aber auch warnend. Sie ermahnten ihn davor, etwas Überstürztes zu denken, aber auch davor, leichtsinnig zu sein und zu glauben, es sei alles nur ein Verdacht, der zwar begründet, aber sonst total unrealistisch war. Und es schien ihm, als habe er schon immer irgend etwas gewusst, habe es aber bis jetzt verdrängt und es nicht wahrhaben wollen.
Das Flugzeug setzte mit einem leichten Ruck auf dem Boden auf und hielt gleich darauf an.
Mirankov und Alex stiegen hinaus und wurden schon von einer schwarzen Limousine erwartet. Sie sprachen auf dem Weg zum Hauptquartier kein Wort. Nicht nur, weil Alex seinen Gedanken nachhing, sondern auch, weil er fast einschlief. Die bequemen Polstersessel luden ihn ein sich zurückzulehnen, einzuschlafen und alles zu vergessen. Schläfrig rappelte er sich auf, als sie endlich ankamen und liess sich von Mirankov in das riesige Gebäude durch die fast ausgestorbenen Büros in einen Wohnteil führen.
„Dieses Zimmer wurde für Sie zur Verfügung gestellt. Fühlen Sie sich wie zu Hause“, erklärte ihm Mirankov mit einer alles umfassenden Handbewegung.
Alex nickte dankend und sah sich um. Es war ein richtiges kleines Appartement. Es hatte eine Nische mit einer Küche, ein Teil als Wohnraum und ein Schlafzimmerteil. Neben der Küche hatte es ein Badezimmer, das nicht sehr gross, aber mehr als ausreichend war.
Mirankov nickte ihm freundlich zu und schloss die Tür hinter sich. Alex unterdrückte einen Seufzer. Er zog sich aus und legte sich auf das weiche Bett. Am liebsten würde er einfach hier liegen bleiben und nie mehr aufstehen, vor allem nicht um zu Judy Dexter zu gehen. Warum hatte er nur eingewilligt? Das war doch völlig hirnrissig, etwas im Geheimen zu planen, wenn die Spionin direkt daneben sitzt! Er wusste noch nichts von seiner Frau. Er fragte sich, was passieren wird, wenn er sie deswegen zur Rede stellte? Würde sie alles abstreiten? Oder würde sie es zugeben und zu der harten, kalten Frau werden, die sie in Wirklichkeit sein musste, wenn sie bei der LOTFA arbeitete? Würde sie vielleicht sogar versuchen, ihn umzubringen? Das glaubte er nicht; das wollte er nicht glauben. Nur weil er herausgefunden hatte, wer sie wirklich war, würde sie ihn sicher nicht gleich umbringen. Wahrscheinlich würde sie sich von ihm scheiden lassen und auf Nimmerwiedersehen verschwinden, aber das war jetzt auch nicht mehr so schlimm. Sie war nicht mehr die Frau, die er noch vor wenigen Stunden geliebt hatte. Und auch wenn sie es abstreiten würde, er konnte sie nie mehr so lieben, wie er es einmal getan hatte, denn sie hatte ihn angelogen und ihm verschwiegen, dass sie bei der LOTFA gearbeitet hatte.
Wusste es seine Tochter auch? Wusste sie, wer ihre Mutter war? War sie etwa auch schon in dieses Netz verstrickt? Freiwillig oder hatte ihre Mutter sie dazu gezwungen? Nein, das konnte er nicht glauben. Bestimmt wusste Jessica überhaupt nichts davon, und Nora hatte sie schon mehr oder weniger gezwungen zu diesem Haus zu gehen. Wahrscheinlich hatte Nora Jessi irgendwie überredet.
Er starrte die Decke an und nahm den Schmerz der Wunden an seinem als willkommene Ablenkung auf. Wie würde Judy Dexter reagieren, wenn er wiederkam und erneut versuchte, ihr etwas wegzunehmen, das ihr eigentlich gar nicht gehörte? Bestimmt wusste sie unterdessen, dass er kommen würde. Was würde sie also tun? Sie hatte gesagt, das nächste Mal würde sie nicht mehr so gnädig sein. Wenn er sich erwischen liess, würde sie ihn töten? Oder versuchte sie es wieder mit Folter und Schmerzen, um noch ein paar Informationen aus ihm herauszupressen? Vielleicht wollte sie ihn ja auch zu Tode foltern, um ihm die letzte Lektion seines Lebens zu erteilen. Dieser Frau traute er das zu.
Er fand es sowieso ein Wunder, dass sie ihn nicht gleich getötet hatte. Sie sah zwar wie eine sanfte, wunderschöne Frau aus, aber er hatte geglaubt erkannt zu haben, dass sie in Wirklichkeit tief in ihrem Innern stark, hart und kalt war, bereit für eine Sache zu töten. Dann hatte er eine Weile lang geglaubt, er habe sich in ihr getäuscht, weil sie ihn nicht tötete und jetzt wusste er nicht mehr, was er denken sollte und was wirklich war. Vielleicht hatte sie ihn nicht getötet, weil seine Frau ein Mitglied der LOTFA war. Konnte es sein, dass Nora ein gutes Wort für ihn eingelegt hatte, weil sie ihn nach fünfzehn Jahren Ehe doch noch mochte, wenn vielleicht auch nicht mehr liebte? Hatte sie ihm vielleicht das Leben gerettet? Müsste er ihr dafür dankbar sein?
Es war nur ein schwacher Trost zu glauben, sie liebe ihn immer noch, denn jetzt, da er wusste, wer sie wirklich war, konnte er sich nicht daran hindern, sie darauf anzusprechen, wenn er sie wiedersah. Dadurch würde ihre ganze Ehe den Bach hinunter fliessen wie ein verwelktes Blatt im Herbst. Sie würde nie mehr ein gutes Wort für ihn einlegen. Das konnte er dann nicht mehr von ihr erwarten. Vielleicht würde sie Judy Dexter sogar zustimmen, wenn diese sie fragte, ob er umgebracht werden soll. Sie hatte sich solche Mühe gegeben, fünfzehn Jahre lang zwei Frauen zu spielen, da würde sie einem Spielverderber wie ihm bestimmt nicht verzeihen; einmal ganz davon abgesehen, ob er ihr verzeihen würde, sollte sie es tun.
Er schob diese Gedanken energisch beiseite. Es hatte keinen Sinn, darüber nachzudenken, was passieren würde, denn er wusste nicht, was wirklich war und was nicht. Langsam spürte er den Schlaf kommen und nahm ihn dankbar hin.
 
 

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