Die Rolle der minoritären Tendenzen während des Rücklauf.

Der Rücklauf der revolutionären Bewegung auf Welt ebene, der einige Jahre nach 1920 sichtbar geworden ist und bis in die Jahre kurz vor 1950 immer ausgeprägter wird, folgt mit einem Zeit abstand von fünf oder sechs Jahren dem Rücklauf der Bewegungen, die versucht haben, emanzipatorische Neuheiten in der Kultur und im alltäglichen Leben zu behaupten Die ideologische und materielle Bedeutung solcher Bewegungen nimmt bis zum Punkt der total en Isoliertheit innerhalb der Gesellschaft ununterbrochen ab. Ihre Wirkung, die unter günstigeren Bedingungen eine plötzliche Erneuerung der Gefühlsstimmung erzeugen kann, wird immer schwächer, bis es den konservativen Tendenzen gelingt, ihr jedes direkte Eingreifen in das gefälschte Spiel der offiziellen Kultur zu verbieten. Indem diese Bewegungen von ihrer Rolle in der Produktion neuer Werte ausgeschlossen werden, kommen sie allmählich dahin, eine Reservearmee der geistigen Arbeit zu bilden, aus der die Bourgeoisie Individuen abschöpfen kann, die neue Nuancen in ihre Propaganda bringen sollen.

An diesem Punkt der Auflösung kommt der Experimentalavantgarde eine scheinbar geringere Bedeutung in der Gesellschaft zu als den pseudo-modernistischen Tendenzen, die sich keineswegs darum bemühen, einen Willen zur Veränderung zur Schau zu stellen, sondern mit grossen Mitteln die moderne Seite der anerkannten Kultur vertreten. Alle diejenigen jedoch, die in der wirklichen Produktion der modernen Kultur einen Platz haben und ihre Interessen als Produzenten dieser Kultur umso lebhafter entdecken, als sie sich auf eine negative Position beschränken müssen, entwickeln von diesen Angaben aus ein Bewußtsein, das den modernistischen Komödianten der zu Ende gehenden Gesellschaft fehlen muß. Die Dürftigkeit der anerkannten Kultur und ihr Monopol auf die kulturellen Produktionsmittel bewirken die verhältnismäßige Dürftigkeit der Theorie und der Manifestationen der Avantgarde. Nur innerhalb dieser Avantgarde bildet sich aber unmerklich eine neue revolutionäre Auffassung der Kultur. Diese neue Auffassung muß sich in dem Augenblick behaupten, in dem die herrschende Kultur und die Entwürfe einer oppositionellen Kultur den äußersten Punkt ihrer Trennung und ihrer gegenseitigen Unfähigkeit erreichen.

Die Geschichte der modernen Kultur während des revolutionären Rücklaufs ist also die Geschichte der theoretischen und praktischen Reduzierung der Bewegung der Erneuerung bis zur Absonderung der minoritären Tendenzen und zur ausschließlichen Herrschaft der Auflösung.

Zwischen 1930 und dem zweiten Weltkrieg kann man beobachten, wie der Surrealismus als revolutionäre Kraft ständig schwindet und gleichzeitig seinen Einfluß sehr weit über jede Kontrolle hinaus erweitert. Die Nachkriegszeit zieht die schnelle Liquidierung des Surrealismus durch die beiden Elemente nach sich, die um 1930 seine Weiterentwicklung gebrochen haben - den Mangel an Möglichkeiten einer theoretischen Erneuerung und den Rücklauf der Revolution, der sich durch die politische und kulturelle Reaktion in der Arbeiterbewegung äußert. So spielt z.B. das zweite Element bei der Auflösung der surrealistischen Gruppe in Rumänien eine unmittelbar ausschlaggebende Rolle. Andererseits verurteilt vor allem das erste Element die surrealistisch-revolutionäre Bewegung in Frankreich und Belgien zu einer schnellen Zersplitterung. Außer in Belgien, wo eine aus dem Surrealismus hervorgegangene Fraktion weiter eine gültige experimentelle Position behaupten konnte, haben sich alle weltweit zerstreuten surrealistischen Tendenzen dem Lager des mystischen Idealismus angeschlossen. Eine "Internationale der experimentellen Künstler" - sie gab die Zeitschrift "Cobra"(Kopenhagen/ Brüssel/Amsterdam) heraus - schloß sich einem Teil der surrealistischrevolutionären Bewegung an: sie bildete sich zwischen 1949 und 1951 in Dänemark, Holland und Belgien und dehnte sich dann nach Deutschland aus. Diese Gruppen haben sich dadurch verdient gemacht, daß sie verstanden, daß die komplizierten und umfangreichen aktuellen Probleme eine solche Organisation verlangen. Aber der Mangel an Ideologiescher Strenge, der hauptsächlich plastische Aspekt ihrer Forschung und vor allem der Mangel an einer Gesamttheorie der Bedingungen und Perspektiven ihres Experiments zogen ihr Auseinander gehen nach sich. In Frankreich war der Lettrismus aus einer völligen Opposition gegen die gesamte bekannte ästhetische Bewegung hervorgegangen, deren ständiges Absterben er gerade analysierte. Die lettristische Gruppe, die die ununterbrochene Schöpfung neuer Formen auf allen Gebieten beabsichtigte, betrieb zwischen 1946 und 1952 eine heilsame Agitation. Nachdem sie aber allgemein die Meinung vertrat, daß die verschiedenen ästhetischen Zweige einen neuen Anfang in einem dem alten ähnlichen, allgemeinen Rahmen erfahren sollten, wurden ihre Produktionen durch diesen idealistischen Irrtum auf einige lächerliche Experimente beschänkt. 1952 organisierte sich die lettristische Linke in der "Lettristischen Internationale" und schloß die rückständige Fraktion aus. Innerhalb der "Lettristischen Internationale" wurde durch lebhafte Kämpfe zwischen den Tendenzen die Suche nach neuen Interventionsverfahren in das alltägliche Leben fortgesetzt. In Italien gelangten Bildungsversuche von mit den alten Kunst Perspektiven verbundenen Avantgarden nicht einmal zu einem theoretischen Ausdruck - mit der Ausnahme der experimentellen anti-funktionalistischen Gruppe, die 1955 die stärkste Sektion der internationalen Bewegung für ein Imaginistisches Bauhaus bildete. Unterdessen herrschte von den Vereinigten Staaten bis Japan der Geist der Nachahmung der westlichen Kultur bezüglich dessen, was sie an Harmlosem vorzuweisen hat. (Die Avantgarde aus den USA, die gewöhnlich in der amerikanischen Kolonie in Paris zusammenkommt, gerät dort in die Isoliertheit des plattesten Konformismus vom ideologischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Standpunkt aus. ) Die Produktionen der Völker, die immer noch einem - oft durch politische Unterdrückung bewirkten - kulturellen Kolonialismus unterworfen sind, spielen in den fortgeschrittenen Kulturzentren eine reaktionäre Rolle, wenn sie auch in ihren Ländern fortschrittlich sein mögen. Denn all die Kunstkritiker, deren ganze Karriere mit überholten Bezugnahmen auf die alten Kreationssysteme verbunden ist, tun so, als ob sie für ihr Gefühl im griechischen Film oder im Roman aus Guatemala Neuheiten finden würden. Somit nehmen sie ihre Zuflucht zu einem Exotismus, der gerade anti-exotisch ist, da es sich dabei um die Neuerscheinung alter, mit Verspätung in anderen Nationen benutzter Formen handelt, der aber recht gut die hauptsächliche Funktion des Exotismus hat: die Flucht aus den wirklichen Lebens- und Kreationsbedingungen.

In den Arbeiterstaaten steht nur das von Brecht in Berlin durchgeführte Experiment den Konstruktionen nah, auf die es uns heute ankommt, da es den klassischen Begriff des Schauspiels in Frage stellte. Allein Brecht ist es gelungen, sich der Dummheit des sozialistischen Realismus an der Macht zu widersetzen.

Jetzt, wo der sozialistische Realismus zerfällt, kann man sich vom revolutionären Durchbruch der Intellektuellen der Arbeiterstaaten zu den wirklichen Problemen der modernen Kultur alles versprechen. Ist der Schdanovismus der reinste Ausdruck nicht nur des kulturellen Verfalls der Arbeiterbewegung, sondern auch der der konservativen Kultur Position innerhalb der bürgerlichen Welt gewesen, so können diejenigen, die sich zur Zeit im Osten gegen den Schdanovismus auflehnen - welches auch immer ihre subjektiven Absichten sein mögen - es nicht zugunsten einer größeren schöpferischen Freiheit tun, die z.B. nur diejenige eines Cocteau sein würde. Man muß genau sehen, daß der objektive Sinn einer Negation des Schdanovismus die Negation der schdanovistischen Negation der "Liquidierung" ist Die einzig mögliche Aufhebung des Schdanowismus wird die Ausübung einer wirklichen Freiheit sein, die in der Kenntnis der gegenwärtigen Notwendigkeit besteht.

Bei uns sind die jüngst vergangenen Jahre gleichfalls höchstens eine Periode des konfusen Widerstands gegen die konfuse Herrschaft der rückschrittlichen Dummheit gewesen Wir waren nicht viele. Wir müssen aber nicht bei den Geschmacksrichtungen oder den kleinen Fundstücken dieser Periode verweilen Die Probleme der kulturellen Schöpfung können nur noch in Verbindung mit einem neuen Vorstoß der Weltrevolution gelöst werden.

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