Was ist Rollenspiel?

Ein Rollenspiel ist ein Spiel für eine beliebige Anzahl Menschen, die nichts anderes als Stifte, Papier, Würfel und ihre Vorstellungskraft benutzen, um andere Personen mit anderen (und meistens aufregenderen) Leben darzustellen. Diese leben in einer von einem Spieler, den man den Erzähler oder (öfter) den Spielleiter nennt, geschaffenen Welt. Als Basis wird nur die Vorstellungskraft benötigt, die Blätter dienen als Erinnerungsstütze, während die Würfel lediglich den Zweck haben, den Zufall zu simulieren.

Da diese kurze und recht konfuse Definition lediglich einen einzigen (niederen) Aspekt des Rollenspiels abdeckt und daher auch noch nicht einmal ansatzweise den zentralen Punkt berührt, versuchen wir einmal, es über verschiedene Ansätze zu erklären:

Lesen Sie sie in der Reihenfolge, wie Sie es wünschen.
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Der Kinderspiel-Ansatz

Die meisten von uns werden sich wohl noch an eine Zeit erinnern, als wir uns als Kinder in eine fiktive Welt hineinversetzt und dort eine Menge spannender Abenteuer erlebt haben, bei denen wir zeitweise auch Spielzeug, wie Puppen, Zinnfiguren oder auch einfach nur unseren Körper und unsere Vorstellungskraft benutzten.

Wir spielten des öfteren mit einem oder mehreren Freunden zusammen, begeistert von der Vorstellung, jemand anderes zu sein und andere Dinge als gewöhnlich zu tun - sei es nun, sich wie Gendarme und Räuber, Cowboys oder Indianer zu verhalten oder Astronaut zu spielen...

Wie dem auch sei, so waren doch einige Konflikte damals recht schwer zu lösen: "Ich hab' Dich getroffen! Du bist tot!" - "Nein, bin ich nicht, du hast mich verfehlt! Überhaupt habe ich Dich zuerst getroffen!" Diese Probleme konnten häufig nur durch strikte Regeln, physische Interaktionen (will heißen, sich zu verprügeln) oder dadurch, aufeinander sauer zu werden und sich gegenseitig zu versprechen, niemals wieder Freunde zu werden, gelöst werden... unglücklicherweise waren Regeln etwas für Erwachsene...

Rollenspiele sind ein wenig in dieser Art, da die Spieler vorgeben, jemand anderes zu sein, als sie in Wirklichkeit sind. Sie sind jedoch in vielerlei Hinsich sehr viel ausgereifter und spielen sich zumeist auf geistiger Ebene ab.
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Der Psychologen-Ansatz

Desweiteren ist Rollenspiel ein wichtiges Instrument für Psychologen, Menschen zu helfen, sich gegenseitig zu verstehen, oder, im Falle eines Sprachunterrichts, den Schülern eine Verbesserung ihrer situationsspezifischen Sprachkenntnisse und -fertigkeiten in alltäglichen Situationen zu ermöglichen:

"In Ordnung, Judit. Du bist die geschiedene Mutter zweier Kinder, die gerade erst mit ihren Nachkommen und deren Katze, Widdles, in eine neue Wohnung übergewechselt ist. Die Kinder brauchen die Katze, um mit der Veränderung fertig werden zu können, also hast Du vor, sie zu behalten. Ralph, Du bist ein Hausmeister, dessen alte Mutter allergisch gegen Katzen ist und deren Herz an einer Umsiedlung ins Altersheim zerbrechen würde. Setzt Euch im Diskurs auseinander!"

Dies mag sich vielleicht nach einer schlechten Seifenoper anhören, ist jedoch de facto ein gültiges Beispiel für ein Rollenspiel-Szenario (im psychologischen Sinn). Judit und Ralph sollen andere Personen, Gedanken, Aktionen und Reaktionen darstellen, als es ihrer persönlichen Natur entspricht. Wie es auch ausgehen mag, so ist doch der einzig mögliche Handlungsweg des "Sich-damit-auseinandersetzen und Darüber-reden". Rollenspiele bieten zumeist interessantere Szenarien - aber die Grundlage bleibt die gleiche. Dieser Ansatz ist daher einer der wichtigsten.
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Der Schauspieler-Ansatz

Ein weiteres Beispiel für (physisch) aktiveres, jedoch eingeschränkteres Rollenspiel, da die Handlungen bereits vorgegeben sind, ist das Schauspielen: Sei es nun auf Leinwand, Fernsehen oder Theater, so betrachten wir doch wieder Mitglieder unserer Gesellschaft, die zeitweise andere, zumeist außergewöhnliche Charaktere darstellen und somit ebenfalls die Kriterien für dieses Spiel erfüllen. Diese Form läßt sich am besten mit einer Unterart des Rollenspiels, dem sogenannten "Live-Rollenspiel", in Verbindung bringen:

Der Unterschied zwischen gewöhnlichem Papier-Rollenspiel und seiner "Live-"version besteht darin, daß sich Spieler letzterer Variante wie ihre Charaktere kleiden und das gesamte Szenario Schauspielern ähnlich ausspielen (wobei allerdings kein Handlungsweg vorgezeichnet ist). Zum realisieren der Fantasie-Elemente, wie beispielsweise Magie oder Technik, die noch nicht existiert, ist hier Kreativität gefragt.
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Der Zuschauer-Ansatz

Viele von uns lesen Bücher oder sehen Filme. In einigen dieser Bücher/Filme begeht der Protagonist Handlungen, die wir an seiner/ihrer Stelle nicht getan hätten; wie zum Beispiel in ein offenes Fenster zu klettern, ohne vorher hindurchzuschauen, was sich auf der anderen Seite befindet, einen Kampf mit einer Gang von Straßen-Halsabschneidern anzufangen oder ruhig zu einer düsteren Gruppe schwarzberobter Menschen hinaufzureiten. Obwohl wir keinen Einfluß auf diese Dinge haben, so stellen wir dennoch manchmal mitten in einer Geschichte fest, daß wir uns teilweise in einen Charakter dieser Geschichte hineinversetzt haben. Leider können wir jedoch lediglich weiterlesen oder -zusehen.

Aber was, wenn wir die Dinge verändern könnten? Stellen Sie sich vor, gerade im höchsten Spannungsmoment gefragt zu werden "Was würden Sie nun tun?" Durch die Tür schreiten? Sich den Weg freikämpfen? Diesen Preis akzeptieren oder weiter feilschen? Sie könnten wählen, das Resultat betrachten und zur nächsten Entscheidung übergehen: "Was würden Sie nun tun?"

Es gibt einige Bücher, in denen Sie nach jedem Abschnitt eine gewisse Anzahl möglicher Entscheidungen, zusammen mit der Nummer eines anderen Abschnitts, an dem Sie weiterlesen sollen, wenn sie sich hierfür entscheiden, finden. Durch stetiges Entscheiden und Entscheiden können Sie am Ende entweder gewinnen oder verlieren. Leider existiert hier nur eine sehr begrenzte Anzahl Ausgänge und Wahloptionen. In tatsächlichen Rollenspielen hingegen leiten sie konstant die Aktionen Ihres Charakters (der Person, die wir darstellen) nach Belieben, was eine fast unbegrenzte Menge an Verläufen offenlässt.
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Der Beispiels-Ansatz

Was wir im täglichen Sprachgebrauch als Rollenspiel bezeichnen, ist eine Form der interaktiven Geschichtserzählung: Eine Gruppe Personen findet sich zusammen, erschaffen sich sogenannte "Charaktere", fiktive Personen, die sie darstellen wollen. Einer dieser Spieler, der Spielmeister, beschreibt eine Situation, auf die die anderen reagieren sollen, als seinen sie die Entitäten, die sie verkörpern.Ihre Reaktionen werden neue Umstände schaffen, die die Beteiligten wiederum vor neue Herausforderungen stellen.

Hier ein (sehr) einfaches Beispiel:

In diesem Beispiel haben die Charaktere bei Abenddämmerung einen Wald betreten (oder es zumindest vorgegeben... erinnern Sie sich, daß dies immer noch rein fiktif ist). Der Erzähler (oder Spielmeister oder wie auch immer der leitende Spieler genannt wird), hat eine Begegnung auf einer Lichtung vorbereitet...

Erzähler: "Dort vorne scheint sich der Wald ein wenig zu lichten. Ihr seht ein Feuer, könnt aber noch nicht erkennen was für Wesen sich darum versammelt haben. Was tut ihr?"
Philip (der einen Magier namens Ignitius spielt): "Seht! Da vorne ist ein Feuer, wenn auch ein wenig mickrig für meinen Geschmack... (mit Seitenblick auf Susanne) vielleicht könnte uns einer der Leute dort erklären, wo wir uns befinden, nachdem sich nun sogar unsere Waldläuferin verlaufen hat! Vielleicht sollten wir in Zukunft dem Troll die Führung überlasssen... er macht zumindest den ANSCHEIN, als hätte er einen sichereren Schritt! In Anbetracht der Tatsachen sollten wir ihn vielleicht sogar vorausschicken, um die da zu überraschen; verschiede Leute könnten ja das Ziel aus den Augen verlieren, nicht wahr, Riv?."
Susanne (die eine elfische Waldläuferin namens Arivella spielt): "He, Flamme! Hast DU etwa den richtigen Weg gefunden? Was kann ich dafür, daß der Baum, den ich zur Richtungsbestimmung ausgewählt hatte, nun gerade ein außergewöhnliches Phänomen ist? Meiner Meinung nach solltest DU den Rand halten, wenn ich an Deine Eskapaden denke - Feuerball - IM WALD! - eine wahre Glanzleistung! Abgesehen davon weißt Du, daß der Troll, abgesehen von seiner Lautstärke viel zu streng riecht, um irgend jemanden zu überraschen... und wir wollen den Leuten doch nicht das Abendessen verderben und somit dafür sorgen, daß sie uns keine Auskunft geben wollen."
Erzähler (der derweil einige Male verdeckt gewürfelt hat): "Während ihr euch noch so wunderbar unterhaltet, hört ihr plötzlich ein paar sehr nahe, jedoch unbekannte Stimmen: 'Guten Abend, kann man ihnen irgendwie weiterhelfen?' ."
Susan: "WAS? (dreht sich um)."
Erzähler: "Nun ja, es scheint, als seid ihr nicht vollkommen unbemerkt geblieben: vor euch stehen 4 Männer in grünen Roben, mit Langschwertern an der Seite. Euch fällt eine seltsame Tätowierung auf der linken Gesichtshälfte auf - sie gehören offensichtlich der Surak-Religion an"

Die Surak-Religion hat in der Welt dieses Spielleiters den Ruf, in diversen Punkten unmenschliche Rituale auszuüben, obwohl man nichts genaueres darüber weiß... einziges Erkennungsmerkmal ist eine Tätowierung auf der linken Gesichtshälfte... - an dieser Stelle können sich die Spieler entscheiden: greifen sie an? Versuchen sie mehr über die Surak herauszufinden, um am Ende herauszufinden, daß es sie überhaupt nicht gibt, die Tätowierung lediglich ein angeborenes Merkmal ist und begeben sich (aus ihrer Sicht) in eine potentielle Gefahr? Oder verlassen sie sie augenblicklich und ziehen sich zurück, um wilde Geschichten über Menschenfresser zu erzählen? Diese und unzählige andere Möglichkeiten stehen zur Auswahl - je nach Entscheidung entwickelt sich die Geschichte nun in unterschiedliche Richtungen.
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Zusammenfassung

Auf diese Art und Weise bieten Rollenspiele geselliges Beisammensein, kreative Beschäftigung und interessante Abwechslung vom Alltagsleben, ohne daß irgendwelche körperlichen Risiken eingegangen werden müssen. Abgesehen von ihrer erwähnten Rolle in der Entwicklungen eines Kindes (Abschnitt 1), ihrer Bedeutung für Psychologie (Abschnitt 2) und die verschiedenen Ausprägungen im Gebrauch in unserer Gesellschaft (Abschnitte 3 und 4) kann man es, je nach Form als eine Art gemeinsame Geschichtserzählung oder freies Theater (sei es nun allein auf geistiger oder auch auf physischer Ebene, wie es im Live-Rollenspiel der Fall ist) auffassen. Es ist ähnlich, als würden mehrere Personen gleichzeitig an einem kleinen, privaten Roman arbeiten - es ist nur mit mehr Spaß verbunden.
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