16 Jahre bis zur Orgelrestaurierung

Wenn man bedenkt, daß die vorletzte Restaurierung der Stumm–Orgel in der Abteikirche Sayn erst 1954 erfolgte, mag es verwundern, daß wir 1997 schon wieder eine Restauration der historischen Orgel von 1778 erlebten. Jedoch waren bis Ende der 70er Jahre Mängel an der Orgel aufgetreten, die eine gründliche Renovierung notwendig erscheinen ließen.

Rückblickend muss man feststellen, dass die Orgel lange Zeit nicht ordentlich gepflegt worden war. Außerdem hatte die hohe Luftfeuchtigkeit in der Kirche der Orgel stark zugesetzt.  Sowohl an den Metallpfeifen als auch an den Holzpfeifen zeigte sich deutlicher Schimmelbefall. Es bestand auch die Befürchtung, daß die Metallpfeifen durch Oxydation geschädigt würden. Unbefriedigend war die Spieltraktur: Die Tasten des unteren Manuals ließen sich, wenn man mehrere Register gezogen hatte, nur mit Mühe niederdrücken. War das obere Manual ans untere gekoppelt, wurde der Kraftaufwand zum Spielen noch größer. Fremde Organisten verzichteten daher häufig ganz auf die Manualkoppel.
Der Klang etlicher Register war ganz unbefriedigend. Der Prinzipal 8‘ des Hauptwerks, der das eigentliche Fundament bilden sollte, war in der tiefen Tonlage recht schwach. Spätere Untersuchungen ergaben, daß die Pfeifenfüße der großen Prospektpfeifen im Laufe der Zeit durch das Eigengewicht der Pfeifenkörper so sehr zusammengedrückt worden waren, daß durch die engere Öffnung nicht mehr genügend Luft hindurchströmen konnte. Ungleichmäßig in der Ansprache und nicht von Stummschem Charakter war die Gambe, die in den verschiedenen Tonlagen mal mehr und mal mehr weniger streichend war. Die Posaune 16’ im Pedal ließ sich infolge mangelhafter Intonation nicht richtig stimmen. Die Mixturen waren 1954 mit einer für Stumm untypischen Repetition gebaut worden.
Trotz aller Mängel konnten sich einige Register der Orgel durchaus hören lassen, beispielsweise die Flöten oder die Prinzipale des Rückpositivs.

Eigentlich war jedem klar, daß ein vernünftiges Spielen auf diesem Instrument nur möglich war, wenn eine Beseitigung der Mängel erfolgte. Ein Orgelbauer vom Mittelrhein, der in den 70er Jahren einmal im Jahr die Orgel stimmte, meinte, mit einigen Zehntausend Mark sei die Orgel durchaus wieder in Ordnung zu bringen.

Dabei ging man zunächst von einer Kosten für die Renovierung des Instrumentes aus.
Die Frage, wer die Kosten dafür übernehmen sollte, war eindeutig aufgrund der bestehenden Rechtslage: Die Restaurierung der Orgel ist Sache des Patronatsherrn der Abteikirche zu Sayn, in diesem Fall also Sache des Landes Rheinland-Pfalz.

Ende 1980 wandte ich mich im Namen der Kirchengemeinde Sayn an das Kultusministerium Mainz mit der dringenden Bitte, die historische Orgel zu restaurieren. Nur wenige Monate später untersuchte Professor Dr. Riedel am 2.1.1981 im Auftrag des Landes Rheinland–Pfalz die Orgel. In seinem Gutachten vom 14.1.1981 steht unter anderem: "Spielmechanik: besonders im Hauptwerk ungleichmäßig, klapperig und schwer gängig; Im Pedal starke Quietschgeräusche; Holzpfeifen großenteils original ... zahlreiche Pfeifen vom Schimmel befallen; Metallpfeifen großenteils original und in gutem Zustand, aber zum Teil oxydiert". Prof. Dr. Riedel kam unter anderem zur Feststellung, daß das Orgelwerk "durch die hohe Feuchtigkeit in der Kirche in seiner Funktion beeinträchtigt sowie in seinem Bestand gefährdet" sei. Eine Restaurierung mußte erfolgen, wollte man das Instrument nicht völlig dem Verfall preisgeben. Daß es dabei nicht nur um eine bloße Beseitigung der Mängel gehen sollte, deutete Prof. Dr. Riedel in seinem Gutachten an. Er spricht darin von der "Rückführung auf die originale Baukonzeption, d.h. Wiedereinbau des Positivs in das Hauptgehäuse, sowohl aus stilistischen wie aus technischen Gründen."

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An dieser Stelle muß zum besseren Verständnis ein kleiner Rückblick auf die Baugeschichte der Orgel eingefügt werden:
1887 hatte man, um dem (Männer-) Chor mehr Platz auf der Orgelbühne zu verschaffen, die Empore etwa 4 Meter nach vorne gebaut. Folglich stand die ehemalige Brüstungsorgel jetzt mitten auf der Orgelempore. Zum Schutz vor unachtsamen Emporenbesuchern befestigte man einen Drahtzaun (Hasendraht) vor den Pfeifen des Unterpositivs. Außerdem stellte man einen Teil der barocken Emporenteile ebenfalls zum Schutz seitlich vor das Unterpositiv.

1954 wurde dieser unhaltbare Zustand beseitigt. Johannes Klais mußte allerdings auf die Forderungen des Kirchenchores nach ausreichendem Platz für die Sänger eingehen und setzte das Unterpositiv als Rückpositiv in die Emporenbrüstung hinein. Gleichzeitig wurde die Spielanlage völlig verändert, indem ein zentraler Spieltisch vor das erhöht stehende Hauptwerkgehäuse gebaut wurde. Dieser Spieltisch wurde auf ausdrücklichen Wunsch des Organisten mit Blickrichtung Alter aufgestellt, mit dem Argument, bei der Länge der Kirche sei es für den Organisten untragbar, bei den (damals noch zahlreichen) Choralämtern gegen das Gehäuse der Orgel zu singen.
Nun standen Hauptwerk und (Rück-) Positiv 4 Meter auseinander. Das Pedalwerk erhielt eine neue Windlade mit 7 Registern (vorher 3) und wurde von 15 auf 30 Töne erweitert.

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Die Erwartung, daß man sehr bald daran gehen würde, die erforderliche Restaurierung durchzuführen, wich der Einsicht, daß es zunächst sinnvoll war, erst eine Sanierung der Kirche mit Maßnahmen zur Reduzierung der Feuchtigkeit vorzunehmen, bevor man mit der Restaurierung der Orgel begann.

Anfang der 80er Jahre nahmen die Ausfälle der Orgel zu: Die alte Ölheizung in der Kirche versagte etliche Male, so daß die Temperatur im Winter beim Gottesdienst manchmal bei nur 3°C lag. Wenn die Heizung in Ordnung war und die Kirche zum Gottesdienst auf 13°C aufheizte, war die Funktionstüchtigkeit der Orgel nicht mehr gewährleistet: durch die Temperaturveränderung hatten sich einige Abstrakte (Nylon-Seilzüge), die zum Hauptwerk führten, so gespannt, daß Heuler entstanden. War die Seilspannung mittels der Stellschrauben nachreguliert, trat in der warmen Jahreszeit der umgekehrte Effekt ein: trotz niedergedrückter Taste blieben die Seile schlaff und es erklang kein Ton. Mit dem Einbau der neuen Gasheizung, die wie bisher die Warmluft durch die alten Schächte in die Kirche blies, änderte sich nichts. Zwar gab es keine Heizungsausfälle mehr, aber die Temperaturunterschiede blieben.

Sehr störend war, daß die Windanlage, genauer der Magazinbalg, undicht wurde. An den Ecken klafften faustgroße Löcher, wodurch beim Spielen mit vielen Registern der nötige Wind fehlte und die Tonhöhe deutlich absackte. Ein provisorisches Zustopfen der Löcher brachte etwas Abhilfe. In der Kirche war der geringe Winddruck hörbar. Man konnte, wenn man durch die Kirche ging, von einem Joch zum anderen eine deutliche Abnahme der Klangstärke verzeichnen. Am Altar war die Orgel selbst  im Plenumklang nur sehr abgeschwächt wahrnehmbar. Ursache dafür war auch der insgesamt niedrige Winddruck, den man 1954 festgelegt hatte.

Im September 1985 kam Prof. Dr. Eppelsheim aus München, ein Stumm–Orgel–Spezialist, nach Sayn. Er bekräftigte das, was Prof. Dr. Riedel 4 Jahre zuvor geäußert hatte: Die Orgel sollte wieder in die Brüstung eingebaut werden, die Spielanlage, wie von den Gebrüdern Stumm gebaut, an der Seite sein. Prof. Dr. Eppelsheim meinte, bei dieser Maßnahme müßte der Pedalumfang reduziert werden. Anstatt der bisher 30 Töne nur noch 15 Töne (C bis d), so wie 1778. Die Verwirklichung dieses radikalen Einschnitts im Pedal hätte bedeutet, daß die Spielbarkeit des größten Teils der Orgelliteratur unmöglich wurde.

Die geplante Wiederherstellung der Orgel als Brüstungsorgel konnte zukünftig nicht ohne Folgen für den Chor sein. Bisher stand der Chor zwischen dem Hauptwerk und dem Rückpositiv. Sogar für eine kleine Instrumentalgruppe war auf der Empore ausreichend Platz. Das würde sich nun natürlich ändern, weil höchstens 30 Sänger neben der Orgel auf der Empore stehen konnten. Im Chor wurden die geplanten Veränderungen nicht positiv aufgenommen. Immer wieder hörte man, für den Chor müßte genügend Platz auf der Orgelempore geschaffen werden, um mit der Orgel musizieren zu können.

Deshalb wurden verschiedene Vorschläge gemacht, das Problem zu lösen: Das große Hauptwerksgehäuse sollte so wie bisher in der Emporenmitte stehen bleiben und das Rückpositiv wieder unter das Hauptwerk eingebaut werden. Wenn man außerdem die Orgel möglichst hoch über der Empore aufbocken würde, dann könnte auch verhindert werden, daß jemand aus Versehen die Pfeifen des Unterwerks beschädigte. Diese Überlegungen spielten auch 8 Jahre später bei einer Ortsbesichtigung mit den Herren Flöck und Metz vom Staatshochbauamt, den Orgelbauern Klais und Dr. Theobald und den Mitgliedern des Verwaltungsrates und des Förderkreises der Abtei Sayn eine Rolle.

1988 begann man in der Kirche mit ersten Grabungsarbeiten, die Vorarbeiten zur Sanierung, und als am 10.6.1990 die Orgel im Sonntagsgottesdienst erklang, war man fest davon überzeugt, sie zum letzten Mal vor der Restaurierung gehört zu haben. Um die Orgel vor Staub zu schützen wurde nämlich eine Holzschutzwand in den Gurtbogen gebaut. (Allerdings beseitigte man diesen Schutz wieder Anfang November 1991, als der Förderkreis sein 10-jähriges Jubiläum feierte. Nun war auch die Orgel wieder spielbar.)

1991 erstellte Prof. Dr. Riedel im Auftrag des Landes die erforderlichen Ausschreibungsunterlagen für die Orgelrestaurierung. Mitte 1991 wurde die Orgel von drei Orgelbauwerkstätten eingehend untersucht. Am 21. Mai 1991 trafen auch Prof. Dr. Eppelsheim mit den Herren Klais und Dr. Theobald in Sayn ein. Zum ersten Mal wurde jetzt angedeutet, daß nach der Restaurierung die Tonhöhe der Orgel ein ganzes Stück tiefer sein würde. Das bedeutete , daß es Schwierigkeiten beim Zusammenspielen mit anderen Instrumenten geben würde.

Alle Orgelbauer dachten zunächst daran, die Orgel nach vorne in die Brüstung und damit unter den Gurtbogen zu stellen. Genauere Messungen von Herrn Klais ergaben aber wenig später, daß es wegen der geringen Höhe des Gurtbogens Probleme mit der Gehäusehöhe geben würde.

Am 22. Januar 1992 kam es zu einer wichtigen Besprechung in Sayn, an der Pastor Madauß, Herr Krings vom Staatshochbauamt, Prof. Dr. Riedel, ich selbst als Organist und die Orgelbauer von zwei Orgelbauwerkstätten teilnahmen, um noch offene Fragen zu klären. Über die Stimmung der historischen Orgel wurden nur Mutmaßungen geäußert, da noch keine genaueren Untersuchungen vorgenommen worden waren. Erfreulich war, daß man das Pedal, das keine originale Substanz besitzt, sondern 1954 gebaut wurde, nicht auf den Zustand von 1778 zurückführen wollte. Als problematisch wurde der Heizungsschacht genau unter der Brüstung angesehen. Messungen hatten Unterschiede von 2–3 Grad zwischen der Temperatur an der Brüstung vorne und auf der Emporenmitte ergeben. Man meinte sogar, daß eventuell der fragliche Heizungsschacht stillgelegt werden sollte, um Schäden an der Windlade zu vermeiden.

Das weitere Vorgehen war klar: erst wenn Gelder für den Innenanstrich der Kirche zur Verfügung stehen würden, sollte die Orgel abgebaut werden. Die Befürchtung, daß die Haushaltssituation des Landes zu einer zeitlichen Verzögerung führen könnte, war nicht nur in der Pfarrgemeinde, sondern auch bei den Orgelbauern verbreitet.

Am 18.10.1993 erhielt die Orgelbauwerkstatt Klais aus Bonn den Auftrag, die Orgel abzubauen. Ende November wurde dies innerhalb von 2 Wochen ausgeführt.  Mitte Dezember erhielt die Kirchengemeinde von Orgelbau Klais eine Interimsorgel mit 4 Registern und angehängtem Pedal, eine weitaus angenehmere und klangschönere Lösung als die elektronische "Orgel", die 1990/91 in der Kirche stand.

Darüber, wann die Orgel fertig sein würde, wurden die unterschiedlichsten Vermutungen geäußert. Die Optimisten hofften 1994, die Vorsichtigen 1996.

Eine böse Überraschung gab es im Dezember 1993: Bei einer Untersuchung von Rissen in einem Wandpfeiler an der Empore, stellte sich heraus, daß der Eisenträger unter der Emporenbrüstung so wenig gesichert war, daß er all die Jahre mitsamt der Orgel hätte abstürzen können. In letzter Konsequenz wurde Anfang 1994 der vordere Emporenteil bis zum alten Querbalken abgetragen. Damit reduzierte man die Empore nach 100 Jahren wieder auf die Größe von 1778. Angesichts dieser Maßnahme wurden vor allem im Kirchenchor pessimistische Prognosen über das weitere Bestehen des Chores geäußert. Zweifellos veränderte der Emporenrückbau die Situation für den Chor radikal. Aber dennoch sind Möglichkeiten des Musizierens mit der großen Orgel denkbar.

Die wesentlichen Restaurierungsarbeiten wurden hauptsächlich 1996 getätigt. Es war faszinierend mitzuerleben, wie sich bei fortschreitender Restaurierung eins zum anderen fügte, wie vergleichende Analysen mit anderen, weitgehend zeitgleichen Stumm–Orgeln erstaunliche Übereinstimmungen aufdeckten und wie neue Überlegungen und Erkenntnisse die Restaurierungsmaßnahmen begleiteten.

Daß es auch eine kuriose schöne Überraschung gab, dafür sorgte Pastor Madauß Anfang September 1996 mit dem Hinweis auf eine alte Orgelbank, die sich in einem Nebenraum bei der Sakristei befand. Von Dr. Theobald wurde sie zweifelsfrei als die alte Stummsche Orgelbank identifiziert.

Die festliche Orgelweihe der Stumm–Orgel wurde am 19. Januar 1997 gefeiert. Leider war der Förderkreis der Abtei Sayn, der sein 15 jähriges Jubiläum unbedingt mit der Orgelweihe verbinden wollte, nicht davon abzubringen, in dieser ungünstigen Jahrszeit zu feiern. So kam es zum schlimmstmöglichen Fall: Aufgrund der eisigen Kälte war die Kirche nur 8°C geheizt. Weitaus bedauerlicher war, daß die Intonation unter Zeitdruck ausgeführt werden mußte und zu diesem Zeitpunt noch nicht ganz abgeschlossen war.

Im Jahr 1997 wurde wiederholt an der Orgel gearbeitet,insbesondere die Intonation verbessert, u.a. die Stärke der Posaune zweimal reduziert, so daß wir jetzt ein hervorragend klingendes Instrument besitzen.

Viele mögen es bedauert haben, daß es vom ersten Gutachten bis zur Verwirklichung der Restauration 16 Jahre dauerte. Rückblickend sollte man sich jedoch über die späte Durchführung der Arbeiten nicht beklagen. Denn im historischen Orgelbau gab es gerade in den letzten Jahren interessante und wichtige Erkenntnisse, die unserer Stumm–Orgel zugute kamen, vor allem dank des Engagements der Orgelsachverständigen und der Orgelbauer bei Orgelbau Klais.
Ohne die großen finanziellen Leistungen des Landes Rheinland–Pfalz und die intensiven Bemühungen durch die zuständigen Mitarbeiter beim Staatshochbauamt Koblenz wäre die Restauration nicht möglich gewesen. Daß auch der Förderkreis einen Beitrag geleistet hat, davon zeugen unter anderem 3 Pedalregister, die nach Stummschen Vorbildern rekonstruiert wurden und jetzt auf der  Windlade von 1954 stehen.

Nun erklingt die alte Orgel mit ihren ausdrucksstarken, charakteristischen Registern wieder an der Stelle, an der sie die Gebrüder Stumm im Jahr 1778 aufgebaut hatten.

Mögen zahlreiche Zuhörer im Gottesdienst oder im Konzert den Klang dieser Orgel erleben!

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