Die beiden Hauptsitze der angeblich modernen Kultur sind Paris und Moskau. Die aus Paris
hervorgegangenen Moderichtungen, bei deren Ausarbeitung die Franzosen keine Mehrheit haben,
beeinflussen Europa, Amerika und die anderen entwickelten Länder der kapitalistischen Zone wie
z.B. Japan. Die verwaltungsmäßig von Moskau aufgezwungenen Moderichtungen beeinflussen alle
Arbeiterstaaten und wirken in einem schwachen Maß auf Paris und dessen europäische Einflußzone
zurück. Moskaus Einfluß hat einen direkt politischen Ursprung. Um den immer noch
aufrechterhaltenen, traditionellen Pariser Einfluß zu verstehen, muß man den in der beruflichen
Konzentration gewonnenen Vorsprung berücksichtigen. Da das bürgerliche Denken sich in der systematischen Konfusion verloren hat und das marxistische Denken in den Arbeiterstaaten tiefgreifend verfälscht wurde, herrscht sowohl im Osten als auch im Westen der Konservatismus - vor allem auf dem Gebiet der Kultur und der Lebensweise. Er stellt sich in Moskau zur Schau, indem er das Benehmen übernimmt, das für das Kleinbürgertum des 19. Jahrhunderts typisch war. In Paris verkleidet er sich als Anarchismus, Zynismus oder Humor. Obwohl die beiden herrschenden Kulturen grundsätzlich unfähig sind, sich die wirklichen Probleme unserer Zeit anzueignen, kann man doch sagen, daß das Experiment im Westen weiter geführt wurde und daß die Moskauer Zone auf diesem Produktionsgebiet als eine unterentwickelte Region erscheint. In der bürgerlichen Zone, in der insgesamt eine scheinbare interllektuelle Freiheit geduldet worden ist, fördern die Kenntnis der Ideen Geschichte oder die konfuse Einsicht in die vielfachen Umweltumgestaltungen das Bewußtwerden einer laufenden Umwälzung, deren Triebfedern unkontrollierbar sind. Die herrschende Sensibilität versucht, sich anzupassen, indem sie gleichzeitig neue Veränderungen verhindert, die ihr in letzter Konsequenz schädlich sein müssen. Die gleichzeitig durch die rückschrittlichen Strömungen vorgeschlagenen Lösungen laufen zwangsläufig auf folgende drei Haltungen hinaus: die Ausdehnung der Moderichtungen, die durch die dadaistisch- surrealistische Krise eingeführt wurden (die nichts anderes ist als der ausgearbeitete kulturelle Ausdruck einer Geistesverfassung, die überall spontan entsteht, wenn nach den vergangenen Lebensweisen auch der bis dahin angenommene Lebenssinn zusammenbricht) die Einrichtung in den geistigen Ruinen und schließlich die Rückkehr nach weiter zurück. Was die anhaltenden Moderichtungen betrifft, so trifft man eine verwässerte Form des Surrealismus überall an. Sie enthält alle Geschmacksrichtungen der surrealistischen Epoche, aber keine ihrer Ideen, Die Wiederholung macht ihre Ästhetik aus. In diesem senil-okkultistischen Stadium sind die Überbleibsel der orthodoxen surrealistischen Bewegung genauso unfähig, eine ideologische Position zu halten wie irgend etwas zu erfinden: sie bürgen für immer vulgärere Quacksalberei und bitten sogar um mehr. Sich in der Nichtigkeit bequem einzurichten, ist die kulturelle Lösung, die sich in den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg am stärksten verbreitet hat. Dabei bleibt die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten offen, die zur Genüge veranschaulicht wurden: entweder die Verheimlichung des Nichts mittels einer geeigneten Terminologie oder seine ungenierte Behauptung. Die erste Wahl ist vor allem seit der existentialistischen Literatur berühmt geworden, die unter dem Deckmantel einer Philosophie auf Pump die mittelmäßigsten Aspekte der kulturellen Entwicklung der dreißig vorausgegangenen Jahre reproduzierte und durch Verfälschungen des Marxismus oder der Psychoanalyse oder sogar durch blindlings wiederholte politische Engagements und Rücktritte ihr Interesse von werbungsmäßiger Herkunft aufrechterhielt. Diese Verfahren haben sehr viele Mitläufer gehabt, ob sie sich nun zur Schau gestellt oder versteckt gehandelt haben. Die immer noch bestehenden abstrakten Maler sowie die Theoretiker, die sie definieren, stellen eine Tatsache ähnlicher Art und vergleichbaren Umfangs dar. Die fröhliche Behauptung einer vollkommenen geistigen Nichtigkeit kennzeichnet das Phänomen, das in der neuzeitlichen Neo-Literatur als "Zynismus der jungen Romanciers der Rechten" bezeichnet wird. Er erstreckt sich jedoch weit über die Rechte und ihre Leute, die Romanciers oder ihre Halbjugend hinaus. Unter den Tendenzen, die eine Rückkehr zur Vergangenheit verlangen, tut sich die Lehre des sozialistischen Realismus am dreistesten hervor, da sie mit ihrer Behauptung, sich auf die Folgerungen einer revolutionären Bewegung zu stützen, auf dem Gebiet der kulturellen Schöpfung eine nicht zu verteidigende Position verfechten kann. 1948 legte Andrei Schdanov auf der Konferenz der Sowjetischen Musiker das dar, was bei seiner theoretischen Repression auf dem Spiel stand: "Haben wir richtig gehandelt, als wir die Schätze der klassischen Malerei erhalten und diejenigen aus dem Feld geschlagen haben, die die Malerei liquidieren wollten? Hätte nicht das Fortleben solcher "Schulen" die Liquidierung der Malerei bedeutet? " Gegenüber dieser Liquidierung der Malerei, sowie vielen sonstigen Liquidierungen, stellt die entwickelte Bourgeoisie den Zusammenbruch all ihrer Wert Systeme fest und setzt aus einer Reaktion der Verzweiflung und des politischen Opportunismus auf die vollständige ideologische Auflösung. Im Gegensatz dazu findet sich Schdanov - mit dem für den Emporkömmling charakteristischen Geschmack - in dem Kleinbürger wieder, der gegen die Auflösung der kulturellen Werte des vergangenen Jahrhunderts ist, und will nichts anderes versuchen als die autoritäre Wiederherstellung dieser Werte. Er ist idealistisch genug zu glauben, vorübergehende und lokalisierte politische Umstände könnten es einem ermöglichen, die allgemeinen Probleme einer Epoche wegzuzaubern, wenn man sich dazu zwingt, die überholten Probleme noch einmal zu überdenken, nachdem man hypothetisch alle Schlußfolgerungen ausgeschlossen hat, die die Geschichte zu ihrer Zeit aus diesen Problemen gezogen hat. Die herkömmliche Propaganda der religiösen Organisation und besonders der katholischen Kirche steht diesem sozialistischen Realismus in ihrer: Form und einigen Aspekten ihres Inhalts nah. Durch eine unveränderliche Propaganda verteidigt der Katholizismus eine gesamte ideologische Struktur, die er als einzige unter den Mächten der Vergangenheit immer noch besitzt. Um sich aber wieder der immer zahlreicheren Sektoren zu bemächtigen, die sich ihrem Einfluß entziehen, treibt die katholische Kirche gleich laufend mit ihrer traditionellen Propaganda die Beschlagnahme der modernen Formen der Kultur weiter - vor allem bei denen, die der theoretisch komplizierten Nichtigkeit zugehören, wie z. B die sogenannte "informelle" Malerei. Die katholischen Reaktionäre haben im Vergleich mit den anderen bürgerlichen Tendenzen eigentlich den Vorteil, in dem Fach, in dem sie sich auszeichnen, um so leichter und fröhlicher bis zum Äußersten gehen zu können, da sie mit Sicherheit über eine Hierarchie permanenter Werte verfügen. Das gegenwärtige Ergebnis der Krise der modernen Kultur ist die ideologische Auflösung. Nichts Neues kann auf diesen Trümmern mehr aufgebaut werden und die bloße Ausübung des kritischen Geistes wird unmöglich, da jedes Urteil gegen die anderen stößt und jeder sich auf Überreste aus nicht mehr benutzten Gesamtsystemen oder persönliche Gefühlsimperative bezieht: Die Auflösung ist überall vorgedrungen. Es ist schon nicht mehr so, daß ein massiver Einsatz der kommerziellen Werbung einen immer größeren Einfluß auf die Urteile über die kulturellen Schöpfungen ausübt - das war ein altes Verfahren. Jetzt ist man zu einem Punkt des Mangels an Ideologie gelangt, an dem nur die tätige Werbung wirkt, ausschließlich jeden vorherigen kritischen Urteils, aber nicht ohne einen bedingten Reflex des kritischen Urteils nach sich zu ziehen. Das komplizierte Zusammenspiel der Verkaufstechniken führt dazu, automatisch und zur allgemeinen Überraschung der Professionellen, Pseudothemen der kulturellen Diskussion hervorzubringen. Das macht die soziologische Bedeutung des Sagan-Drouet-Phänomes aus, ein Experiment, das in den drei letzten Jahren in Frankreich durchgeführt wurde und dessen Widerhall sogar die Grenze der auf Paris gerichteten Kultur Zone überschritten - haben soll, indem es in den Arbeiterstaaten Interesse erweckte. Die dem Sagan-Drouet-Phänomen gegenüber gestellten professionellen Kulturkritiker bekommen das unvoraussehbare Resultat von Mechanismen zu spüren, die ihnen entgehen, und erklären es im allgemeinen mit der Zirkusreklame. Aus Berufsgründen aber müssen sie sich durch Phantomkritiken von diesen Phantomwerken absetzen (ein Werk, dessen Interesse sich nicht erklären läßt, stellt übrigens für die konfusionistische bürgerliche Kritik das reichhaltigste Thema dar). Notwendigerweise bleibt ihnen die Tatsache unbewußt, daß die geistigen Mechanismen der Kritik ihnen schon lange entgangen waren, bevor äußere Mechanismen zur Ausnutzung dieser Leere erschienen. Sie verwahren sich dagegen, in Sagan-Drouet die lächerliche Kehrseite der Verwandlung der Ausdrucksmittel in ein Wirkungsmittel auf das alltägliche Leben zu erkennen. Dieser Aufhebungsprozeß hat das Leben des Autors immer wichtiger gemacht im Verhältnis zu seinem Werk. Als dann die Periode der wichtigen Aussagen ihre höchste Reduzierung erreicht hatte, ist als einzige Bedeutungsmöglichkeit die Person des Autors übriggeblieben, der gerade nichts anderes Nennenswertes als sein Alter, ein modisches Laster, einen früheren pittoresken Beruf usw. vorweisen konnte. Die jetzt zum Kampf gegen die ideologische Auflösung zu vereinigende Opposition darf übrigens nicht bestrebt sein, die Possen zu kritisieren, die in den verurteilten Formen wie z.B. der Lyrik oder dem Roman zum Vorschein kommen. Wir müssen die Aktivitäten kritisieren, die für die Zukunft wichtig sind, diejenigen, die wir benutzen wollen. Die Art und Weise, wie die funktionalistische Theorie in der Architektur auf die rückschrittlichsten Auffassungen über die Gesellschaft und die Moral gegründet ist, ist ein schlimmes Zeichen für die gegenwärtige ideologische Auflösung. Das heißt, daß eine überaus rückständige Vorstellung des Lebens und seines Rahmens in partielle und vorübergehend gültige Beiträge vom ersten Bauhaus oder von der Schule Le Corbusiers ein geschmuggelt wird. Seit 1956 deutet jedoch alles darauf hin daß wir eine neue Entwicklungsstufe des Kampfes betreten und daß der Druck der revolutionären Kräfte, die an allen Fronten auf die trostlosesten Hindernisse stoßen, doch damit beginnt, die Verhältnisse der vorherigen Periode zu verändern. Gleichzeitig kann man zusehen, wie der sozialistische Realismus in den Ländern des anti-kapitalistischen Lagers zusammen mit der stalinistischen Reaktion, die ihn hervor Gebracht hatte, anfängt zurückzuweichen wie die Sagan-Drouet-Kultur eine vermutlich unüberschreitbare Stufe der bürgerlichen Dekadenz kennzeichnet; wie man sich schließlich im Westen des Ausverkaufs der kulturellen Hilfsmittel relativ bewußt wird, die seit dem Ende des zweiten Weltkrieges benutzt worden sind. Die avantgardistische Minderheit kann also wieder zu einem positiven Wert finden.
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