Adrians Lynhøgen-Solotour 30.12.2000 - 01. 01. 01
Hier geht es langsam auf den Sommer zu - es wird schon lange nicht mehr so recht dunkel, und letztes Wochenende habe ich wohl mein bis zum Herbst letztes Nordlicht gesehen. Man sieht im Wald ab und zu recht seltsame Gestalten, die mit Australierhut, T-Shirt, Skihosen und Skiern an den Füssen über das Heidekraut und die Wege stapfen. Und der Adrian läuft auch öfters in der Kombination Skier&Shorts&Rucksack durch die Gegend - und manchmal auch barfuss durch den Schnee.
Also wäre es eigentlich an der Zeit, mal wieder eine typisch-Adrian- lange Erzählung zu verfassen und endlich über meine Neujahrstour zu berichten ;-> So viel vornweg: von einer anderen Hütte lieh ich mir ein Buch aus über C.G. Armfeldts Karolinerfeldzug im Winter 1718/19 von Schweden gen Norwegen - und kann die Beschreibung, vor allem über den missglückten Rückweg just über Tydal (wo sich auch die Holmsåkoia - Ziel einer anderen KALTEN Tour - befindet), so langsam nachvollziehen...
Auf besagter mit Abstand kältesten Tour (zumindest von den gemessenen Temperaturen her) war ich nicht allein und überlasse da gern das Wort an meine Mitstreiter Conni und Andreas. Sie waren schneller als ich und verfaßten Berichte, denen ich nicht mehr viel hinzuzufügen habe. Außer vielleicht, daß ich nur 5 Wochen später in Shorts und T-Shirt auf Ski unterwegs war. Einen Monat vor der Tour jedoch war ich solo unterwegs und muss deshalb selbst erzählen.
Ich hatte nämlich keine richtige Lust auf eine Silvesterparty und vor allem nicht nochmals auf den Luxus unserer Weihnachtshytte auf Bjugn. Also habe ich mich am 30.12.allein in Richtung Lynhøgen-Koie aufgemacht, wo ich mich für 3 1/2 Tage häuslich einrichten und vor allem richtig schöne, lange (Ski-)Touren gehen wollte. Der Start allerdings sah nicht gerade nach gemütlich aus: bei -18 Grad wollte die Schaltung meines Autos auf den ersten 20 km nur bedingt - was kreuz und quer durch Trondheim besonders Spass macht. Auch das Flach- Atmen gewöhnte ich mir schnell an, trotzdem blieb die Seitenscheibe auf der ganzen Fahrt offen... Ein weiteres Problem waren die neuen Skischuhe, die mir das Bremsen erschwerten. Also nochmal Schuhe wechseln.
Die Fahrt entlang des Fjordes war allerdings grossartig - sehr schade, dass man als Fahrer eher die Strasse im Blick haben sollte (das einem eine immer wieder zufrierende Frontscheibe erschwert): wegen der Kälte dampfte der Fjord, und diese geisterhaften Nebelschwaden leuchteten im Licht der aufgehenden Sonne (es war etwa 11.30 Uhr) rosa- rötlich.Das gleiche Bild gab der Selbusjø ab - einen Monat später war er längst zugefroren...
An der "Mautbezahlungstafel" (hat wer ein gutes Wort für "bomskilt"?¹) angekommen, liess ich nach einer kurzen Überlegpause das Auto stehen. Ich hätte noch ca. 5 km weiter fahren können. Doch ich wollte nicht das Risiko eingehen, mein Auto erst im Frühling wieder abholen zu können. Ausserdem war der bisherige Weg schon recht glatt - und der nächste Kilometer führte steil bergauf... Also polarfest anziehen, das Thermometer im Rucksack obenauf legen und losmarschieren. Nach der Hälfte der Bergstrecke begannen meine Polargene zu wirken - bis auf "Super-Undertøy" und T-Shirt unter der Jacke kam der Rest wieder in den Rucksack. Dass ich meine Ski auch noch tragen musste, brachte zusätzliche Wirkung. Doch der ehrgeizige Versuch, den Berg zu Ski zu forcieren, brachte bei der Glätte nicht viel. Zu diesem Zeitpunkt zeigte das Thermometer -22 Grad, es sollten noch -28 werden. Obwohl es mir selbst absolut nicht so schien, hatte das Thermo wohl recht; auch der Atemschutz vor dem Mund war schnell von dickem Eis durchzogen und behinderte eher das Atmen. Die Alternative waren Frostblasen am Gaumen (die ich z.T bekam - wollte ja nicht ganz ersticken). Abgesehen davon war es jedoch schlicht und einfach GENIAL, durch diese eingefrorene, totenstille, eiskalte Landschaft zu laufen: die Sonne schien von einem wolkenlosen Himmel, die Bäume waren wegen der Nähe zum Selbusjø stellenweise dick bereift, auf dem Weg handtellergrosse Eiskristalle, einzelne Schneeflächen trugen einen dichten "Pelz" aus einige cm langen Eisnadeln - und die sicher 100km Fernsicht bis nach Sylene war umwerfend!! Später liessen sich sogar die Ski gebrauchen. Leider verschwand am Ende der 5 geräumten Kilometer (also gegen 14 Uhr) die Sonne schon wieder, und der schwierigere Teil begann erst noch.
Von nun an ging ich zwar immer noch auf einem breiten Weg, der aber mit etwa 30 cm pulverigstem Pulverschnee bedeckt war, der jeden kleinen Hügel zum grossen Hinderniss werden liess. Anfangs versuchte ich mich in einer Autospur, sie bot genau Platz für beide Ski. Dabei opferte ich ein in der Kälte spröde gewordenes Bindungs-Plastteil. 500m nach dem Ende dieser Spur entschied ich mich, umzukehren - und nach 20m zu einer erneuten Kehrtwendung. Aufgeben? Ich? Deswegen??
Dass die danach zu bezwingenden Bachhänge im Schnee schwierig sind, bemerkten wir (insbesondere 2) schon letzten Januar. Und damals war der Schnee fester als jetzt... Also entschied ich mich für eine Alternative: zunächst im Nachbartal entlang und dann in einem Bogen zur Hütte. Eigentlich ganz brauchbar, wie ich auf dem Rückweg feststellte. Allerdings war wohl meine Route längs des gar nicht steilen Hangs nicht so brauchbar, und aller 5 Meter blieb ich mit den Skiern oder dem Rucksack im Gebüsch hängen oder rutschte im hier noch höheren Schnee den Hang hinab. Irgendwann suchte ich mir einen dicken Baum und liess einen Ski und die Stöcke dort. Den anderen Ski nahm ich mit: länger und stabiler als ein Stock - was sich als gute Idee erweisen sollte.
Ich kreuzte den Bach und arbeitete mich an einer flacheren Stelle des
gegenüberliegenden Hangs empor, ging über ein Sumpfgebiet mit unzähligen
ca. einen halben Meter hohen Hügelchen und einem Bachmäander dazwischen,
kreuzte einige kleinere flache Täler und kam am grossen Hang des Flusses
heraus, der östlich unterhalb der Hütte vorbeifliesst. Allerdings
geschah dies nicht so schnell und einfach, wie hier geschrieben - die 40
cm Pulverschnee mal wieder... Ausserdem war es schon längst dunkel
geworden. Nur ein untergehender Halbmond verhöhnte mich ab und zu - und
ich höhnte zurück ;-> Selbst unterschätzte ich meine Geschwindigkeit
auch gnadenlos - mehr als 1 km/h dürfte es in Realität kaum gewesen
sein. Und so kam es, dass ich felsenfest der Meinung war, schon lang die
Moorfläche, an der die Hütte liegt, gekreuzt zu haben, ohne es
mitzubekommen und nun schon unterhalb zu sein. Also
suchte ich flussaufwärts den Hang ab, und jeder neue Hügel mit paar
Bäumen drauf gab mir neue Kraft, aber alles war vergebens. Einmal
leuchtete etwas zurück aus dem Gebüsch, doch dies war ein Paar grüner
Augen, einem Fuchs gehörend, der sich nicht weiter um mich scherte
(anscheinend, vielleicht wartete er ja auch nur?). Irgendwann war ich an
dem Punkt angelangt, dass ich mich einfach in den Schnee legte, den
klaren schwarzen Sternenhimmel ansah, mir meiner absoluten Einsamkeit
(der nächste Mensch war immerhin sicher schon in 6km Luftlinie zu
finden) und vor allem Winzigkeit in dieser Natur mal wieder heftig
bewusst wurde, der es egal war, ob ich existierte oder nicht. Ich war's zufrieden und freute
mich, dass ich zumindest nicht mit erfrorenen Gliedern rechnen müsste -
bis man mich findet, bin ich wenigstens schon völlig eingefroren. Und
ich wäre an einer schönen Stelle gestorben. Doch irgendwas liess mich
plötzlich wieder aufspringen (woher kam dieser akute Energieschub?!) und
wieder zum Rucksack gehen. Was natürlich am Hang entlang wiederum nicht
ganz so einfach war, zumal ich nun überall da hinaufmusste, wo ich zuvor
einfach hinabgerodelt war. Ich entschied mich endlich, nach 5 Stunden, für
den Rückweg.
Das Eingeständnis, versagt zu haben, kommt halt nicht so leicht - und
entfernungsmässig war meine Suche ja auch noch nicht lang. An
irgendeinem Baum opferte ich fast alles "schnell Verrottbare" wie Gemüse
usw. der Natur. Immerhin ganze 2kg weniger zu tragen.
Ich lief ewig - so schien es mir, ich nahm aller 50 Schritte eine Pause - eine Hochfläche entlang, Slalom um Bäume oder manchmal, selten, darüber hinweg und kam in ein Bachtal. Was gut war, denn diese führten in dieser Gegend in Richtung Weg und damit Auto. Nach einer Weile kam mir das Tal bekannt vor - oder doch nicht? Hier bin ich im Sommer schon mal entlang gelaufen - oder doch nicht? Irgendwann kam rechts eeine ca. 10-15m hohe Wand - und alle durcheinandergeworfenen Puzzleteile fielen an ihren Platz: da sind wir letzten Winter schon mal hoch; ich war ober- und nicht unterhalb der Hütte; das Auto ist 10 km entfernt, die Hütte einen. Nur dass es zur Hütte diese Wand zu erklettern gilt und der eine Kilometer nochmals durch den tiefen Schnee ging. Zum Auto sind es 300m unwegsamer Schnee und der Rest Weg... Irgendwann entschied ich mich doch dafür, endlich mal zur Hütte zu gehen statt noch weiter in der Gegend und der Nacht herumzuspazieren. Die Wand liess sich diagonal viel besser erklimmen als erwartet, und ich lief längs über die Sumpffläche. Als ich Schnee fast gar nicht mehr vorwärtskam und meine Pausen schon aller 5 - 10 Schritte einlegte, liess ich den Rucksack erstmal auf der Fläche stehen - nun wusste ich ja auf jeden Fall, wo ich, er und die Hütte sind.
Ich kämpfte mich weiter zur Hütte vor, sehr geradewegs - nun war's mir ja sonnen- (oder besser sternen-) klar! Vor Freude hätte ich beinahe einen Herzanfall bekommen, als das Licht zwischen den Bäumen tatsächlich von der Reflektion im Hüttenfenster kam - nur 7 Stunden nach meinem Start am Auto...
Das erste, was ich tat, nachdem ich durch die Tür trat, war, eine nicht allzu kleine Ladung mit Dankesworten an meinen Vorgänger loszulassen: schon beim allerersten Versuch bekomme ich Feuer im Ofen (zu meinem Glück war keine üppige Jungfrau, sondern ein junger Musikant auf der Ofenseite - ein heisser Blick war nach der Tour nicht mehr von mir zu erwarten) und der Primuskocher taut mir einen Topf voll Schnee. Über eine Tasse heissen Zuckerwassers mit "kokekaffe"(geschmack) habe ich mich lang nicht mehr so gefreut! Und langsam, gaaanz langsam, nach der zweiten Tasse spürte ich einen Teil meiner Kräfte zurückkehren.... In etwa gleichem Tempo (eher schneller) stellte sich die Müdigkeit ein. Zeit, auch noch den Rucksack und vor allem den Schlafsack und die verbliebenen Lebensmittel in die Hütte zu holen.
Die Zeit des Wunderns und Lachens begann - zum Einen darüber, was
ich am Abend vorher nicht mehr ganz nüchtern so einpackte (was wollte
ich mit u.a. 3 Lofoten-Fischsossen und 2 Bergen-Fischsuppen?) und zum Anderen
über die Auswirkungen der Minusgrade:
- die Thermoskanne brachte den halben Tascheninhalt mit:
das feuchte Taschentuch war daran festgefroren und nahm noch viele andere
Dinge mit...
- sie wollte ihren Inhalt partout nicht hergeben, ich hielt nur einen
Teil des Deckels in der Hand, der Rest musste im wahrsten Sinne des
Wortes auf dem Ofen losge-eis-t werden.
- der Inhalt, ehemals heißer Tee, kam nur noch in Form von
Eiskristallen in das Trinkgefäß...
- Geschirrspülmittel wird nicht nur zähflüssig, sondern friert völlig ein,
- Florena-Creme war noch halbwegs weich, wenn auch mit kleinen Kügelchen
drin. Doch das sollte ja einen Monat später nochmals getestet werden.
- damit die Feuerzeugflamme den Kampf mit dem Kerzendocht gewann, musste
das Feuerzeug mit der Hand vorgewärmt werden.
Das Festmahl des Abends war aber eine richtig fettige Räuchermakrele, die ich gleich mit dem Löffel aß. Sehr gut, daß ich die nicht auch der Natur opferte! Der Instant-Kartoffelmus geriet eher zur Suppe, es war wohl doch etwas viel Wasser. Sehr fade schmeckte er auch, es fehlte die Milch. Mit den Gewürzen, die ich in der Hütte fand (u.a. Knoblauchsalz und Kümmel) wurde es zumindest ein interessanter Geschmack ;-> Aber egal: "Essen!" und "Warm!", das reichte schon vollauf...
Als die erste Kerze zur Neige ging, machte ich eine neue Entdeckung: Fast jede Kerze war längs bis zum Docht hin angefressen, die Hütte also wohl schon längst von allem anderen für Mäuse Eßbaren geräumt... Doch wie lang war das schon her? Also legte ich einige Mandeln auf dem Boden aus, auf daß ihnen die Mühe zu groß erscheint, an meine auf dem Tisch liegenden Vorräte zu gelangen. Doch diese Mandeln lagen auch am dritten Tag noch da - was zwei Schlüsse zuläßt: entweder die Mäuse mochten keine Mandeln oder sie waren schon längst da, wo es Mandeln im Überschuß gibt...
So richtig schön war es aber, sich ausziehen (die Innentemperatur stieg schnell von -20 auf gemütliche +8 Grad) und im Schlafsack ausstrecken zu können. Ich rechnete zusammen und kam auf reichlich 18 kg, die ich an die 7 Stunden in der Gegend umhertrug, dazu noch zeitweise Ski plus Stöcke. Da dürfen die Rückenmuskeln sich schon mal melden... Dass sie das erst beim Hinlegen getan haben, halte ich meinem Rucksack bzw. dessen Designern sehr zugute! Ebenso dass die gerade mal einen Tag alten Skischuhe in Kombination mit Muttis (immer noch richtig guten! - musste mal gesagt werden) Stricksocken absolut keine Blasen gaben und die Füsse nur minimal wehtaten hinterher. Und dass meine Zehen immer noch angenehm warm waren!
Deshalb hackte ich auch am nächsten Tag ein ordentliches Belüftungsloch in den linken Schuh... Viel mehr als dies tat ich aber auch nicht. Eigentlich hatte ich vor, den Rest meiner Skiausrüstung zu holen und doch mal Richtung Berge aufzubrechen. Vor allem stimmte der Wetterbericht genau: es wurde wärmer (nur noch -10 Grad) und sehr starker Wind kam auf. Vom Hüttenfenster aus sah ich den Baum, an dem ich das Gemüse opferte. Ich lief nicht einmal bis dahin, um es evtl. wiederzuholen. Den ganzen Tag über blieb die Temperatur konstant auf 12 Grad, doch als ich schlafen ging, bekam der Ofen ein schlechtes Gewissen und heizte den Raum auf heisse 19 Grad hoch.
Am nächsten Tag stimmte das Wetter immer noch genau mit der Vorhersage überein, und ich entschloss mich zur Rückkehr. Denn am folgenden Tag sollte es sommerliche 3 Plusgrade und Niederschlag geben - ideale Bedingungen für Glatteis, das ich mir nicht 100 km lang antun wollte. Der Weg zurück gestaltete sich wesentlich einfacher: der Wind hatte den Schnee auf einem Grossteil der Fläche weggeweht oder so verdichtet, dass er mich meist trug. Aber an anderen Stellen versank ich recht tief, wenn ich nicht aufpasste. Ich holte den Rest meiner Ski (und wunderte mich, warum ich sie noch so weit durch die Gegend schleppte - aber da hatte ich ja noch Hoffnung gehabt und vor allem *viel* Ehrgeiz). Auf dem vor 2 Tagen noch wirklich tief verschneitem Weg hatte der Wind die Eisschicht unter dem Schnee freigelegt und ich hatte Rückenwind, der mich sogar einen der Anstiege hinauf als Lift erfreute: einfach Arme ausbreiten, der Wind war so stark, dass er mich nach oben trug...
Nunja, und zur Belohnung durfte ich mir dann am nächsten Tag einen wunderschönen Wintertag mit 3 Minusgraden, Strahlesonne und gelegentlichem Schneefall in Trondheim ansehen... Ein einziges Mal hatte der Wetterbericht nicht Recht auf der Tour!
Viel Spass mit der Hitze in Deutschland - ich fühl mich hier viieeeel wohler!!
der Adrian.
P.S. Ich verspreche es: nach meinen Prüfungen, einem wichtigen Treffen und meiner D-Fahrt kommen auch noch Bilder!
Copyright © Adrian, 2001