HONGKONG BLUES

Sein "Happy Together" drehte Regisseur Wong Kar Wai in Argentinien - symptomatisch für das neue Hongkong-Kino?

Mit durchschnittlich etwa 150 Filmen im Jahr besitzt Hongkong eine der lebendigsten Filmindustrien der Welt. Das bezieht sich nicht nur auf die Menge der Filme, sondern ebenso auf deren Qualität. Mit ihrer Dynamik, Symbolträchtigkeit und ihrem Einfallsreichtum dienten sie auch als Ideenpool für Hollywood. Jetzt, nachdem Hongkong an China zurückgefallen ist, sehen viele das Ende der freien Produktion gekommen. Aus Angst vor Repressalien emigrierten etliche der Filmschaffenden. Wie sieht es nach dem Machtwechsel mit Hongkongs Kino denn nun aber wirklich aus?

"Einer der Gründe, weshalb ich nach Argentinien ging, um diesen Film zu drehen, bestand darin, daß ich es leid war, immer wieder Fragen über die Zukunft Hongkongs zu beantworten, jetzt, wo wir das Jahr 1997 erreicht haben. Ich dachte auf der anderen Seite der Welt könnte ich diesen Fragen entrinnen. Aber dann merkte ich, je mehr ich mich entfernte, desto mehr blickte ich nach Hongkong zurück. Vielleicht hat dieser Film doch etwas mit dem Jahr 1997 zu tun", erklärt Kultregisseur Wong Kar Wai.

Denn auch in der Fremde werden die beiden "Happy Together"-Protagonisten nicht glücklich, drohen sich zu verlieren und hoffen auf einen Neuanfang in ihrer Heimat. Ein Motiv, das sich verstärkt auch in anderen Produktionen kurz vor dem Machtwechsel findet, wie zum Beispiel in Peter Chans "Comrads - Almost A Love Story", in dem die Darsteller, kaum daß sie die amerikanische Green Card haben, mit dieser Rückversicherung nach Hongkong zurückkehren.

Viele Hongkong-Filmer fürchten die Zensur der kommunistischen Behörden. So stimmten auch Regisseur Wong Kar Wai und seine beiden "Happy Together"-Hauptdarsteller Tony Leung Chiu Wai und Leslie Cheung darin überein, einen Film über Homosexuelle lieber kurz vor dem Machtwechsel zu drehen, solange es noch möglich ist. Ein kluge Entscheidung, denn solche Themen mag die Regierung in Peking ganz und gar nicht. Das zeigte sich am Fall des chinesischen Regisseurs Zhang Yuan ("Beijing Bastards"). Der drehte mit seinem "East Palace, West Palace" den ersten chinesischen Film, der sich offen mit dem Thema Homosexualität auseinandersetzt. Fazit: Als Zhang Yuan im April von Hongkong in die Volksrepublik einreisen wollte, konfiszierte die chinesische Grenzpolizei seinen Paß. Angeblich steht er bis heute unter Hausarrest.

Doch anscheinend sorgen die realen Befürchtungen nicht für sonderlich viel Sand im Getriebe des Filmbiz. Schon vorher bedeutete Kino in Hongkong nicht immer nur Zuckerschlecken: Es gab (inoffizielle) Zensur, immer wieder erschwerte Drehbedingungen von Seiten der Behörden, ganz zu Schweigen von der Verquickung der Filmindustrie mit dem organisierten Verbrechen, das in ihr eine Geldwaschanlage sah. Die Triaden diktierten, welche Filme gedreht werden sollten, welche Schauspieler mitzuspielen hatten und brachten schon mal den einen oder anderen Unwilligen um.

Die Filmindustrie ist eine wichtige Geldquelle Hongkongs, und wer will sich schon selbst den Hahn abdrehen? Mega-Stars wie Jackie Chan verkünden öffentlich, daß sie keine Probleme auf sich zukommen sehen. Die Creme des Showbiz feierte ein rauschendes Fest zur Übergabe, alle demonstrieren guten Willen und hoffen das Beste. Wong Kar Wai dreht gerade Werbespots für Funktelefone und hat schon das nächste Hongkong-Kinoprojekt in Sicht. Auch die anderen Filmgrößen stecken ohne dramatische Unterbrechung mitten in ihren Projekten - Leinwandkönig Andy Lau produziert sogar einen Independent-Film.

Wie die Figuren aus "Happy Together" und "Comrads - Almost A Love Story" zieht es auch die ausgewanderten Hongkongchinesen wieder zurück. Leslie Cheung der 1992 nach Kanada emigrierte, kehrte gleich anschließend zurück, um weiter in Hongkong Filme zu drehen. Und auch Ringo Lam, der für Hollywood Maximum Risk drehte, arbeitet schon wieder in seiner Heimatstadt. Denn auch mit einen Zweitpaß in der Tasche, hoffen sie, daß es so weitergehen wird wie bisher und setzen auf Hongkong.
Anja Böhnke

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Noch zur Sache: Erstveröffentlichung September 1997, anläßlich des deutschen Kino Starts von "Happy Together". © Anja Böhnke.