"Wer hier nie Extra war, der hat 'was verpaßt!" verkündet der nette Brite Robert bei einem Plausch im Foyer der Rucksacktouristen- und Residentenherberge Traveller´s Hostel. Neben uns auf dem Boden spielt die kleine Lehini aus Srilanka mit ihrem Gameboy, auf der Bank schräg gegenüber sinnieren zwei tätowierte Schotten über ihren Bierdosen und ein neuangekommener Australier mit Rastalocken sucht an der Pinwand nach Job-Angeboten. Aber die meisten der Briten, Australier und Amerikaner sitzen im TV-Raum, in dem ausnahmslos englischsprachige Programme laufen. Ab und an kommt jemand auf dem Weg zum Cola- und Bierautomaten vorbei, erkundigt sich nach unserem Gesprächsthema und steuert eigene Erlebnisse über Filmaufnahmen bei.
Das Traveller's Hostel mitten in Hongkongs Vergnügungsviertel und Touristenmekka Tsimshatsui ist eine Absteige und eine der Haupteinzugsquellen der dortigen Filmindustrie für europäische Statisten, sogenannte Extras. Nahezu jeder der Langzeitlodger kann auf eine lange Karriere als europäische Zutat in den hongkongchinesischen Kino- und Fernsehfilmen, aber auch als Model zurückblicken. Robert, 1,90, blond und mittlerweile 39 Jahre, hat seiner Meinung nach schon in viel zu vielen, meist billigen, Filmen mitgespielt. Er kann sich oder seine Körperteile nicht mehr im Fernsehen ertragen, leidet schon nahezu an Verfolgungswahn. So kommt es vor, daß er bei einer der unzähligen Werbeunterbrechungen im TV plötzlich zusammenzuckt und klagt: "Da, da ist schon wieder ein Arm von mir. Ich möchte einmal fernsehen ohne mich wiederzuerkennen!"
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Statist am TV-Set - vor dem großen Auftritt: Die Tasten des Flügels sind aufgemalt, der Pianist trägt Turnschuhe, die Leiter kommt in die nächte Ecke |
TV-Auftritte bringen weniger Geld und sind auch uninteressanter als kleine Rollen in angesehenen Kinofilmen oder sogar Kassenschlagern. Natürlich, wen wundert es, und wer stünde nicht gerne mit so bekannten Schauspielern wie Jacky Chan, Jet Lee, oder dem Komödiensuperstar Chow Sing Chi (Stephen Chiau) vor der Kamera? Die sind in Asien so bekannt wie etwa Arnold Schwarzenegger, Brad Pitt oder Jim Carey bei uns. Das könnte man sogar noch seinen Enkelkindern erzählen.
Nun gut, Robert hat keine Kinder, also erzählt er es jungen Reisenden, die daraufhin große Augen und noch größere Ohren bekommen. Besonders, wenn er von dem Kung-Fu-Epos "Once Upon A Time In China" berichtet, mit dem ehemaligen Wushu-Weltmeister Jet Lee (Li Lianje) als chinesischer Jahrhundertwendenheld Wong Fei Hong in der Hauptrolle. In den ersten beiden Teilen tummelt Robert sich als Statist herum, im dritten Teil hat er sogar eine durchaus ernstzunehmende, für die Plotentwicklung unverzichtbare Rolle als sympathischer russischer Attentäter inne. Ansonsten spielte er neben allen namhaften Schauspielern Hongkongs, meint aber wie alle altgedienten Statisten, der Job sei langweilig und bestehe nur aus Warten. Ach, ich würde sooo gerne mit Chow Sing Chi am Set warten, seufz ...
Überall Agenten
John, ein kleiner, verhutzelter, etwa 50jähriger Brite wohnt seit mehr als vier Jahren im Traveller's Hostel und verdient sich sein Brot als Agent für die renommierte Film- und Produktionsgesellschaft Golden Harvest, die u.a. auch die Jacky-Chan-Filme herausbringt. Seine Aufgabe ist es möglichst schnell, bestimmte Typen von Europäern, besser noch Europöerinnen, aufzutreiben. Und er sitzt im Traveller's Hostel direkt an der Quelle. Steht eine Produktion an, tippelt John in der ihm eigentümlichen Fortbewegungsweise erst zu allen in Frage kommenden Frauen, dann zu den Männern und schickt sie ins Castingbüro von Golden Harvest. Dort werden sie begutauchtet und falls für geeignet befunden, erhalten sie alle weiteren Informationen.
Diese Jobs werden längerfristig vergeben, die Termine verschieben sich aber auch wirklich immer, also muß man hierfür viel Zeit mitbringen. Da das Touristenvisum für Deutsche nur über einen Monat läuft, heißt das: wohl mindestens einmal über die Grenze nach Guangzhou (Canton) reisen, um bei der Rückkehr nach Hongkong das Visum verlängert zu bekommen. Also, fahrt ihr nach Hongkong und wollt zum Film, geht ins Traveller's Hostel, Chung King Mansions, 16. Stock, 40 Nathan Road, in Tsimshatsui, Kowloon und fragt bei May an der Rezeption nach John.
Wer nicht so viel Zeit hat und gerne in einer Fersehproduktion mitmachen möchte, der geht am Besten ein pahr Schritte weiter in das Garden Hostel, Mirador Mansions, 3. Stock, 50, Nathan Road und fragt den Pakistani an der Rezeption nach einem Job. Im Umgang mit ihm ist man besser ausgesucht höflich und kommt ihm nicht komisch - denn er ist nicht nur Anwerber für den Fernsehsender ATV, sondern auch Besitzer des Garden Hostels, des Traveller's Hostels sowie des dazugehörenden Reisebüros. Wen er nicht ausstehen kann, der bekommt kein Zimmer, nicht einmal ein Bett, geschweige denn einen Job.
Was ist wichtig für angehende Extras
- Smarte Kleidung, das heißt ihr dürft nicht zu abgerissen ankommen und auf keinen Fall als Langzeittraveller erkennbar sein.
- Schwarze Damen- bzw. Herrenschuhe sind unverzichtbar, denn Kleidung für Statisten gibt es in der Garderobe en masse, aber woher sollen die entsprechenden Schuhe für die großfüßigen Europäer kommen? |
- Frauen mit langen Haaren werden auf Händen getragen, habt ihr blondes langes Haar, so küssen sie euch Hände und Füße.
- Don't panic! Nur nicht die Nerven verlieren, dann habt ihr viel Spaß, auch wenn die Anweisungen auf chinesisch erteilt werden, und ihr nur englisch versteht. |
Anja Böhnke