Nach nunmehr vier Jahren, Thomas
hatte seinen zweiundzwanzigsten Geburtstag gefeiert, war er direkt hinter
Lee an der Hierarchie. Niemand stellte sich gegen ihn und wenn es doch
jemand versuchte, riskierte er sich eine dicke Lippe. Er trainierte hauptsächlich
seinen Körper und konnte sich nicht über schlechtes Aussehen
beklagen. Allerdings brachte es ihm nicht viel, weil es keine Frauen gab
und die einzige Frau, die er ab und zu sah, sass hinter einer dicken Glasscheibe
und konnte nur durch ein Telephon mit ihm reden.
Trotzdem blieb er durch Libby
was Rechtswissenschaft betraf auf dem laufenden geblieben und die Wärter
erlaubten auch ab und zu, dass Libby ihm Lehrmittel mitbrachte, damit er
weiter lernen konnte. Die Wärter hatten es schon lange aufgegeben,
etwas dagegen einzuwenden, denn das Recht zu lesen hatte er ja und solange
nichts gefährliches für einen Ausbruch in den Texten enthalten
war, konnten sie nichts tun, um diese Übergabe zu verhindern.
"Slater! Besuch für dich!"
rief der Wärter und öffnete die Tür.
Überrascht stand er auf.
Heute war Donnerstag. An diesem Tag kam ihn nie jemand besuchen. Wer sollte
das sein? Libby und sein Vater kamen nicht in Frage. Libby war gestern
erst gekommen und sein Vater sollte morgen kommen. Vielleicht Turner? Nein.
Der kam meistens mit seinem Vater. Oder einer seiner früheren Freunde?
Vielleicht Jimmy? Nein, er hatte keine Ferien. Frühestens in fünf
oder sechs Wochen konnte er wiederkommen, wenn überhaupt. Vielleicht
Ronan? Kaum. Der war gerade in Schweden in den Ferien. Er hatte doch einen
Brief bekommen. Wer konnte es sonst sein?
Er setzte sich auf den ihm
zugewiesenen Platz, und sah sich auf einmal einer wunderschönen Frau
gegenüber. Sie kam nicht an Libbys Ausstrahlung heran, aber sie war
rein äusserlich ziemlich attraktiv. Auch kam sie Thomas ziemlich bekannt
vor, aber er wusste nicht, woher.
Ihre Lippen bewegten sich,
als sage sie etwas, aber Thomas konnte sie nicht verstehen. Er deutete
auf das Telephon und machte Zeichen, dass sie sich nur dadurch verständigen
können. Sie nahmen.
Ihr Gesicht war zwar freundlich,
aber doch war irgend etwas hartes darin, etwas, das sich nicht so leicht
bestimmen liess. Thomas musterte sie aufmerksam, und grübelte in seinem
Gedächtnis, um nach ihrem Gesicht zu suchen, aber er fand es nicht.
So lächelte er leicht und sagte: "Hallo!"
Sie lächelte ebenfalls.
"Hallo. Ich bin Jennifer.
Jennifer Curnten."
Der Mund fiel Thomas auf und
starrte sie einen Moment lang einfach nur an. Der Telephonhörer fiel
ihm aus der Hand, ohne dass er es bemerkte.
Jennifer Curnten! Sie ist
hier. Sie redet mit mir. Sie hat endlich ein Bild von mir angesehen.
Jennifer macht ein Zeichen,
damit der den Hörer wieder nimmt und sagt: "Ich weiss, es muss eine
ziemliche Überraschung sein für Sie, mich hier zu sehen, aber
-"
"Sag mir doch 'Du'. Wir halten
im Gefängnis nicht viel von Förmlichkeit", unterbricht Thomas
sie.
"Okay. Ich bin hier, weil
... Nun, ich habe vor ein paar Tagen in alten Zeitungen gewühlt. Ich
habe das Datum nicht beachtet und plötzlich sah ich eine Überschrift:
'Berüchtigter Vergewaltiger endlich gefasst.' Sofort kamen meine eigenen
Erinnerungen hoch, aber dann sah ich Ihr ... dein Bild. Ich erinnere mich
nur noch zu gut daran, wie er ausgesehen hat. Er hatte schwarze Haare,
sah aus wie ein Spanier oder ein Italiener oder so."
Thomas klopft erfreut mit
der Hand auf den Tisch.
"Ich wusste es doch. Ich habe
es dem Gericht gesagt, wie er ausgesehen hat. Ich hab's gewusst."
Sie lächelte leicht.
"Ja. Nachdem ich festgestellt
habe, dass ich mich vier Jahre lang vor dem falschen Bild fürchtete,
habe ich meinen Vater überredet, mich hierher gehen zu lassen. Ich
habe ihm gesagt, dass er einen Unschuldigen für die Verbrechen an
seiner Tochter hat büssen lassen."
Thomas musterte sie immer
noch erstaunt.
"Weisst du, als ich hierher
kam, habe ich immer geglaubt, dass du mich, wenn du aus dem Koma erwachst,
sofort identifizieren oder eben nicht würdest, aber als du das nicht
getan hast, habe ich mir eingeredet, dass du noch unter den Erinnerungen
leidest und es vielleicht später, so nach einem oder zwei Monaten
tun würdest. Du hast es nie getan."
Sie neigt entschuldigend den
Kopf.
"Es ist mir zu spät eingefallen,
dass es vielleicht doch nicht der richtige ist. Es tut mir leid. So unsagbar
leid. Das lässt sich jetzt so leicht sagen, ich weiss, aber ich möchte,
dass du mir glaubst. Ich kann dir diese vier Jahre nie mehr zurückgeben,
aber ich kann versuchen, dir deine nächsten Jahre zu erleichtern."
Thomas lachte laut, so dass
der Wächter, der ihre Aktionen beobachtete, ihn misstrauisch musterte.
"Sag' nur endlich dem Direktor,
dass er mich hier raus lassen soll. Das genügt schon."
"Das habe ich bereits getan.
In ein paar Minuten wird dich vermutlich jemand abholen und dich frei lassen."
Er stand mit einem breiten
Grinsen im Gesicht auf und geht Jennifer fröhlich zu winkend wieder
zurück in seine Zelle. Dort erzählte er Lee, der noch immer sein
Zimmergenosse war, dass er ihn jetzt leider verlassen werde. Dieser liess
sich von Thomas' Freude anstecken. Aber gleichzeitig spürte er seine
Trauer hochsteigen.
"Du wirst mir fehlen, Mann",
sagte er leise und nahm Thomas' Hand so, dass die Daumen noch oben zeigten.
"Du mir auch. Ich komm' dich
mal besuchen und erzähl' dir, wie es draussen so ist."
Er drückte Lee an sich
und gleich darauf kam auch der Wärter, von dem Jennifer erzählt
hatte.
"Ich sehe, ihr verabschiedet
euch schon. Kannst es wohl kaum erwarten, wieder heraus zu kommen, was?"
Er öffnete die Tür
und liess Thomas, der seine wenigen Habseligkeiten schon zusammen gepackt
hatte, hinaus. Die anderen Gefangenen standen an den Gittern und sahen
ihm nach.
Kurz, bevor den Gang betrat,
den er vorher nur einmal betreten hatte, nämlich als er ins Gefängnis
kam, drehte er sich um und rief, so dass alle ihn hören konnten: "Passt
gut auf euch auf, Leute. Lasst euch nicht verarschen!"
Die Gefangenen johlten und
riefen ihm alle guten Wünsche zu. Er hob noch einmal die Hand zur
Stirn, ein Zeichen, dass sich hier eingebürgert hatte, als einer aus
der Armee hierher kam, und verschwand dann hinter der dicken Tür.
Der Gang danach war hell erleuchtet
und es wurde immer freundlicher, je näher sie dem Ausgang kamen. Dort
bekam Thomas seine Sachen zurück, die er vor vier Jahren abgeliefert
hatte - natürlich war ihm jetzt alles zu klein - und wurde dann hinaus
geführt. Im grossen Raum, in dem sich alle möglichen Menschen
aufhielten, die nicht alle einer bestimmten Arbeit nachzugehen schienen,
sassen auch sein Vater, Jennifer Curnten und ... President Curnten höchstpersönlich.
Die Menschen, die jetzt da drin waren, waren alle Wachen des Präsidenten,
alle in Zivil allerdings.
Als Thomas eintrat standen
alle auf und Curnten kam ihm entgegen. Er hatte unterdessen mehr graue
Haare als vorher und auch ein paar Runzeln mehr, aber ansonsten sah er
noch ziemlich gleich aus wie vorher. Sein Blick war verlegen. Er schämte
sich für etwas, was er eigentlich keine Schuld trug.
"Ich möchte mich in aller
Förmlichkeit entschuldigen, Mr. Slater. Ich war vor vier Jahren davon
überzeugt, den Peiniger meiner Tochter vor mir zu haben und tat alles,
um Sie hinter Gitter zu bringen. Bitte verzeihen Sie."
Er streckte Thomas die Hand
entgegen. Zuerst musterte Thomas nur die Hand und ihren Besitzer, doch
dann ergriff er sie.
"Wie Ihre Tochter schon gesagt
hat. Es ist einfach sich zu entschuldigen."
Er hatte mit diesen Worten
nicht die Absicht, den Präsidenten noch mehr in Verlegenheit zu bringen
oder ihn zu beleidigen, sondern wollte ihn lediglich darauf hinweisen,
dass er die Entschuldigen zwar akzeptierte, sie aber eigentlich gar nichts
nützte.
"Ich weiss. Aber Sie müssen
wissen, eigentlich entschuldige ich mich nie. Das machen alles meine Sekretäre
und meine Anwälte."
Das sollte ein Scherz sein,
aber Thomas lachte nicht. Er grinste nicht einmal. Curnten holte tief Luft
und lächelte ein wenig.
"Ich habe mir in den letzten
Tagen, in denen Jennifer mir gesagt hat, die Sie nicht der Schuldige sind,
viel darüber nachgedacht, was ich Ihnen anbieten könnte, um wenigstens
einen Teil meiner Schuld wieder begleichen zu können. Ich möchte,
dass Sie wenigstens in der ersten Zeit bei uns wohnen, natürlich mit
Ihrem Vater."
Erstaunt hob Thomas die Brauen.
Der Präsident der Vereinigten Staaten bot ihm an, bei ihm im Weissen
Haus zu wohnen. Nicht schlecht. Wahrscheinlich bekam nicht jeder dieses
Angebot.
"Äh, Sir, Sie sind waren
nicht der einzige, der mich hinter Gittern sehen wollte. Ich meine, Sie
machen mir da ein wundervolles Angebot, aber es ist nicht nur Ihre Schuld.
Die anderen wollten es genauso und haben vermutlich genauso viel getan
wie Sie, Sir."
Curnten winkte ab und legte
Thomas den Arm um die Schultern. Dieser war viel zu verwirrt, um etwas
dagegen zu tun.
"Ich habe ausserhalb der Verhandlungen
mit der Staatsanwältin gesprochen, und auch mit dem Richter und einigen
Geschworenen. Ich habe sie sozusagen beeinflusst. Ich fühle mich verpflichtet,
Ihnen jetzt die ersten Jahre wieder in Freiheit so gut zu erleichtern,
wie es geht, Mr. Slater."
Thomas unterdrückte den
Reflex, den Mund einfach offen stehen zu lassen, wie vorher bei Jennifer.
"Die nächsten Jahre,
Sir?"
"Natürlich. Ich habe
Ihnen vier Jahre Ihres Lebens gestohlen, noch dazu sehr wichtige vier Jahre.
Warum sollte ich Ihnen dann nicht die nächsten vier Jahre helfen,
die Sie jetzt nachholen müssen?"
Er nahm den Arm wieder von
Thomas' Schultern. Dieser ging auf seinen Vater zu und umarmte ihn. Das
erste Mal seit vier Jahren. Dabei musste er sich beherrschen, um nicht
zu weinen.
"Ich habe dich so vermisst,
Dad", flüsterte er und wischte nun doch eine Träne von der Wange.
"Und ich dich erst. Du kannst
dir nicht vorstellen, wie sehr, mein Sohn."
Als sie sich wieder lösten,
kam Jennifer lächelnd auf sie zu.
"Ich möchte mich noch
einmal entschuldigen, diesmal nicht durch die Scheiben."
Sie streckte ihm die Hand
entgegen. Thomas nahm sie und lächelte leicht verlegen über seine
Tränen. Sie ging nicht darauf ein.
"Ich hoffe, Sie nehmen das
Angebot an und kommen mit uns. Es würde zumindest einen Teil meines
schlechten Gewisses lösen."
Thomas zuckte mit den Schultern
und bemerkte, dass Curnten das Angebot vermutlich auch schon seinem Vater
gemacht hatte, denn er schien sofort zu verstehen, was Jennifer mit 'dem
Angebot' meinte.
Er sah seinen Vater an, worauf
dieser nur mit den Schultern zuckte und ihm die Entscheidung überliess.
"Nun ... äh ... also,
warum nicht?"
Die Bediensteten des Präsidenten
sorgten sofort dafür, dass Mr. Slaters Wohnung geräumt wurde,
und alle Möbelstücke ins Weisse Haus transportiert wurden. Dort
bekamen sie mehrere Zimmer zur Verfügung, Schlaf - und Wohnzimmer.
Eine Küche brauchten sie ja nicht, da das Essen immer serviert wurde.
Die Sachen, die sie irgend wo verstauen wollten, konnten sie auf den Dachboden
tun, wo schon eine Menge anderes Zeugs war. Bis alle Möbel im Weissen
Haus waren, sahen die Zimmer noch relativ kahl aus, aber keineswegs ungemütlich.
Als die ganze Parade des Präsidenten
zum Haus einbog, waren die vielen Überraschungen für Thomas zu
viel. Er hatte vier Jahre lang mit dem nötigsten gelebt und nichts
zuviel gehabt und jetzt hatte er von allem im Überfluss. Seine Augen
wurden gross, sein Mund blieb offen stehen und er bewegte sich wie im Schlaf.
Im Zimmer blieb er eine Minute
lang einfach nur stehen und staunte.
Erst als sein Vater hereinkam,
erholte er sich ein wenig und ging zum Badezimmer, das doppelt so gross
war wie die Zelle, die er mit Lee hatte. Er spritzte sich kaltes Wasser
ins Gesicht und zwang sich, ruhig zu bleiben, oder ruhig zu werden. Nur
langsam brachte er die Aufregung, die jetzt noch von den Nachwirkungen
der Freude, dass er endlich entlassen wurde, begleitet wurde, unter Kontrolle.
Sein Vater schien genauso
überrascht und aufgeregt zu sein wie Thomas, aber er hatte es besser
unter Kontrolle.
"President Curnten hat mich
gestern schon hierher eingeladen und mir sein Angebot gemacht. Ich hatte
also schon ein bisschen Zeit, um mich auf diese Überraschung vorzubereiten",
meinte er entschuldigend.
Thomas ging langsam auf das
riesige Bett zu und liess sich fallen. Es war wunderbar weich, aber gerade
nur so weit, dass es noch nicht unbequem erschien.
"Ich habe seit vier Jahren
in keinem richtigen Bett mehr geschlafen. Oh Mann, ist das schön."
Er wälzte sich hin und
her und zog die Schuhe aus, damit er umher springen konnte. Er wusste,
dass er sich wie ein kleines Kind benahm, aber das war ihm im Moment egal.
Er hatte etwas zu feiern und er hatte Grund zum Fröhlichsein. Warum
sollte er den anderen nicht zeigen, dass er das war?
Sein Vater bedachte ihn mit
einem leichten Lächeln und ging dann zur Tür, um zu öffnen,
da es klopfte. Thomas setzte sich unschuldig aufs Bett und wartete, bis
derjenige wieder gegangen ist.
"Das war President Curnten.
Er meinte, dass das Essen bereit wäre. Kannst du dir das vorstellen,
Thomas? Der Präsident kommt extra hierher um zu sagen, dass das Essen
fertig sei."
Thomas grinste und stand wieder
auf.
"Habe ich mich sehr verändert?"
Sein Vater zögerte und
nickte dann schliesslich.
"Du bist erwachsener geworden,
mal von ein paar Anfällen ausgenommen. Ansonsten, ich denke, du schätzt
das Leben mehr."
Thomas nickte. Das stimmte
wirklich. Er schätzte es wirklich mehr. Jetzt lebte er so, als könne
er jederzeit seine Freiheit wieder verlieren, und genoss so das Leben mehr,
in seinen vollen Zügen.
Er riss sich die Nummer von
seinem Hemd und ging neben seinem Vater zum Speisesaal runter. Er war gleich
neben der Treppe, so dass sie ihn in diesem grossen Haus nicht verfehlen
konnten.
Als sie hereinkamen, waren
der Präsident, die First Lady und Jennifer bereits am Tisch. Sie standen
alle noch einmal auf und der Präsident stellte ihnen die First Lady
vor. Sie hiess Stephanie Curnten. Dann setzten sie sich wieder.
Als der erste Gang gebracht
wurde, konnte Thomas sein Erstaunten nur schwer kontrollieren, genauso
wenig wie sein Vater. Es wurde alles mit Silbergedeck und wunderschönen
Tellern serviert, dazu den besten Champagner, den es gab. Und das alles
war so elegant, dass man denken könnte, man wäre in einem altertümlichen
Schloss, was man schliesslich auch fast war.
Curnten sprach einen Toast
aus.
"Auf dass wir einen Teil unserer
Schuld wieder gutmachen können", sagte er und hob sein Glas.
Thomas und die anderen hoben
ihr ebenfalls und prosteten einander zu. Als Thomas seines ersten Schluck
Champagner seit vier Jahren meistens Wasser, trank, konnte er nicht anders
und musste husten, als ihm das prickelnde Getränk den Hals herab lief.
Ein Grinsen lief durch die
Gesichter der anderen. Schliesslich brachte er unter den Hustenanfällen
hervor: "Ich kann doch nichts dafür, aber im Gefängnis wird leider
kein Champagner serviert."
Das sorgte für Gelächter
und alle Anspannung wich von ihnen. Sie scherzten mit dem Präsidenten,
als wäre er ein alter Bekannter, genauso mit der First Lady und Jennifer.
Der Präsident hatte für
ein Festmahl gesorgt und Thomas konnte sich seit langen wieder so voll
essen wie er wollte, ohne dass gleich jemand kam, der sagte, dass sie jetzt
wieder in ihre Zellen zurückmüssen. Niemand sagte hier, er solle
jetzt endlich aufhören zu essen, er bekomme schon genug.
Jetzt lachte Thomas zum ersten
Mal wieder richtig und aus ehrlichen, sauberen Gründen und konnte
sich amüsieren ohne daran zu denken, was sein Vater sein jetzt wohl
gerade machte und dann ein schlechtes Gewissen zu bekommen.
Sie blieben bis lange in die
Nacht auf, vermutlich wurde es drei oder vier Uhr morgens. Jemand, ein
Mann, den Thomas nicht kannte, aber er kannte viele Menschen nicht, kam
und sagte dem Präsidenten, vielleicht sollten sie jetzt langsam aufhören,
da er morgen eine Pressekonferenz habe. Dieser nickte nur, schien aber
nicht daran zu denken, aufzuhören.
Trotz Thomas' Kondition, die
er im Gefängnis gelernt hatte, spürte er langsam seinen Körper
den Schlaf fordern. Im Gefängnis war er höchstens bis zwölf,
manchmal bis ein Uhr aufgeblieben, weil sie am Morgen immer früh aufstehen
mussten, so dass er jetzt nicht daran gewöhnt war, so lange aufzubleiben.
Er kam sich vor wie ein kleines Kind, liess dann aber trotzdem ein Gähnen
zu und stand auf.
"Bitte, entschuldigt mich.
Es war ein anstrengender Tag."
Er nickte ihnen zu und hörte
noch, wie der Präsident sagte: "Ich glaube, wir sollten jetzt alle
schlafen gehen", bevor die Tür sich hinter ihm wieder schloss. Langsam
stieg er die Treppe und unterdrückte dabei mehrmals ein Gähnen.
Er ging in das Zimmer, das
man ihm zugewiesen hatte und schloss die Tür. Seufzend liess er sich
fallen und wieder stieg das Glück in ihm hoch. Er war frei, ein freier
Mann. Er konnte tun und lassen was er wollte und niemand hatte das Recht
zu sagen, dass er jetzt das tun musste und dann das. Er begann zu ahnen,
dass er die Freiheit erst jetzt richtig zu schätzen begann.
Langsam zog er sein Hemd aus,
das er immer noch vom Gefängnis hatte, ein blaues Hemd zu blauen Jeans,
und betrachtete es. Er konnte sich kaum vorstellen, etwas anderes zu tragen
und dieses Hemd fortzuwerfen. Es war ihm richtig ans Herz gewachsen, im
wahrsten Sinne des Wortes.
Die Tür ging leise auf.
Vermutlich hatte derjenige nicht mit Thomas scharfen Gehör gerechnet,
so dass er ihn überraschen konnte.
"Hängst du alten Erinnerungen
nach?"
Eigentlich hätte Thomas
seinen Vater erwartet, eine logische Annahme, aber statt dessen stand Jennifer
in der Tür.
Er sprang aus einem Reflex
auf und starrte sie leicht verwirrt an. Sein entblösster Oberkörper
fiel ihm gar nicht auf, dafür Jennifer um so mehr.
"Als ich dich das erste Mal
sah, dachte ich, dass die Geschworenen blind gewesen sein mussten, als
sie dich verurteilten."
Sie kam langsam näher.
"Was das ein Kompliment?"
Ein Grinsen umspielte ihre
vollen Lippen.
"Du kannst es als das ansehen,
wenn du willst", antwortete sie und fuhr dann weiter, "Weisst du, ich sah
nur deine Augen, deine Lippen und deinen Körper. Warum ist das den
Geschworenen nicht aufgefallen?"
Er erinnert sich daran, dass
Reporter da waren, als er verhaftet wurde, in diesem Hotel, in dem er anscheinend
Libby Taylor 2 vergewaltigt haben sollte, dort, wo alles anfing. Er hatte
da kein Hemd angehabt, sondern war nur wie jetzt mit einer Hose bekleidet.
"Im Gerichtssaal hatte ich
etwas mehr an als damals, ausserdem waren zwei Drittel der Geschworenen
Männer."
Jennifer kam ungerührt
der Respektdistanz näher. Sie hatte sie schon lange überschritten
und stand jetzt direkt vor Thomas sie brauchte sich nur noch einen Zentimeter
zu bewegen, damit sich ihre Körper berührten.
"Wie konntest du deinen Humor
behalten?"
"Wie meinst du das?"
"Ich meine, dass du vier Jahre
im schlimmsten Gefängnis von Washington warst und noch immer Humor
hast."
Er zuckte die Schultern und
achtete dabei darauf, dass er sie nicht nach vorne bewegte.
"Wenn man an zweiter Stelle
der hiesigen Hierarchie steht und der Boss sein Freund und Partner ist,
gelingt einem das relativ leicht."
Sie schien sich über
die Verhältnisse im Gefängnis informiert zu haben, denn sie war
nicht überrascht, als er von Boss und Partner sprach.
"Oder eben gerade nicht."
Er nickte bestätigend.
"Wie viele Frauen hast du
dort drin gesehen? Abgesehen von Libby?"
Er zögerte. Wollte sie
darauf anspielen, dass er jetzt unbedingt Gesellschaft einer Frau brauchte?
"Keine, nur ganz flüchtig
solche, die andere Häftlinge besucht haben", antwortete er schliesslich
wahrheitsgemäss.
Sie lächelte. "Und vorher?"
Ihr Abstand hatte sich aufgelöst
und ihre Hände tasteten jetzt über seine muskulöse Brust.
"Wann vorher?"
"Bevor du ins Gefängnis
kamst. Mit wie vielen Frauen hast du da eine Affäre gehabt?"
"Mit zwei oder drei."
"Und hauptsächlich davon
mit Libby, ich nehme an, die anderen waren nichts ernstes."
Er nickte. Im Gefängnis
hatte er sich zu kontrollieren gelernt. Ein Glück für ihn, denn
sonst hätte der dieser brünetten Schönheit kaum widerstehen
können.
Jennifers Hände fanden
ihren Weg und gingen tiefer.
"Und, hat sie dir gefallen?"
Er sah sie verwirrt an. Ihr
Stimme war nur noch ein leises Flüstern und ihr Gesicht war bedenklich
nahe bei seinem.
"Hat sie dich befriedigt,
beim Sex? Hat es dir gefallen?"
Ihre Direktheit überraschte
ihn, aber er liess sich nichts anmerken.
Beim Sex. Er hatte noch nie
Sex gehabt. Jedenfalls nicht geschlechtlich. Nur immer fast. Sie wollten
es tun, wenn er aus Amerika zurückkam. Das Problem war, er kam nie
zurück. Ob Libby sich noch daran erinnerte? Oder hatte sie es schon
vergessen?
"Ich hatte keinen Sex mit
ihr."
Jennifer hob erstaunt den
Kopf. Sie war nur wenig kleiner als er, so dass ihre Nase ungefähr
auf der Höhe seiner Lippen war.
"Keinen Sex mit ihr? Und wie
lange seid ihr schon zusammen, ohne die Zeit im Gefängnis?"
Sollte er darauf antworten?
Hatte es einen Sinn, wenn er sie anlog? Was wollte sie überhaupt mit
dieser Fragerei bezwecken?
Ihre Beine zwängten sich
zwischen seine und bewegten sich langsam. Er zeigte keine Reaktion.
"Etwa ein halbes Jahr."
"Ihr seid ein halbes Jahr
zusammen und hattet noch keinen Sex? Seid ihr Engländer immer so schüchtern?"
"Das hat nichts mit Schüchternheit
zu tun."
"Mit was dann?"
"Vielleicht mit Liebe? In
Amerika kommt es ja nur noch auf Sex darauf an. So viel Sex in möglichst
wenig Zeit. Von Liebe habt ihr wahrscheinlich noch nie etwas gehört."
Sie lächelte.
"Du bist gut, wirklich. Bisher
hat es noch niemand gewagt, mir so zu widersprechen, ausser meinen Eltern."
Er nahm es als Kompliment
und neigte leicht den Kopf, gerade so weit, dass sie noch nicht mit ihrem
Mund zu ihm heraufkam.
"Hast du überhaupt schon
einmal mit jemandem geschlafen?"
Er antwortete nicht, aber
sie nahm es als ein 'Nein', womit sie auch recht hatte. Ihre Finger schoben
sich zu seinem Rücken und drückten ihn an sich.
"Gibt es im Gefängnis
ein Fitnesszentrum?"
"Nein, aber genügend
Stangen, um Klimmzüge zu machen."
Ihr lächelnder Mund fand
seinen Halt an seinem Hals und weiter unten. Ihre Lippen tasteten sich
wie zuvor ihre Hände über seine Brust.
"Darf ich mal fragen, was
du eigentlich hier machst?" fragte er.
Er schob sie wieder von sich
weg, noch machte er irgend etwas, was ihr zeigen könnte, dass er es
will.
"Was glaubst du, was ich hier
mache? Hast du das Gefühl, als ob ich mich noch einmal zum tausendsten
Mal bei dir entschuldigen möchte?"
Sie sah ihm in die Augen und
einen Moment lang hörten ihre Finger auf, sich zu bewegen.
"Ich entschuldige mich auf
spezielle Art."
Ihre Lippen fuhren fort, ihn
zu liebkosen und ihre Hände strichen sanft über seinen Rücken.
Plötzlich nahm er ihre
Handgelenke und hielt sie fest. Sie starrte ihn erschrocken an, so dass
ihr gar nicht bewusst wurde, dass er ihr weh tat.
"Ich möchte das nicht,
Jennifer. Libby ist meine Verlobte und sie hat mir vor ein paar Tagen geschrieben,
dass sie hierher kommt."
Jennifer zuckte nur mit den
Schultern und löste sich auf seinem Griff. Sie lächelte verführerisch.
"Na und? Sie wird nichts davon
merken. Ausserdem sollte sie mir dankbar sein. Es wird ihr bei eurem ersten
Mal besser gefallen."
Wieder fingen ihre Finger
an, überall umher zu 'gehen', diesmal fordernder und reizender. Sein
Atem beschleunigte sich und er spürte seine Erregung.
Wie konnte er dieser Frau
widerstehen? Sie wusste, was sie tun musste, um jemanden rum zu kriegen.
Er konnte sie jetzt hinaus befördern, was allerdings nicht sehr höflich
wäre. Dann aber konnte sie irgend etwas erfinden, was ihn belasten
würde. Da hatte sie bestimmt keine Gewissensbisse.
Er hatte keine Chance. Nur
wenn er sich beherrschen konnte.
Seine Finger zuckten. Ein
angelernter Reflex. Wenn er mit jemandem nicht reden konnte, gab es nur
noch eine andere Möglichkeit. Aber im Gefängnis waren es immer
Männer gewesen. Er konnte doch keine Frau schlagen. Dann hätte
sie erst recht einen Grund, ihn zu belasten.
Ihre Hände tasteten sich
zur Hose vor und öffneten den Knopf.
Sein Herz schlug schneller.
Sie richtete sich wieder auf
und liess ihre Finger in die Hose gleiten. Dabei sah sie ihn lächelnd
an und massierte ihn an einer sehr empfindlichen Stelle.
Seine Augen verdrehten sich
automatisch und seine Hände schlossen sich um ihren Körper.
Das Lächeln triumphierte.
"Es gefällt dir, nicht?"
Er holt tief Luft und zwang
sich, ruhig zu bleiben. Seine Hände schlossen sich um ihre Arme und
schoben sie von sich weg.
"Bitte, Jennifer, ich ..."
"Du weisst, dass ich weiss,
dass du es willst."
Seine Widerstand erlahmte.
Sie näherte sich wieder und drückte ihn zurück aufs Bett.
Langsam legte sie ihn hin und sich auf ihn. Sie richtete sich auf, dass
sie auf ihm sass wie auf einem Pferd. Dabei strichen ihre Finger immer
noch über seine Brust. Sie öffnete sich langsam die Knöpfe
ihrer Bluse, bis er sah, dass sie darunter nichts anhatte. Sie zog sie
aus. Er versuchte, sie nicht anzustarren, aber es ging nicht. Ihr Körper
war so wohl geformt, dass er den Blick jeden Mannes eingefangen hätte.
Sie rutschte ein Stück
hinunter und zog ihm seine Hose und Unterwäsche aus. Jetzt lag er
völlig nackt vor ihr und konnte seinen Blick nicht von ihrem Brüsten
nehmen. Sie zog sich ebenfalls ihre Hose aus und legte sich wieder auf
ihn. Ihre Lippen strichen über seinen Hals, sein Gesicht, seinen Mund.
Er konnte sich nicht mehr
beherrschen und liess zu, dass ihre Zunge seinen Mund erforschte. Dabei
strichen seine Hände über ihren Rücken, ihre Hüfte
und über ihre Brüste.
Er drehte sie auf den Rücken,
so dass er auf ihr lag. Sie hatte die Augen geschlossen und atmete jetzt
genauso schnell wie er. Ihre Beine umklammerten ihn.
Ein letztes Mal, so wusste
er, konnte er sich jetzt noch einmal beherrschen. Nachher würde es
zu spät sein.
Er schaffte es. Schnell stand
er auf, zog seine Hose an, bevor Jennifer etwas tun konnte, packte sein
Hemd und stürmte aus dem Zimmer. Zum Glück war um diese Zeit
nicht mehr viel los, so dass er ziemlich unbemerkt in den unteren Stock
kam. Zwar waren ein paar Wachen noch unterwegs, aber die musterten ihn
nur mit neugierigen Blicken, sagten aber nichts. Er suchte den Weg nach
draussen und fand ihn.
Er ging ein paar Schritte
von der weissen Mauer weg, damit er nicht auch 'beleuchtet' wurde und setzte
sich in ein Gebüsch. Ein paar Mal atmete er tief ein und aus, bis
er sich wieder beruhigt hatte.
Die Nacht war relativ warm
und er hörte das Lärmen der Autos, die auch um diese Zeit noch
voll aktiv waren. Das beruhigte ihn. Im Gefängnis hatte er auch, wenn
es mitten in der Nacht war und alle anderen schliefen, nur er nicht, immer
den Autos gelauscht, als wäre es Musik und konnte dann wieder schlafen.
Eine wirksame Methode.
"Was machen Sie hier?" sagte
plötzliche eine scharfe Stimme, "Wer sind Sie? Es ist nicht -"
Er unterbrach sich, als Thomas
aufsprang und ins Licht trat.
"Oh, Sie sind es. Was machen
Sie hier draussen?"
Scheinbar waren die Wachen
- eigentlich logisch - über ihn und seinen Vater informiert worden.
Wie sollten sie auch sonst ihre Arbeit erledigen?
"Ich konnte nicht schlafen
und habe gedacht, ich schnappe mal ein bisschen nach Luft."
Der Mann nickte, wandte sich
um und ging ein paar Schritte, bevor er sich erneut zu Thomas umdrehte.
"Bleiben Sie nicht zu lange
hier. Sonst muss ich annehmen, dass Sie etwas gegen den Präsidenten
planen."
Thomas nickte und ging, wie
um zu zeigen, dass er nichts vorhatte, wieder hinein.
Dort war es still. Thomas
wandte sich nach rechts, überlegte es sich anders und ging nach links,
von seinem Zimmer weg. Aber wo sollte er hin? Er kannte sich hier nicht
aus, und es wäre ziemlich peinlich, wenn er irgendwo hinein ging und
sich dann heraus stellte, dass es das Zimmer des Präsidenten war.
Er drehte sich wieder um und
ging zu seinem Zimmer zurück. Er holte tief Luft und erwartete, dass
Jennifer noch immer hier war, aber niemand war mehr in seinem Zimmer.
Erleichtert zog er das Hemd
wieder aus und legte sich aufs Bett. Sein Blick starrte an die hohe Decke.
Er dachte darüber nach, was passiert wäre, wenn er jetzt mit
Jennifer geschlafen hätte. Er hätte seine 'Unschuld', falls man
das überhaupt noch so nennen konnte, verloren und wäre Libby
untreu geworden. Aber vielleicht hatte sie auch schon längst einen
neuen Freund. Schliesslich konnte er nicht erwarten, dass sie vier Jahre
auf ihn wartete. Er würde es ihr auch nicht übelnehmen, obwohl
es ihm ziemlich weh tun würde.
"Die Wachen haben dich aufgeschnappt,
nicht?"
Er drehte schon gar nicht
den Kopf, um zu wissen, wer es war, sondern seufzte nur und sprang wieder
auf.
"Jennifer, ich habe dir gesagt,
dass ich das nicht will. Also geh' gefälligst wieder in dein Zimmer."
Seine Stimme tönte energischer,
als er es wollte, darum setzte er noch ein 'Bitte' nach. Und genau das
war sein Fehler. Sie sah das für eine Schwäche und kam wieder
näher.
Sie hatte nur einen Morgenmantel
an, darunter, so wie Thomas annahm, nichts.
"Warum?"
Er starrte sie erstaunt an.
"Warum du wieder gehen sollst?
Ist dir das nicht klar? Ich habe eine Verlobte und bin entschlossen, ihr
treu zu bleiben."
Jennifer lächelte bedauernd
und nahm etwas aus ihrem Morgenmantel. Es sah aus wie ein Brief. Sie streckte
ihn ihm entgegen. Thomas musterte den Brief erstaunt. Das war Libbys Handschrift.
Und es war etwas drin, etwas kleines.
Er riss den Brief auf und
zuerst fiel ihm ein Ring entgegen, ein ganz besonderer Ring. Er hatte ihn
Libby geschenkt, als er sie gefragt hatte, ob sie ihn heiraten wolle. Jetzt
lag er in seiner Hand, wie vor mehr als vier Jahren, aber nirgends war
Libbys Hand in Sicht.
Ziemlich lange musste er den
Ring einfach nur angestarrt haben, bis Jennifer leise sagte: "Nimm es nicht
so schwer. Niemand kann vier Jahre lang auf jemanden warten. Das würden
nicht einmal Romeo und Julia machen."
Eine einsame Träne rollte
über sein Gesicht. Jennifer wischte sie ihm ab. Er kniff die Augen
zusammen, um nicht noch weitere Tränen kommen zu lassen und presste
die Lippen aufeinander. Es half nicht viel. Jennifer wischte ihm alle ab
und streichelte ihm über das Gesicht.
"Er kam heute nachmittag hier
an. Der Postbote sagte, dass er zuerst ins Gefängnis ging, aber dort
sagte man ihm, dass du jetzt hier wohnen wirst, so dass er es gleich hierher
brachte. Ich wollte ihn dir früher geben, aber ich wollte dir deine
Laune nicht verderben."
Thomas schniefte und wandte
sich von Jennifer ab. Er wollte jetzt alleine sein. Sie sollte gehen.
"Bitte ... ich möchte
alleine sein."
Jennifer nickte und legte
ihm die Hand auf den Arm.
"Ich bin immer für dich
da, wenn du mich brauchst."
Noch immer starrte er den
Ring in seiner Hand an. Wie konnte sie ihm das antun? Gerade jetzt, wo
sie doch wieder hätten zusammen sein können?
Er erinnerte sich daran, dass
er noch vor eine Weile daran dachte, dass sie ihn verlassen könnte,
dass sie nicht vier Jahre auf ihn wartete. Aber diese Mitteilung kam ihm
einem Schock gleich. Er nahm langsam den Brief heraus.
"'Lieber Thomas, du hast mir
einmal gesagt, dass du es verstehen würdest, wenn ich jemanden anders
finden würde.
Ich hoffe, du verstehst das
jetzt. Du warst schon so lange weg und ich war schon so lange traurig,
da konnte ich einfach nicht auf Ronans Hilfe verzichten. Er hat mir gestanden,
dass er mich schon lange liebte, und nur darum nichts machte, weil du sein
bester Freund warst. Ich habe begonnen ihn zu lieben. Jetzt kann ich verstehen,
warum ihr so gut befreundet wart.
Gib' nicht Ronan die Schuld.
Es war meine Entscheidung.
Ich hoffe, dass du ebenfalls
jemanden finden wirst, in Amerika, wenn du wieder aus dem Gefängnis
kommst.
Sag' deinem Vater, dass ich
ihn gerne als Schwiegervater gehabt hätte. Er war so nett zu uns.
Ich bin mit meiner Familie
zurück nach England gezogen. Hoffentlich sehen wir uns einmal wieder.
Vielleicht dann, wenn die Wunden, die ich dir zugefügt habe, wieder
verheilt sind.
Ich werde dir weiter schreiben,
vielleicht nicht mehr so oft, aber ich werde schreiben. Ich habe Ronan
gebeten, dir ebenfalls zu schreiben, aber er sagte, dass er es noch nicht
könne. Er hat gerade seinen besten Freund verraten. Aber er wird dir
einmal schreiben.
Ich wünsche dir alles
Gute. Und: Es tut mir leid. Libby.'"
Die Tränen rollten nur
noch so über Thomas' Gesicht. Er hatte keine Kraft mehr, um sie zurück
zuhalten.
Sein bester Freund ist mit
seiner besten Freundin zusammen. Obwohl er dabei ein schlechtes Gewissen
hatte.
Thomas hatte nie bemerkt,
dass Ronan etwas von Libby wollte. Vermutlich war er blind gewesen und
hatte nur Libby gesehen.
Jetzt aber würde er sie
vielleicht nie mehr sehen. Sie wollte ihm zwar noch schreiben, aber was
brachte es? Sie würde ihm vorschwärmen, wie schön es doch
mit Ronan war. Er würde diese Briefe nicht lesen können.
Seine Finger verkrampften
sich um seinen eigenen Ring. Er brauchte ihn jetzt nicht mehr. Er hatte
niemanden mehr, der auf ihn wartete. Ausser Jennifer. Aber sie war sowieso
nur an Sex interessiert.
Warum sollte er ihn ihr jetzt
verweigern? Er hatte niemanden mehr, dem er untreu sein konnte. Wahrscheinlich
hatte Libby längst mit Ronan geschlafen.
Er zog den Ring vom Finger
und legte beide zusammen mit dem Brief auf eine Kommode. Später würde
er sie irgendwohin versorgen, aber jetzt konnte er nicht mehr.
Nur langsam versiegten die
Tränen. Er legte sich aufs Bett und spürte, wie das ganze Kissen
unter ihm nass wurde. Es störte ihn nicht. Er sah nur Libbys lachendes
Gesicht vor sich. Ihre grossen Augen, als sie ihn kurz nach seine Verurteilung
besuchte und wie sie ihm schwor, auf ihn zu warten. Damals hatte auch sie
noch angenommen, dass eine der Opfer ihn nicht identifizieren können
würde, wenn sie aus dem Koma kam und er somit frei kam.
Unterdessen waren drei weitere
im Koma gestorben, und acht lebten wieder normal. Aber keine hatte sich
je ein Bild von ihm angesehen. Zwar sagten fünf, dass sie ihren Vergewaltiger
nicht gesehen hatten, aber da blieben immer noch drei. Was war mit diesen
drei? Sie hätte nur ein Blick auf ein Bild werfen müssen und
alles wäre erledigt gewesen.
Langsam beruhigte er sich
wieder und der Schmerz in ihm wurde taub. Er machte Thomas taub. Jedenfalls
für den Rest der Nacht.
Am nächsten Morgen stand
Thomas früh auf, steckte Libbys Brief ein und machte seinen Runden
durch den Park des Weissen Hauses. Niemand hielt ihn auf. Vermutlich war
noch gar keiner um diese Zeit auf.
Als er total verschwitzt -
er hatte sich vollkommen verausgabt, um den Schmerz hinaus zu trainieren
- wieder zurück kam, begegnete er seinem Vater, der gerade aus seinem
Zimmer kam. Sofort fiel diesem auf, dass es Thomas nicht gut ging.
"Was hast du? Ist irgend etwas
passiert?"
Wortlos streckte Thomas ihm
den Brief entgegen und sagte: "Wenn du ihn gelesen hast, kannst du ihn
fortwerfen. Ich will ihn nicht mehr."
Verwirrt sah sein Vater ihm
nach, wie Thomas ins Zimmer ging.
Er stellte sich unter die
Dusche, die zum Zimmer gehörte. Das Wasser prasselte wild auf ihn
herab.
Leicht zitternd schlang er
sich ein Tuch um die Hüften und rieb sich mit einem anderen durch
seine ziemlich kurzen Haare. Sein Blick fiel auf die beiden Ringe, aber
er liess nicht zu, dass die Verzweiflung und die enttäuschte Hoffnung
erneut von ihm Besitz ergriffen.
Er war Gast im Weissen Haus.
Warum sollte er da traurig sein? Sogar die Tochter der Präsidenten
wollte etwas von ihm. Im Weissen Haus mit der Tochter des Präsidenten.
Warum nicht? Wer konnte das sonst schon von sich behaupten?
Langsam zog er sich an und
wählte dabei wieder 'normale' Kleider, obwohl es eigentlich immer
noch eine Art Gefängniskleidung war, einfach jetzt in anderer Farbe.
So ging er dann zum Speisesaal
hinunter, da er vom letzten Abend wusste, dass es etwa um acht Uhr das
Morgenessen gab. Jetzt war Viertel vor acht.
Der Präsident sass schon
am grossen Tisch, allerdings alleine. Er las in der Zeitung und hatte neben
sich eine Tasse Kaffee.
"Ah, unser Gast ist auch schon
wach. Setzen Sie sich doch und greifen Sie zu."
"Ich bin schon lange wach",
murmelte er und rechnete eigentlich nicht damit, dass der Präsident
ihn verstand.
"Haben Sie nicht gut geschlafen?
Ist das Bett unbequem?"
Thomas schüttelte den
Kopf.
"Nein, mit dem Bett ist alles
in Ordnung."
Curnten lächelte leicht,
beruhigend.
"Sie müssen es mir nicht
erzählen, wenn Sie es nicht wollen."
"Meine Verlobte hat mich verlassen."
Daraufhin hielt der Präsident
für einen Moment den Mund. Er starrte Thomas an, wurde sich dessen
bewusst und wandte rasch den Blick ab.
"Ihre Tochter hat mir den
Brief gestern abend noch gegeben. Darin stand, dass sie einen neuen Freund
hat. Keine gute Einschlafmethode."
Er lächelte ohne Überzeugung.
Curnten legte ihm die Hand auf den Arm und drückte leicht, fast väterlich
zu,
"Glauben Sie mir, der Schmerz
wird vergehen. Als ich in Ihrem Alter war, hatte ich auch eine, die ich
unbedingt heiraten wollte. Sie hat mich verlassen, als ich angefangen habe,
mich für Politik zu interessieren. Ich hätte die Politik wieder
aufgegeben, um sie wieder zu bekommen, aber sie war mit einem anderen durchgebrannt.
Ich kann verstehen, wie Sie sich fühlen."
Curnten lehnte sich wieder
zurück und legte die Zeitung beiseite.
"Dieser andere, den haben
Sie nicht zufällig gekannt, oder?" fragte Thomas nach einer Weile.
Er schüttelte den Kopf
und antwortete: "Nein, nur ganz flüchtig, so vom Sehen her. Warum?"
"Nun, ich kenne ihn. Sehr
gut sogar. Er war mein bester Freund."
Wieder ertappte sich Curnten
dabei, wie er Thomas anstarrte.
"Na ja, das ist wieder etwas
anderes. Aber auch das wird vergehen. Versuchen Sie einfach nicht, sich
das Leben zu nehmen und stellen Sie sich dem Schmerz. Dann vergeht er schneller."
Curnten stand auf. "Ich muss
jetzt leider gehen. Denken Sie daran, was ein alter Hase Ihnen gesagt hat."
Er nickte Thomas zu und ging
dann hinaus. Thomas starrte auf die Kaffeetasse, die er zurückgelassen
hatte, als sei sie schuld.
Vermutlich hatte der Präsident
recht. Vielleicht sollte er Libby anrufen, ihr erzählen, dass er wieder
frei war und dass er ihr mit Ronan viel Glück wünsche.
Aber das war nicht so einfach.
Er konnte ja nicht einmal an Libby denken, ohne fast in Tränen auszubrechen,
wie sollte er dann mit ihr sprechen?
Die Frage wurde weggeschoben,
als sein Vater hereinkam. Er setzte sich ihm gegenüber, nicht so wie
Curnten, der an einem Ende des Tisches gesessen hatte, und sah ihm mitfühlend
an.
"Es tut mir leid, Tom. Ich
weiss, wieviel sie dir bedeutet hat. Ich habe gestern morgen mit ihr telephoniert
und ihr gesagt, dass du frei kommst. Sie wünscht dir viel Glück.
Sie sagt, dass sie sich melden wird, wenn sie mal hierher kommt, oder dass
wir uns melden sollen, wenn wir nach England kommen."
Thomas zieht die Brauen zusammen.
"Dann hast du es schon seit
gestern gewusst? Und mir nichts gesagt?"
Sein Vater nickte, sagte er
gleich darauf: "Aber sie hat mir gesagt, dass ihr Brief eigentlich schon
angekommen sein müsste, und ich wollte nicht der böse Überbringer
sein."
Thomas winkte ab. "Es hätte
nichts daran geändert."
Er verschwieg seinem Vater
von Jennifer. Wenn sich etwas daraus ergeben sollte, oder ob sie wirklich
nur Sex wollte, stellte sich schon noch heraus und dann würde es sein
Vater schon noch früh genug erfahren.
Lustlos griff er nach einem
Stück Brot und biss hinein. Bald darauf kamen auch Stephanie und Jennifer,
und beide erwähnten mit keinem Wort Libby. Vermutlich hatte Jennifer
ihre Mutter eingeweiht. Thomas war ihnen unendlich dankbar dafür.
Nach dem Morgenessen gingen
sowohl Stephanie, als auch sein Vater ihren Arbeiten nach. Thomas und Jennifer
blieben alleine, natürlich mit all dem Personal und den Arbeitnehmern,
die im Weissen Haus arbeiteten. Aber privat betrachtet konnte sie eigentlich
niemand stören. Und diese Gelegenheit nahm Jennifer wahr.
Sie kam etwa eine Stunde nach
dem Essen in Thomas' Zimmer, wo dieser auf dem Bett lang, halb liegend,
halb sitzend, und ins Nichts starrte. Sie setzte sich vor ihn und sah ihn
eine Weile lang an.
"Du kannst nichts mehr ändern,
Thomas. Sie hat sich von dir getrennt und hat vermutlich auch schon einen
anderen. Du kannst nicht von ihr erwarten, dass sie vier Jahre lang auf
dich wartet."
Thomas starrte mit ausdruckslosem
Gesichtsausdruck gegen die Tür.
"Bitte, Thomas. Vergiss sie
doch einfach. Wir könnten soviel Spass zusammen haben."
Er wandte langsam den Blick
und sah sie an. Hart, kalt, traurig.
"Eigentlich bist du schuld."
Sie schwenkte den Kopf hin
und her.
"Thomas, du kannst nicht von
Schuld sprechen. Du warst nicht in meiner Lage. Ich wurde brutal vergewaltigt
von einem Mann, von dem ich glaubte, er wäre ein Freund. Du kannst
dir die vielen Nächte nicht vorstellen, in denen ich einfach wach
gelegen und mich zu beruhigen versucht habe."
Er wandte seine Aufmerksam
wieder der Tür zu.
"Ich weiss. Ich wollte dich
nicht beschuldigen."
"Du kannst auch niemandem
anders die Schuld geben. Keiner der zwei anderen, die ihn gesehen haben."
Er nickte stumm.
"Komm, Tom, vergiss sie. Verdamme
sie aus deinem Gedächtnis. Wenn sie dich so verlässt, dann ist
sie es nicht wert, dass man ihr nachtrauert."
Seine Lippen zuckten.
"Der andere, mit dem sie zusammen
ist, weisst du, wer das ist?"
Sie schüttelte den Kopf.
"Mein Freund, mein bester
Freund Ronan. Er hat bei der Verhandlung für mich ausgesagt, jedenfalls
hätte er für mich ausgesagt, hätte man ihm Zeit gelassen."
Sie lächelte traurig
und legte ihm die Hand aufs Knie.
"Vielleicht ist das gut so.
Dann weisst du wenigstens, dass sie in guten Händen ist, oder? Du
brauchst dir keine Sorgen um sie zu machen."
"Das mach ich mir auch nicht.
Sie kann gut auf sich selber aufpassen. Aber ... es tut so weh. So verdammt
weh!"
Sie küsste ihn sanft
auf den Mund. Ihre Hände strichen über seine Wangen.
"Es wird vergehen. Die Zeit
heilt alle Wunden."
Sie fing wieder an, ihn zu
streicheln und zu küssen und diesmal liess Thomas alles mit ihm geschehen.
Er wehrte sich nicht gegen seine Gefühle, die allerdings nicht mehr
so stark waren wie am letzten Tag. Jetzt trübte der Schmerz die Gefühle.
Doch sie wurden trotzdem stark,
und er vergass seine Probleme. Jennifer zog ihn wieder aus und sich und
setzte sich auf ihn.
"Ich wollte schon immer einmal
mit jemandem schlafen, der im Gefängnis war. Allerdings um meinen
Vater zu schocken, aber das kann mir nicht dir nicht passieren, nicht?"
Er lächelte und zog ihren
Oberkörper an sich, so dass er mit seinen Lippen ihre Brüste
liebkosen konnte. Sie legte den Kopf in den Nacken. Thomas strich über
ihren ganzen Körper und nirgends konnte er auch nur ein Gramm zuviel
Fleisch finden. Allerdings war sie auch nicht mager. Gerade richtig.
Er drehte sie wieder auf den
Rücken, so dass sie nun beide lagen und küsste sie langsam über
ihren Bauch tiefer. Sie stöhnte leise und strich mit den Finger durch
sein Haar.
Er kam wieder höher und
rieb an ihren Brüsten. Sie wurden hart. Schliesslich fingen sich ihre
Lippen und sie verfielen innigen Küssen. Wenn sie jemand beobachten
würde, könnte er fast glauben, dass sie versuchten, sich gegenseitig
aufzuessen.
Und dann konnte sich Thomas
nicht mehr länger zurückhalten. Er drang in sie ein und hörte,
wie sie leise aufschrie. Dann bewegte er sich, zuerst langsam, dann immer
schneller und fordernder. Sie zwang ihn dazu, sich wieder auf den Rücken
zu legen und setzte sich auf ihn. Ihre Körper bewegte sich in rhythmischen
Bewegungen und seine Hände fanden den Weg zu ihren Brüsten alleine.
Er umklammerte ihre Hüften, drängte sie in einen anderen Rhythmus
als sie anzugeben versuchte. Ausserdem gelang es ihm, sich wieder auf den
Bauch zu legen und sie unter sich zu haben. Sie wehrte sich, aber er presste
ihre Arme neben ihrem Kopf aufs Bett und stützte sich so fast ab.
Dann stiess er immer fester zu und kam zu einem fast traumhaften Höhepunkt.
Eine Sekunde später stöhnte Jennifer so laut, dass er wusste,
dass auch sie zum Höhepunkt kam.
Er liess sich auf sie fallen
und drehte sich erschöpft auf den Rücken. Jennifer rollte sich
auf den Bauch und legte ihren Kopf auf seine Brust. Mit der Hand strich
sie langsam über seinen Hals. Sie war total verschwitzt und ihre Haut
glänzte, als habe man sie eingerieben.
Keiner der beiden sagte ein
Wort, sondern sie genossen noch immer das Gefühl des Vereintseins.
Sie fühlten noch das Gefühl des Höhepunkts und waren noch
immer so erregt wie vorher.
Jennifer legte ihre Arme um
seinen Hals und küsste ihn.
"Und das war dein erstes Mal?"
fragte sie leise und küsste ihn weiter.
Er nickte.
"Du warst aber grossartig.
Als hättest du schon jahrelange Erfahrung."
"Im Gefängnis haben wir
keine Geheimnisse vor einander. Und da ein Tag manchmal ziemlich lang sein
kann, haben wir uns halt von unseren besten Eroberungen erzählt. Da
kriegt man schon einiges mit und mit der Zeit habe ich schon fast geglaubt,
dass ich schon genauso viel Erfahrungen habe wie sie."
Sie lächelte und strich
ihm über sein kurzes Haar. Es war nass.
"Und wie hat es dir gefallen?"
fragte sie.
Thomas gab keine Antwort,
drückte sie dafür aber an sich und küsste sie leidenschaftlich.
Sie liess sich wieder auf den Rücken zurück fallen und Thomas
legte sich halb auf sie.
Seine Zunge forderte ein zweites
Mal, doch sie nahm seine Hand, legte sie um ihren Körper und drehte
sich auf die Seite, so dass sie ihren Rücken Thomas zu wandte. Er
drückte sich an sie, forderte aber nicht weiter, sondern begnügte
sich damit, ihren Körper zu spüren und zu riechen.