Verrat - Teil 2
by Tia



 3. Die Rückeroberung

Er wurde von einem leisen Geräusch geweckt. Alles war noch dunkel und es musste mitten in der Nacht sein. Er hörte Schritte, die sich schnell durch die Gänge bewegten und Stimmen, die sich kurze und leise Befehle zuriefen.
Eine Sekunde lang blieb er liegen, um sich zu orientieren und stand dann langsam auf. Verwirrt fragte er sich, ob das eine Übung war, die diese russischen Agenten in ihrem eigenen Hauptquartier abhielten, oder ob jemand eingedrungen war, was er sich aber eigentlich nicht vorstellen konnte. Er schlang sich ein Badetuch um die Hüften und wollte sich zur Tür schleichen, als sie plötzlich aufgestossen wurde. Zwei Männer in schwarzen Schutzanzügen und mit Maschinengewehren stürzten herein. Der eine suchte sofort das ganze Zimmer ab, während der andere seine Waffe auf ihn richtete und bedrohlich flüsterte: „Keinen Ton!“
Er hob die Hände und gab, wie befohlen, keinen Ton von sich. Also waren tatsächlich Leute eingedrungen, in das Hauptquartier eines Geheimdienstes. Jetzt konnte er sich gut vorstellen, wie diese Kunststücke gestohlen worden waren. Bei dieser Sicherheit ... Der Mann kam auf ihn zu und musterte ihn von oben bis unten. Mit seiner Bekleidung schloss dieser aber aus, dass er eine Waffe versteckt hatte und stiess er ihn vorwärts auf den Gang hinaus.
Noch mindestens ein Dutzend Männer mehr waren in den Zimmer, die an diesen Flur grenzten, beschäftigt, ein paar andere Männer zu durchsuchen und sie zu fesseln. Die meisten verhielten sich ruhig, doch er sah, dass sich einer zu wehren versuchte und erbarmungslos erschossen wurde. Alex wandte den Blick ab und sagte sich, dass er besser ruhig blieb und sich fesseln liess, sonst würde es ihm ergehen wie den armen Kerlen. Er wurde aber nicht gefesselt, sondern in einen Raum gestossen, der aussah, als sei er das Büro des Leiters des Stützpunktes. Eine Frau sass im Sessel und rauchte eine Zigarette.
Er wurde weiter in den Raum hineingestossen und die Tür wurde hinter ihm geschlossen. Judy lächelte leicht. „So schnell sieht man sich wieder, nicht wahr, Alex? Wie geht es Ihrem Rücken?“
Er drehte sich um, damit sie ihn sehen konnte und sagte nichts.
„Ich hätte nicht geglaubt, dass Sie diesen Auftrag annehmen würden. Ist es ein Racheversuch?“
Er sagte nichts, während er versuchte, ruhig zu bleiben. Er war es sich nicht gewohnt, so von einer Frau unter Kontrolle gehalten zu werden, aber in den heutigen Zeiten musste er sich wohl oder übel daran gewöhnen.
Sie stand schmunzelnd auf, drückte ihre Zigarette aus und kam auf ihn zu. „Wissen Sie, Männer, die nicht auf meine Fragen antworten, üben einen gewissen Reiz auf mich aus. Sie besitzen dann ein Geheimnis in sich, dass ich unbedingt ergründen möchte.“
Sie kam näher, während er sich um seine Selbstbeherrschung bemühte. Diese Frau hatte nicht nur ein wahnsinnig attraktives Gesicht, sie hatte auch einen wunderbaren Körper und eine Ausstrahlung, die sie nur begehrenswert machte. Sie war stark und es weckte in ihm ein Gefühl, das er nur als seinen primitiven männlichen Instinkt identifizieren konnte. Dieser wollte diese Frau haben, wollte sie ganz besitzen.
„Was sagen Sie zu meiner kleinen Razzia? Diese russischen Stützpunkte sind wirklich nicht gut bewacht. Jeder normale Bürger käme hier herein, wenn er wollte.“
Er hob den Kopf ein wenig, um ihren Lippen auszuweichen, die schon bedenklich nahe an den seinen waren.
„Und für was soll sie gut sein? Eine Machtdemonstration? Reines Vergnügen?“ fragte er.
Sie schüttelte den Kopf und ihre Hände strichen langsam über seine Brust. Sie sah zu ihm hoch und antwortete: „Nein, eigentlich wollte ich Sie zurückholen. Sie wissen viel über uns, zu viel. Wahrscheinlich werde ich Sie doch noch töten lassen müssen.“
Er hob die Brauen, sagte aber nichts. Das war ihr aber auch reichlich spät eingefallen. Oder vielleicht hatte es mit Nora zu tun. War es möglich, dass sie einen Verdacht hatte und ihn jetzt töten wollte, damit er nichts ausplauderte?
Judys Hände strichen weiter über seinen Körper, glitten immer tiefer und lösten dann plötzlich das Tuch, dass er sich um seine Hüften geschlungen hatte.
Er reagierte nicht. Sie schmunzelte. „Es ist richtig aufregend, all die Schritte von Profis zu hören, die alle Mitglieder der Abteilung aufspüren, ohne dabei grossen Lärm zu machen, nicht?“
Sie meinte nicht das, und sie beiden wussten es. Sie drückte sich an ihn. Er wollte zurückweichen, aber da war plötzlich die Wand hinter ihm. Sie streichelte sanft über seinen Rücken, als wolle sie allein mit ihren Händen seine Wunden heilen.
„Hören Sie damit auf“, sagte Alex und wollte sie von sich wegstossen, aber sie liess es nicht zu.
Ihre Lippen waren plötzlich auf den seinen und ihre Zunge erforschte seinen Mund. Da konnte er sie nicht mehr wegstossen. Er konnte es einfach nicht mehr. Sein Instinkt hatte die Überhand über ihn gewonnen. Seine Hände glitten automatisch über ihren Körper und liebkosten ihn.
„Soll ich wirklich aufhören, Alex? Willst du es wirklich? Hast du ein schlechtes Gewissen deiner Frau gegenüber?“ fragte sie ihn verführerisch, ohne aufzuhören, ihn zu küssen.
Das brachte ihn abrupt in die Wirklichkeit zurück. Seine Frau! Er stiess sie entschlossen von sich weg, worauf sie ihn entrüstet ansah.
„Ist meine Frau eine von euch?“ fragte er direkt.
Sie brauchte eine Weile, bis sie verstand, was er meinte und dann noch einmal ein paar Sekunden, bis sie die Frage verarbeitet hatte. „Was meinen Sie damit?“ fragte sie wieder mit dem ‚Sie‘.
Er verschränkte die Arme. „Was ich gesagt habe. Gehört sie zu euch? Arbeitet sie für Sie oder für Ihren Boss?“
Judy öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn aber wieder und setzte sich auf die Tischkante hinter ihr. Sie war nicht bereit, eine Auskunft darüber zu geben. „Ich weiss nicht, wovon Sie sprechen“, antwortete sie.
Er lächelte, hob das Tuch vom Boden auf und schlang es sich wieder um die Hüften. „Das wissen Sie sehr wohl. Ich weiss, dass Nora einmal bei der LOTFA gearbeitet hat, vor fünfzehn Jahren. Nun, scheinbar macht sie das immer noch. Und soweit ich informiert bin, ist Ihre Gruppe die LOTFA.“ Das war ein Schuss ins Blaue, aber scheinbar hatte er voll ins Schwarze getroffen.
Judy sah ihn fragend an. „Wie kommen Sie darauf?“
Er erklärte: „Erinnern Sie sich daran, wie Sie mir gesagt, dass Sie meine Familie nur durch Zufall gefunden hätten, weil sie meine Jacke mit dem Taschenmesser gefunden hat? Das Problem ist nur, das Taschenmesser war nicht in der Jacke. Nora sagte mir hinterher, dass sie einkaufen gegangen waren und dabei nicht darauf achteten, wohin sie gingen. Aber in dieser Gegend gab es gar keine Einkaufshäuser. Blöde Zufälle nicht? Ihre Geschichte war frei erfunden und hat mich sogar überzeugt.“
Sie reagierte nicht auf seine Entlarvungen. „Es tut mir leid, aber ich weiss wirklich nicht, ob Ihre Frau bei uns mitmacht. Es könnte sein, obwohl ich es eigentlich nicht glaube. Ich bin nicht über alle in der Organisation informiert. Aber eigentlich glaube ich es nicht.“
Er nickte ironisch. „Natürlich wissen Sie es nicht. Sie sind ja nur ein kleiner Helfershelfer, dem man nichts sagt, nicht?“ fragte er spöttisch.
Sein Gefühl sagte ihm, dass sie nicht log, aber er konnte seinem Gefühl nicht mehr trauen. Das hatte ihm Nora gezeigt. Fünfzehn Jahre lang hatte sie ihn angelogen und er hatte nichts bemerkt. Er verliess sich ab sofort nur noch auf Fakten, und die Fakten, die er jetzt hatte, sagten ihm, dass er keinem von der LOTFA trauen konnte.
„Sie müssen mir ja nicht glauben, Mr. Garcia.“ Plötzlich wurde sie total ernst und kalt, während sie sagte: „Wir bringen Sie jetzt zu unserem Boss.“
Wie auf Kommando kamen zwei Wachen herein und brachten ihn wieder hinaus. Judy kam hinter ihnen her und gab mit fester Stimme alle möglichen Befehle. Er wurde zum Flugplatz gebracht, wo mehrere Helikopter und zwei kleine Flugzeuge warteten. Sie alle waren startbereit.
Er wurde zu einem Flugzeug gebracht und hineingestossen. Hinter ihm kamen eine Hose und ein Hemd mit dem Befehl herein geflogen, dass er es anziehen sollte. Er schlüpfte hinein und bemerkte erst dann, dass sich noch jemand im Flugzeug befand. Es war eine Frau, aber weder Judy noch Nora und schon gar nicht Jessica. Es war jemand anders, den er nicht kannte. Und sie betrachtete ihn mit amüsierten Blick.
„Sie haben einen wirklich knackigen Hintern“, meinte sie und er lächelte erstaunt.
„Vielen Dank“, antwortete er und setzte sich vor sie in einen Sessel. Er musterte sie näher. Sie war eine Schönheit, mit schwarzen Haaren und schwarzen, glänzenden Augen. Ihre Haut war von der Sonne gebräunt. Vermutlich war sie mexikanischer Abstammung.
„Mein Name ist Alex. Und wer bist du?“ fragte er lächelnd.
Sie lächelte zurück und antwortete: „Ich bin Melina.“
Er hob bewundernd die Augenbrauen. „Melina ist ein wunderschöner Name. Aber warum bist du hier?“
„Ich soll dich beschäftigen, bis wir ankommen“, antwortete sie.
Alex fragte: „Bis wir wo ankommen?“
Sie lächelte wieder. „Ich weiss es nicht.“
Er nickte. Vermutlich wusste sie es wirklich nicht. Sie war nicht eine Person, der wichtige Informationen anvertraut wurden. Er rutschte auf den Platz neben ihr. „Und mit was sollst du mich beschäftigen, Melina?“
Sie näherte sich seinem Gesicht und flüsterte: „Mit allem, was dein Herz begehrt.“
Er lächelte wieder und liess den Kuss geschehen, der folgte. Ihre Hände begannen, ihn zu liebkosen, genau so wie Judy es vorher getan hat.
Das Flugzeug startete, aber er beachtete es nicht, denn Melina war einfach unglaublich. Er wusste, sie machte das für Geld, nur für Geld, aber er konnte sich einen kurzen Augenblick lang einbilden, dass sie seine Frau sei und ihn noch immer so liebte wie sie es früher getan hatte. Er schlief mit ihr, aber es war nicht so, wie wenn er mit seiner Frau schlafen würde. Vielleicht lag es daran, dass es in Wirklichkeit ja nicht seine Frau war, vielleicht aber hatte er sich auch so verändert. Nora war nicht mehr die Frau, die er einmal geliebt hatte, aber es war ihm bewusst, dass auch er nicht mehr der Mann war, den er vor ein paar Stunden noch gewesen war.
 
 

4. Samantha Bishop

Es war schon später Morgen - schon fast Mittag - als er erwachte, und das Flugzeug flog noch immer hoch über den Wolken, doch Melina war nicht mehr da. Sie mussten irgendwo einen Zwischenhalt eingelegt haben, so dass sie aussteigen konnte. Er hatte nichts davon bemerkt.
„Guten Morgen! Gut geschlafen?“ fragte eine Stimme, die nur Judy Dexter gehören konnte.
Er sah sie vor sich, elegant gekleidet und frisiert wie immer. Fröstelnd zog er die Decke über sich und kuschelte sich hinein. Sie roch nach Melinas Parfum. Judy lächelte, als ob sie seine Gedanken lesen würde.
„Danke, es geht“, antwortete er in einem begrenzt höflichen Ton und bewegte seine verspannte Schulter.
„Wir werden gleich ankommen, Sie sollten sich jetzt vielleicht anziehen.“
Er zögerte. „Wo werden wir ankommen?“ Es war ihm klar, dass sie nicht antworten würde, aber fragen schadete ja nichts; meistens.
Sie zeigte auf das Bündel Kleider, das neben ihr auf dem Stuhl lag. „Ziehen Sie sich jetzt an.“
Sie stand demonstrativ auf und ging nach vorne ins Cockpit. Er schlüpfte in die Hose und in das Hemd und strich sich durch die Haare. Zum Glück waren sie es kaum wert, dass man sie kämmte, sonst würde er jetzt mit einem wahren Wuschelkopf durch die Gegend laufen müssen. Sein Bart hatte zwar auch nicht geschlafen, und er spürte unangenehme Stoppeln, aber was sollte es? Er ging nicht auf eine Party von Freunden.
Nach einer Weile kam Judy wieder herein und gurtete sich an. Sie deutete ihm, es ebenfalls zu tun.
„Wissen Sie, eigentlich tut es mir leid, dass ich Sie an meinen Boss ausliefern muss. Ich würde Sie lieber noch eine Weile bei mir behalten. Wir hätten bestimmt eine Menge Spass zusammen. Aber leider mag er Sie nicht besonders. Immerhin haben Sie ihm schon mehrere Male seine Pläne durchkreuzt“, meinte sie fast vorwurfsvoll, als ob er Schuld wäre, dass sie nicht auf den gleichen Seite standen.
„Das tut mir leid“, sagte er ohne jegliches Interesse.
Judy ging nicht auf seinen Ton ein. „Das sollte es Ihnen auch, denn wenn mein Boss Sie erst in seinen Fingern hat, wird er Sie so schnell nicht mehr loslassen.“ Er zuckte darauf nur mit den Schultern.
„Haben Sie gestern nicht gelogen, als Sie sagten, dass Sie nicht wissen, ob meine Frau auch bei der LOTFA mitmacht oder nicht?“ fragte er kurze Zeit später.
Sie musterte ihn kurz und fragte sich vermutlich, ob sie jetzt die Wahrheit sagen solle. „Vielleicht, vielleicht auch nicht. Fragen Sie meinen Boss.“
Er runzelte die Stirn. Hiess das, dass sie es wusste oder dass sie es später vielleicht als Druckmittel brauchen wollte, auch wenn es nicht stimmte? Auf jeden Fall würde er diesen Boss, von dem sie dauernd sprach, fragen. Wenn er das Oberhaupt war, wusste er es sicher. Aber ob er ihm die Wahrheit sagte oder nicht, was eine andere Frage. Alex warf die Gedanken ab und verschob sie auf das bevorstehende Treffen.
Das Flugzeug setzte auf und hielt an. Judy löste ihre Gurten und ging hinaus. Eine Gruppe von Wachen eskortierte ihn aus dem Jet und brachte ihn in einem riesigen Raum mit riesigen Fenstern und einem im Vergleich dazu kleinen Tisch. Er war gedeckt mit Früchten, Brot, Fleisch und allem möglichem anderen.
„Setzen Sie sich! Der Boss wird gleich kommen“, befahl ihm ein Gardist und liess ihn alleine.
Er gehorchte und musste sich beherrschen, um nicht in einen so saftig aussehenden Apfel zu beissen. Gleich darauf näherten sich Schritte und Alex drehte sich um. Ein älterer Herr, etwa um die sechzig, kam herein. Sein Haar war schon ergraut, doch früher musste es einmal von tiefem Schwarz gewesen sein. Seine Augen waren im Kontrast dazu blau, fast ein wenig grau. Der Mann war dick, doch wenn er eine Idealfigur gehabt hätte, würde Alex nicht glauben, dass er der Chef einer Organisation wie der LOTFA sein sollte. Alle Bosse hatten Übergewicht. Irgendwie gehörte das einfach dazu.
Er stand auf und nahm die Hand, die der Mann ihm entgegen streckte. Es kam ihm albern vor, denn schliesslich war er hier ein Gefangener. Aber er sagte nichts.
„Mr. Garcia, Ihr Besuch ehrt uns“, meinte der Mann und er hätte geistig nicht ganz dicht sein müssen, wenn er das ernst gemeint hätte.
„Ich bin nicht freiwillig hier“, widersprach Alex und setzte sich wieder.
Der Mann lächelte. „Ich bin Thomas Cooper. Judy sagte mir, dass Sie nicht sehr gesprächig sind, aber ich hoffe, heute reden Sie freiwillig.“
Diese Worte waren im höflichsten Stil gewählt, den man nur wählen konnte, aber der Inhalt der Worte war gar nicht mehr so höflich. Im Gegenteil, er kam einer Drohung gleich.
„Miss Dexter neigt dazu, nicht immer die Wahrheit zu sagen. Ich rede sehr gerne; wenn ich das Thema wählen kann“, gab Alex zurück.
Cooper lächelte erneut. Es schien ihn zu amüsieren, sich mit jemanden zu unterhalten, der nicht gleich um Gnade bettelte. Er meinte: „Greifen Sie doch zu. Ich bin sicher, Sie haben Hunger.“ Alex nickte dankend und nahm den Apfel, den er schon mit den Augen aufgegessen hatte.
Nachdem er einen Biss genommen hatte, fragte er: „Ist meine Frau auch eine von Ihren Leuten, Mr. Cooper?“
Dieser sah erstaunt auf und lächelte dann. Dieser Mann schien nur lächeln zu können. „Hat Ihnen das Mirankov gesagt? Sie sollten nicht alles glauben, was man Ihnen erzählt.“
Alex ging nicht darauf ein. „Ist sie es oder nicht?“
Cooper zog die Brauen zusammen, blieb aber immer noch freundlich. „Eigentlich bin ich hier derjenige, der die Fragen stellt, aber da Sie so nett fragen: Ja, sie arbeitet seit etwa zwanzig Jahren für uns und macht ihre Sache wirklich gut. Der letzte Auftritt von ihr war besonders eindrucksvoll, finden Sie nicht auch?“
Alex starrte ihn an, und wenn Blicke töten könnten, wäre Cooper tot vom Stuhl gefallen wie ein Vogel von seinem Stengel.
„Blicken Sie mich nicht so an, ich kann nichts dafür, dass Ihre Frau bei uns ist. Sam kam freiwillig und blieb freiwillig. Sie könnte jederzeit gehen, wenn sie wollte. Sie können sie ja fragen.“
Er sah ihn erstaunt an. „Sam?“
Cooper lächelte wieder und ein bisschen Schadenfreude konnte man ihm nicht verübeln. „Samantha Bishop. Das ist der richtige Name Ihrer Frau.“
Alex schluckte hart. Er war fünfzehn Jahre lang verheiratet und kannte noch nicht einmal den richtigen Namen seiner Frau. Nora Garcia! Was für ein Schwachsinn!
Cooper machte einer Wache ein Zeichen. „Holen Sie Sam. Sagen Sie ihr, ich habe eine Überraschung für sie.“ Die Wache nickte und ging hinaus.
„Sie ist hier?“ fragte Alex überrascht. Er hatte irgendwie angenommen, sie sei zu Hause mit Jessica.
Cooper nickte. „Natürlich ist sie hier. Sie ist meine persönliche Assistentin und immer bei mir, sofern sie nicht bei Ihnen ist. Sie hat uns auch die Nachricht gebracht, dass Sie erneut zu uns kommen wollten. Da haben wir uns gedacht, wir machen es Ihnen leichter und kommen zu Ihnen. Nett, nicht?“
Alex konnte dem Blick auf einmal nicht mehr standhalten, mit dem Cooper ihn mass. Seine Frau arbeitete bei der LOTFA, einer Organisation, die er bekämpfte. Sie war die Assistentin des Chefs und hiess dazu noch ganz anders, als sie ihm angegeben hatte.
Sein Hunger war ihm auf einmal vergangen und er legte den angebissenen Apfel auf den Teller zurück.
„Keinen Hunger mehr?“ fragte Cooper spöttisch. Er schüttelte den Kopf.
Cooper lächelte wieder und biss herzhaft in ein Stück Brot, dass er mit einem Streifen Schinken versehen hatte. „Sie sollten aber essen“, meinte er mit vollem Mund, „Wenn Sie wieder so gesprächig sind wie gestern nacht, dann könnten Sie ein bisschen Energie gut gebrauchen.“
„Lassen Sie das nur meine Sorge sein, ja?“ gab er giftig zurück.
Die Tür ging auf und Nora, beziehungsweise Samantha kam herein. Sie war ehrlich überrascht, ihn hier zu sehen. „Alex, was machst du hier? Ich habe gedacht, du ...“
Sie wusste, dass sie sich nicht gerade wie eine Gefangene verhielt, die sie eigentlich hätte spielen können, um ihre Deckung nicht auffliegen zu lassen.
Alex stand auf und sah sie ruhig an. Auf einmal war er nicht mehr wütend oder traurig. Er war nur noch ruhig. „Tut mir leid, kennen wir uns? Ich habe Sie noch nie gesehen. Zwar haben Sie eine gewisse Ähnlichkeit mit meiner Frau, aber ich glaube, Sie sind es nicht.“
Sie starrte ihn verwirrt an. „Alex, was soll das?“ fragte sie und schien gleich darauf zu kapieren, dass er nun wusste, wer sie war und was sie hier tat. Sie seufzte und setzte sich neben Cooper. Auch sie hatte ihre Ruhe wiedergefunden. „Du weisst es also“, stellte sie fest.
Er setzte sich und nickte. „Ja, ich weiss es. Aber ich habe es nicht von dir erfahren. Du hättest mir doch nie etwas gesagt, nicht war, Samantha?“ betonte er ihren Namen.
Sie zuckte mit den Schultern. „Ich weiss es nicht. Ich habe oft versucht, es dir zu sagen und zu erklären, aber du hast mir einfach nie zugehört, so dass ich es aufgegeben habe.“
Alex stand bestürzt wieder auf und deutete mit dem Finger auf sich. „Ich habe nie zugehört? Jetzt ist es natürlich meine Schuld. Alles klar! Dann haben wir ja diesen Punkt schon geklärt.“
Cooper kam dazwischen und sagte streng, aber ruhig: „Setzen Sie sich wieder, Mr. Garcia. Es gibt keinen Grund, um sich so aufzuregen.“
Er setzte sich, beruhigte sich aber nicht und fragte Cooper: „Ach ja? Es gibt keinen Grund sich aufzuregen? Natürlich, meine Frau hat mich jahrelang angelogen und ich wusste bis vor einer Minute nicht einmal, wie sie richtig heisst, aber das ist ja kein Grund sich gehenzulassen. Entschuldigen Sie bitte, das habe ich vollkommen vergessen.“
Sam sah ihn traurig an und etwas war in ihrem Blick, das Alex ihr glauben liess. „Ich habe dich vielleicht angelogen, Alex, aber es ging nicht anders. Hättest du mich geliebt, wenn ich dir gesagt hätte, dass ich bei der LOTFA arbeite? Bei einer Terroristengruppe?“
Er sah sie hart an. Das war keine Entschuldigung. „Du hättest ja zum Beispiel aufhören können., wenn du mich wirklich geliebt hättest.“
Sie erwiderte seinen Blick ruhig. „Dieser Job ist mein Leben, genauso wie dein Job deines ist. Würdest du ihn einfach so aufgeben, wegen einer Frau, wenn eine Lüge auch geht, die so gut wie nicht entdeckt werden würde?“
Er starrte sie einen Augenblick verwirrt an. Er wusste, dass seine Frau in solchen Dingen besser argumentieren konnte und auch meistens Recht hatte, und er wusste auch, dass sie jetzt recht hatte. Er hätte niemals seinen Beruf aufgegeben, wenn er es verhindern konnte, indem er seine Frau zum Beispiel anlog, oder ihr zumindest alles verheimlichte.
Als kleines Kind hatte er einmal einen Film gesehen, indem ein Mann seiner Frau jahrelang verheimlicht hatte, dass er eigentlich ein Geheimagent war. Die ganze Sache kam nur aus, weil eine Terroristengruppe ihn und seine entführten, um irgend etwas zu erpressen. Dieser Film hatte erschreckend viel Ähnlichkeit mit seiner Situation. Seine Frau hatte ihm etwas verheimlicht, fünfzehn Jahre lang, und das alles kam nur wegen einer Terroristengruppe aus, die ihn entführt hatte. Vielleicht wollte die LOTFA ja auch etwas erpressen, oder sie wollten sich nur an ihm rächen und ihn umbringen. Am wahrscheinlichsten aber wollten sie Informationen.
Samantha musterte ihn. „Ich habe dich nicht geheiratet, weil mir das einen Vorteil in meiner Situation brachte, Alex. Damals hattest du mir noch gar nicht gesagt, was für einen Beruf du hast.“
Er sah auf den Apfel vor sich, der langsam vor sich hin faulte. Genauso fühlte er sich. Er wurde vor den Augen seiner Frau und ihrem Boss alt und grau, weil er seine Frau geliebt hatte und es nicht ertragen konnte, dass sie ihn so getäuscht hatte.
„Du hast mich nicht gefragt“, gab er nach einer Weile zurück, „Aber ich habe gefragt, was du für einen Beruf hast und du hast mir geantwortet, du seist Sekretärin von AFTOL. Diese Firma soll ...“
Er unterbrach sich selbst. AFTOL war das gleiche Wort wie LOTFA, nur verkehrt gelesen. Und Sam war hier so etwas wie eine Sekretärin, wenn auch eine sehr hochgestellte. Sie hatte damals ebenfalls erwähnt, dass die Firma mit wertvollen Kunstgegenstände handle. Na ja, handeln war es nicht gerade, was die LOTFA machte, aber wertvolle Gegenstände waren es bestimmt.
„Okay, du hast mich nicht richtig angelogen. Du hast gewonnen.“ Er hob die Hände und gab auf. Er hatte gewusst, dass sie schlau war, aber dass sie so schlau war, um sich auf eine solche Situation schon zwanzig Jahre vorher vorzubereiten, hätte er nicht geglaubt. Das hätte nicht einmal er getan. Er hätte vermutlich genau das Gegenteil von dem gesagt, was er eigentlich hätte sagen müssen.
Cooper lächelte leicht und wechselte das Thema. „Wir sind alle schon sehr lange in diesem Geschäft und wissen, dass Geheimhaltung das Wichtigste ist, das man sich vorstellen kann. Darum werden wir Sie auch töten müssen, Mr. Garcia, aber vorher dürfen Sie uns noch eine Weile Gesellschaft leisten.“
Er sah keine Reaktion in Sams Augen und er selbst reagierte schon gar nicht mehr. Er war ein geschlagener Mann, aber würde es seine Frau einfach so zulassen, dass man ihn umbrachte?
„Hast du mich jemals wirklich geliebt, Nora?“
Sie schien zu überlegen, ob sie ihn wegen des Namens ansprechen solle, aber sie sagte nichts. „Ich habe dich immer geliebt, Alex. Aber jetzt ist es nicht mehr so wie früher. Du hast dich in den letzten Minuten drastisch verändert.“
Er starrte sie wieder an und war nahe dran erneut auszurasten. „Ich habe mich verändert?“
Aber er musste sich selbst zugeben, dass das wohl stimmte. Seit er wusste, dass Nora nicht Nora war, konnte er sie nicht mehr ansehen, ohne sich zu fragen: Wen habe ich geheiratet? Es war ein schreckliches Gefühl und vermutlich konnten Cooper und Sam das auch fühlen.
„Weiss Jessica, wer du wirklich bist?“ fragte er und begann, sich ernsthaft Sorgen um sie zu machen. Was würde sie tun, wenn sie erfuhr, dass ihre Mutter, Nora Garcia, auf einmal nicht mehr existierte?
Sam schüttelte den Kopf. „Ich habe sie zu den Nachbarn gebracht, als ich hierher kam. Sie weiss genauso wenig wie du vorher.“
Er nickte. Immerhin eine, die sich keine Sorgen zu machen brauchte. Aber was würde sie sagen, wenn man es ihr erzählte? Konnte sie das verkraften? Alex überlegte sich, dass man es ihr ja nicht sagen musste. Aber sie fragte bestimmt danach, warum er sich ausgerechnet jetzt von ihrer Mutter trennen wollte.
„Mr. Garcia, Sie sollten Ihre Gedanken wieder dem Geschäft zu lenken“, meinte Cooper nach einer Weile Stille.
Er sah ihn erstaunt an. „Welchem Geschäft?“
Cooper lächelte mit einem Lächeln, das sagte, dass er keine andere Wahl hatte, als auf dieses Geschäft einzugehen. „Sie geben uns die Informationen, die wir wollen, und wir geben Ihnen Ihr Leben.“
Alex beschloss, wieder seine Rolle als Schweigsamer aufzunehmen und den Mund zu halten. Also sah er Cooper nur ruhig an.
Eigentlich war es ihm egal, wenn er sterben würde. Nora würde trotzdem für Jessica sorgen, auch wenn sie jetzt Sam war. Er brauchte sich keine Sorgen um sie zu machen. Früher wollte er überleben, weil er dachte, dass seine Familie ihn brauchte, aber nun hatte er keine Frau mehr und nur noch eine Tochter, die er zwar über alles liebte, sie aber kaum kannte. Er war so viel nicht zu Hause und wusste nicht einmal, was ihre Hobbys waren und welche Musik sie gerne hörte. Sie kannte ihn vermutlich genauso wenig. Die restlichen Freunde, die er hatte, würden es ohne grosse Schäden überleben, wenn er nicht mehr da war. Niemand würde sagen könne, er vermisse ihn wahnsinnig, ohne zu heucheln.
„Alex, ich bin bereit, zu anderen Methoden zu greifen, aber glauben Sie mir, es gefällt mir nicht. Wenn Sie mir also sagen würden, wo Hisayo Ming sein Hauptquartier hat, wäre ich Ihnen sehr dankbar“, versuchte es Cooper jetzt auf die sanfte Tour.
Alex schwieg beharrlich. Sollte er schon sterben, dann würde er bestimmt nicht noch Geheimnisse verraten, für die er von seinen Arbeitgebern viel Geld und ihr Vertrauen bekommen hatte.
„Wie wäre es dann mit dem Aufenthaltsort der Objekte, die Sie uns gestohlen haben?“ Alex schüttelte leicht den Kopf.
Thomas Cooper seufze. „Sie haben es so gewollt. Machen Sie nicht mich dafür verantwortlich, wenn Sie vor Schmerzen fast verrecken.“ Er nickte einer Wache zu und sie ging hinaus. „Sie haben etwa eine Minute Zeit, um es sich noch anders zu überlegen. Und denken Sie daran, meine Männer sind dafür ausgebildet worden, alles zu erfahren, was sie erfahren sollen.“
Er reagierte nicht. Im Geiste machte er sich schon dafür bereit, sich von seinem Körper zu trennen und sich selbst zu töten.
Sam sah ihn an, als müsse sie überlegen, wer er ist. „Alex, du solltest es ihm wirklich sagen. Es bringt nichts, wenn du dich töten lässt.“
Er wandte seinen Blick von Cooper ab und wandte ihn Sam zu. „Bringt es etwas, wenn ich weiter lebe?“ fragte er leise.
Sam starrte ihn erschrocken an. Sie verstand irgendwie nicht, was er damit meinte, aber irgendwie tat sie es trotzdem. Sie wusste, dass er bereit war zu sterben, sei es auch nur um ein paar Informationen willens.
„Alex, Sie sollten an Ihre Tochter denken. Es ist hart für ein Kind ihres Alters, den Vater zu verlieren. Was macht sie, wenn Sie auf einmal nicht mehr da sind?
Alex verdrängte seine Gefühle. „Sie wird es überleben“, sagte er kalt. Er durfte sich jetzt keine Blösse geben, denn das würde alles auf seine Schwächen hinweisen, und die würde Cooper schamlos ausnutzen, auch wenn er jetzt noch so tat, als würde es ihn wahnsinnig kümmern, was aus ihm und seiner Tochter wurde.
Die Wache kam zurück, zusammen mit vier weiteren Männern, deren Anzüge aussahen, als würden sie jetzt dann gleich auseinander platzen vor lauter Muskeln.
Er wandte den Blick von ihnen ab. Die Chancen, dass sie auch nur einen einzigen Knochen an ihm heil liessen, waren relativ gering. Selbst mit seiner Technik konnte er nach einer Weile nichts mehr anfangen, wenn der Schmerz zu gross wurde. Dann würde ihm nichts anderes übrig bleiben, als sich selbst zu töten, wenn er es überhaupt fertigbrachte.
Die Männer kamen hinter ihn und warteten auf das Zeichen ihres Chefs.
„Haben Sie es sich überlegt?“ fragte dieser.
Alex lächelte. Jetzt konnte ihn nichts mehr aus der Ruhe bringen. Sein Tod war so gut wie vorbestimmt, warum sollte er sich da noch aufregen? „Sie glauben, dass man mit ein paar eindrucksvollen Staturen und ein bisschen Schmerz alles erreichen kann. Dabei haben Sie vergessen, dass es Menschen gibt, die lieber sterben würden, als das Vertrauen anderer Menschen zu missbrauchen. Aber zu denen gehören Sie und Ihre persönliche Assistentin sicher nicht.“
Cooper grinste. „Wie Sie wünschen. Dann sterben Sie eben, aber langsam, ganz langsam.“ Sein Blick wurde hart, sein Grinsen verschwand, und er machte ein Zeichen mit dem Kopf.
Zwei der Männer packten ihn von hinten und zogen ihn auf die Beine. Er wehrte sich nicht. Das hätte wohl auch nicht viel Sinn gehabt.
„Sollen wir hier ...?“ fragte einer der Männer.
Cooper schüttelte den Kopf. „Nein, bringt ihn nach unten. Ich komme gleich nach.“
Sie stiessen ihn unsanft in den Rücken, was den ersten Schmerz auslöste, als er noch gegen die Tür stolperte und sich dabei die Schulter anstiess. Er sagte nichts, unterdrückte den Instinkt sich einfach umzudrehen und dem erst Bestem auf die Nase zu schlagen, und ging weiter.
Die Männer führten ihn die Treppe hinunter in einen düsteren Raum, der bis auf ein paar Gegenstände leer war. Zwei Männer hoben seine Hände hoch, während die anderen beiden ihn festmachten, an Händen und Füssen, so dass er ihren Schlägen vollkommen hilflos ausgeliefert sein würde.
Sobald sie seine Fesseln so fest zugezogen hatten, dass seine Hand - und Fussgelenke schon jetzt weh taten, stellten sie sich neben die Tür und warteten schweigend ab, damit ihr Chef die Fragen stellen konnte.
Alex atmete tief durch und machte sich bereit, um den Schmerzen auszuweichen. Sein Lehrer hatte ihm gesagt, wenn man diese Technik gut genug beherrsche, könnte man sich mit ihr selber umbringen, in dem man einfach sein Herz zum Stehen brachte. Es klang ganz einfach, aber Alex selbst war noch nie auch nur annäherungsweise so weit an diesen Punkt heran gekommen, an dem er sich entscheiden musste, ob er jetzt sterben wollte oder nicht, aber diesmal würde er all seine Kraft aufwenden, um dorthin zu kommen und den ersten Weg zu nehmen.
Cooper kam herein und stellte sich vor ihm auf. „Wie Sie sehen können, sind wir hier gut eingerichtet. Ich gebe Ihnen noch einmal die Gelegenheit, um uns ohne Folter und ohne Schmerzen das zu verraten, was wir wissen wollen,."
Alex schüttelte den Kopf. „Vergessen Sie’s.“
Cooper zuckte mit den Schultern und gab den Männern ein Zeichen. Einer von ihnen kam leicht grinsend näher. Es schien ihm Spass zu machen, andere Leute zu quälen. Er holte zum Schlag aus.
 
 

5. Folter

Er hätte nie geglaubt, dass er soviel Schmerzen aushalten könnte. Aber er hatte es ausgehalten, mehr oder weniger. Sein Versuch, sich selbst durch Trance zu töten, war fehlgeschlagen. Er brachte die Konzentration nicht auf, die er gebraucht hätte, um das Komoru zu beenden.
Die Schmerzen waren so gross, dass auch seine Technik sie zu unterdrücken nicht mehr viel half. Er würde sich bald entscheiden müssen, ob er an entsetzlichen Schmerzen sterben wollte oder durch einen Schuss aus einer Waffe, den er höchstwahrscheinlich bekommen würde, sobald er alles gesagt und das Vertrauen seines Arbeitgebers missbraucht hatte.
Die Männer hatten ihm das rechte Handgelenk so verdreht, dass es vermutlich gebrochen war, mindestens vier Rippen in seine Lungen gedrückt und die Wunden an seinem Rücken wieder aufgerissen. Vermutlich hatte er auch noch etwas am Kiefer, aber unterdessen zählten diese Kleinigkeiten nicht mehr. Er versuchte nur noch, nicht jedesmal laut zu schreien, wenn er geschlagen wurde.
„Alex, wo ist Mings Hauptquartier?“ fragte Cooper beschwörend.
Er konnte ihn nur noch aus der Ferne hören. Bald würde er wahrscheinlich das Bewusstsein verlieren, was nur gut war. Wenn er bewusstlos war, schmerzten ihn seine Hand und seine Rippen nicht mehr so fest.
Cooper hatte die Frage schon mindestens zehn Mal gestellt und jedesmal war gleich darauf ein Schlag gekommen, der alle anderen vorher übertraf. Alex musste sich wirklich bemühen, um nicht einfach zu sagen, was er wusste. Es wäre doch so einfach gewesen und danach wäre alles vorbei, mit einem einfachen dumpfen Knall.
Diesmal kam dieser alles übertreffende Schlag nicht. Statt dessen hörte - eigentlich spürte er nur den Luftzug - die Türe aufgehen und jemanden leise und erregt reden. Stöhnend wandte er den Blick auf die Tür und auf den jungen Mann, der dort stand und mit Händen und Füssen auf Cooper einredete.
„Wir müssen sofort von hier verschwinden. Das FBI hat sich mit dem CIA zusammen getan und wird uns gleich aufgespürt haben. In einer Stunde werden sie hier sein, wenn nicht schon früher“, berichtet er.
Cooper warf einen Blick auf Alex. „Wir können hier nicht einfach alles stehen und liegen lassen. Wir brauchen mindestens drei Stunden. Kannst du ihnen ein paar Informationen zu werfen?“
Der Mann zögerte. „Zwei Stunden kann ich Ihnen vielleicht verschaffen, Sir. Aber drei wird so gut wie unmöglich sein. Es ist der CIA!“
Cooper klopfte ihm zuversichtlich auf die Schultern. „Das ist doch kein Problem für Sie, oder? Sie sind gut, besser als die vom CIA. Lassen Sie sich nur nicht einschüchtern. Dann haben Sie schon gewonnen.“
Der Mann nickte und ging ermutigt wieder hinaus, um sich seiner Aufgabe entgegen zu stellen, während Cooper erneut vor Alex trat und sagte: „Sie haben Glück, Alex, verdammtes Glück. Ich sollte versuchen, Sie zu überreden, bei uns mitzumachen. Dann würde das Glück vielleicht auf uns über gehen. Manchmal ist das nicht schlecht.“ Cooper nickte den Männern zu und diese machten Alex los.
Er sank kraftlos und stöhnend auf den Boden, sofort die Hände auf den Bauch legend. Er konnte nicht mehr richtig einatmen, und wenn er es tat, starb er fast vor Schmerzen. Doch die Männer hoben ihn sofort wieder auf und brachten ihn hinaus. Er nahm nur noch aus weiter Entfernung wahr, wie er eine Treppe hinauf gestossen wurde, ein Schloss aufklickte und er auf einen weichen Untergrund fiel, der alle Schmerzen des Aufpralls auffing. Dann verlor er endgültig das Bewusstsein.
 
 

6. Geschlagen

Er hatte das Gefühl, als könnten seine Lungen jeden Augenblick explodieren. Sie brannten wie Feuer und am liebsten hätte er gar nicht mehr geatmet. Doch sein Atem ging stossweise immer weiter; es wunderte ihn, dass er das überhaupt noch tat. In seinen Erinnerungen war nur noch Schmerz, der nicht mehr zu ertragen war und aus seiner Sicht gesehen, hätte er längst tot sein müssen.
Sanfte Hände strichen ihm über den Rücken und massierten seine verkrampften Schultern. Er war zu schwach, um sich dagegen zu wehren, obwohl es eigentlich gut tat. Aber er war ein Gefangener, und hier war keiner sein Verbündeter. Er konnte niemandem trauen, auch wenn dieser Jemand ihn massierte. Vielleicht besonders dann nicht!
„Bleiben Sie ganz ruhig, Mr. Garcia. Im Moment sind wir hier sicher. Es wird Ihnen nichts geschehen“, sagte eine Stimme, die gut zu den Händen passte; und die nicht Judy Dexter gehörte. Das war irgendwie beruhigend.
Was blieb ihm anderes übrig, als das zu tun, was diese Frau ihm sagte? Wenn er sich zu fest bewegte, hatte er das Gefühl, als seien alle seine Knochen im Leib gebrochen und in kleine Stückchen zerhackt worden.
Er schlug langsam seine verschwollenen Augen auf und fand sich in einem hellen Zimmer wieder, in dem es zwar gemütlich eingerichtet war, aber dessen Fenster vergittert und doppelscheibig verglast waren. Es sah nicht aus wie eine Gefängniszelle, aber er hatte schon herausgefunden, dass die LOTFA ihre eigene Methode hatte, um ihre Gefangenen unterzubringen und zu versorgen. Er lag auf einem breiten Bett, scheinbar im Schoss dieser sanften Frau und sah nur das, was vor ihm lag. Er wollte sich umdrehen, um diese Frau anzusehen und gleichzeitig einen Sicherheitsabstand zwischen sich zu bringen, aber sie hinderte ihn sanft daran.
„Mr. Garcia, Sie sind zu schwach und zu verletzt, um sich zu bewegen. Sie sollten sich ausruhen, bis man wiederkommt, um Sie zu holen“, sagte die Stimme wieder und irgendwie merkte er, dass sie es ernst meinte und ihn nicht einfach nur daran hindern wollte, aus ihren ‚Klauen‘ zu entkommen.
Vielleicht war die Frau auch gefangen und war zufälligerweise im gleichen Gefängnis wie er, um ihn zu beschäftigen. Oder sie war von Cooper geschickt worden, um ihn auszuhorchen, während er dachte, dass sie seine Freundin sei. Dieser Gedanken hinderte ihn daran, etwas zu sagen. Vielleicht kam ihm das Falsche heraus. Er wartete also ab und liess sich massieren.
„Ich weiss, was Sie denken. ‚Das ist eine, die mich aushorchen soll.‘“
Er unterdrückte ein Runzeln der Stirn. Von wo wusste sie das? Hatte er sich so offensichtlich verhalten? Er hatte sich doch überhaupt nicht bewegt.
Sie lachte leise. „Damit liegen Sie nicht einmal so falsch. Früher, das heisst, vor etwa einer Woche hätte ich sicher versucht Sie auszuhorchen. Aber nun bin ich auch gefangen, genau wie Sie. Man hat mich nur deshalb noch nicht getötet, weil ich zu viele Freunde ausserhalb der Organisation habe. So halten sie mich einfach nur hier gefangen. Als Gespielin für andere Gefangene.“
Also hatte er mit beiden Gedanken recht gehabt. Sie sollte ihn beschäftigen. Und vermutlich würde sie auch alles, was er sagte, weiterleiten um freizukommen. Das war doch ein fairer Preis, jedenfalls für Cooper und diese Frau.
„Warum ... warum hat man Sie gefangen?“ brachte er mit brüchiger Stimme hervor.
Sie seufzte, erzählte aber bereitwillig: „Ich wollte die LOTFA verlassen. Ich erkannte erst jetzt ihre dunklen Geschäfte, obwohl ich schon seit über fünf Jahren dabei war. Und jetzt wollen sie mich nicht gehen lassen. Ich weiss zu viel um zu gehen.“
Also war sie nicht gefangen, weil sie irgend einen Unsinn gemacht und alle in Gefahr gebracht hatte. Wenn sie die LOTFA wirklich verlassen wollte, konnte das sehr positiv für ihn sein. Das konnte ihm vielleicht helfen, von hier zu fliehen. Sie konnte ihm vielleicht helfen zu fliehen.
„Ich soll Ihnen helfen zu fliehen? Tut mir leid, da kann ich leider auch nichts machen. Draussen vor der Tür stehen vier Wachen, die bis an die Zähne bewaffnet sind, und in den Gängen patrouillieren auch welche. Und falls wir die überwältigen könnten, warten vor dem Eingang immer noch die Schosshündchen des Chefs, die uns liebend gerne das Genick brechen würden.“
Jetzt konnte er nicht mehr verhindern, dass er verwirrt und überrascht die Stirn runzelte. Zu seinem Erstaunen war das eine Bewegung, die nicht weh tat. Vermutlich war es die einzige.
„Von wo wissen Sie das?“ fragt er.
„Was? Das mit den Wachen oder dass Sie daran gedacht haben?“ Sie wartete seine Antwort schon gar nicht ab. Man musste ihr diese Frage schon viele Male gestellt haben. „Ich weiss es nicht genau. Manchmal habe ich das Gefühl, als könne ich direkt in die Gedanken anderer Menschen sehen und dort erkenne ich genau, was sie denken, fühlen, was sie tun wollen. Darum war ich wohl der LOTFA auch so wertvoll. Ich habe ihr viele Male aus der Patsche geholfen.“
Sie seufzte wieder leise und meinte dann: „Aber das, was ich für sie getan habe, ist ihr jetzt egal. Mein Name bedeutet in diesem Haus nichts mehr ausser Problemen und Ärger.“
Er lächelte. Diese Bewegung tat weh. „Wie heissen Sie denn?“
Ihre Hände hörten auf, ihn zu massieren und plötzlich lehnte er an einer harten Wand, während sich ein wunderschönes Gesicht in sein Blickfeld schob. Sie hatte dunkelbraune, lange Haare, die sie nachlässig zu einem Zopf zusammen gebunden hatte, und ihre Augen leuchteten in einem hellen Grünblau. Die Nase war zierlich und klein, während der Mund fast ein bisschen zu gross war. Und trotzdem war sie eine Schönheit. Alex fragte sich, ob die LOTFA nur schöne Frauen beherbergte.
„Mein Name ist Diane Fernandez. Und Sie sind Alex Garcia, ich weiss.“
Diese Frau war voller Überraschungen. Er hatte schon viele Male von Diane Fernandez gehört, meistens im Zusammenhang mit polizeilichen Ermittlungen. Sie half, die Zeugen zu befragen und Angeklagte zur Wahrheit zu bringen.
Und dann wurde alles klar. Sie half der Polizei bei Ermittlungen, die für den Ruf in den Medien grossen Wert hatten, während die Polizei nie die LOTFA mit hineinzog. Darum hatte er noch nie von dieser Organisation gehört. Würde er in den Akten nachforschen, wäre sie vollkommen ‚sauber‘.
Diane lächelte freundlich und hinderte sich nach kurzem Zögern daran, ihm die Hand geben zu wollen. „Ich habe Ihre Wunden versorgt, so gut es mir möglich war, aber Sie wurden ganz schön übel zugerichtet. Ich habe noch nie jemanden so lange Coopers Folter standhalten sehen. Sie sind wirklich ganz schön zäh.“
Er neigte dankend für das Kompliment den Kopf. Auch diese Bewegung tat ihm weh. „Ich habe mein Bestes getan. Länger hätte ich es aber nicht mehr ausgehalten.“
Sie grinste leicht. „Da hatten Sie ja Glück, dass jemand den CIA alarmiert hat. Sonst wären Sie jetzt tot, mit oder ohne Ihre Informationen preisgegeben zu haben.
Er musterte sie wieder erstaunt. „Sie haben den CIA gerufen?“
Diane nickte. „Ich habe von Ihrer Folter gehört, als die Wächter draussen vor meiner Zelle darüber sprachen und dachte: Jetzt muss ich etwas unternehmen. Irgendwie ist es mir gelungen zu fliehen und an das Kommunikationssystem zu kommen. Leider wurde ich danach auf dem Weg in die Freiheit geschnappt.“ Sie lächelte bedauernd.
Er musterte sie. Eigentlich hatte er sich nicht eine so hübsche und vor allem nicht eine so junge Frau unter Diane Fernandez vorgestellt. Er liess sich aber nicht von ihrer Anziehungskraft beeinflussen. Sollte sie wirklich kein Spion sein, schadete es auch nichts, wenn er sie ein bisschen zappeln liess. Und wenn sie eine Spionin war, sollte er am besten versuchen sie gar nicht anzusehen. Er versuchte aufzustehen, sank aber stöhnend und mit schmerzverzehrtem Gesicht wieder zurück.
Diane lächelte leicht. „Das werden Sie für eine Weile vergessen müssen, denke ich. Die Schosshündchen von Cooper gehen nicht zimperlich mit ihren ‚Gästen‘ um, wie Sie sicher bemerkt haben.“
Er nickte überzeugt und versuchte zuerst die Finger zu bewegen, dann die ganze Hand und den Arm. Es tat weh, aber er spürte, das es seinen verkrampften Muskeln gut tat. Diane stand auf und hielt ihm nach kurzer Zeit ein Glas Wasser hin.
„Was Sie auch immer über Cooper denken, Sie müssen zugeben: Er ist ein guter Gastgeber. Ein anderer hätte Sie jetzt in das mieseste Loch gesperrt, das Sie sich vorstellen können, damit Sie Ihre Kräfte nicht aufbauen können.“ Er nahm das Glas dankend entgegen, antwortete aber nicht auf Dianes Spruch.
Cooper war sicher nicht gerade ein Mensch, dem er seine Tochter anvertrauen würde, aber er war nicht unhöflich, im Gegenteil. Es war vermutlich nur eine Technik, mit seinen Gefangenen Freundschaft zu schliessen, damit sie ihm ihre Geheimnisse freiwillig verrieten, aber trotzdem ... Wenn es nur um die Gefängnis gehen würde, wäre dies bestimmt sein Lieblingsgefängnis.
Aber beim Gedanken an Jessica fiel ein Schatten auf sein Gesicht und sofort schien Diane wieder seine Gedanken zu lesen.
„Jessica? Ihre Tochter? Cooper hat sie? Ach nein, Ihre Frau.“ Sie seufzte mitleidig. „Ich habe von Sam Bishop gehört. Sie soll recht gut sein in ihrem Job.“
Er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, aber was brachte es schon, wenn sie seine Gedanken las?
„Was arbeitet sie denn genau?“
Sie sah ihn erstaunt an. „Hat man es Ihnen noch nicht gesagt? Nein? Na gut. Sie ist sozusagen die rechte Hand von Cooper. Sie macht die schwierige Drecksarbeit für ihn, wenn seine Schosshündchen versagen, und manchmal sogar noch ein bisschen mehr. Aber das ist nur ein Gerücht.“
Er sah sie fragend an. „Was meinen Sie damit, mit ‚noch ein bisschen mehr‘?“
Sie zögerte, sah zur Tür und wieder zu ihm. „Es gibt Leute von der Organisation, die sagen, dass sie ein Verhältnis miteinander haben. Ich weiss nicht, ob es stimmt. Ich meine, er ist ein alter Fettsack und sie eine gutaussehende, junge Frau. Aber auf jeden Fall halten sie es ziemlich geheim, falls es wirklich mehr als ein Gerücht ist.“
Ein Schlag ins Gesicht von den ‚Schosshündchen‘ hätte nicht mehr weh getan. Er liebte seine Frau noch immer, auch wenn sie nun eine andere Person war als noch vor ein paar Stunden - oder waren es Tage? Er wusste es nicht und im Grunde genommen war es ihm auch egal. Was ihn interessierte war, wie seine Frau sich so gut verstellen konnte. Sie hatte eine Affäre mit ihrem Chef und gleichzeitig war sie bei ihm, schlief mit ihm und tat so, als würde sie ihn lieben und als könnte sie ihn nie im Leben betrügen. Und er hatte es tatsächlich auch geglaubt, fünfzehn lange Jahre lang. Sie war recht überzeugend gewesen.
Doch jetzt war diese Zeit vorbei. Er würde Sam oder Nora nie mehr vertrauen und er hatte keine Ahnung, ob er Jessica wieder sehen würde.
Er musste fast über seine eigenen Gedanken lachen. Sam konnte sie als Druckmittel gegen ihn verwenden. Er musste gewisse Dinge tun, sonst würde sie ihr irgend etwas antun. Der Gedanke war ziemlich unrealistisch, schliesslich war Jessica nicht nur seine Tochter, sondern auch die ihre. Sie würde doch nicht ihrer eigenen Tochter etwas tun. Allerdings konnte er sich dessen nicht mehr sicher sein. Im Moment war sie in seinen Augen nur noch ein kaltblütiges Wesen, das sich nicht um die Gefühle anderer kümmerte, schon gar nicht um die des eigenen Mannes oder die des Kindes. Er würde ihr sogar zutrauen, dass sie Jessica umbrachte, wenn es ihr in irgendeiner Weise nützlich sein sollte.
Er wusste, dass er unfair war, wenn er dachte, dass Sam alles tun würde, um das zu bekommen, was sie haben wollte. Sie war noch immer ein Mensch und seine Frau, und ein bisschen musste von Nora übriggeblieben sein. Aber sollte er sich täuschen, konnte bei einer Frau wie ihr dieses ‚alles‘ sehr viel sein und sehr viele würden Schaden davon nehmen.
„Sie sollten sich nicht zu viele Gedanken darüber machen. Frauen wie Sam Bishop sind vielleicht unberechenbar, aber ihr eigenes Kind foltern, damit der Vater etwas tut, ist doch ein bisschen weit her geholt, finden Sie nicht?“
Er nickte. Natürlich war es weit her geholt. Aber was sollte er tun? Für ihn war Nora die perfekte Frau gewesen, und Sam konnte dementsprechend nur noch ein Monster sein, an dem nichts Perfektes war.
„Achtung, Cooper kommt.“ Sie sprang auf und starrte die Tür an, als würde sie jetzt dann ganz von alleine auf gehen.
Alex war nicht ganz klar, wie sie das wissen sollte, denn er war ohne Überheblichkeit der Meinung, dass er ein ganz passables Gehör hatte, so dass er die Schritte bestimmt gehört hätte. Aber kaum drei Sekunden später, nachdem Diane es gesagt hatte, hörte er die Schritte auch schon. Da wurde ihm bewusst, dass sie die Gedanken Coopers erkannt hatte, nicht seine Schritte.
Gleich darauf ging die Tür auf und Cooper trat mit seinen Bärenmänner ein. Er lächelte freundlich, doch es war ein falsches Lächeln.
„Ich hoffe, Sie haben Freude an Ihrer Gesellschaft, Mr. Garcia“, meinte er in Richtung von Diane zeigend.
Alex reagierte nicht, und das nicht nur, weil er nichts sagen wollte. Er konnte gar nicht antworten. Wenn er etwas sagen würde, könnte er seine Schmerzen nicht mehr unterdrücken und müsste damit Schwäche zeigen.
„Schade, dass Sie noch immer nicht gelernt haben, wann es Zeit ist zu sprechen“, meinte Cooper und machte dabei eine Miene, als sei er ein Vater, der seinen Sohn bestraft, weil er sich unanständig verhalten hatte, „Vielleicht hilft Ihnen das hier.“
Er nickte den Männern zu und sie brachten Jessica hinein. Sie weinte nicht, aber sie war nahe dran.
Eine unbeschreibliche Wut kochte plötzlich in ihm. Sam liess es also tatsächlich zu, dass man Jessi weh tat, damit er etwas sagte. Wie konnte sie das tun? Sie war ihre Mutter!
Als Jessi ihn entdeckte, entfuhr ihr ein leiser Schrei und die Tränen liefen. Ich muss scheusslich aussehen, fuhr es ihm durch den Kopf. Er versuchte zu lächeln, aber es wurde ein Grimasse daraus.
„Keine Angst, meine Kleine. Es passiert dir nichts. Es ist alles in Ordnung“, flüsterte er ihr zu und streckte die Hand nach ihr aus. Doch sie wurde von den Männern festgehalten und er konnte nicht zu ihr.
Cooper strich Jessica über den Kopf, und sie zuckte zusammen. Er kniete vor ihr nieder und sah ihr ins Gesicht. „Dein Daddy ist ein wirklich starker Mann, aber jetzt wird er mir erzählen, was ich wissen will. Sonst würde jemand dir nämlich weh tun, und das wollen wir doch nicht, oder?“
Seine so liebevoll ausgesprochene Drohung wirkte nicht nur auf Alex, sondern auch auf Jessica. Ihre Schultern zuckten und sie konnte sich vor Angst kaum mehr auf den Beinen halten. Ein Mann wie Cooper war für Alex eindrucksvoll, wie musste es dann erst für Jessica sein? Er wollte nicht, dass sie litt. Dafür liebte er sie zu sehr. Er wandte sich mit steinernem Blick an Cooper.
„Lassen Sie Jessica in Ruhe. Sie hat nichts damit zu tun. Das ist eine Sache zwischen Ihnen und mir.“
Cooper lächelte wieder. Wann hörte er endlich damit auf, so zu lächeln? Es wäre viel einfacher, wenn er wütend wäre und ihn anschreien würde. „Natürlich werde ich sie in Ruhe lassen ... Wenn Sie mir gesagt haben, was ich wissen will“, hängte er mit steinernen Worten an.
Alex schluckte unmerklich. Er konnte doch nicht seine Tochter leiden lassen, aber er konnte auch nicht diese Informationen einfach hergeben. Er musste sich entscheiden. Seine Tochter oder sein Arbeitgeber.
„Lassen Sie sie gehen. Ich sage Ihnen, was Sie wissen wollen.“
Ein siegreiches Lächeln umspielte die Lippen seines Feindes. „Sehen Sie, es ist gar nicht so schwer.“
Cooper nickte mit dem Kopf in Richtung der Männer und die brachten Jessica hinaus.
„Dad! Bitte, Dad!“ schrie sie.
„Wohin bringen Sie sie?“ fragte er erschrocken und sah zwischen Cooper und Jessica hin und her.
Cooper sah ihn Jessis Richtung. „Jessica? Wir haben ein Zimmer für sie hergerichtet. Dort wird sie bleiben, bis Sam sie abholt. Es wird ihr dort nichts geschehen.“
Bis Sam sie abholt! Glaubte Cooper etwa, es beruhige ihn zu wissen, dass sein einziges Kind in den Händen einer Mutter war, die der Verbrecherorganisation angehörte, die ihn gefangenhielt? Seine gesunde Hand krampfte sich zusammen und am liebsten wäre er Cooper an den Hals gesprungen. Seine Schmerzen gingen in dieser Wut unter, aber sie hinderten ihn trotzdem noch daran aufzuspringen und sich seinen Wunsch zu erfüllen.
Einer der Männer, die Jessi von ihm weggebracht hatten, kam wieder herein und ging auf Diane zu.
„Würden Sie uns bitte einen Moment lang alleine lassen, Miss Fernandez?“ fragte Cooper liebenswürdig wie immer.
„Aber sicher, Mr. Cooper“, antwortete sie und nickte ebenso liebenswürdig wie er. Ruhig ging sie mit dem Mann mit. Sie schien sich keine Sorgen zu machen, dass man sie nicht ebenfalls foltern könnte.
Cooper zog sich einen Stuhl zu Alex, als würde er einen Kranken besuchen, um ein bisschen mit ihm zu plaudern.
Ein Mann - es war der, der Cooper bei seiner Folter vor dem FBI und der CIA gewarnt hat - kam hinter ihm mit einem Laptop herein und setzte sich an den Tisch. Er tippte etwas ein und nickte Cooper zu.
 
 

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