Als er gegen drei Uhr mittags
wieder aufwachte, war er alleine. Er tastete schlaftrunken nach Jennifer,
aber dort, wo sie eigentlich liegen sollte, war nur noch ein warmer Platz.
Er machte die Augen halb auf und sah sich um. Er war abgedeckt und immer
noch nackt. Wenn jetzt jemand hereingekommen wäre, wäre das ganz
schön peinlich geworden.
Er richtete sich auf und entspannte
seine verkrampften Muskeln. Langsam zog er sich seine Jeans wieder an,
die ihm Jennifer am Morgen abgezogen hatte und streifte ein T-Shirt über.
So ging er noch immer müde aus dem Zimmer und suchte die Küche
auf. Dort war niemand, ausser Jennifer.
Sie sass in normalen Kleidern
an einem Tisch, hatte eine Tasse in den Händen und sah erstaunt auf,
als er hereinkam.
"Es hat noch ein bisschen
Kaffee, wenn du willst", sagte sie und zeigte auf eine Kanne und eine Tasse,
die daneben stand.
Er schenkte sich ein und setzte
sich neben Jennifer. Sie begrüsste ihn mit einem Kuss, den er erwiderte.
"Ich bin auch gerade erst
jetzt aufgestanden", meinte sie, "Mein Vater kommt in etwa einer halben
Stunde zurück und ich weiss nicht, ob er es gerne gesehen hätte,
uns beide zusammen im Bett vorzufinden."
Thomas nahm einen Schluck
Kaffee.
"Ich bin sein Ehrengast. Warum
sollte er es nicht gerne sehen?"
Jennifer zuckte mit den Schultern.
"Vielleicht gerade darum.
Er hebt dich auf eine höhere Stufe, als er selbst steht und ich habe
dich jetzt dort runter geholt und auf unsere Stufe gestellt."
Er lächelte und meinte:
"Diese Stufe ist immer noch hoch genug, meinst du nicht auch?"
Sie nickte und seufzte gleichzeitig.
"Was wird er dazu sagen, wenn
er es erfährt? Glaubst du, dass er dich hinaus wirft, wenn er erfährt,
dass du seiner Tochter die Unschuld gestohlen hast?"
Erschrocken sah er sie an.
"Unschuld? Du hast noch nicht
...? Und was ist mit ... ich meine ... mit dem Vergewaltiger?"
Sie lächelte.
"Er hat mich nur zusammengeschlagen
und versucht, in mich einzudringen, aber scheinbar hat er es nicht geschafft.
Jedenfalls sagten die Ärzte, dass ich noch immer Jungfrau sei."
"Und jetzt bin ich ... du
hast noch nie ...?"
Sie schüttelte den Kopf.
"Ich habe schon mit vielen
einfach nur Petting und so gemacht, aber ich bin nie weiter gegangen, vielleicht
wegen meinem Vater, weil sie alle unter seinem Niveau waren. Aber du bist
aus der Sicht meines Vaters über uns."
Thomas fing an zu grinsen
und schüttelte ungläubig den Kopf.
"Und ich habe gedacht, du
hast schon jede Menge Erfahrungen."
Sie machte eine entschuldigende
Geste und stand auf.
"Ich muss mich anziehen gehen."
Sie stand auf und wandte sich
der Tür zu, drehte sich aber noch einmal um.
"Dein Vater lässt dir
noch ausrichten, dass es heute abend spät werden könne."
Thomas nickte. Jennifer kam
noch einmal zurück und legte ihm den Arm um die Schultern.
"Wie wär's, wenn du heute
abend mit uns mitkommst. Mein Vater geht an irgendeine Wohltätigkeitsveranstaltung
und wir müssen mit. Du könntest doch als mein Begleiter mitkommen.
Dein und mein Vater haben bestimmt nichts dagegen."
Thomas zögerte. Am ersten
Tag, an dem er richtig frei war, schon an so einen gestelzten Anlass?"
"Ich denke nicht, dass das
gut wäre. Ich bin kein Gesellschaftstier. Vor allem jetzt nach meiner
Zeit im Gefängnis nicht."
Sie nickte verständnisvoll
und ging dann.
Er seufzte, leerte seine Tasse
und stand auf, um ein bisschen hinaus zu gehen.
Kaum kam er zur Tür hinaus,
als er eine ganze Parade von schwarzen Limousinen kommen sah. Er blieb
stehen und musterte sie. An einem waren an allen vier Ecken die Farben
er amerikanischen Flagge zu sehen. Aus diesem Auto stieg der Präsident
zusammen mit dem Stabschef auf und kam lächelnd auf Thomas zu, als
er ihn erkannte.
"Darf ich euch bekannt machen?
Jim, das ist Thomas Slater. Mr. Slater, das ist Jim Mortimer."
Sie gaben einander die Hand.
Mortimer verabschiedete sich aber gleich wieder und sagte, er habe noch
viel Arbeit und ging ins Haus hinein.
"Na, wie geht's Ihnen jetzt?"
fragte der Präsident und spielte damit auf Libby an, die er bis jetzt
erfolgreich verbannt hatte. Und als er jetzt an sie dachte, spürte
er keinen Schmerz mehr, nur noch leichte Trauer, dass sie nicht mehr zusammen
waren. Es war ein Gefühl, dass er schon empfunden hatte, als er sich
von der Frau vor Libby trennte, die er keineswegs geliebt hatte. Kein Schmerz,
nur noch ein Seufzen.
"Ausgezeichnet", antwortete
er.
Der Präsident hob erstaunt
die Brauen.
"Ausgezeichnet? Wie machen
Sie das? Heute morgen wollten Sie noch ins Nichts aufgehen und jetzt geht
es Ihnen ausgezeichnet?"
Thomas grinste leicht.
"Ich hatte ein wenig Hilfe."
"Diese Hilfe hätte ich
vor vierzig Jahren auch gerne gehabt. Ach übrigens, haben Sie Jennifer
gesehen?"
Thomas nickte und antwortete,
dass sie vermutlich in ihrem Zimmer sei.
Der Präsident klopfte
Thomas auf die Schulter und ging dann auch ins Haus. Thomas blieb auf der
Treppe stehen und sah den Autos nach, die sich langsam wieder entfernten.
Er beschloss Libby einen Brief
zu schreiben, dass er ihr Glück mit Ronan wünsche. Hoffentlich
hatten sie nicht dieselben Probleme wie sie miteinander gehabt hatten.
Langsam drehte er sich um
und ging wieder hinein. Ein Dienstmädchen hastete an ihm vorüber.
Er starrte ihr erschrocken nach und bemerkte dann die anderen Bediensteten,
die ebenfalls so hastig umher gingen wie die Frau vorher. Scheinbar hatte
der Präsident eine Nachricht gebracht, die alle in helle Aufregung
versetzte.
Er ging die Treppe hoch und
traf dort auf Jennifer, wie sie ebenfalls gestresst gerade hinunter gehen
wollte und hastig ihr Kleid richtete.
"Was ist denn passiert?" fragte
er.
Jennifer lächelte ihn
erfreut an.
"Ich habe dir von der Veranstaltung
erzählt, die heute abend stattfinden sollte, oder? Nun, der Raum wurde
gesperrt. Bombendrohung. Jetzt findet alles hier statt. Das sorgt natürlich
für ein paar Aufregungen. Ich muss jetzt gehen, ich habe meinem Vater
versprochen, dass ich bei der Dekoration helfe."
Sie haucht ihm einen Kuss
auf die Lippen und trippelte dann schnell die Treppe runter. Thomas zuckt
mit den Schultern und ging in sein Zimmer. Wieder sieht er die beiden Ringe
an.
Ich könnte ihn Jennifer
geben, überlegte er sich, verwarf den Gedanken aber sofort wieder.
Er empfand keine Liebe für Jennifer, sie vermutlich auch nicht für
ihn, und ausserdem kannte er sie erst seit knapp zwei Tagen. Da konnte
er sie nicht schon beten, seine Frau zu werden.
Er packte sie in eine Schublade
und begann damit, seine wenigen Sachen, die er noch hatte, einzuräumen.
Unter all den T-Shirts und Jeans entdeckte er sogar den Anzug, den er während
der Verhandlung getragen hatte. Er probierte ihn, aber er passte ihm nicht
mehr.
Seufzend legte er ihn zu den
Sachen, die er nicht mehr brauchte.
Unter den Kleidern lag ein
Stück Papier. Er wusste sofort, noch bevor er ihn in den Händen
hatte, dass es ein Brief von Libby war, den sie ihm geschrieben hatte,
etwa einen Monat, nachdem er verurteilt wurde. Lächelnd strich er
darüber, erinnerte sich daran, wie er sich gefreut hatte, als er ihn
bekam. Aber kein Schmerz kam über ihn. Er legte ihn zu den Ringen.
Er sah auf die Uhr. Schon
halb fünf. Er vermutete, dass die Gäste etwa um sechs oder sieben
kamen, also hatte er noch Zeit, um mit Jennifer zu sprechen, bevor der
ganze Trouble los ging. Er ging also wieder hinaus und suchte Jennifer
im grossen Speisesaal.
Er fand sie, wie sie gerade
einem jungen Mann mit Blumen in den Händen Anweisungen gab und ihm
sagte, wie er sie hinstellen sollte.
Als sie ihn erblickte, ging
ein Lächeln auf ihre Lippen. Sie sah erschöpft aus.
"Du kommst gerade zur rechten
Zeit", sagte sie und zog ihn erschöpft auf die Seite.
"Das ist wahnsinnig anstrengend.
Ich sollte mich nachher noch ein bisschen hinlegen, bevor die Gäste
kommen. Nicht, dass ich erschöpft aussehe."
Er lächelte. "Als ob
du jemals erschöpft aussehen könntest. Du sprudelst doch vor
Energie geradezu über."
Er strich ihr über den
Arm, so dass ein Beobachter glauben könnte, es sei zufällig und
verzichtete darauf, ihr einen Kuss zu geben. Bei all den Leuten, die hier
umher gingen glaubte er nicht, dass es Jennifer gefallen würde.
"Hast du deinem Vater schon
etwas erzählt? Von uns?"
Sie schüttelte den Kopf.
"Nein, wir sollten noch eine
Weile warten, bis der ganze Stress hier vorbei ist. In etwa einer Woche
sind all diese Veranstaltungen vorbei und dann wird er wieder ein bisschen
Zeit haben. Bis dahin hat er sich auch an dich und deinen Vater gewöhnt
und wird dich nicht mehr so hochheben wie jetzt."
Sie seufzte und meinte dann,
dass sie sich wieder an die Arbeit machen müsste.
"Vielleicht kannst du ja später
einmal vorbei schauen und mich befreien."
Er nickte lächelnd und
ging dann wieder zurück in sein Zimmer. Er setzte sich auf den Fenstersims,
der so breit war, dass man fast darauf liegen könnte, und sah hinaus.
Sein Zimmer war direkt über dem Haupteingang, so dass er die vielen
Menschen, die immer wieder ein und aus gingen, beobachten konnte.
Mit der Zeit kamen immer mehr
Männer und Frauen an, die von mehreren anderen Autos begleitet wurden,
zur Sicherheit. Der Präsident empfing sie lächelnd und schickte
sie schon hinein, während er noch auf die hintersten und letzten Gäste
wartete.
Schliesslich wurde es dunkel
und die Lichter der ganzen Stadt gingen an. Es war ein wundervoller Anblick,
einer, den er seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Seufzend dachte er
an Lee und die anderen seine Gruppe, die noch ein paar Jahre warten mussten,
bis sie diese Stadt wiedersehen konnten.
Spontan entschloss er, sie
zu besuchen. Er bekam bestimmt eine Sonderbewilligung, mit der hinein durfte.
Schliesslich hatte er ja die Unterstützung des Präsidenten.
Sein Magen knurrte. Er stand
auf und ging in die Küche, um sich dort etwas zu machen. Die Köche
hatten bestimmt genug zu tun, ohne dass sie ihm auch noch etwas machen
mussten. Doch er kam nicht bis in die Küche.
"Thomas! Schön, dass
Sie auch noch runter kommen. Setzen Sie sich doch zu uns", rief der Präsident
und nannte ihn bei seinem Vornamen.
Thomas war sich gar nicht
bewusst geworden, dass die Tür zum grossen Speisesaal offen stand
und die Gäste ihn also vorbeigehen sahen. Er zögerte, folgte
dann aber dem Wunsch des Präsidenten und ging mit Jeans und einem
fast offenen Hemd in den Haufen von Anzügen hinein. Er fing Jennifers
Blick auf, wie er amüsiert lächelte.
Der Präsident legte ihm
die Hand um die Schultern und klopfte mit der Gabel an sein Glas. Sofort
wurden auch die aufmerksam, die bisher noch nichts bemerkt haben.
"Ich möchte Ihnen einen
ganz besonderen Gast vorstellen, Thomas Slater. Ich bin sicher, Sie alle
kennen ihn."
Die Anwesenden nickten ihm
zu und er sah Bewunderung in ihren Augen. Vermutlich darum, weil der Präsident
ihn wie einen Sohn behandelte und dazu noch unbedingt dafür sorgen
wollte, dass er wieder ein normales Leben führen konnte.
Der Präsident bestellte
ein weiteres Besteck und liess ihn zwischen sich und Jennifer setzen, ohne
auf den Widerspruch zu hören.
"Sir, ich denke nicht, dass
das ..."
Curnten winkte ab.
"Ach Quatsch. Sie werden sich
köstlich amüsieren. Wenn vielleicht auch nur mit Jennifer. Ausserdem
bin ich sicher, dass Sie Hunger haben."
Er deutete ihm, sich zu setzen
und ohne weiteren Widerstand nahm Thomas Platz. Der Präsident ging
zu einem seiner Gäste, um sich mit ihm zu unterhalten.
"Was meint er damit, 'wenn
vielleicht auch nur mit Jennifer'?" fragte Thomas Jennifer.
Sie lächelte und flüsterte:
"Er weiss, dass mich solche Veranstaltungen langweilen und hofft jetzt,
dass du mich ein bisschen aufheiterst."
Er lächelte verführerisch
und fragte: "Und, werde ich dich aufheitern?"
Sie stiess mit dem Knie gegen
sein Knie und rieb es.
"Wenn wir von hier verschwinden
könnten, sicher, aber so sehe ich keine guten Chancen."
Thomas zuckte bedauernd mit
den Schultern.
"Dein Vater wird uns nicht
weglassen."
"Das glaube ich auch."
Einer der Gäste, ein
älterer Mann, vermutlich um die sechzig oder fünfundsechzig.
"Entschuldigen Sie, ich habe
gehört, dass Sie im Gefängnis einer der führenden Häftlingen
waren. Wie haben Sie das gemacht? Ich meine, Sie waren noch so jung und
hatten bestimmt nicht viel Erfahrungen gemacht mit Gefängnis."
Thomas lächelte und sah
dann Jennifer fragend an.
"Hast du das erzählt?"
Sie zuckte entschuldigend
mit den Schultern. Thomas wandte sich wieder dem Mann zu.
"Ich wusste, welche Rechte
Häftlinge hatten, was alle anderen nicht wussten und sie so von den
Wächtern ausgebeutet wurden. Da ich zu einem besseren Verständnis
zwischen den beiden Seiten geholfen haben, wurde ich respektiert und mein
Wissen war immer ziemlich hilfreich."
Der Mann nickte, fragte aber
eifrig weiter: "Aber in einem Gefängnis kommt es doch auch ziemlich
auf Körperkraft darauf an. Wie haben Sie das bewerkstelligt? Die anderen
Männer waren Ihnen doch mit Training und Tricks überlegen."
"Ich habe schon früh
mit Karate angefangen und habe jetzt den schwarzen Gürtel. Ich denke,
das hat mir das Leben gerettet", antwortete Thomas bereitwillig.
Er spürte, wie sich seine
Anspannung lockerte und die anderen Gäste begannen nun ebenfalls fragen
zu stellen. Er warf ihnen immer mehr Witze zu und musste alles erzählen,
was im Gefängnis passiert war, und jetzt bei seiner Ankunft im Weissen
Haus.
Jennifer beobachtete ihn lächelnd
und fragte sich, ob er nicht irgendwie mit ihrem Vater verwandt sei. Der
hatte es auch immer wieder geschafft, die Leute von ihrer Anspannung zu
befreien und sie zum Lachen zu bringen.
Nach einem ausgiebigen Essen
und einem noch ausgiebigeren Dessert setzten sich alle zu der Polstergruppe
und löcherten Thomas weiter mit Fragen. Dieser stand ein paar Mal
spontan auf und zeigte Sachen vor, wenn seine Zuhörer nicht verstanden.
Natürlich brachte er die Leute damit noch mehr zum Lachen und musste
sich beherrschen, um nicht ebenfalls laut los zu brüllen.
Es wurde zwei, dann drei und
schliesslich vier Uhr morgens. Viele der hohen Gäste unterdrückten
immer häufiger ein Gähnen und schliesslich gähnte auch Thomas.
"Wissen Sie was? Am besten,
wir fahren jetzt alle nach Hause. Nicht, dass Sie mir noch hier einschlafen,
während ich mir so grosse Mühe gebe, Sie wach zu behalten. Ich
bin sicher, wie treffen uns noch einmal. Ich bleibe noch eine Weile hier,
mir gefällt es hier."
Er grinste und hörte,
wie einige zustimmend murmelten und sich erhoben. Er gab ihnen die Hände,
ohne zu wissen, wie sie hiessen und verabschiedete sich so von allen. Aber
bis wirklich alle auch noch die letzte Frage an den Präsidenten gestellt
hatten, wurde es halb fünf und bis Thomas schliesslich in sein Zimmer
taumelte, fünf Uhr morgens.
Jennifer begleitete ihn, leicht
angeheitert, aber nur ganz leicht, und warf sich aufs Bett.
"Du solltest in dein Zimmer
gehen und dort ausschlafen. Dein Vater könnte jeden Moment bei dir
vorbei schauen und wenn du nicht dort bist, wird er dich suchen und bei
mir finden."
Jennifer stöhnte.
"Es ist fünf Uhr morgens.
Wieso arbeitet dein Verstand noch so genau?"
Thomas lächelte und setzte
sich neben Jennifer, hauchte ihr einen Kuss zu.
"Ich habe heute morgen ziemlich
viel Schlaf nachgeholt. Erinnerst du dich? Ausserdem habe ich nur ein einziges
Glas getrunken, im Gegensatz zu dir. Du hattest mindestens zehn."
Sie machte ein böses
Gesicht, ein gutes Zeichen, dass sie wirklich betrunken war.
"Das ist nicht wahr. Es waren
nur neun. Da bin ich mir ganz sicher."
Sie schlang die Arme um seinen
Hals und zog in zu sich herab. In diesem Moment klopfte es.
"Das ist dein Vater. Komm'
steh auf Jennifer."
Er nahm ihre Arme ab und öffnete
die Tür. Curnten warf einen erstaunten Blick auf Jennifer.
"Sie ist leicht angeheitert,
Sir. Ich glaube nicht, dass sie noch lange stehen kann", sagte Thomas sofort,
um ihn von falschen Gedanken abzuleiten.
"Dann werde ich sie wohl am
besten gleich mitnehmen. Übrigens, Ihr Vater ist gerade eben gekommen.
Er hat aber gesagt, dass er sich gleich hinlegen will. Vielleicht sollten
Sie ihn nicht mehr stören", sagte er, während er sich Jennifers
Arm um den Hals legte und sich aufhob, als wäre sie ein kleines Kind.
"Sie waren heute grossartig.
Ich wünsche Ihnen noch eine gute Nacht", sagte er und ging mit Jennifer
hinaus.
Thomas schloss lächelnd
die Tür und zog sich die verschwitzten Kleider aus. Erzählen
war schon relativ anstrengend, vor allem, wenn so viele Leute in einem
Raum waren.
Er warf sich aufs Bett und
spürte sofort den Schlaf kommen.
Kaum zwei Stunden später
wurde er geweckt. Ziemlich sanft aber. Nämlich durch die weichen Küsse
einer wunderschönen Frau. Sie lächelte ihn an, als sie merkte,
dass er wach ist, hörte aber nicht auf, seinen Körper mit Küssen
zu bedecken.
"Jennifer, was soll das? Es
ist sieben Uhr morgens, und ich bin erst um fünf ins Bett gegangen.
Ich möchte jetzt schlafen."
"Mit mir?" fragte sie unschuldig.
Thomas wusste, dass er ihr
auch in seinem jetzigen Zustand nicht widerstehen konnte. Sie war zu gut.
"Komm' schon, Jennifer. Bist
du denn nicht auch müde? Das musst du doch sein, nachdem Champagner,
den du getrunken hast. Lass uns doch erst einmal ausschlafen und dann können
wir weiter sehen."
Doch Jennifer schüttelte
nur den Kopf. Sie hatte ihm schon die Hosen ausgezogen und war nun gerade
dabei, sich auszuziehen.
"Bitte, Jennifer. Ich bin
müde. Ich will jetzt schlafen, aber nicht mit dir."
"Mit wem dann?" fragte sie
beleidigt.
Scheinbar war die Wirkung
des Champagners noch nicht ganz zurückgegangen.
"Mit niemandem. Ich will nur
schlafen. Meinem Körper Zeit geben, um sich zu erholen, verstehst
du das?"
Sie nickte, hörte aber
nicht auf, sich den Büstenhalter aufzumachen.
"Jenni, ich bitte dich", flehte
er, aber sie ging nicht darauf ein.
Ihre Hände tasteten zu
seinem Mund und legten einen Finger darauf, damit er nichts mehr sagte.
Er ergab sich. Sie drehte ihn auf den Rücken und setzte sich auf ihn.
Reflexartig begann er sich sofort zu bewegen. Sie stöhnte leise. Thomas
fasste sie an den Hüften, um ihr mehr Halt zu geben und liess sich
von ihr führen. Sie gab das Tempo an, und sie bestimmte, wann er zum
Höhepunkt kommen sollte.
Sie machte ihre Sache gut.
Kaum war er einmal soweit, dass er zum Orgasmus hätte kommen sollen,
hörte sie auf sich zu bewegen und erlaubte ihm nicht, weiterzumachen.
Das steigerte seine Erregung nur noch mehr und das war genau ihre Absicht.
Schliesslich hielt auch sie
es nicht mehr aus und liess es zu, dass sie beide zum Höhepunkt kamen.
Thomas stöhnte laut,
warf sich auf und umklammerte ihren Körper. Sie strich zärtlich
durch sein Haar und drängte ihn wieder zurück aufs Bett.
"Na, hättest du das für
eine Stunde mehr Schlaf eingetauscht?" fragte sie, als auch sie sich wieder
ein bisschen erholt hat.
Er schüttelte lächelnd
den Kopf und küsste sie. Sie lag in seinen Armen und ihre Haare lagen
sanft auf seiner Brust.
"Du kannst nicht hier bleiben.
Dein Vater wird dich sicher irgend wann suchen und wenn er dich hier findet...
Na ja, mir wäre es egal, aber dir scheinbar nicht, also ... Vielleicht
solltest du wieder zu dir gehen."
Jennifer seufzte und setzte
sich langsam auf.
"Ich will aber nicht. Es war
so schön. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich jetzt wieder in
mein kaltes Bett zurück gehen muss."
Thomas küsste sie noch
einmal zärtlich.
"Du musst aber, wenn du nicht
willst, dass wir entdeckt werden."
Sie lächelte nickend.
"Darf ich aber wenigstens
noch bei dir duschen?"
Er nickte und sah ihr nach,
wie sie völlig nackt das Zimmer durchquerte und ins Bad ging. Seufzend
drehte er sich auf die Seite und zog die Decke wieder herauf.
Er war schon fast eingeschlafen,
als es klopfte. Sofort sass er stocksteif im Bett und überlegte blitzschnell,
was er machen sollte. Er zog sich schnell seine Hosen an und ging zur Tür.
"Entschuldigen Sie, dass ich
Sie jetzt schon störe, aber ..."
President Curnten starrte
auf die Person hinter Thomas. Er drehte sich um, und sah, wie Jennifer
ebenfalls erstarrt da stand und das Badetuch fest um ihren Körper
schlang.
Curnten sagte kein Wort. Er
drehte sich nach einigen Sekunden einfach um und ging.
"Mr. President, warten Sie
... Ich kann es Ihnen erklären ... Bitte, Sir!"
Curnten blieb stehen und kam
langsam wieder zurück.
"Was wollen Sie mir dann erklären?
Ich kann mir sehr gut vorstellen, was hier abgelaufen ist. Was wollen Sie
dann noch erklären?"
Thomas öffnete den Mund,
um etwas zu sagen, aber Curnten kam ihm zuvor. Er begann schallend zu lachen,
während Thomas und Jennifer ihn nur verwirrt ansahen.
"Oh, ihr seid grossartig",
brachte er schliesslich hervor und klopfte Thomas freundschaftlich auf
die Schultern, "Ihr hättet es mir doch sagen können. Warum glaubt
ihr, habe ich dich aufgenommen, hm, Thomas? Sicher nicht, um meiner Tochter
einen Keuschheitsgürtel aufzulegen."
Thomas blinzelte verwirrt.
"Soll das heissen, dass Sie
mich nur hierher eingeladen haben, damit ich und Ihre Tochter ..."
Curnten schüttelte den
Kopf.
"Nein, sicher nicht. Ich will
meine Schuld wirklich wieder gutmachen. Aber nenn mich doch John. Schliesslich
hast du gerade mit meiner Tochter geschlafen, oder?"
Er fing wieder an zu grinsen
und umarmte seine Tochter.
"Ich freue mich so für
dich, dass du endlich den richtigen gefunden hast, meine Kleine."
Er drückte ihr einen
Kuss auf die Wange und grinste schelmisch.
"Macht nur dort weiter, wo
ich euch unterbrochen habe. Ich habe nichts dagegen."
Er schloss lachend die Tür.
Thomas drehte sich langsam
zu Jennifer um. Sie war ebenso verwirrt wie er.
"Ich habe gedacht, er würde
dich umbringen", flüsterte sie schockiert.
Thomas begann langsam zu grinsen.
"Er hat gewollt, dass wir
miteinander schlafen. Er hat es sich gewünscht."
Sie begriff auch langsam und
drückte ihn an sich.
"Ja, das hat er. Ich denke,
jetzt muss ich nicht mehr zu mir zurück, oder?"
Thomas schüttelte den
Kopf und küsste sie leidenschaftlich. Sie liess das Badetuch fallen
und schlang ihre Arme um ihm, während ihre Zungen seinen Mund erforschte.
Thomas öffnete seine Hose wieder und liess sie an Ort und Stelle fallen,
während er sie zur Wand zurück drängte. Er rieb ihren Körper
an ihr und drang im Stehen in sie ein, während sie sich zum dritten
Mal im Höhepunkt vereinten.
Als Thomas und Jennifer am
Nachmittag aufstanden und sich in der Küche nach etwas Essbarem umsahen,
kam der Stabschef Mortimer und grüsste sie.
"Guten Tag zusammen. Ich hoffe,
Sie haben sich gut ausgeschlafen. Der Präsident hat nämlich gesagt,
dass ich Sie überall hinbringen soll, wo Sie auch hin wollen."
"Auch auf den Mond?" fragte
Thomas gut gelaunt.
Mortimer lächelte leicht.
"Wenn es unbedingt sein müsste."
Thomas überlegte eine
Sekunde lang, bevor er sagte: "Wenn du nichts dagegen hast, Jennifer; ich
würde gerne meine Freunde im Gefängnis besuchen. Nur um zu sehen,
ob sie auch ohne mich klar kommen."
Jennifer lächelte und
nickte.
"Ich nehme nicht an, dass
die mich dort gerne sehen würden, oder?"
Thomas machte eine zustimmende
Geste.
"Vermutlich nicht."
Dann wandte er sich Mortimer
zu.
"Haben Sie irgendwo einen
Wagen, den ich benutzen könnte?"
"Ich werde Ihnen gleich einen
kommen lassen."
Doch Thomas schüttelte
den Kopf.
"Ich möchte ein ganz
normales, kleines Auto, mit dem man ein paar Kilometer zurücklegen
kann. Keine Limousine mit Fahrer."
Einen Moment war Mortimer
überrascht, doch er nickte.
"Ich werde mich darum kümmern.
In einer Stunde haben Sie Ihr Auto."
Thomas nickte dankend.
"Möchten Sie auch irgend
wohin, Miss Curnten?"
Jennifer schüttelte den
Kopf.
"Nein, danke Jim. Ich werde
hierbleiben."
"Wie Sie wünschen."
Er drehte sich um und ging
wieder aus der Küche. Thomas konnte sich nur mit Mühe ein Lachen
verkneifen.
"Hast du sein Gesicht gesehen?
Er hat geglaubt, ich spinne. Mit einem normalen Auto herumzufahren. Das
muss ja schrecklich altmodisch sein."
Jennifer lächelte beruhigend
und nahm einen Biss vom Sandwich, das Thomas gemacht hatte.
"Das ist gut, wo hast du das
gelernt?"
"Ein paar Mal waren die Köche
krank und da mussten wir uns selber etwas machen. Keine Ahnung, wie wir
das gemacht haben."
"Weisst du, Jim ist nicht
an, sagen wir mal, normale Bürger gewöhnt. Er nimmt automatisch
an, dass jemand einen Wagen mit Fahrer will, es kommt ihm gar nicht in
den Sinn, dass jemand selber fahren möchte."
Thomas nickte.
"Hab' schon verstanden. Er
ist schon in einer reichen Familie aufgewachsen, hm?"
Jennifer seufzte und setzte
sich an den Tisch.
"Sein Vater war vor Jahren
schon Stabschef. Eigentlich wollte er noch Präsident werden, hatte
auch gute Chancen, aber dann bekam er Krebs und starb. Jim will vermutlich
den Wunsch seines Vaters erfüllen und Präsident werden."
"Er ist aber noch ziemlich
jung, für einen Präsidenten."
Sie schüttelte den Kopf.
"Er sieht jung aus, aber in
Wirklichkeit ist er kaum jünger als mein Vater. Vielleicht ist er
fünfzig, aber nicht jünger."
Erstaunt hob Thomas die Brauen
und ass dann ebenfalls sein Sandwich. Er bemerkte nicht, wie sein Vater
leise hereinkam und die beiden einen Augenblick lang musterte, bevor er
sich räusperte.
"Dad! Komm' doch her. Was
hast du gestern noch so lange gemacht?"
Sein Vater lächelte und
setzte sich neben sie.
"Ich musste noch arbeiten.
Die Studenten haben wieder alles durcheinander gemacht und ich musste wieder
aufräumen. Du kannst nicht glauben, wie sehr man einen Computer durcheinander
bringen kann."
Thomas lächelte.
"John hat mir von euch beiden
erzählt. Ist es etwas ernstes?"
Erstaunt über die Offenheit
seines Vaters schüttelte er den Kopf, nickte aber fast gleichzeitig.
"Um ehrlich zu sein ... Diese
Fragen haben wir uns noch gar nicht gestellt."
Jennifer lächelte ebenfalls,
bemerkte, dass Thomas' Vater nichts gegen ihre Beziehung hatte und antwortete:
"Ich denke, wir müssen erst mal schauen, wie wir miteinander klar
kommen. Wir kennen uns schliesslich erst seit ein paar Tagen."
Mr. Slater lächelte und
wandte sich an Thomas: "Kann ich dich mal sprechen? Vom Vater zum Sohn?
Jennifer verstand sofort und
ging mit einem verführerischen Lächeln zu Thomas hinaus.
"Was ist mit Libby?" fragte
er sofort und ohne Einleitung.
"Was soll mit Libby sein?"
fragte Thomas zurück, unterdrückte die anschwellende Zweifeln,
indem er sich Jennifers Lachen vorstellte.
"Du hast sie geliebt. Kannst
du sie so einfach vergessen?"
Thomas zögerte. Nein,
vergessen würde er sie noch lange nicht können, vielleicht nie.
"Ich habe sie nicht vergessen.
Aber ich kann nicht von ihr erwarten, dass sie fünfzehn Jahre lang
auf mich wartet, oder?"
"Du könntest versuchen,
mit ihr zu reden. Vielleicht ändert sie ihre Meinung, wenn sie erfährt,
dass du jetzt schon entlassen wurdest."
Thomas lächelte seinen
Vater an.
"Sie ist mit Ronan zusammen.
Sie liebt ihn. Warum sollte ich ihr Glück zerstören wollen? Ich
kann auch nicht mit Bestimmtheit sagen, ob ich solange auf sie gewartet
hätte, wenn sie jetzt im Gefängnis wäre."
Sein Vater seufzte.
"Du bist viel realistischer
als ich. An deiner Stelle würde ich um Libby kämpfen und -"
"Dad!"
"Schon gut. Libby ist mir
nur schon viel zu sehr ans Herz gewachsen. Ich sah sie schon als meine
Schwiegertochter."
Er lächelte seinen Sohn
nun ebenfalls an und seufzte erneut.
"Ich werde mich an die Vorstellung
gewöhnen müssen, dass nun die Tochter des Präsidenten meine
Schwiegertochter wird."
Thomas musste unwillkürlich
grinsen.
"Das wird noch eine Weile
dauern, wenn überhaupt, denke ich. Aber es schadet bestimmt nicht,
wenn du dich daran gewöhnst."
Auch sein Vater grinst jetzt
und klopft seinem Sohn auf die Schultern.
"Wenn du willst, können
wir Libby und Ronan einmal besuchen gehen. Ich hatte sowieso vor, in nächster
Zeit Ferien zu machen und da du jetzt wieder aus dem Gefängnis raus
bist, kannst du ja mitkommen ... Jennifer kann auch mitkommen, wenn sie
will", fügte er nach kurzem Zögern hinzu.
Thomas zögerte. Sollte
er nach so kurzer Zeit Libby schon wieder sehen? Würde er seinen Gefühlen
widerstehen können? Er horchte tief in sich hinein und spürte
keinen allzu grossen Schmerz mehr. Nur noch leichte Enttäuschung und
die schönen Gefühle der vergangenen Zeit, die er mit Libby verbrachte.
"Ich bin einverstanden. Aber
ich denke nicht, dass es gut wäre, Jennifer mitzunehmen. Machen wir
einfach Urlaub, so, wie wir es machten, als nur wir zwei waren."
Sein Vater lächelte.
"Abgemacht. Ach übrigens.
Jim Mortimer hat mir gesagt, dass du ein Auto brauchst. Du kannst meines
nehmen. Aber eine Frage: Wann hast du deinen Führerschein gemacht?"
Wieder begann Thomas zu grinsen.
"Das Gefängnisareal ist
ziemlich gross. Gross genug, um mit einem Auto herumzufahren."
"Und der Führerschein?"
hakte sein Vater nach.
"Einige der Polizisten waren
ziemlich nett und haben uns die Prüfung abgenommen. Ganz legal", versicherte
Thomas.
Einen Moment musterte sein
Vater ihn misstrauisch, zuckte dann aber mit den Schultern.
Er drückte Thomas die
Schlüssel seines Wagens in die Hand.
"Fahr ihn mir bloss nicht
zu Schrott."
Thomas versicherte lächelnd,
dass er gut auf den Wagen aufpassen werde und ging hinaus. Draussen vor
der Tür wartete Jennifer.
"Was wollte dein Vater denn?"
"Er hat mich gefragt, wie
ich Libby so schnell vergessen konnte."
"Und, was hast du geantwortet?"
Thomas seufzte.
"Ich habe geantwortet, dass
ich sie nicht vergessen habe, aber einsehe, dass sie nie fünfzehn
Jahre lang auf mich gewartet hätte."
Jennifer musterte ihn lächelnd.
"Höre ich da leise Trauer?
Habe ich Grund, um eifersüchtig zu sein?"
Thomas lachte.
"Ich glaube, wenn sie jetzt
käme, und mich fragen würde, ob nicht alles wieder so wie früher
sein kann, dann könntest du eifersüchtig werden."
Auch Jennifer lächelte
leicht.
"Ich gehe dann mal. Mein Vater
hat mir sein Wagen geliehen."
Er zog Jennifer an sich, drückte
ihr einen Kuss auf die Lippen und verschwand mit einem Lächeln auf
den Lippen durch die grosse Haupttüre.
Jennifer sah ihm nach, unterdrückte
den Reflex, ihm nachzugehen und mit ihm zum Gefängnis zu fahren, nur
um mit ihm zusammen zu sein.
Du hast dich schwer verliebt
Jennifer, ging es ihr durch den Kopf.
Thomas parkte mit geübten
Griffen das Cabriolet auf dem Parkplatz des Gefängnis und sprang hinaus,
ohne sich die Mühe zu machen, die Türen aufzumachen. Musternd
betrachtete er das grosse Gebäude.
Ich habe es noch nie von aussen
gesehen, fuhr es ihm durch den Kopf, ich sah es nur von innen.
Lächelnd schüttelte
er den Kopf und ging mit schnellen Schritten hinein. Viele Polizisten gingen
hinein und hinaus, aber niemand erkannte ihn. Vermutlich auch darum, weil
er eine schwarze Sonnenbrille trug.
Erst bei der Auskunftsstelle
hielt er an.
"Ich möchte zu Lee Martens."
Der Angestellte musterte ihn.
"Es ist keine Besuchszeit."
"Ich weiss, aber ich bin sicher,
Sie können eine Ausnahme machen."
Er zog die Brille ab und grinste.
Der Angestellte erkannte ihn und lächelte ebenfalls.
"Slater! Ich hätte nicht
gedacht, dich ... Sie so schnell wiederzusehen. Ich habe gedacht, Sie hätten
erst einmal genug von Gefängnissen."
"Alte Gewohnheiten wird man
schlecht los."
Der Mann lachte.
"Ich muss zuerst den Chef
fragen, ob Sie zu Martens dürfen."
"Lassen Sie mich das erledigen.
Ich möchte das Gesicht nicht verpassen."
Der Angestellte lächelte
wieder, beschrieb ihm den Weg zum Büro des Chefs.
Thomas hatte den Mann mehrere
Male gesehen, immer dann, wenn er sich 'unzivilisiert' verhalten hatte,
wie dieser es zu sagen pflegte. Und das kam einige Male vor.
Er klopfte an und ging ohne
eine Antwort abzuwarten hinein.
"Wer zum Teufel ..." begann
der ältere Herr, unterbrach sich aber selber.
"Guten Tag, Mr. McDonnell.
Lange nicht mehr gesehen."
Thomas grinste und streckte
ihm die Hand entgegen. Ganz abwesend ergriff McDonnell sie, und starrte
Thomas an.
"Keiner meiner Schützlinge
war bis jetzt so kess, mich drei Tage nach seiner Entlassung zu besuchen",
brachte er schliesslich hervor,
"Ich bin nicht wie alle anderen.
Schliesslich brauche ich kein schlechtes Gewissen zu haben", gab Thomas
zurück. "Darf ich ...?"
Er setzte sich wieder ohne
abzuwarten in den Stuhl, in dem er schon so viele Male gesessen hatte,
allerdings mit Handschellen.
"Ich habe gehört, Sie
es haben sich im Weissen Haus bequem gemacht."
Thomas nickte.
"Ja, es ist ziemlich gemütlich.
Ich wollte eigentlich zu Lee."
"Die Besuchszeit ist vorbei,
aber ich denke, ich kann eine Ausnahme machen."
"Machen Sie gleich zwei. Ich
möchte nämlich hinein."
McDonnell starrte ihn zum
zweiten Mal erschrocken an.
"Hinein? Sie meinen ...?"
"Hinein. Ich habe keine Lust,
mich mit Lee durch die Scheiben zu unterhalten. Ausserdem möchte ich
auch noch zu den anderen. Ich konnte mich noch gar nicht richtig verabschieden."
McDonnell seufzte.
"Sie wissen genau, dass das
nicht erlaubt ist."
"Kommen Sie, machen Sie eine
Ausnahme, für mich. Wenn nicht, bin ich sicher, dass der Präsident
mich bei meinem Anliegen unterstützen würde."
Er grinste.
"Sie haben mich in der Zwickmühle",
seufzte McDonnell, "Also gut. Sie können hinein. Aber Sie kommen nicht
um eine Untersuchung herum."
"Ich habe nichts zu verbergen."
Der Direktor stand auf und
ging mit Thomas zu der grossen Tür, durch die Thomas in das Gefängnis
kam, nachdem er verurteilt wurde.
Einer der Polizisten tastete
ihn von oben nach unten ab und verzichtete auch nicht mit einer Untersuchung
durch den Metalldetektor. Als er nichts fand, öffnete er die Tür
und liess Thomas durch.
"Sie geben Bescheid, wenn
Sie wieder heraus wollen", sagte der Direktor und Thomas nickte.
Er ging langsam durch die
vertrauten Gänge, roch den Geruch nach Schweiss und nassem Boden und
spürte, wie sich eine warmes Gefühl über ihn legte, das
Gefühl, Zuhause zu sein.
Vermutlich fühlt sich
niemand ausser mir im Gefängnis Zuhause, dachte er und lächelte.
Die Zellen waren leer. Die
Häftlinge waren jetzt alle draussen im Hof, wenn sie nicht gerade
Einzelhaft hatten.
Thomas ging an 'seiner' Zelle
vorbei. Lee war nicht mehr alleine. Er hatte schon einen anderen Zellengenossen
bekommen, der allerdings noch nicht sehr viele persönliche Sachen
hatte.
Langsam öffnete er die
Tür, die in den Hof führte. Lautes Geschrei hallte ihm entgegen
und er sah, wie die Männer einfach nur umher gingen, miteinander redeten
oder einfach vor sich hin brüteten.
Er entdeckte Lee schon von
weitem. Seine Stimme war gut zu hören und er hatte ein paar Männer
um sich versammelt. Thomas ging mit ziel sicheren Schritten die Stufen
zum Hof hinab, achtete nicht auf die erstaunt-fragenden Blicke der Häftlinge,
sondern ging nur schnurgerade aus zu Lee.
Er drückte sich durch
die Reihen der Zuschauer von Lees Show, hörte ab und zu Zurufe wie:
"Hey, Tom, wie geht's?
"Was machst du hier?
und
"Hat's dir draussen nicht
mehr gefallen?"
Vor Lee blieb er stehen, starrte
ihm fest in die Augen. Seine Hände schlossen sich mit einem Schlag
um die von Lee und er drückte ihn an sich.
"Hey, Kumpel. Schon wieder
zurück?" fragte Lee, schien nicht besonders erstaunt zu sein über
seinen Besuch.
"Ich wollte mich nur noch
richtig verabschieden", antwortete Thomas lächelnd.
Lee verscheuchte mit einem
schnellen Befehl die anderen und zeigte in eine Richtung.
"Gehen wir ein bisschen."
Sie gingen eine Weile stumm
nebeneinander her, das Ergebnis von vier Jahren Freundschaft.
"Ich habe gesehen, dass du
einen neuen Freund hast."
"Freund? Ach du meinst Jerry.
Ja, er wurde vorgestern eingebuchtet. Ist ein komischer Kerl, aber er macht
keinen Lärm und schnarcht auch nicht. Ist eigentlich okay."
Thomas lächelte.
"Du bist nicht gerade von
ihm begeistert."
Lee seufzte.
"Du kennst mich viel zu gut.
Nun, Jerry ist, wie soll ich sagen, er ist anders als du, steckt seine
Nase in alles rein und so. Ich denke, er kennt schon nach zwei Tagen alle
Gerüchte, die herumgehen.“
"Wie hat er auf deine Show
am Anfang reagiert?"
Jetzt musste Lee lachen.
"Er hat sich vor Angst fast
in die Hosen gemacht. Aber ich wünschte, wir beide hätten sie
durchgezogen, nicht, dass ich mich nicht für dich freue."
Thomas grinste. Er war der
beste Freund von Lee und nach seiner Ankunft hatten sie jede Show zusammen
durchgezogen. Jetzt war es wieder nur Lee, der sie machte.
Er setzte sich auf einen Stein,
von dem aus man den ganzen Hof beobachten konnte.
"Habe gelesen, dass du ins
Weisse Haus gezogen bist. Alle Zeitungen berichten davon."
"Ja, kann ich mir denken.
'Mehrfacher Mörder wird im Weissen Haus willkommen geheissen!'. Die
Leute haben es immer noch eingesehen, dass ich es nicht gewesen war."
"Hat die Polizei die Suche
nach dem richtigen wieder aufgenommen?"
Thomas zuckte mit den Schultern.
"Ich denke schon. Jetzt, da
Jenni sich endlich getraut -"
"Jenni? Kennst du sie schon
so gut, dass sie schon Jenni ist?"
Thomas grinste ihn leicht
verlegen an.
"Scheinbar kennst du mich
genauso gut wie ich dich."
Forschend musterte Lee ihn.
"Es war mir gleich, dass etwas
an dir anders ist. Es liegt an dieser Präsidententochter, nicht?"
"Vermutlich."
"Was hat sie mit dir gemacht?"
fragte Lee grinsend.
Thomas seufzte.
"Mit mir geschlafen."
Erstaunt starrte Lee ihn an.
"Du hast mit ihr geschlafen?
Das erste Mal gleich mit der Präsidententochter! Herzlichen Glückwunsch."
Er klopfte Thomas auf die
Schultern.
"Was ist mit der anderen?
Dieser Libby?"
"Sie hat einen anderen Freund.
Ronan, ich habe dir von ihm erzählt."
"Dein bester Freund? Er hat
sich deine Freundin geangelt? So ein guter Freund konnte er aber nicht
gewesen sein."
"Ich kann nicht von Libby
erwarten, dass sie fünfzehn Jahre lang auf mich wartet", wiederholte
er jetzt zum x-ten Mal, "Ausserdem ist sie bei Ronan in guten Händen."
"Wenn du meinst."
Sie schwiegen wieder eine
Weile, bis Lee fragte: "Was machst du jetzt, da du draussen bist?"
Thomas zuckte mit den Schultern.
"Ich weiss es noch nicht so
genau, aber wahrscheinlich beende ich mein Studium und mache den Abschluss."
Lee holte etwas aus seiner
Tasche.
"Das hast du noch vergessen."
Er gab Thomas eine Kette,
an der ein goldenes Kreuz mit einem kleinen Steinchen in der Mitte hing.
Thomas fasste sich an den
Hals und spürte, dass er die Kette tatsächlich nicht anhatte.
Sie hatte ihm in all den Jahren Glück gebracht, war sozusagen sein
Maskottchen geworden.
"Vielen Dank! Was werde ich
auch nur ohne dich machen, wenn du mir nicht dauernd meine Sachen nachtragen
kannst?"
"Du kannst ja deine kleine
Freundin fragen", meinte Lee grinsend.
Thomas gab ihm einen scherzenden
Stoss in die Rippen.
Ein Mann näherte sich
ihrem Stein und blieb mit breiten Beinen vor ihm stehen.
"Na, Slater, hast du noch
nicht genug von diesem Loch?" fragte er.
Thomas brauchte sein Gesicht
gar nicht zu sehen, um zu wissen, wer es war. Es war Louis Boffano. Er
hatte sich von Anfang an nicht mit Thomas verstanden und liess keine Gelegenheit
aus, um ihn zu schikanieren. Ausserdem war er auf die Rolle des Anführers
aus.
"Boffano", sagte Thomas nur.
Er stand langsam auf und kam
vom Stein runter. Er wusste genau, dass er jetzt entweder abhauen oder
kämpfen konnte. Abhauen wäre vermutlich die vernünftigere
Entscheidung, er entschloss sich aber für die zweite Möglichkeit.
"Hast dich beim Präsidenten
eingenistet, hm? Bist wohl auf den Posten des Schwiegersohn aus?"
Thomas spreizte die Beine
ein wenig und starrte ruhig in das Gesicht des Italieners.
"Das kann dir doch eigentlich
egal sein, oder? Sei doch froh, dass ich weg bin, dann musst du dich um
einen weniger kümmern, der dir im Weg steht."
Boffano kam näher heran.
Sein Gesicht war nur noch ein Meter von Thomas' entfernt.
"Vielleicht solltest du schon
mal den Präsidenten anrufen, damit man mir noch ein paar Jahre länger
anhängt, wenn ich seinen Schützling umbringe."
Seine Hand raste auf Thomas'
Bauch zu, doch er konnte ausweichen und schlug seine Hand auf Boffanos
Rücken, gleichzeitig das Knie in den Magen. Boffano fiel keuchend
um, sprang aber schnell wieder auf.
Ein wilder Kampf entbrannte,
um den sicher immer mehr Häftlinge scharrten, bis die Wächter
schliesslich aufmerksam wurden.
"Auseinander! Sofort auseinander
ihr zwei! Wird's bald!" schrien gleich ein paar Polizisten und nahmen die
beiden auseinander.
Thomas zitterte vor Wut und
Hass und wischte sich mit einer geistesabwesenden Geste das Blut von der
Nase.
"Ihr kommt beide mit! Na los!
Das gibt ein paar Tage Einzelhaft!"
Thomas beherrschte sich und
wurde ruhig.
"Ich bin kein Häftling.
Sie können mich nicht einsperren."
"Natürlich kann ich",
widersprach ein Polizist und legte ihm Handschellen zum Abtransport an.
"Ich bin Thomas Slater und
wurde vor drei Tagen entlassen. Ich habe eine Sondererlaubnis vom Direktor,
dass ich hier rein darf. Ausserdem kann ich mit der Unterstützung
des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika rechnen. Wollen
Sie mich immer noch einsperren?"
Zwei Polizisten trugen Boffano
fort, der Thomas weiter mit Flüchen bewarf. Der Polizist, mit dem
Thomas sprach, zögerte.
"Bringt ihn zum Direktor.
Der soll sich um ihn kümmern."
Die restlichen Polizisten
nahmen ihn an den Armen.
"Mach keinen Ärger draussen.
Ich will dich nicht so bald wieder sehen, jedenfalls nicht mit Handschellen",
sagte Lee ihm nach.
Thomas drehte sich leicht
um und nickte.
"Ich komme in ein paar Minuten
wieder", versprach er.
Die Polizisten drängten
ihn vorwärts, durch die leeren Zellen zum Büro des Direktors.
"Was soll das?" schrie dieser,
als die Polizisten Thomas hinein brachten, mit einer blutenden Nase und
einem blauen Auge, dazu noch gefesselt.
"Er hat sich mit Boffano geschlagen,
Sir."
"Machen Sie die Handschellen
ab!"
Zögernd öffnete
der Polizist die Fesseln und ging hinaus.
"Was haben Sie sich eigentlich
dabei gedacht? Ich gebe Ihnen eine Sondererlaubnis und Sie fangen gleich
eine Schlägerei an. Am liebsten würde ich Sie in Einzelhaft sperren,
für mindestens eine Woche, aber leider stehen Sie im Schutz des Präsidenten."
"Boffano kann mich nicht ausstehen
und ich ihn ebenso wenig. Aber selbst von Feinden muss man sich verabschieden.
Das war unser Abschied", gab Thomas ruhig zurück.
"Sie sind verrückt. Total
verrückt", entfuhr es McDonnell.
Er grub in einer Schublade
und holte eine Taschentuch hervor.
"Wischen Sie sich das Blut
ab."
Thomas gehorchte.
"Boffano hat mich ganz bewusst
provoziert. Sie wissen, dass ich es nicht leiden kann, wenn man mich provoziert."
"Natürlich weiss ich
das. Aber ich hätte gedacht, dass Ihnen die Freiheit gut tut, um rechtzeitig
abzuhauen, wenn so etwas passiert."
"Dann wäre ich als Feigling
dagestanden. Ich war zweiter Anführer in diesem Gefängnis und
habe mir einen guten Ruf gemacht. Sollte ich diesen Ruf einfach so aufs
Spiel setzen, wo mir doch eigentlich sowieso nichts passieren kann?"
McDonnell seufzte.
"Sie werden ein guter Anwalt
werden, das kann ich jetzt schon sagen. Warum haben Sie sich beim Prozess
eigentlich nicht selber verteidigt, dann wären Sie jetzt vielleicht
nie hier gewesen?"
"Ich war minderjährig
und ausserdem braucht man immer Rechtsbeistand, auch wenn man sich selber
verteidigen könnte."
McDonnell hob abwehrend die
Hände.
"Schon gut, schon gut."
"Kann ich nochmals rein? Ich
konnte mich immer noch nicht verabschieden."
Er starrte Thomas an, seufzte
wieder.
"Für fünf Minuten,
nicht länger, klar?"
Thomas nickte und ging zurück
in den Hof.
Lee erwartete ihn schon.
"Was hat er gesagt?"
"Er würde mich am liebsten
eine Woche in Einzelhaft stecken", antwortete Thomas und grinste. Dann
wurde er wieder ernst.
"Glaubst du, du schaffst es
noch zehn Jahre lang ohne mich?"
Lee klopfte ihm väterlich
auf die Schultern.
"Ich kam auch ohne dich zurecht,
als du noch nicht da warst. Glaub mir, Typen wie Boffano machen mir nichts
aus."
"Dann ist ja gut. Wenn du
Hilfe brauchst, melde dich bei mir. Ich bin immer für dich da."
Lee nickte und drückte
ihn an sich.
"Pass gut auf dich auf. Und
auch auf deine kleine Freundin."
Thomas lächelte und nickte.
"Mach' ich."
Sie gingen miteinander zurück
zu den Zellen und durch den Gang, bis zum Gitter.
"Sag' allen einen Grus von
mir. Sie sollen die Ohren steif halten."
Er nickte.
"Wir sehen uns, spätestens
in zwölf Jahren."
Thomas drückte noch einmal
seine Hand, und ging hinaus.
Die Polizisten schlossen das
Gitter wieder und Thomas drehte sich um.
"Du meldest dich bei mir,
wenn du 'raus kommst."
Lee grinste.
"Da kannst du Gift drauf nehmen."
Thomas presste die Lippen
aufeinander und hob kurz die Hand. Dann drehte er sich um und ging weg,
hinaus.
Draussen holte er tief Luft
und schloss das Auto auf. Er musterte den grauen Bau noch einmal, bevor
den Motor startete und fortfuhr.
Er begann Lee und seine Zelle
schon jetzt zu vermissen. Es war komisch, sich nach dem Gefängnis
zu sehnen, jetzt, da er frei war. Denn als er im Gefängnis war, hatte
er sich nach der Freiheit gesehnt.
Er fuhr in Gedanken versunken
durch die Strassen von Washington, überlegte sich, ob er irgendwo
noch anhalten und sich ein bisschen beruhigen sollte. Bei der ersten Bar
parkte er das Auto, schlug das Dach hoch und ging hinein.
Es war nicht eine dieser verrauchten,
kleinen Bars, in denen mindestens die Hälfte immer betrunken war,
sondern ein kleines, gemütliches Lokal, in dem zwar trotzdem fast
nur Männer waren, aber auf den ersten Blick waren alle ziemlich nüchtern.
Eine Serviertochter kam an
seinen Tisch und sah ihn fragend an. Er bestellte sich etwas zu trinken
und hing weiter seinen Gedanken nach. Nach und nach kamen sie auf Jennifer.
Er spürte ein Gefühl in sich, konnte aber nicht sagen, ob es
Liebe war oder einfach nur Sympathie.
"Du gefällst mir nicht,
Kleiner", sagte da eine dunkle, rauhe Stimme in seine Gedanken hinein.
Thomas sah auf. Ein Mann,
vielleicht um die vierzig, gestützt auf seinen Billardstock, musterte
ihn. Sein Gesicht war von einem Drei-Tage-Bart eingerahmt.
"Pech für Sie", gab er
zurück und hoffte, dass sich der Mann aus dem Staub machte. Aber nichts
dergleichen geschah. Im Gegenteil, der Mann zog sich einen Stuhl heran
und setzte sich rittlings hin.
"Und du kommst mir bekannt
vor", fuhr der Mann fort, ohne sich von Thomas' Antwort beirren zu lassen.
"So?"
"Ja. Dein Gesicht ist auf
allen Titelseiten. Kaum zu glauben, dass jemand wie du frei herumlaufen
darf."
Thomas sah wieder auf und
musterte den Mann mit scharfem Blick.
"Was soll das heissen? Jemand
wie ich?"
"Du hast unschuldigen Mädchen
das Leben zerstört und hast noch nicht einmal die Hälfte deiner
Strafe abgesessen."
Thomas machte sich auf eine
Konfrontation bereit. Seine Wut auf Boffano war noch nicht ganz abgeflaut
und wenn dieser Kerl jetzt ein Wort zuviel sagte, würde er sich sicher
nicht mehr beherrschen können.
"Ich habe nichts getan. Ich
bin sicher, das steht auch in allen Zeitungen."
"Das steht, das ist richtig.
Aber viele glauben es nicht. Sie meinen, die Curnten-Tochter hat das nur
gesagt, weil sie sich in dich verliebt hat. Trotz allem, was du ihr angetan
hast. Sie sah eine gute Chance, dass du dich mit ihr versöhnst."
Thomas unterdrückte ein
lautes Lachen.
"Warum hat sie das denn nicht
schon viel früher gemacht? Zum Beispiel gleich dann, als sie aufgewacht
ist aus ihrem Koma?"
"Sie wollte dich noch ein
bisschen schmoren lassen, damit du ihr dann auch wirklich dankbar bist."
Thomas schüttelte lächelnd
den Kopf.
"Wissen Sie, es ist mir vollkommen
egal, was Sie denken und was andere denken. Ich weiss, was ich getan habe
und was nicht."
Er hoffte, verlieh seinen
Worten genug Schärfe, um den Mann endlich verschwinden zu lassen.
"Die Staatsanwältin hat
auch schon Einspruch eingelegt. Sie sagt, dass es kein vernünftiger
Beweis sei. Vermutlich kommt es in ein paar Tagen erneut zur Verhandlung."
Thomas zog die Brauen hoch.
Er hatte noch keine Vorladung bekommen und auch noch nichts davon erfahren,
dass die Staatsanwältin Einspruch eingelegt hatte; allerdings hatte
er in den letzten Tagen auch nicht mehr Zeitungen gelesen.
"Hören Sie, Mann, entweder
Sie verschwinden jetzt von meinem Tisch und lassen mich in Ruhe, oder ich
rufe die Polizei und lasse Sie wegen Verleumdung festnehmen."
Der Mann grinste höhnisch.
"Habt ihr das gehört,
Jungs? Er will mich festnehmen lassen. Wegen Verleumdung. Er glaubt, nur
weil der Präsident auf seiner Seite sei, könne er sich jetzt
alles erlauben."
Die restlichen Männer,
die sich nicht sowieso schon von ihrem Gespräch auf das von Thomas
und dem Mann konzentriert hatten, taten es jetzt.
Eindeutige Buh - Rufe prasselten
auf Thomas nieder.
Thomas bewahrte seine Ruhe,
hatte aber nicht vor, sich zurückzuziehen.
"Du kannst dir nicht alles
erlauben. Auch wenn du unter dem Schutz des Präsidenten stehst. Der
Präsident steht nicht über dem Gesetz. Er kann dich nicht beschützen,
wenn erneut beschlossen wird, dass du schuldig bist."
Thomas Hände zuckten.
"Ich kann ganz gut auf mich selber aufpassen, Mann."
"So kannst du das? Das werden
wir ja sehen."
Die Männer fingen laut
an zu johlen, wie damals, als Lee ihn im Gefängnis begrüsst hatte
und er sah auch schon die Hand des Mannes auf sich zu schnellen. Er wich
aus und rammte seine Faust in sein Gesicht. Das schien den anderen nicht
zu gefallen. Sie stürzten sich aus Rache wegen dem Mann auf ihn, mindestens
drei auf einmal. Thomas wich weiteren Schlägen aus, verteilt Faustschläge
und Fusstritte, steckte aber auch ziemlich viele ein.
Zwei Händepaare packten
ihn von hinten und eine schnelle Faust landete in seinem Magen. Er wollte
zusammenklappen und sich wehren, aber er wurde festgehalten. Immer mehr
Schläge schlugen in seine Bauch und mehrere auch in sein Gesicht.
Er stöhnte laut und plötzlich liess man ihn auf den Boden fallen.
Er rollte sich zusammen, versuchte, den Schmerz zu unterdrücken. Ein
paar Männer hoben ihn wieder auf und warfen ihn durch die Hintertüre
hinaus auf den Boden. Er prallte hart auf, rollte ein paar Meter und wollte
sich aufrichten, aber ein Schuh grub sich erneut in seinen Magen.
"Verschwinde von hier, du
Frauenschänder! Wenn wir dich noch einmal hier sehen, kommst du nicht
mehr davon."
Jemand trat ihn mit den Schuhen
noch in den Rücken und mehrere traten ihn noch wie nebenbei. Er stöhnte
wieder. Er konnte nicht mehr richtig atmen und sein Mund war mit Blut voll.
Er spuckte es hinaus und richtete sich langsam an der Wand nach auf. Seine
Hand presste er auf den schmerzenden Magen und ging los, immer schön
der Wand entlang, damit er sich abstützen konnte. Er kam in Richtung
Strasse und stiess sich von der Wand ab, um sich ein Taxi zu rufen. Drei
Schritte weiter verlor er das Bewusstsein.