Wehmut


Englandfähre - endgültig abgelegt
Die "Admiral of Scandinavia": Sie war eine Institution des Hafens. Linie Hamburg-Harwich-Hamburg ist nun Vergangenheit.

Von Therese Ulrich

Stürmisch soll sie werden, die Überfahrt: Orkanböen mit mehr als 100 Kilometern in der Stunde fegen über den Hamburger Hafen und über den England-Terminal, wo die "Admiral of Scandinavia" gerade startklar gemacht wird. Geplante Abfahrtszeit: Dienstag, 26. Februar, 17 Uhr.

Kapitän Günter Kullack steht auf der Brücke. Stürme hat er schon viele gemeistert in über 30 Jahren Hamburg-Harwich-Hamburg. Aber dass er jetzt zum letzten Mal auf dieser Route unterwegs sein wird, stimmt ihn wehmütig. Die Elbe als Revier, die wird ihm fehlen. Die letzten Passagiere trudeln ein. Alle 535 Fahrgäste an Bord, Günter Kullack späht prüfend über die Elbe: "Dahinten siehts aber grau aus".


Mehr Passagiere als sonst um diese Jahreszeit sind auf der letzten Elbfahrt an Bord.

Die Leinen werden eingeholt, der Kapitän gibt das Signal zur Abfahrt, das Typhon, die Schiffssirene, gellt über Altona. Regen peitscht gegen die Fenster der Brücke, zwei Decks tiefer sitzt Peter Wohlers, Schiffbaumeister im Ruhestand, auf einem der rot gepolsterten Sessel der Columbus-Bar am Fenster und blickt auf das Unwetter. "Sie können mich nennen, wie Sie wollen, aber ich bin sentimental, auf dieser Fahrt wollte ich unbedingt mit dabei sein."

Noch hat die Reise nicht begonnen, da kommt die "Admiral of Scandinavia" in Schwierigkeiten beim Wendemanöver, so stark bläst ihr der Wind entgegen. "Anker fieren", so das Kommando, denn aus eigener Kraft kann das Schiff nicht drehen. "Herr Kullack macht das schon", sagt Peter Wohlers. Die beiden kennen sich. Auch am 31. Mai 1969 waren beide mit an Bord der "Prinz Hamlet": Kullack als 2. Offizier, Wohlers als Gast der Reederei, und das hatte berufliche Gründe: "Ich arbeitete damals als Schiffsbauingenieur bei Blohm + Voss und war zuständig für die Umrüstung der "Prins Hamlet" von schwedischer auf deutsche Flagge. Aus ,Prins' wurde "Prinz", und auf der ersten Fahrt Richtung Harwich war Wohlers mit an Bord. "Damals war die Nordsee spiegelglatt", erinnert sich der 66-Jährige.

Anders als an diesem Tag. Ein Schlepper wird herbeibeordert, um die Fähre beim Wenden zu unterstützen. "Am Anker drehen im Hamburger Hafen, das habe ich noch nie gemacht", wundert sich der Kapitän. Die Laien an Bord haben von dem ungewöhnlichen Manöver nichts mitbekommen. Sie sind dabei, die neun Decks der "Admiral of Scandinavia" zu erkunden. Für Abwechslung ist gesorgt: Restaurants und Bars, Shows und Livemusik. Mehr Passagiere als sonst um diese Jahreszeit sind mit an Bord. Vielleicht deshalb, so vermutet der Kapitän, weil so mancher Fahrgast diese Tour noch einmal machen möchte.

Vielleicht sind einige unter ihnen, die sich noch an die Anfangsjahre der Fährverbindung erinnern: an die bunt gewürfelte Gesellschaft an Bord, vom Geschäftsmann bis zum Hippie, an die Schüler und Studenten, die sich keinen Schlafplatz an Bord leisten wollten und ihr Geld lieber in der Cafeteria in lauwarmen Würstchen und schlappen Pommes Frites mit scheußlicher Mayonnaise anlegten. Der Trick der erfahrenen England-Fahrer: Rechtzeitiges Kommen sicherte einen Schlafplatz auf einer der Cafeteria-Bänke. Darauf schlief es sich nicht schlechter als auf den harten Pullmannliegen - immer vier in einer Kabine - oder den unbequemen Schlafsesseln auf dem Oberdeck, in denen jeder Traum zum Albtraum wurde. Einen weiteren Vorteil hatte der spartanische Schlafplatz bei Sturm: Der Weg an die Reling war kurz, die frische Luft unbezahlbar.


Die Elbe hat für den ehemaligen Schiffbaumeister Peter Wohlers immer noch ein besonderes Flair.

Peter Wohlers ist die Route "Hamburg-Harwich-Hamburg" oft genug gefahren: Ab 1973 war er als Inspektor im Dienst der HADAG unterwegs. Seine Aufgabe: die "Prinz Hamlet" zu überprüfen. Bei über 30 Fahrten war er dabei, immer im Dienst, immer ab Hamburg. Und die Elbe hat für ihn immer noch ein ganz besonderes Flair: Blankenese mit seinen wie hingewürfelt wirkenden Häusern, das Schulauer Fährhaus mit der Begrüßungsanlage.

Für den Kapitän ist die Elbe auch Herausforderung: eines der meistbefahrenen Verkehrsgebiete. Gegen 18 Uhr ist es dunkel geworden. Oben auf der Brücke, wo der Kapitän und seine Kollegen konzentriert bei der Arbeit sind, schimmern die Bildschirme der Radargeräte grünlich im Dämmerlicht. Die "Admiral of Scandinavia" fährt mit gedrosselter Geschwindigkeit. Etwa 15 Knoten, das sind 28 Kilometer in der Stunde. Abwarten ist angesagt, bis sich das Wetter auf der Nordsee beruhigt hat. Gegen 23 Uhr ist die Elbmündung erreicht, eineinhalb Stunden später als sonst. Windstärke 9, Kapitän Kullack findet das "erträglich".

Wer jetzt allerdings nicht seefest ist, der kann den zahlreichen Unterhaltungsangeboten an Bord nichts mehr abgewinnen, er wird die Reise unter Deck erleiden. In zwei Tagen, nachdem die "Admiral of Scandinavia" wieder in Harwich abgelegt hat, wird es zum letzten Mal heißen: "Willkommen in Hamburg." Zum letzten Mal wird dann die Hymne aus den Lautsprechern am Schulauer Fährhaus tönen: "Stadt Hamburg an der Elbe Auen. . ."

Eines weiß Peter Wohlers schon jetzt: Von Cuxhaven aus will er nicht mehr nach Harwich reisen. Kapitän Kullack sieht die geänderte Route etwas entspannter. Wirtschaftlich und zeitlich, so meint der erfahrene Nautiker, sei es für die Reederei natürlich eine Verbesserung. Immerhin drei Stunden werden eingespart, und die Ankunftszeit in Cuxhaven wird vor zehn Uhr sein. Aber die Elbe mit ihren sechs Stunden Revier-Fahrzeit, die wird der Kapitän vermissen.

Pro Saison rund 100 000 Fahrgäste

Am 31. Mai 1969 legte mit der "Prinz Hamlet" die erste Fähre von dem Anleger an den St.-Pauli-Landungsbrücken nach Harwich ab. 350 Passagiere hatten die Überfahrt gebucht, 50 Autos fuhren unter Deck mit. Für die 380 Seemeilen nach Harwich brauchte die Fähre rund 21 Stunden.

1991 wurde die Abfahrt von den Landungsbrücken an das neue Kreuzfahrtterminal an der Van-der-Smissen-Straße verlegt: Nach etlichen Nachfolgern der "Prinz Hamlet" übernahm 2001 die "Prince of Scandinavia" als letzte Fähre den Dienst zwischen Hamburg und Harwich. Pro Saison waren zuletzt rund 100 000 Passagiere befördert worden. Zu wenig. Am 2. März wird die Fähre deshalb von Cuxhaven aus starten. Die Reederei DFDS Seaways erhofft sich von dem Standort ein größeres Einzugsgebiet und damit wieder mehr Passagiere.

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