Drei Tage später war der
Gerichtstermin. Thomas durfte endlich von seinem Vater besucht werden,
aber nur, damit der ihm anständige Kleider bringen konnte.
Die ganzen letzten drei Tage
hatte man niemanden zu ihm gelassen, ausser Turner und Handson oder Pennell.
Das schlug schnell auf das Gemüt um, aber Thomas konnte sich zusammen
reissen und nicht wieder gegen die Wände schlagen.
Der Arzt war auch noch einmal
gekommen, und hatte ihm die Verbände abgenommen. Erst da hatte er
gesehen, wie schlimm seine Wunden aussahen. Beim Knöchel beim Mittelfinger
hatte er sich die Haut bis auf den Knochen abgeschürft und hatte Glück,
dass nicht der Knöchel zersplittert war. Jetzt hatte er wieder Verbände
an den Händen, mit denen er sich vorkam, wie ein Actionheld im Fernsehen.
Leider war er nicht der gute, sondern der böse und er kam jetzt vor
Gericht.
Sein Vater war noch immer
sehr bleich und seinetwegen war die Konferenz, an die Slater eigentlich
eingeladen wurde, verschoben worden.
Er hatte sich jetzt aber besser
unter Kontrolle und nannte ihn auch nicht mehr Tom, was für Thomas
ein gutes Zeichen war. Die Zweifel, die er vor drei Tagen noch gesehen
hatte, waren auch verschwunden und der totalen Überzeugung gewichen,
dass Thomas nichts getan hatte, ausser dass er helfen wollte.
Thomas zog sich an und wurde
dann gleich darauf von Turner und ein paar Polizisten geholt.
"Sie können mit einem
der Polizeiwagen fahren, wenn Sie wollen, Mr. Slater", bot Turner ihm an
und Slater nickte.
Er drückte Thomas in
die Arme, bevor die Polizisten sie sofort wieder trennten.
Thomas wurden Handschellen
angelegt und hinaus geführt. Sein Vater seufzte und folgte einem Polizisten,
der sich zur Verfügung gestellt hatte, zu seinem Wagen.
Thomas wehrte sich nicht gegen
die groben Hände, die ihn zu einem schwarzen Wagen mit verdunkelten
Scheiben führte. Er wurde hinein geschoben und Turner und ein Polizist
kamen nach. Ruhig setzte sich Thomas hin und wartete, bis er wieder hinaus
kam.
Sie sprachen während
der ganzen Fahrt zum Gerichtsgebäude kein Wort, erst als sie schon
anhielten, sagte Turner: "Draussen warten eine Menge Reporter und Journalisten,
die den Prozess des Jahrhunderts erwarten. Es werden eine Menge berühmter
Persönlichkeiten anwesend sein, darum passen Sie auf, dass Sie sie
nicht dauernd anstarren und erschrecken Sie nicht vor den vielen Sicherheitswächtern.
Es sind bestimmt auch ein paar vom FBI oder CIA da sein."
Thomas nickte nur und atmete
noch einmal tief durch. Der Polizist öffnete die Tür und sofort
blitzen und klickten so viele Fotoapparate, wie es nur ging. Journalisten
schrien Thomas Fragen entgegen, wie zum Beispiel 'Glauben Sie, dass Sie
gewinnen können?' und solche.
Thomas antwortete auf Anweisung
Turners nicht, sondern ging mit schnellen Schritt und gesenktem Kopf durch
den schmalen Weg, den ihm die Polizisten freimachten. Turner kam neben
ihm her und wehrte immer wieder Journalisten ab.
Er führte ihn zu einem
kleinen Raum, wo es so still im Verhältnis zu draussen war, dass Thomas
sich am liebsten wünschte, wieder hinaus zu dürfen. Der Polizist
öffnete ihm seine Handschellen und ging.
"Versuchen Sie, ein so ausdrucksloses
Gesicht zu machen, wie es nur geht. Um so weniger Gefühl Sie zeigen,
um so besser. Klar?" fragte Turner.
Thomas nickte und folgte ihm.
Er hatte seit er sein Jurastudium begonnen hatte, angefangen, alle Filme
mit Gerichtsszenen zu schauen. So wurde er mit diesen Gerichtsräumen
bekannt. Allerdings hatte er sich nie vorgestellt, dass er selber einmal
in so einen hineinkommen könnte, ausser als Anwalt.
Jetzt war er der Angeklagte
und kam in den berühmtesten Raum, in Washington, in dem so viele Filmstars,
Musiker und sonstige Millionäre sassen, wie sonst vermutlich nur bei
einer Oskarverleihung. Und das nur wegen ihm. Er sah erst gar nicht durch
die Bänke, um nicht ein erstauntes Gesicht zu machen, sondern starrte
nur gerade vor sich hin auf den Boden.
Das Murmeln im Raum wurde
lauter, als er hinein kam und er konnte die empörten Rufe, die allen
im Kopf herum schwebten, fast hören. Zum Glück waren alle anständig
genug, um in Anwesenheit solcher Sicherheitskräfte, das nicht laut
zu rufen, denn dann wäre dieser vermutlich verwiesen worden.
Er setzte sich auf die linke
Seite des Raumes. Turner setzte sich neben ihn und sah sich ein wenig um.
Auf der Klägerbank sass Pennell, nicht Handson auch noch, dafür
noch mit jemandem anders zusammen. Mit einer Frau. Sie hatte blonde Haare
und war sehr attraktiv und vermutlich kaum dreissig Jahre alt, oder sah
wenigstens so aus. Wenn Thomas nicht schon eine Freundin hätte und
mehr ein Macho wäre, hätte er sich vermutlich sofort an sie 'ran
gemacht, wenn er nicht auf der Verteidigerbank wäre. Sie war seine
Feindin, er sollte sich lieber vor ihr in acht nehmen.
Thomas sah wieder nach vorne.
Der Richter hatte einen eigenen kleinen Raum, wo er sich vor dem Beginn
des Prozess auf ihn vorbereiten konnte.
Er kam jetzt hinein und ging
zu seinem erhöhten Sitzt.
"Erheben Sie sich", sagte
der Polizist, der für die Sicherheit des Richters zuständig war.
Kläger und Angeklagter
erhoben sich.
"Richter Andrew McCarthy übernimmt
den Fall 'Der Staat gegen Thomas Jeremy Slater'."
Der Richter setzte sich und
machte ihnen ein Zeichen, dass sie sich ebenfalls setzen konnten. Er klopfte
dreimal mit seinem Hammer und sagte: "Die Verhandlung ist eröffnet.
Ich erteile dem Kläger das Wort."
Die Frau stand auf und nickte
dem Richter zu.
"Danke, Euer Ehren."
Sie drehte sich dem Publikum
zu und sagte: "Wie Sie alle wissen, verhandeln wir hier gegen einen Mann,
der siebzehn Frauen brutal vergewaltigt hat und -"
Turner stand auf.
"Einspruch! Es ist nicht bewiesen,
dass mein Klient das wirklich getan hat."
Der Richter nickte.
"Stattgegeben. Beachten Sie
das, Kläger."
Die Frau neigte kurz den Kopf
und fuhr fort: "Wir verhandeln gegen einen Mann, von dem wir glauben, dass
er siebzehn Frauen brutal vergewaltigt und sechs davon getötet haben
soll. Mehrere dieser Frauen, die jetzt noch leben, haben keine Chance,
wenn sie hinterher wieder gesund sind, ein normales Leben zu führen.
Nur zwei, zwei von siebzehn Frauen, haben vielleicht das Glück, wieder
ganz normal zu leben, obwohl man natürlich den psychischen Schock
nicht ausser acht lassen darf. Keine dieser Frauen kann jetzt, nachdem
das Verbrechen schon mehrere Wochen oder Monate her ist, etwas sagen. Sie
liegen alle im Koma, aus dem sie vielleicht nicht mehr aufwachen werden.
Ich bitte die Geschworenen, das zu beachten."
Sie atmete ein und sagte dann:
"Die Klägerbank ruft A. J. Jackson in den Zeugenstand."
Thomas hatte Glück, dass
er von der Geschworenenbank aus gesehen hinter Turner sass und sie sein
erschrockenes Gesicht nicht sehen konnten.
A. J. Jackson war sicher der
berühmteste Actionschauspieler in ganz Amerika und weit über
die Grenzen hinaus. Thomas wusste, dass er eine Tochter hatte, aber er
hatte in keiner Zeitung gelesen, dass auch seine Tochter vergewaltigt wurde.
Jackson setzte sich in den
Zeugenstand und starrte Thomas mit leeren, ausdruckslosen Augen an. Es
war ein Blick, der Thomas unter die Haut ging und er auf die leere Bank
vor sich starren musste.
Die Staatsanwältin holte
sich ein paar Information und sagte dann: "Stimmt es, dass Ihre Tochter
als erstes Opfer dieser Vergewaltigungsserie vor genau einem Jahr und drei
Monaten vergewaltigt worden war?"
Er nickte.
"Sie haben der Polizei verboten,
etwas in die Öffentlichkeit zu bringen. Warum?"
"Ich stehe schon ziemlich
viel selbst in den Schlagzeilen und ich habe meiner Frau versprochen, dass
unsere Tochter nicht in die Schlagzeilen kommt. Sie sollte ein normales
Leben leben können."
Thomas begriff, dass seine
Tochter unter den sechs Opfern war.
"Sie war vor ihrem Tod sechs
Monate im Krankenhaus. Hatte sie da zu irgendeiner Zeit das Bewusstsein
wiedererlangt?"
Er schüttelte den Kopf.
"Sie lag die ganze Zeit im
Koma."
Die Frau fragte weiter, und
Thomas gab es bald auf, alle Fragen und Antworten im Gedächtnis zu
behalten. Er hatte keine Chance, seine Studium zu beenden und ein guter
Anwalt zu werden. Dieser Prozess war für ihn schon so gut wie gelaufen.
Als die Klägerin keine
Fragen mehr hatte und Turner drankam, hörte er wieder mehr zu.
"Hatte Ihre Tochter zu irgendeiner
Zeit Kontakt mit Ausländern?"
Die Frau sprang sofort wieder
auf.
"Einspruch! Die Frage ist
irrelevant."
Turner drehte sich zum Richter.
"Mein Klient sagt, dass er
den richtigen Täter vermutlich gesehen hat, und dieser sei bestimmt
kein Amerikaner gewesen."
Der Richter nickte.
"Einspruch nicht stattgegeben."
Die Frau setzte sich wieder
und Turner wiederholte sich: "Hatte Ihre Tochter Kontakt mit Ausländern?"
Jackson zögerte, bevor
er antwortete: "Sie war viel mit Amerikanern zusammen, und ich glaube -"
"Ich möchte nur ein 'Ja'
oder ein 'Nein' von Ihnen hören, Mr. Jackson", fuhr Turner ihm ins
Wort.
"Ja, das hatte sie."
Turner nickte.
"Und waren das - bitte fassen
Sie das nicht als rassistisch auf - Asiaten, Schwarze oder Italiener oder
andere?"
Jackson zuckte mit den Schultern.
"Das kann ich nicht sagen."
"Und warum nicht?"
"Meiner Tochter hatte selbst
erzählt, dass sie sich mit keinen Amerikanern traf, aber sie sagte
nie, was für Menschen sie waren."
Turner fragt weiter: "Also
haben Sie sie nie gesehen."
Jackson schüttelte den
Kopf. Er fuhr fort, mit Fragen zu stellen, bis auch ihm einmal eine Frage
abgewiesen wurde und er sagte, dass er keine weiteren Fragen mehr habe.
Es wurde eine halbstündige
Pause eingeschoben, wo sich der Richter mit den Anwälten unterhalten
wollte. Thomas musste alleine auf der Bank sitzen bleiben. Er hatte sich
während der ganzen Zeit zusammengerissen, um sich unter Kontrolle
zu behalten. Jetzt ging es ihm ganz leicht. Es war, als sei er die Ruhe
selbst.
Sein Vater flüsterte
ihm zu, dass alles wieder gut werden würde, und Thomas nickte nur,
obwohl er wusste, dass es das nicht würde.
Plötzlich spürte
er, wie ihn jemand von hinten anstarrte und er drehte sich um. Ein älterer
Mann stand hinter ihm. Er kannte dieses Gesicht gut. Es war jedem einigermassen
zivilisierten Mensch bekannt. Das Gesicht von Präsident John D. Curnten.
Thomas' Maske wich nicht von
seinem Gesicht, aber innerlich begann er so zu zittern, dass er sich fragte,
warum seine Hände das nicht taten. Ein paar Sekunden lang starrten
sie sich nur an, bis Curnten sich abwandte und sich wieder an seinen Platz
setzte.
Thomas sah ihm einen Moment
lang nach, bis er sich auch umdrehte und auf den Zeugenstand starrte.
Was war das für ein Ausdruck
in diesen Augen gewesen? War es Hass? Eigentlich sah es für Thomas
nicht wie Hass aus, aber auch nicht gerade wie Zuneigung.
Turner kam zurück, bevor
sich Thomas über das klar werden konnte.
Turner flüsterte ihm
zu: "Die Kläger wollen jetzt zuerst den Gerichtsmediziner in den Zeugenstand
holen und danach Sie. Der Richter hat es genehmigt, ich konnte nichts tun.
Sagen Sie einfach die Wahrheit. Sagen Sie das, was wahr ist, auch wenn
das, was Sie mir gesagt haben, nicht wahr sein sollte, klar?"
Thomas nickte und verzichtete
darauf, zu sagen, dass das wahr sei, was er ihm gesagt hatte.
Der Richter kam ebenfalls
wieder und übergab das Wort gleich wieder an die Kläger. Sie
rief den Gerichtsmediziner auf.
"Stimmt das, dass der Angeklagte,
Thomas Slater, die Blutgruppe A negativ besitzt, genauso wie die Blutspuren,
die man unter den Nägel aller Opfern gefunden hat?"
Der Mann nickte.
"Ja, das stimmt."
"Und diese Blutgruppe ist
sehr selten, also müsste es ziemlich grosser Zufall gewesen sein,
wenn der Angeklagte und der Vergewaltiger und Mörder nicht die selbe
Person wären, oder?"
Wieder nickte er.
"Ja, das müsste recht
grosser Zufall sein. Allerdings haben wir auch Hautspuren gefunden, die
nicht miteinander übereinstimmen."
"Und was bedeutet das?"
"Nun, das bedeutet, dass die
Haut, die unter den Nägel und an den Zähnen der Opfer gefunden
wurde, nicht mit der Haut des Angeklagten identisch sind."
Thomas wusste, dass wenn die
Frau jetzt weiter fragen würde, sie vermutlich genau das Gegenteil
von dem erreichen würde, was sie eigentlich wollte. Sie umging dieses
Schicksal geschickt, in dem sie Fragen über den Zustand der toten
Opfer stellte, wie schwer sie misshandelt wurden und so. Als sie fertig
war, fuhr Turner sofort bei dem Faden weiter, den sie aufgegeben hatte.
"Vorhin hatten Sie ausgesagt,
dass die Haut des Vergewaltigers nicht identisch mit der Haut des Angeklagten
ist. Bleiben Sie bei dieser Aussage?"
Der Mediziner nickte.
"Kann man daraus schliessen,
dass es zwei verschiedene Personen sein müssen? Also, dass der Angeklagte
nicht der gleiche Mensch ist wie der Täter?"
Der Mann zögerte ein
bisschen.
"Nun, die Unterschiede der
Hautstrukturen sind nicht so gross, dass man mit Bestimmtheit sagen kann,
dass es zwei verschiedene Personen sind."
"Aber wie kamen dann die Unterschiede
zustande?"
Der Mann zuckte mit den Schultern.
"Der Täter könnte
ein Medikament geschluckt haben, dass seine Hautstruktur für einige
Stunden verändert."
"Wie funktioniert dieses Medikament
genau?"
"Es ist meistens ein Pulver,
kann aber auch in Tablettenform vorkommen. Etwa eine halbe Stunde nach
dem Einnehmen verändert sich die Hautstruktur. Wenn die Haut abgetrennt
wird, das heisst, in diesem Fall abgekratzt, bleibt diese Struktur vorhanden,
so dass bei einem solchen Fall nicht die gleiche Haut festgestellt wird."
Turner nickte nachdenklich
und machte eine Denkpause, um auch den Geschworenen eine Denkpause zu gönnen.
"Könnte man nachher nicht
Spuren im Blut nachweisen, von diesem Medikament?"
"Doch, das könnte man.
Allerdings nur noch nach ein paar Stunden. Bei Ihrem Mandanten sind es
allerdings sechs Stunden gewesen, als man die Blutproben machte."
Turner fragte weiter: "Dieses
Medikament ist ziemlich unbekannt. Wo wurde es getestet? Ist es genehmigt
worden?"
Er schüttelte den Kopf.
"Es wurde hier, in Washington
auf Befehl des Präsidenten getestet. Der Direktor des CIA hält
es für eine gute Methode, die anderen Geheimdienste auf die falsche
Spur zu leiten, wenn einer seiner Männer in ihre Organisationen eingeschleust
wird. Im Augenblick wird noch getestet, ob man die Wirkung nicht noch länger
machen kann."
"Also hätte mein Klient
eigentlich gar nicht an dieses Medikament herankommen dürfen?"
Der Mediziner schüttelte
den Kopf.
"Nein, eigentlich nicht. Er
hätte es nicht bekommen können, ausser er hätte Bekannte
im Forschungsteam, die ihm eine Probe gegeben haben."
Turner machte ein paar Schritte
zur Seite.
"Allerdings ist bei allen
siebzehn Opfern die gleiche Struktur festgestellt worden. Also hätte
er siebzehn Proben gebraucht. Und soviel wird wohl auch kein guter Freund
verschaffen, oder?"
Er schüttelte den Kopf.
"Ich danke Ihnen. Keine weiteren
Fragen, Euer Ehren."
Er setzte sich wieder neben
Thomas. Dieser flüsterte ihm zu: "Einen Moment sah es gar nicht gut
aus."
Turner lächelte.
"Ja, ich dachte auch, dass
ich einen Fehler gemacht habe. Zum Glück ging es dann doch noch gut."
Die Klägerin stand wieder
auf und blickte Thomas auf.
"Ich bitte den Angeklagten
Thomas J. Slater in den Zeugenstand."
Thomas schluckte noch einmal
und stand auf. Der Wächter vom Richter sagte: "Heben Sie die rechte
Hand."
Er hob sie.
"Schwören Sie, die Wahrheit
zu sagen, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit, so wahr Ihnen
Gott helfe?"
Thomas nickte. "Ich schwöre."
Er setzte sich auf den Stuhl
und legte die Hände in den Schoss. Sein Gesicht war ausdruckslos.
Genau so, wie es Turner wollte, kein Gefühl, keine Anzeichen von Schuld
oder von sonst etwas.
"Sie sind von über zwanzig
Polizisten gesehen worden, dass Sie das Opfer Libby Taylor gerade schlagen
wollten. Was sagen Sie dazu?"
Thomas antworte: "Ich wollte
sie nicht schlagen. Ich wollte ihr helfen. Diese Geste des Schlagens, die
die Polizisten gesehen haben wollen, kann genau so gut eine Geste des Helfens
gewesen sein."
Er liess sich nicht von ihrem
weiblichen Reizen beeinflussen, die sie ganz bestimmt absichtlich spielen
liess, um ihn zu einem Fehler zu zwingen.
"Sie werden in vier Tagen
volljährig. Wissen Sie, dass damit Ihre Strafe, falls man Sie für
schuldig erklärt, wesentlich höher ausfallen wird?"
"Einspruch! Das hat nichts
damit zu tun", fuhr Turner auf.
"Einspruch nicht stattgegeben.
Beantworten Sie die Frage, Angeklagter."
Turner setzte sich seufzend
wieder. Thomas warf ihm einen Blick zu.
"Ja, ich bin mir dessen bewusst."
"Wissen Sie auch, dass wenn
sich herausstellt, dass Sie lügen, die Strafe noch höher sein
wird?"
Thomas machte ein leicht gelangweiltes
Gesicht.
"Ich studiere Jura, Ma'am.
Ich kenne meine Rechte genauso gut wie Sie die Ihren."
Sie hob die Hände.
"Ich wollte Ihnen nicht zu
nahe treten. Sie waren also rein zufällig gerade im Zimmer, als die
Polizei kam?"
Thomas schüttelte den
Kopf.
"Nein. Wie ich gesagt habe,
ich wollte der Frau helfen, da ich Schreie hörte."
"Sie haben auch schon gesagt,
dass Sie dabei einem Mann begegnet sind, von dem Sie glauben, dass er der
Täter war."
Thomas nickte.
"Was führt Sie zu dieser
Annahme?"
"Er blutete, und dazu hatte
er es ziemlich eilig, mitten in der Nacht wegzukommen. Ausserdem hatte
er Kratzspuren im Gesicht, die ganz frisch waren, nicht von einer Katze
stammen konnten, weil Katzen im Hotel nicht erlaubt sind."
Die Frau lächelte leicht
über seinen nicht allzu komischen Witz.
"Dieser Mann könnte Sie
entlasten, aber Sie haben gleich von Anfang an gesagt, dass dieser Mann
kaum hier für Sie aussagen wird. Warum?"
Thomas antwortete: "Wenn er
der Täter war, wird er kaum von jemandem ablenken, damit man weiter
nach ihm sucht."
"Aber Sie hätten auch
das Recht gehabt, in einer Verbrecherkartei nach ihm zu suchen. Auch das
haben Sie abgelehnt."
"Ich habe ihn nicht genug
gesehen, um mehr als nur seine Haare und seinen Bart zu sehen."
"Aber Sie hätten es doch
wenigstens versuchen können, oder?"
Thomas seufzte.
"Hören Sie. Es sollte
doch eigentlich Ihnen gefallen, wenn ich es nicht getan habe. Schliesslich
bringe ich so keinen Zeugen, der mich entlasten würde. Was wollen
Sie damit eigentlich?"
Der Richter stimmte dem zu.
"Sagen Sie klar, was Sie wissen
wollen."
Die Frau nickte und fragte:
"Warum haben Sie nichts dafür
unternommen, dass jemand Sie entlastet, oder jemand anders belastet wurde?"
Thomas antworte klar: "Weil
es niemand gibt, der das tun könnte."
"Woher wollen Sie das wissen?"
Thomas verdrehte die Augen.
"Euer Ehren, das läuft
wieder auf das gleiche hinaus", sagte er zum Richter.
Dieser nahm sie zu sich und
sagte so, dass es nur sie hören konnte: "Wenn es irgend etwas mit
diesem Fall zu tun hat, ausser nach den Gründen des Angeklagten zu
forschen, dürfen Sie weiter fragen. Sonst wechseln Sie das Thema."
Die Frau seufzte leise, nickte
aber und wechselte das Thema.
"Sie wollten also dem Opfer
helfen. Warum?"
Thomas stöhnte.
"Würden Sie einfach davon
laufen, wenn vor Ihnen eine halbtote Frau liegt, die Hilfe braucht?"
"Beantworten Sie die Fragen,
Angeklagter. Stellen Sie keine Gegenfragen", fuhr der Richter ein.
"Ich hatte schon immer ein
weiches Herz und konnte nicht sehen, wenn andere leiden. Also konnte ich
diese Frau auch nicht einfach liegen lassen, sondern musste ihr helfen",
antwortete Thomas, nachdem er merkte, dass der Richter nicht mehr besonders
gut gelaunt war. Er musste aufpassen.
"Warum haben Sie dann nicht
sofort ein Krankenhaus angerufen?"
"Erstens, weil ich nicht weiss,
was das für eine Nummer wäre, und zweitens, ich war noch viel
zu müde, um mehr als nur das nötigste zu denken. Ich hatte auch
einen zu grossen Schock, um praktisch zu denken."
Die Klägerin nickte.
"Aber Sie konnten genug denken,
um der Frau zu helfen."
"Das war eine natürliche
Reaktion von mir."
Sie ging genau wie Turner
ein paar Schritte nach links und sah ihn dann wieder an.
"Was dachten Sie, als Sie
der Frau halfen?"
"Ich dachte nichts. Ich war
vom Schock gelähmt."
Thomas verzichtete darauf,
zu sagen, dass er das schon einmal gesagt hatte, denn es würde als
Witz herauskommen und mit dem Richter konnte man jetzt nicht mehr spassen.
"Und als die Polizisten Sie
verhafteten?"
"Meinen Sie, dass ich da weniger
geschockt war?"
Er biss sich sofort auf die
Zunge, aber diese Frau begann ihn langsam zu nerven. Sie wollte alles wissen,
fragte alles mit zwei verschiedenen Fragen nach, wahrscheinlich in der
Hoffnung, dass er einmal zwei verschiedene Antworten gab.
Der Richter sagte nichts dazu,
aber Thomas bemerkte seinen warnenden Blick.
"Sie behaupten ja, dass Sie
es nicht gewesen seien. Sind Sie sich dann dessen bewusst, dass Sie zu
der Zeit, als Jennifer Curnten vergewaltigt wurde, keine Zeugen haben,
die bestätigen könnten, dass Sie nicht hier in Amerika waren?"
Thomas nickte ruhig. "Ich
weiss."
"Wissen Sie auch, dass Sie
damals von zu Hause abgehauen sind, ohne die Erlaubnis Ihres Vaters?"
Wieder nickte er.
"Was haben Sie in diesen drei
Tagen gemacht, nachdem Ihre Freunde von der Polizei wieder nach Hause gebracht
wurden und Sie alleine waren?"
"Ich bin, als die Polizei
diese Razzia machte, gerade beim Einkaufen gewesen. Als ich zurückkam,
war niemand mehr da. Einer meiner Kollegen konnte, bevor ihn die Polizei
entdeckte eine Nachricht schreiben, dass eben die Polizei sie geholt haben."
Die Frau fragte: "Was stand
auf genau auf dieser Nachricht?"
"Wörtlich?"
Sie nickte. "Wenn Sie es noch
wörtlich wissen."
Thomas liess die Luft heraus
und versuchte sich zu erinnern. "Es stand: 'Polizei ist da. Macht Razzia
wegen Dir. Versteck Dich. Sie finden Dich noch früh genug'."
"Warum hatte Ihr Freund geschrieben,
dass die Polizei Sie noch genug früh findet, aber gleichzeitig auch,
dass Sie sich verstecken sollen?"
Thomas lächelte bei der
Erinnerung an Jimmy. Er war der Jüngste von seinem Freundeskreis,
gerade mal knappe vierzehn Jahre alt. Aber er war schlau und sagte immer
alles direkt hinaus. Er war weder ein Pessimist, noch ein Optimist.
"Er ist nicht der Typ, der
die Wahrheit verheimlicht. Wie in diesem Fall, er sagt mir nicht, dass
ich viele Chancen habe, lange vor der Polizei versteckt zu bleiben, da
dies nicht der Fall war."
Die Frau runzelte die Stirn.
Vermutlich fragte sie sich, was das für ein Freund war, wenn er anderen
sagte, dass sie sowieso keine Chance haben.
Thomas erinnerte sich gut
daran, wie er die gekritzelte Schrift sah, auf dem abgerissenen Zettel,
mit den vielen Fehlern. Er war schon überall im Haus gewesen und hatte
nach seinen Freunden geschrien, bis er dieses Papier entdeckte und seine
Sorge um sie verschwand. Ihnen würde nichts passieren. Sie waren alle
minderjährig und eigentlich hatte sein Vater sowieso nur ihn zurückholen
wollen. Die anderen hatten die Erlaubnis ihrer Eltern auch nicht, aber
mehr als ein bisschen Stress hatte es zwischen ihnen und den Eltern und
der Polizei nicht gegeben.
"Wo waren Sie, nachdem Sie
die Nachricht gefunden hatten?" riss ihn die Frau aus den Gedanken.
"Ich blieb im Haus. Dort war
es warm, ich hatte genug zu essen und ich dachte, dass die Polizei nicht
zweimal am gleichen Ort suchen würde."
"Warum gingen Sie nicht nach
Hause? Sie wollten Ihre Ferien doch mit Ihrem Freunden verbringen und die
waren jetzt nicht mehr da."
"Erstens hatte ich zuwenig
Geld, um nach Hause zu kommen. Wir hatten es unserem Chef gegeben, und
den hatte die Polizei mitgenommen und zweitens, ich glaube nicht, dass
ich mich auf die Auseinandersetzung mit meinem Vater freute und blieb darum
dort."
"Hatten Sie dann vor, dort
zu bleiben, bis Ihnen alles Geld ausging?"
Thomas lachte. Hatte diese
Frau so wenig Lebenserfahrung oder tat sie nur so?
"In so einer Situation denkt
man höchstens zwei, vielleicht auch drei Stunden im Voraus, Ma'am."
"Und Sie waren da drei Tage
lang alleine in diesem Haus, bis die Polizei dann doch noch kam?"
Thomas schüttelte den
Kopf.
"Nein, die Polizei kam nicht.
Die Eltern eines Freundes holten mich ab und brachten mich nach Hause."
Sie runzelte erstaunt die
Stirn. Scheinbar war das in ihrem Bericht über diesen Vorfall nicht
vorhanden.
"Wer war dieser Freund? War
er vorher von der Polizei mitgenommen worden?"
Wieder schüttelte er
den Kopf.
"Nein, er war nicht dabei.
Ich sagte ihm, wo wir hingingen, darum hatte es mein Vater vermutlich auch
erfahren."
"Hatten Sie erwartet, dass
er es Ihrem Vater sagt? Sie waren doch abgehauen, da sagt man doch nur
solchen Leuten etwas, denen man vertraut."
"Ich habe es gesagt, weil
er ein Recht darauf hatte, es zu erfahren und ich ihm vertraut habe. Ausserdem
hat er mich nicht verraten. Nicht in dem Sinn. Er hatte guten Grund, sich
Sorgen zu machen, da ich versprochen hatte, mich jeden Tag mindestens einmal
zu melden, aber als ein Sturm die Telefonleitungen zerstört hat, war
kein Telefon mehr da und mein Freund hat gut denken können, dass mir
etwas zugestossen sei."
"Wer ist dieser Freund?" fragte
sie zum zweiten Mal.
Thomas spürte, wie sein
Herz bis zum Hals klopfte und er wusste auch, dass er nicht mehr so ruhig
aussah, wie er es am Anfang getan hatte.
"Er ist eine 'Sie'. Ich kenne
sie schon lange. Wir haben schon zusammen im Sandkasten gespielt."
"Das tut nichts zum Thema,
Mr. Slater", unterbrach ihn die Frau.
Thomas nickte. Er wusste nicht
wieso, aber irgendwie wollte er nicht sagen, wer sie ist. Er hatte angst,
dass ihr dadurch etwas passieren würde.
"Sie ist meine Verlobte."
Ein erstauntes Raunen ging
durch den vorher so stillen Raum, das der Richter gleich mit seinem Hammer
klopfte und 'Ruhe! Ruhe!' schrie.
Jetzt, da es raus war, spürte
er wieder diese normale Ruhe in sich. Er konnte wieder normal atmen und
sein Herz beruhigte sich.
Libby hatte nichts damit zu
tun. Niemand konnte ihr etwas tun. Man konnte sie vielleicht hierher holen,
damit man sie über ihn ausfragen konnte, aber mehr nicht. Niemand
konnte behaupten, dass sie ihm geholfen hatte oder so etwas.
Mit diesem Gedanken kam ihm
in den Sinn, dass er sie jetzt auch nicht angerufen hatte. Er wollte sie
eigentlich gleich am nächsten Tag anrufen, aber da war er in der Gefängniszelle
aufgewacht und in der gab es kein Telefon. Er fragte sich, ob es ihr jetzt
gut ging. Ob sie wieder die gleiche Angst hatte wie als er bei diesen vorherigen
Fall nicht angerufen hatte. Diesmal würde ihre Angst begründet
sein.
"Sie sagten, Ihre Verlobte
hätte ihre Eltern geschickt, damit diese Sie heimbrachten?"
Thomas nickte. Libby war auch
mitgekommen und hatte ihn so fest an sich gedrückt, dass er das Gleichgewicht
verloren hatte und beide in die Wiese gefallen waren. Sie erholten sich
danach fast nicht vor Lachen.
"Ist das die Frau, die so
heisst wie das letzte Opfer?"
Thomas zögerte. Von wo
wusste sie das? Er hatte es nur Turner und seinem Vater gesagt, und diese
hatten es ... Natürlich. Vermutlich waren Kameras und Abhörgeräte
installiert gewesen. Klar, darauf hätte er schon früher kommen
müssen.
"Ja, das ist die."
Die Frau nickte ihm zu.
"Keine weiteren Fragen."
Sie setzte sich hin. Der Richter
klopfte wieder drei mal und sagte: "Die Verhandlung wird um eine Stunde
verschoben." Turner kam sofort zu Thomas nach vorne und nahm ihn mit in
den kleinen Raum, in dem sie zu Beginn der Verhandlung schon gewesen waren.
"Sie haben eine eindrucksvolle
Vorstellung gebracht. Nichts deutet darauf hin, dass Sie Schuldgefühle
oder sonst etwas haben. Allerdings werden Sie alle Namen von Ihrem Freunden
angeben müssen, damit diese ebenfalls verhört werden können.
Vielleicht müssen sie nicht hierher kommen, aber verhört werden
sie auf jeden Fall."
Thomas nickte. Wenigstens
würde Libby dann ganz genau erfahren, warum er sie nicht angerufen
hatte. Hoffentlich würde sie es verstehen.
"Also, in einer Stunde werde
ich Ihnen Fragen stellen. Versuchen Sie, wieder so ruhig zu bleiben wie
am Anfang und machen Sie ein paar Witze, das lockert die ganze Sache ein
bisschen auf. Aber nicht zu viele. So wie Sie es vorher gemacht haben.
Bleiben Sie einfach ruhig, auch wenn ich Fragen stelle, die Sie vielleicht
aufregen oder so, klar?"
Wieder nickte er nur.
"Ich werde Sie zuerst wegen
dem Geld fragen, dass Ihrem Freund gegeben haben. Wie Sie überhaupt
hierher fliegen konnten, wenn Sie kein Geld hatten. Ich habe Ihr Konto,
das Ihres Vaters und das Ihrer Verlobten überprüfen lassen. Nirgendwo
ist genug Geld zu dieser Zeit abgehoben worden, auch nicht zusammen, um
ein Billet hierher und wieder zurückzukaufen. Wir sind ausserdem gerade
dabei, herauszufinden, ob jemand innerhalb von drei Tagen von England und
wieder zurückgeflogen ist."
Plötzlich lächelte
Turner und schüttelte ihm die Hand. "Übrigens herzlichen Glückwunsch.
Ich wusste nicht, dass das mit Ihrer Verlobten so ernst ist."
Thomas lächelte dankend.
"Es war eigentlich geheim.
Wir wollten es niemandem sagen, bis wir nicht sicher waren, dass wir uns
wirklich heiraten wollen."
Turner ging ein Licht auf.
"Darum stiess Ihr Vater auch so einen erstaunten Laut aus, als Sie das
sagten. Er schien es auch nicht zu wissen."
"Nein, er wusste es auch nicht.
Niemand wusste es und jetzt weiss es jeder, auch die, die gar nichts damit
zu tun hatten."
Turner bemerkte sein Trübsal
und klopfte ihm freundschaftlich auf die Schultern.
"Es sieht vielleicht jetzt
noch nicht besonders gut aus, aber das kann sich noch ändern. Dieser
Prozess wird nicht morgen oder übermorgen schon fertig sein. Er wird
sich über Tage, Wochen, oder Monate lang hinweg ziehen. Bis dahin
kann sich noch vieles ändern."
Thomas liess die Luft heraus.
Würde es wirklich so werden? Konnte Turner recht haben? Könnten
sie den Prozess gewinnen? Er wusste es nicht. Schliesslich konnte er nicht
Hellsehen.
"Am besten, Sie bleiben noch
einen Moment hier, und beruhigen sich ein wenig. In dieser Zeit kann ich
noch die neuen Informationen holen."
Thomas stützte seinen
Kopf in seine Hände und hörte, wie die Tür hinter Turner
verschlossen wurde, damit er ja nicht fliehen konnte. Er war schliesslich
ein Schwerverbrecher. Vor einem Jahr und drei Monaten, als die Tochter
von Jackson vergewaltigt und ermordet wurde, da war er noch nicht einmal
siebzehn Jahre alt. Wie hätte er da schon jemandem weh tun können?
Er war doch selber noch ein Kind.
Durch dieser erste Teil, dieser
so kurze Teil des ganzes Prozesses hatte aus ihm vermutlich schon ein viel
älterer Mann gemacht, als er eigentlich war. Er hatte dadurch so viele
Erfahrungen gesammelt, dass er sie alle gar nicht verarbeiten konnte und
davon Kopfweh bekam.
Was war das für ein Blick
des Präsidenten? War es Hass oder einfach nur Trauer? Wenn Thomas
ehrlich war, dann war es eigentlich gar kein Blick. Es waren keinerlei
Gefühle dabei. Nichts hätte man aus seinen Augen lesen können.
Überhaupt nichts. Aber es war ein solcher Blick gewesen, der ihm alle
Haare aufstehen liess, so wie bei A. J. Jackson, nur noch viel schlimmer.
Er konnte den Blick schon gar nicht mehr abwenden.
Was würde mit Libby geschehen?
Würde man sie hierher holen, damit sie aussagte? Wollte man sie dazu
zwingen, eventuell etwas zu sagen, dass ihn ins Gefängnis brachte?
Das konnten sie doch nicht tun. Libby war nicht so stark, dass sie so etwas
ertragen konnte. Sie waren doch verlobt. Sie konnte doch nicht gegen ihren
Verlobten aussagen. Das konnte sie doch nicht. Das würde sie nicht
ertragen.
Und mit all seinen anderen
Freunden? Würden die wichtigsten auch hierher geholt werden, damit
sie aussagten? Von der Schule weg, damit sie den halben Stoff verpassten,
weil dieser Prozess vermutlich ziemlich lange dauern würde? Klar,
im ersten Moment hätten sie Freude daran, dass sie legal von der Schule
wegbleiben konnten, aber was war, wenn sie kapierten, um was es hier eigentlich
ging? Dass Thomas dieser Verbrecher sein sollte, über den sie sich
dauernd lustig gemacht hatten?
Sein Vater? Er hatte es schwer
mit ihm gehabt, dass wusste er selber und manchmal war es Absicht gewesen,
aber in diesem Fall würde Thomas alles tun, um das rückgängig
zu machen. Er wollte seinem Vater das alles ersparen. Er konnte das vielleicht
ein bisschen besser als Libby verkraften, aber nicht mehr. Er liebte ihn
nicht weniger als Libby ihn.
Seufzend erhob er sich, fuhr
mit der Hand durchs Haar und ging unruhig umher. Er war nicht schuldig.
Er hatte nichts getan. Aber wer glaubte ihm das? Vielleicht sein Vater,
Libby, allenfalls noch Turner, aber sonst niemand mehr. Nicht einmal der
Richter schien von Vorurteilen frei zu sein. Er hatte seine Augen gesehen.
Auch sie sahen in ihm nur einen weiteren Verbrecher, den er einbuchten
konnte und so die Welt von einem weiteren Bösem befreien konnte. Ja,
genau das sah er in ihm, ein Nichts, ein Stück Dreck, dass die saubere
Welt verschmutzte und entfernt werden musste. Hoffentlich dachten nicht
alle Geschworenen so.
Die Tür ging auf und
er drehte sich erschreckt um. Turner kam herein. Er lächelte.
"Mit dem Flug ist alles in
Ordnung. Bei keiner Fluggesellschaft ist jemand innerhalb dieser drei Tagen
hin und her geflogen. Das heisst, einige taten das schon, aber die haben
wir überprüft und haben mit allen geredet."
"Ich könnte zwei verschiedene
Namen benutzt haben", sagte Thomas realistisch.
Turner schüttelte den
Kopf.
"Einen gefälschten Pass
auftreiben, das bringt man noch hin, aber gleich zwei? Da müssten
Sie schon gute Verbindungen haben, und die haben Sie nicht. Das würde
alles überprüft. Es wird immer besser."
Ein Teil des Steines, der
sich in seinem Herz Platz gemacht hatte, fiel ab. Er atmete erleichtert
auf.
"Ach übrigens. Ihre Verlobte
wird wohl oder übel hierher kommen müssen. Zu Ihrem Wohl. Ausserdem
der Chef Ihrer Bande, dem Sie das Geld gegeben hatten und vermutlich auch
noch einer Ihrer Lehrer an der Universität."
Thomas nickte. Wenigstens
konnte er dann Libby sehen. Er redete nicht gerne mit ihr über das
Telefon, da konnte er sie nicht sehen. Aber wenn es nicht anders ging,
tat er es natürlich.
"Na dann, kommen Sie. Stürzen
wir uns ins Gefecht."
Turner lachte ein so herzliches
Lachen, dass auch Thomas lächeln musste und mit diesem Lächeln
in den Gerichtsraum kam.
Er setzte sich wieder in den
Zeugenstand und wartete auf den Richter. Während dem konnte er fast
nicht anders, als sich im Raum umzusehen.
Viele Prominente und gesellschaftlich
hochangesehene Menschen sassen da, die er immer einmal treffen wollte.
Jetzt war er mit ihnen in einem Raum und alle sahen ihn an. Alle kannten
ihn, einen völlig unbekannten Engländer.
Der Richter kam mit seinem
schwarzen Gewand wieder herein und eröffnete die Verhandlung zum dritten
Mal. Turner stand sofort auf und kam zu Thomas.
"Sie hatten ausgesagt, dass
Sie nicht genug Geld hatten, um von diesem unerlaubten Ferien nach Hause
zu kommen."
Thomas nickte.
"Wie konnten Sie dann, wenn
Sie kein Geld hatten, hierher, nach Amerika fliegen, wenn Sie nicht einmal
mehr nach Hause kamen?"
"Ich war nicht hierher geflogen.
Ich bin jetzt zum ersten Mal in meinem Leben in Amerika."
"Können Sie das beweisen?"
rief die Klägerin ein.
Turner drehte sich zu ihr
und dem Publikum um.
"Ich habe Befunde angefordert.
Mein Mandant konnte aus alles Kontoauszügen um diese Zeit herum nicht
genug Geld zusammenbringen, um hierher und wieder zurück nach London
zu kommen. Hätte er es trotzdem geschafft, dann war in keiner Fluggesellschaft
ein Name, der nicht nachgeprüft werden konnte, zweimal innerhalb von
einer Woche zweimal aufgetaucht."
Die Klägerin stand wieder
auf.
"Er hätte zwei verschiedene
Namen benutzen können."
Turner lächelte. "Natürlich
hätte er das können, Ma'am. Aber von wo hätte er zwei verschiedene
Pässe hernehmen sollen? Er hatte keinen Kontakt zu irgendwelchen Leuten
bei den Fluggesellschaften oder in einem tieferen Niveau."
Sie setzte sich wortlos wieder
und Turner dreht sich zu den Geschworenen.
"Mein Mandant hatte keine
Möglichkeit, hierher nach Amerika zu fliegen und wieder zurück.
Jedenfalls nicht mit einem Flugzeug."
Ein leises Lächeln ging
durch den ganzen Saal. Niemand konnte sich ein Lächeln verkneifen.
Einmal ausgenommen der Richter.
"Können Sie uns sagen,
Mr. Slater, wo Sie zu einer anderen Tatzeit waren, zum Beispiel vor einem
Monat und drei Tagen?"
Thomas schüttelte den
Kopf. "Tut mir leid, aber ich behalte mir nicht ein ganzes Jahr lang im
Kopf, wann ich wo was gemacht habe."
"Aber ein Monat ist noch nicht
so lange her. Was haben Sie dann gemacht? Waren Sie an Ihrem Studium, oder
haben Sie Ihren Vater auf eine Reise begleitet?
Thomas musste sich erinnern.
Er musste antworten können. Wenn er nicht antwortete, hatte man das
Gefühl, als ob er etwas zu verbergen hatte. Aber konnte er sich erinnern?
Für ihn war ein Monat so schrecklich lange, dass er sich manchmal
kaum daran erinnern konnte, wo er vor einer Woche oder vor ein paar Tagen
war. Vielleicht war er da mit Libby zusammen gewesen. Ja, das könnte
sein. Das war es! Sie hatten Ferien gehabt, das wusste er noch und da ging
er mit Libby ein bisschen an einen See. Sie hatten Glück gehabt, dass
es schönes Wetter war, denn sie konnten immer schwimmen gehen.
"Ich glaube, ich war damals
mit Libby in den Ferien."
"Ihrer Verlobten?" fragte
Turner zurück, um Missverständnisse zu vermeiden.
Thomas nickte.
"Sie könnte das also
bezeugen?"
Wieder nickte er.
"Eine der Frauen, die Sängerin
Debora, wurde nach einem Auftritt in Schottland vergewaltigt. Können
Sie uns sagen, wo Sie zu dieser Zeit waren? Das war vor ziemlich genau
drei Monaten."
Thomas konnte sich gut erinnern.
Damals hatte er sich zum ersten Mal richtig für diesen Prozess interessiert,
da es in nächster Nähe passiert war, verhältnismässig
zu Amerika. Er wollte mit seinem Vater zum Tatort fahren, aber dieser musste
ganz kurzfristig zu einer Beerdigung eines Kollegen, so dass Thomas auch
mit musste und sie nicht gehen konnte. Sie hätten später zwar
noch gehen können, aber dann wäre es nicht mehr dasselbe gewesen.
"Ich war, als es passierte,
mit meinem Vater zu Hause."
"Hatten Sie Schule?"
Er nickte.
"Können das Ihre Lehrer
und Ihr Vater bezeugen?"
"Ja, da bin ich mir sicher."
Turner fasste sich an seinen
kleine Bart, wie er es schon oft getan hatte und überlegte.
"Als Sie alleine in diesen
Ferien waren, nachdem Sie nicht mehr nach Hause konnten, was machten Sie
da? Waren Sie die ganze Zeit im Haus, oder gingen Sie auch noch einmal
ins Dorf, wo Sie waren, als die Polizei kam, oder was machten Sie?"
Thomas wusste, dass seine
Antwort nicht die beste sein würde.
"Ich war die ganze Zeit alleine
im Haus. Ich hatte die Lebensmittel, die ich brauchte, also sah ich auch
keinen Grund, hinaus zu gehen, wo es sowieso nur regnete."
"Hatte es in diesem Dorf kein
Telefon, mit dem Sie Ihre Verlobte oder sonst jemanden informieren konnten,
dass es Ihnen gut gehe?"
"Vermutlich schon, aber es
war ziemlich weit weg von unserer Hütte und der Weg war ziemlich glitschig
und da ich nur mein Motorrad hatte, und nicht unbedingt ins Dorf musste,
wagte ich es nicht, hinunter zu fahren."
Turner nickte langsam.
"Sie fuhren also nicht ins
Dorf, um Ihrer Verlobten zu sagen, dass es Ihnen gut gehe, weil Sie Angst
hatten, dass Sie einen Unfall haben könnten?"
Thomas nickte. "Sie können
es so ausdrücken, wenn Sie wollen."
Turner beendete seine Fragerei
mit dem üblichen Spruch: "Keine weiteren Fragen, Euer Ehren."
Er setzte sich und Thomas
stand ebenfalls auf, um sich wieder auf seinen Stuhl zu setzen. Der Richter
klopfte mit seinem Hammer dreimal.
"Der Prozess wird um zwei
Tage verschoben, bis die übrigen Zeugen hierher geflogen sind."
Er stand auf und zog sich
in seine Kammer zurück.
Thomas und Turner gingen ebenfalls
gleich. Der Polizist, der sie schon am Morgen begleitet hatte, wartete
schon und legte Thomas wieder die Handschellen an. Dann nahm er ihn wortlos
am Arm und zog ihn auf der anderen Seite des Raumes hinaus, wo die Lichter
aufblitzten.
"Haben Sie jetzt nach diesem
ersten Teil das Gefühl, als ob Sie siegen werden?"
"Wie hoch schätzen Sie
Ihre Chancen ein, zu gewinnen?"
"Wissen Sie schon, ob Ihre
Verlobte ebenfalls in den Zeugenstand muss?"
Die Fragen sprangen ihn nur
so an, aber er war viel zu erschöpft, um zu antworten, auch wenn er
gewollt hätte. Dauernd diese Selbstbeherrschung zu halten war nicht
einfach, das hatte er jetzt gelernt. Jetzt wusste er endlich einmal, wie
sich seine Lehrer fühlten, wenn die Studenten dauernd Quatsch machten
und der Lehrer nicht ausrasten oder mitmachen durfte.
Endlich sass er ihm ruhigen
Wagen und konnte ausatmen. Er lehnte den Kopf zurück und starrte an
die Decke.
"Thomas, sehen Sie es nicht
so pessimistisch. Noch hat der Präsident nicht ausgesagt und der Richter
ist ein guter Mann, der sich auch gegen einen Präsidenten stellen
würden, wenn er glaubt, dass der Angeklagte unschuldig ist", versucht
Turner ihn aufzuheitern.
Thomas schüttelt nur
leicht den Kopf.
"Es sieht aber nicht so aus,
als ob er mich für unschuldig hält. Haben Sie gesehen, wie er
mich anstarrt? Ich kann deutlich in seinen Augen lesen, was er von mir
hält. Er denkt, ich bin nicht mehr als ein Stück Dreck, das von
der Strasse geschafft werden muss und dass ich -"
"Hören Sie auf, Thomas.
Das macht doch keinen Sinn. Vielleicht denkt er das, obwohl ich das nicht
glaube, aber dann kann es Ihnen egal sein. Die Geschworenen fällen
die Entscheidung und sie denken bestimmt nicht alle so."
Thomas sah aus dem Fenster.
Die abgedunkelten Scheiben hielten das Sonnenlicht ein bisschen zurück,
aber wenigstens sah er es. Er hatte seit drei Tagen kein natürliches
Licht gesehen und würde jetzt am liebsten das Fenster hinunter lassen,
aber das würde ihm der Polizist nicht erlauben.
"Glauben Sie, dass ich unschuldig
bin?" fragte er plötzlich, obwohl Turner ihm mehrmals versichert hatte,
dass er es tat.
Turner sah ihn verwirrt an.
"Was soll diese Frage? Natürlich
glaube ich Ihnen. Sie haben -"
"Ich meinte, ob Sie es wirklich
glauben, ohne jeglichen Zweifel? Oder haben Sie in sich drin, vielleicht
im Unterbewusstsein, doch nicht auch das Gefühl, dass ich schuldig
bin?"
Er zögerte. Thomas winkte
ab.
"Schon gut. Sie können
nichts dafür. Es gibt keine eindeutigen Beweise, dass ich es nicht
getan habe."
Turner wollte ihm widersprechen,
liess es aber bleiben, als Thomas den Blick abwandte. Dieser wusste, dass
Turner ihm vielleicht glaubte, er musste ihm fast glauben, wenn Thomas
dauernd sagte, er wäre es nicht gewesen, aber er konnte es ihm nicht
verübeln, wenn er doch Zweifel hatte. Niemandem konnte er das verübeln.
Nicht einmal seinem Vater.
Der Polizist zog ihn hinaus
und brachte ihn zurück in seine Zelle. Dort musste er wieder die Häftlingskleidung
anziehen. Seufzend legte er sich auf das Bett und verdeckte mit dem Arm
seine Augen, damit er vielleicht schlafen konnte. Aber er konnte nicht.
Die vielen Fragen, die Antworten schwirrten ihm immer noch im Kopf herum
und sie vermischten sich, dass es Antworten auf Fragen gab, die nichts
miteinander zu tun hatten. Es entstanden Gesichter zu den Fragen, die ihn
drohend anstarrten und befahlen, dass er die Wahrheit sagen sollte, und
dass die Wahrheit die war, dass er ein Mörder und Vergewaltiger war,
der unschuldigen Frauen Leid zufügte, ohne Grund und ohne Anzeichen
von Reue.
Erschrocken fuhr er auf. Ein
letztes Gesicht des Richters verblasste vor seinen Augen und weichte der
kahlen Wand seiner Zelle. Er atmete schnell und sah sich verwirrt um. War
er etwa doch eingeschlafen? War das alles nur ein Traum gewesen?
Er hoffte es, aber diese Gesichter
waren so real gewesen. Realer hätten sie in der Wirklichkeit nicht
sein können. Und die Fragen und Antworten hatte er so klar und deutlich
gehört.
Langsam erhob er sich und
strich sich die Haare aus dem Gesicht. Er hatte alles nur geträumt,
also gab es kein Grund zur Beunruhigung. Es war nichts passiert. Alles
war noch genau gleich wie vor ...
Er sah erstaunt auf seine
Uhr. Er wusste noch, als er sich hinlegte war es genau sechs Uhr abends.
Jetzt war es schon sieben Uhr morgens. Er hatte länger geschlafen,
als er es zu Hause je gekonnt hatte.
In einer Stunde würde
Turner kommen, um sich mit ihm zu besprechen und vor ihm würde ihm
wohl noch jemand etwas zu essen bringen. Seufzend ging er ein paar Schritte
und blieb wieder stehen.
Er hatte in seinem Traum zugegeben,
dass er es war. Dafür hatte er statt lebenslänglich, wie sie
ihm eigentlich geben wollten, 'nur' fünfzehn Jahre bekommen. Sollte
er hier jetzt etwas zugeben, dass er nicht getan hatte, damit die Strafe
geringer wurde? War das die Botschaft dieses Traumes?
Er schüttelte entschlossen
den Kopf. Nein, dass würde er nicht tun. Er hatte nichts getan, also
gab er es auch nicht zu. Er hatte nichts zuzugeben, wenn er nichts getan
hatte. Es war ja nur ein Traum gewesen, von den Erlebnissen seines vergangen
Tages hervorgerufen. Er hatte keine Bedeutung.
Die Tür ging auf. Turner
kam herein und lächelte leicht.
"Sie haben ja gestern geschlafen
wie ein Murmeltier."
Thomas erwiderte nichts, sondern
sah ihn nur an und fragte sich, was er so früh am Morgen schon hier
machte.
"Ich habe Ihre Verlobte, den,
dem Sie das Geld gegeben hatten und einen Ihrer Lehrer heute morgen gesehen.
Allerdings durfte ich nicht mit Ihrer Verlobten und den anderen sprechen."
Sofort wird Thomas aufmerksam.
Aber er interessierte sich nur für Libby, und nicht für seinen
Freund oder seinen Lehrer.
"Wie geht es ihr? Wie hat
sie das alles aufgenommen?"
"Nun, es scheint sie ziemlich
mitgenommen zu haben. Ich habe erfahren, dass, als sie aus dem Flugzeug
gestiegen ist, sofort ein paar Polizisten der persönlichen Wache des
Präsidenten auf sie zugekommen sind und dass das ihr einen richtigen
Schock versetzt hat. Und gerade vorher habe ich sie auch noch einmal gesehen;
sie scheint die ganze Nacht, die ihr noch geblieben ist, nichts geschlafen
zu haben."
Thomas biss sich auf die Lippen.
Er hatte gehofft, Libby wäre so stark, dass sie es ohne allzu grossen
Schock aufnehmen könnte, aber scheinbar ... Er verübelte ihr
nichts. Sie war nun halt mal ziemlich sensibel, vor allem wenn es um Menschen
ging, die sie liebte. Bei anderen konnte sie völlig kalt sein. Aber
sie liebte ihn nun Mal, das liess sich nicht ändern, und darum ging
ihr sein Schicksal sehr nahe ans Herz.
"Sie ist hier? Hier auf dem
Polizeipräsidium?"
Turner nickte, wandte aber
gleich zu Thomas' unausgesprochener Idee ein: "Aber Sie dürfen nicht
mit ihr reden."
"Und sehen? Einfach nur sehen,
ohne dass wir miteinander reden?"
"Nein. Sie werden sie erst
morgen bei der Verhandlung sehen."
Thomas rieb sich über
das Gesicht. Er musste schrecklich aussehen; mit unrasiertem Kinn, verwirrten
Haaren und verschlafenen Augen.
"Durfte sie wenigstens mit
meinem Vater reden?"
Turner nickte.
"Ja, er durfte sie mit den
Polizisten vom Flughafen abholen und vermutlich schlief sie im Zimmer,
dass Sie mit Ihrem Vater geteilt haben."
Erleichtert atmete er auf.
Immerhin etwas. Dann war sie wenigstens nicht allein. Dann hatte sie jemanden,
der den gleichen Schmerz fühlte und sie verstehen konnte.
"Wir haben heute noch eine
Menge zu tun. Wir müssen uns einen genauen Schlachtplan machen, wie
wir vorgehen werden und ..."
Sie arbeiteten schnell und
genau, stellten genaue Listen zusammen, was sie wann tun und sagen mussten
und alles andere notwendige. Sie arbeiteten fast ohne Unterbruch, assen
und tranken während der Arbeit. Thomas musste, da er im Zeugenstand
keine Stützpapiere haben durfte, alles im Kopf behalten, aber mit
seinem guten Gedächtnis und dieser besonderen Situation schaffte er
das ohne allzu grosses Probleme.
Am Abend waren sie verhältnismässig
müde und unkonzentriert, so dass sie sich dann, als der Wächter
das Essen brachte, verabschiedeten und Turner ging. Thomas stocherte lustlos
in seinem Essen herum und ass ein paar Bissen, bevor er sich dann wieder
hinlegte und zu schlafen versuchte. Aber im Gegensatz zu gestern konnte
er nicht schlafen und rutschte auch nicht so unauffällig in den Schlaf
hinüber.
Er wälzte sich unruhig
hin und her und dachte an den nächsten, Tag, was da passieren würde,
ob sie heute an alles gedacht hatten und so vieles mehr.
Es war schon fast drei Uhr
morgens, als er dann doch noch in einen unruhigen, wenig erholsamen Schlaf
fiel.