Unterwegs nach New-Delhi
Gegen 14.00 Uhr sind wir beim Bahnhof in Amritsar. Busse nach New-Delhi sollen erst am spaeteren Nachmitag fahren. Es soll auch einen Expresszug geben. Kostenpunkt etwa 700 Rupien. Also, was mache ich? Eigentlich muesste ich hier den "Goldenen Tempel", das Heiligtum der Sikhs, besuchen. Ein Taxifahrer macht mir den Vorschlag fuer 600 Rupien mit einem Minibus nach Delhi zu bringen. Nach kurzer Ueberlegung gehe ich auf das Angebot ein. Zunaechst geht die Fahrt recht zuegig voran und ich rechne mir anhand der Kilometersteine eine Fahrt von 7 Stunden aus. Nebst dem Fahrer und seinem Freund, zwei junge Burschen, bin ich alleine im Bus. Ich werde auf einmal misstrauisch. Man kann ja nie wissen was die vorhaben. Ja keine angebotenen Getraenke annehmen. Sie koennten Schlafmittel enthalten. Schon mancher ist so ausgeraubt worden. Die Strasse wird zusehends schlechter und das Verkehrschaos immer groesser. Wir kreuzen unzaehlige grosse Maehdrescher, etwa deren zwanzig Stueck. Es ist schon dunkel als wir zum Tanken anhalten. Der Fahrer verlangt mir 500 Rupien. Kurz danach heisst es ploetzlich "Aussteigen!" Hatte ich es mir doch gedacht, dass da etwas faul ist. Und was passiert nun mit meinen 500 Rupien? Einmal mehr bin ich doch "gelegt" worden, denke ich. Ich muss in einen anderen Bus umsteigen. Ich versuche dem neuen Fahrer klar zu machen, dass ich ihm in Delhi nur noch 100 Rupien bezahlen werde. "Ok, Ok!" Nach einer halben Stunde gesellen sich sieben weitere Fahrgaeste dazu. Endlich geht es weiter. Ich erfahre, dass wir in Ambala sind. Auf einer breiten, dreispurigen Autostrasse gehts mit bis zu Tempo 100 in einem haarstraeubenden Verkehr Richtung Delhi. Wir ueberholen hunderte von Lastwagen in waghalsigen Manoevern. Schliesslich, kurz nach Mitternacht erreichen wir die indische Hauptstadt. Ich bezahle meine 100 Rupien, erfahre aber, dass die Fahrt ab Ambala eigentlich nur 80 Rupien gekostet haette! Jetzt nur noch Duschen und Schlafen, denn ich bin schon seit 21 Stunden unterwegs. Ein Tempofahrer bringt mich zu einem Hotel. Das Hotelzimmer macht einen einigermassen akzeptablen Eindruck. Als ich duschen will, kommt kein Wasser. Sch… Am naechsten Morgen frueh bin ich auf der Schweizer Botschaft, um meine Post abzuholen. Ich treffe dort auch Peter Meier, der seit ueber einem Jahr auf der Botschaft arbeitet und mich am Samstag zu sich nach Hause einlaedt. Auf dem Rueckweg zum Hotel suche ich mir eine neue Unterkunft, ein Zimmer, in dem man sich wohlfuehlt, mit einer Dusche die funktioniert und nicht allzu weit weg vom Connaught Place ist. Ganz in der Nahe von Pahar Ganj, dem Billigtouristen-Viertel wo sich die meisten Rucksacktouristen aufhalten, finde ich das Shiva Continental Hotel. Bevor ich einziehe, muss ich aber noch mein Gepaeck holen. Aber wie heisst noch mein Hotel? An welcher Strasse? Mensch, zum Glueck habe ich mir eine Visitenkarte eingesteckt, ansonsten ich es wohl nie und nimmer haette wiederfinden koennen. Ich habe ueberhaupt keine Ahnung, wo ich uebernachtet habe.
Stadt mit zwei Gesichtern
New-Dehli, was fuer Gegensaetze. Indien erfüllt mich sowieso mit Hassliebe. Auf der einen Seite fasziniert mich dieses Land enorm, auf der andern Seite macht mich dieser Verkehr, dieser Laerm, die Abgase und dieses Chaos von Taxis, Pferdekutschen, Leuten, Karen, Rischkas, Autos, heiligen Kuehen, Tempos, Bussen, Motorraeder halb wahnsinnig. Mit einer Millarde Einwohnern nimmt Indien nach China in der Bevoelkerungsstatistik der Erde den zweiten Platz ein. Auf engsten Raum wimmelt es nur so von Menschen, wie Ameisen in einem Ameisenhaufen. Nur schon der Gang von meinem Hotel in die moderne Innenstadt muss man einmal erlebt haben. Ein absoluter Dritt-Welt-Schock.
Connaught Place wird zu meiner Oase. Hier geht es wenigstens einigermassen zivilisiert zu und her. Der in mehrere Segmente aufgeteilte, von einem geschlossenen Gebaeudekomplex umgebenen Platz, bildet den Mittelpunkt der Stadt. Acht grosse Strasse verlaufen von hier sternfoermig in alle Himmelsrichtungen. Die weisse Fassade des Innenkreises ist durch Arkaden gepraegt, die zum Flanieren im Schatten einladen. Es ist auch der bevorzugte Standort fuer Banken, Fluggesellschaften, Post, Reisebueros und alles was einem als Tourist nuetzlich ist. Noch nie zuvor war ich so froh, einen McDonalds vorzufinden. Um etwas Anstaendigeres zu essen, gibt es jedoch zahlreiche Restaurants. Bekannt und beliebt ist das Nirula's. Auch der Patisserieladen "Wenger's" mit seinen Schwarzwaelder-Torten und anderen Koestlichkeiten sollte man nicht verpassen. Da ich schon dreimal in Delhi war, verspuere ich ueberhaupt keine Lust, in diesem stinkenden Verkehr und bei dieser erstickenden Hitze (38 Grad) irgend etwas zu unternehmen. Im Sommer soll die Hitze die 50-Grad-Grenze erreichen, erzaehlt mir Peter Meier. Wer allerdings noch nie Indien oder Delhi war, darf sich auf keinen Fall den Besuch des Taj Mahals in Agra entgehen lassen. Das waere eine grosse Suende. Ich bin auch nicht hier um eine Stadtbesichtigung zu machen. Ich bin hier um zu arbeiten. Waehrend vier Tagen arbeite ich im Internet um meine Reiseberichte zu verfassen. Und dann muss der Fotoapparat reparieret werden. Ich lasse die Kosten vorsichtshalber vorgaengig schaetzen: 1500 Rupien, etwa 60.-. Der aeltere Ladenbesitzer will 1000 Rupien als Anzahlung. Ja, ja und dann verschwindet er mit dem Fotoapparat und dem Geld! Bin ja nicht so bloede. Ich gebe ihm 300 Rupien als Anzahlung. Noch nie so gespannt warte ich auf die Entwicklung meiner Dias. Wenn da nur nichts schief laeuft. Meine ganzen Fotoreportagen stehen auf dem Spiel. Welche Erleichterung, als ich die 15 Filme zurueck erhalte. Ich bin entzueckt. Einmal mehr habe ich absolut fantastische Dias. Ausser dem Mahatma-Gandhi Museum interessiert mich eigentlich hier nichts. Nach langen Suchen und Fragen findet es mein Tempofahrer schliesslich. Es ist nicht einmal auf dem Stadtplan des Tourist Office aufgefuehrt. Welch eine Schande! Es ist ein wunderschoenes Museum. Der Eintritt ist gratis. Viele Fotos illustrieren das Leben dieses aussergewoehnlichen Mannes. Zahlreiche persoenliche Gegenstaende Gandhis sind ausgestellt. In einem Hinterzimmer ist eine der Kugeln zu sehen, die Gandhi am 30. Januar 1948 toedlich getroffen hat. Der Besuch von Jantar Mantar, dem futuristisch anmutenden Observatorium aus dem Jahre 1725 sowie des Red Fort, eine Festungsanlage welche Shah Jahan 1648 bauen liess, enden im Boykott. Nein, meine Herren, 230 Rupien (fuer die Einheimischen 5 Rupien) bezahle ich nicht.
Red Fort
Taj Mahal in Agra
Gandhi, die grosse Seele
Mohandas Karamchand Gandhi, genannt Mahatma "grosse Seele", war der bedeutendste Führer im Kampf um Indiens Unabhängigkeit. Gandhi war aber nicht der Erste, der die indischen Völker zum Widerstand aufgerufen hatte. Bereits vor ihm war das indische Nationalbewusstsein erwacht. Nach dem missglückten Aufstand von 1857 gaben die Inder jedoch jeglichen Widerstand gegen die britischen Machthaber auf. Erst der Sieg der Japaner über die Russen im Jahre 1904/1905, der reisessenden Asiaten über die fleischessenden Europäer, gab in grösseren Volkskreisen Vertrauen zu erneutem Widerstand. So wurde versucht, die Engländer mit Blutvergiessen und Gewalt einzuschüchtern. In diesem Kampf waren die Engländer mit ihren modernen Waffen aber überlegen und unterdrückten so jeden Aufstandsversuch. Mit seiner Methode des politischen Kampfes, des Verzichts auf jegliche Gewalt und des bürgerlichen Ungehorsams erregte Gandhi in der ganzen Welt Aufsehen. Zwei seiner weltweit bekannten Handlungen waren der Salzmarsch sowie der Boykott britischer Waren. 1924 bis 1937 und 1940/1941 war Gandhi Präsident der indischen Kongresspartei. Gandhi war aber nicht nur Politiker. Er ging in die Dörfer, predigte Sauberkeit, Schulerziehung und lehrte die Bauern das Spinnen. Das Spinnrad wurde zum Symbol der Befreiung. In ihm sah Gandhi einen Weg, die dörflichen Handwerksbetriebe wieder aufleben zu lassen, um die Armut zu lindern. Er rief die Inder auf, ihr Tuch selbst zu spinnen und zu weben. Seit jeher hatte er auch das Kastenwesen als Schande Indiens angeprangert und setzte sich bedingungslos für die Millionen von Unberührbaren ein. Er setzte sich ebenfalls vehement für die Einigung von Hindus und Moslems ein, aber vergeblich. Trotz gnadenloser Härte und zahlreichen Verhaftungswellen, konnte England es nicht mehr hinauszögern, Indien am 15. August 1947 in die Unabhängigkeit zu entlassen. Britisch-Indien wurde jedoch in einen islamischen Staat (Pakistan) und Indien (Hindus) aufgeteilt. Mit der Ermordung Gandhis durch einen Hindu-Fanatiker erlosch das Leben eines aussergewöhnlichen Mannes. Das Wirken Mahatma Gandhis war in der Tat aber nur Dank der englischen Liberalität und Rechtsauffassung moeglich, welche ihm den Raum für sein Handeln gab. Selbst aus dem Gefängnis liess man ihn noch wirken. Achtmal sass Gandhi im Gefängnis; 1922 wurde er zu sechs Jahren Haft verurteilt. Durch Hungerstreik und infolge Verschlechterung seines Gesundheitszustandes erreichte er aber mehrmals seine frühzeitige Entlassung. Nichts wies in seiner Kindheit und Jugend darauf hin, dass sich hier eine Persönlichkeit entwickelte, welche die Welt bewegen sollte. Gandhi wurde am 2. Oktober 1869 in Porbandar als viertes und letztes Kind geboren. Seine Familie gehörte der Kaste der Kaufleute an. Sein Vater war ein hoher Beamter. Der kleine Mohandas verbrachte die ersten Lebensjahre ohne besonders aufzufallen. Als er zur Schule kam, hatte er Schwierigkeiten im Rechenunterricht. Er war ein schüchterner Junge, suchte keine Freundschaften. Während dieser Zeit wurde er zweimal verlobt, doch beide Bräute starben. Er wusste nichts davon und kannte die Mädchen nicht. Dies ging ja auch nur die Erwachsenen in den betroffenen Familien etwas an. Als er zum drittenmal verlobt wurde, war er sieben Jahre alt. Auch dies entzog sich seiner Kenntnis. Es kam zur Heirat. Er war damals ein Junge von gerade dreizehn Jahren. Das fremde Mädchen, das schon sechs Jahre seine Braut war, hiess Kasturba. Er lernte einen etwas älteren Freund kennen, welcher dem zurückhaltenden Gandhi durch sein selbstsicheres Auftreten imponierte. Mohandas wollte seinem Freund nacheifern, und dieser verriet ihm auch das Rezept dazu! Fleisch essen. Wie konnte es kommen, dass ein paar Tausend Briten sich zu Herren über die Millionen von Indern aufschwingen konnten? Weil sie Fleischesser waren und die Inder Vegetarier! So lautete die Argumentation, der Mohandas schliesslich erlag. Er ass zum erstenmal Ziegenfleisch. Dabei wurde ihm übel, doch es folgten weitere kulinarische Genüsse, durch die sich der junge Gandhi an Fleischgerichte gewöhnen wollte. Er brachte es jedoch nicht übers Herz, seinen Eltern die Wahrheit zu gestehen, denn der Fleischgenuss war für sie eine Todsünde. Es folgte eine weitere Versuchung: das Rauchen! Zuerst rauchte er mit seinen Brüdern die Zigarettenstummel, die sein Onkel wegwarf. Bald genügte ihm dies nicht mehr. Es mussten richtige Zigaretten her; aber woher das Geld nehmen? So stahlen die Gandhi-Buben dem Dienstpersonal die wenigen Kupfermünzen, die sie von Gästen erhalten hatten. Ein Jugenderlebnis, welches sich auf sein ganzes Leben auswirkte und entscheidend war für Gandhis spätere kompromisslose Forderung nach sexueller Enthaltsamkeit, erfolgte in der Nacht, in der sein kranker Vater starb. In der besagten Nacht ersuchte er seinen Onkel, ihn von der Krankenwache zu befreien, da er es nicht erwarten konnte, sich zu seiner Frau ins Schlafzimmer zu begeben. Er empfand tiefe Reue; denn nur seiner Begierde wegen liess er seinen Vater alleine sterben. Zwei Jahre später machte Mohandas sein Schulexamen. Er wäre am liebsten Arzt geworden. Seine Kaste verbot jedoch das Sezieren von Leichen. Er sollte Jura studieren, und das am raschesten und wirkungsvollsten in England. Seine Mutter war tief beunruhigt über diesen geplanten Aufenthalt in England. Sie hatte von den moralischen Zuständen auf der britischen Insel die denkbar schlimmsten Vorstellungen und sah ihren Sohn allen Versuchungen erliegen. Erst als er das Gelübde ablegte, in England weder Wein, noch Weib und Fleisch anzurühren, gab die Mutter ihre Einwilligung. Er reiste nach Bombay, das Tor Indiens zur Welt. Nun begannen die Angehörigen seiner Kaste Opposition zu machen, denn die Religion verbot Reisen ins Ausland. Trotz diesem Verbot setzte er sich durch. Am 4. September 1888 legte das Schiff ab. Die Zivilcourage, mit der sich der Achtzehnjährige seiner Kastenbürde erwehrt hatte, verliess ihn auf dem Schiff, wo er sich in der ihm gänzlich fremden, rein englischen Gesellschaft nicht zu bewegen wagte. Er merkte sogleich, wie unzulänglich sein Englisch war, das er gelernt hatte. Seine alte Schüchternheit kam wieder über ihn. Aus Angst, sich lächerlich zu machen, zog er sich in seine Kabine zurück. Für die Ankunft in Southampton hatte Gandhi seinen weissen Flanellanzug angezogen. Doch Ende September trug in England kein Mensch mehr einen Sommeranzug, womit er sich blamierte. Ernsthafte Schwierigkeiten bereitete ihm in den Anfangswochen seines Aufenthaltes in England die Ernährung. Als Gandhi das erste vegetarische Speisehaus in London entdeckt hatte, war seine Not vorüber. Unter den Vegetariern fand er seinen Freundeskreis, und mit Eifer stürzte er sich in die Lektüre ihrer Literatur. Es überzeugte ihn, dass die vegetarische Ernährung für den Menschen die einzig richtige ist. Es folgte eine kurze Periode, in der Gandhi den Versuch unternahm, den englischen Gentleman zu spielen. Er besorgte sich neue Kleider und kaufte sich sogar einen Zylinderhut. Um den richtigen Schliff im Benehmen zu bekommen, nahm er Unterricht im Tanzen, im Französisch und in der Vortragskunst. Um sein Ohr an die westliche Musik zu gewöhnen, nahm er Unterricht im Geigenspielen. Diese Periode der Narrheit, wie Gandhi sich später ausdrückte, dauerte drei Monate. Dann besann er sich darauf, dass er mit seinem Studium beginnen sollte. Nach drei Studienjahren erhielt er eine Zulassung als Anwalt beim Obersten Gerichtshof in London. 1891 kehrte er nach Indien zurück. Sein Bruder, der den ganzen Studienaufenthalt finanziert hatte, setzte auf seine Ausbildung und Berufstätigkeit grosse Hoffnungen. Die ersten Schritte im Berufsleben als Anwalt waren schwierig, da er sich im indischen Recht nicht auskannte. Seine Anwaltspraxis war erfolglos. Als ihm ein kleiner Fall übertragen wurde, versagte er kläglich; ja, der Fall musste im Gerichtssaal während der Verhandlung sogar an einen Kollegen weitergegeben werden. Nicht ungeschickt aber erwies er sich bei der Abfassung von Bittschriften, Bewerbungen und Gutachten. Sein Bruder, der selbst Advokat war, konnte ihm einen Teil seiner eigenen Praxis in dieser Hinsicht abtreten. Unerwartet erhielt er den Auftrag, eine indische Handelsfirma in Südafrika in einem Rechtsstreit zu vertreten. Ende Mai 1893 erreicht Gandhi seinen Bestimmungsort Durban. Gleich zu Beginn seines Aufenthaltes wurde der neuangekommene Rechtsanwalt mit der Rassendiskriminierung konfrontiert. Als er zur Prozessverhandlung seiner Firma mit dem Zug nach Pretoria fuhr, warf man ihn aus der 1. Klasse hinaus, da der Platz für Inder im Vieh- oder Gepäckwagen war! Dies war aber nur der Anfang der Demütigungen, die Gandhi in Südafrika hinnehmen musste. Den ihm aufgetragenen Prozess hatte Gandhi inzwischen erfolgreich zu Ende geführt. Er hätte nun nach Hause zurückkehren können, doch das Schicksal hatte anderes mit ihm vor. Vor seiner Abfahrt nach Indien wurde für ihn eine Abschiedsfeier veranstaltet. Gandhi hatte am selben Tag in der Zeitung eine Meldung über "Indisches Wahlrecht" entdeckt, die darauf hinauslief, Indern das Recht zu entziehen, Abgeordnete in die Natal Legislative Assembly zu wählen. Die Abschiedsfeier verwandelte sich in eine angeregte Diskussion. Der allgemeine Vorschlag, Gandhi solle seine Abreise um einen Monat verschieben, um das Wahlrecht für seine indischen Landsleute zu retten, fand Widerhall in Gandhis Herzen. Aus dem einen Monat wurden freilich 2 1/2 Jahre. Er beschloss, in Natal ansässig zu werden, und liess sich in die Anwaltsliste des High Court eintragen. Durch seine Anwaltspraxis verdiente Gandhi seinen Lebensunterhalt, die Haupttätigkeit aber lag in seiner Oeffentlichkeitsarbeit. Gandhi entschloss sich, seine Familie aus Indien herzuholen. Als er anfangs Dezember 1896 nach Durban zurückkehrte, gingen unter den Weissen Wogen der Empörung über Gandhis Rückkehr hoch. Eine feindliche Menge schlug und stiess ihn, er wurde mit Steinen und Ziegeln beworfen. Nur dank der Frau des Polizeipräsidenten der Stadt, welche sich zwischen die rasende Menge und ihr Opfer stellte, konnte Gandhis Leben gerettet werden. Er nahm seine Arbeit als Rechtsanwalt wieder auf. Als zwei Jahre später der Burenkrieg ausbrach, erbot sich Gandhi, ein Ambulanzkorps von indischen Freiwilligen für die Engländer aufzustellen. Das machte in der südafrikanischen und englischen Oeffentlichkeit grossen Eindruck. Nachdem die Feindseligkeiten eingestellt waren, erhielten Gandhi und mehrere seiner Kameraden die Kriegsmedaille. Wenn Gandhi gehofft hatte, dass dieser Dienst für Englands Sache einen Schritt vorwärts auf dem Weg zur Gleichberechtigung der Inder mit den Weissen in Südafrika bedeuten würde, so sah er sich bitter enttäuscht. Er musste andere Mittel ergreifen. Durch seine erfolgreiche Anwaltspraxis wurde er sehr wohlhabend. Damals war er noch weit entfernt vom weissen Lendentuch, vom Spinnrad und der einfachen Lebensweise. Er trug europäische Anzüge, gestreifte Hemden, steife weisse Kragen und bunte Krawatten. In Durban bewohnte er eine moderne Villa im besten Viertel der Stadt. Damals meinte er, er müsse die weisse Welt imitieren, um für die Gleichberechtigung der Inder etwas zu erreichen. Er bot damals das vollkommene Bild eines verwestlichten Inders. Aber es rumorte in ihm und er spürte, dass er sich von allen Begierden befreien musste, um mit sich selbst in Frieden leben zu können. 1901 kehrte Gandhi nach Indien zurück mit der Absicht, Südafrika den Rücken zu kehren. Er wollte sich in Bombay niederlassen, aber sein Aufenthalt in der Heimat währte nicht lange. Neue gefährliche Wolken brauten sich in Südafrika für die indische Kolonie zusammen. Gandhi folgte dem Ruf seiner Freunde drüben. Er nimmt seine Praxis als Anwalt und die politische Tätigkeit für seine Landsleute wieder auf. Seine religiösen Gewohnheiten, seine politischen Anschauungen, seine Ideen über Ernährung, Erziehung und Lebensweise schliessen sich in dieser Zeit zusammen und gelangen zur Reife. Auf diesem Weg begegnete er auch drei Sozialreformern des Westens, die grossen Einfluss auf ihn ausüben werden: John Ruskin, David Thoreau und Leo Tolstoi. Vor allem von Ruskins Buch "Unto This Last" war er so gefangen, dass er beschloss, sein Leben nach diesem Buch umzugestalten. Er kaufte ein Stück Land, gründete eine Gemeinschaftsfarm (Phoenix-Farm) und zog mit seiner Familie und seinen Mitarbeitern dorthin. Gandhis Experimente mit der Diät gehen in all den Jahren weiter. Seine vegetarische Lebensweise wird immer radikaler. Es gehörte zu seiner religiösen Ueberzeugung, dass der Mensch Fleisch, Eier und dergleichen nicht essen darf. Als einer seiner Söhne schwer erkrankte, verordnete der Arzt Hühnerbrühe und Eier als Krankenkost. Der Vater wollte aber auch bei Lebensgefahr keine Zugeständnisse machen und gab seinem Jungen Fruchtsaft. Gandhi war auch ein fanatischer Gegner von Pillen. Zu dieser Zeit gründete er auch die Wochenzeitschrift "Indian Opinion", die er eigenhändig druckte. Durch seine wiederholten Aufrufe, sich gegen das Registrierungsgesetz zu widersetzen, wurde Gandhi zu zwei Monaten Gefängnisstrafe verurteilt. Dieser Aufenthalt zeigte allerdings eine ganz andere Wirkung als erhofft. Er hatte dort Ruhe zum Nachdenken und Lesen. In dieser Zeit faellt ihm auch ein Buch des Amerikaners Thoreau über die Pflicht des zivilen Ungehorsams gegen den Staat in die Hände. Ziviler Ungehorsam, das war das Kampfmittel, nach dem Gandhi schon immer gesucht hatte: der Kampf gegen die Ungerechtigkeit, in dem man offen die Gesetze überschritt, die Strafe aber auch verbüsste. Den Begriff dieser Widerstandsform beschrieb Gandhi als "Satyagraha". Im Januar 1908 wurde Gandhi mit 14 Mitkämpfern verhaftet. In Sachen Registrierung kam es zu einem Kompromiss, Gandhi ging selbst mit gutem Beispiel voran und forderte die Inder auf, sich freiwillig registrieren zu lassen. Die Erwartungen, die Gandhi an die freiwillige Registrierung geknüpft hatte, erfüllten sich jedoch nicht. Er rief erneut zum Satyagraha auf. Anlässlich einer grossen Demonstration wurden die Registrierungsausweise verbrannt. Wieder wurde Gandhi verhaftet. 1910 führte er die in der Phoenix-Siedlung begonnenen Versuche in der von ihm benannten Siedlung "Tolstoi-Farm" fort. Die zugestandenen Bedürfnisse an Nahrung und Kleidung wurden auf das denkbar mindeste Mass beschränkt. Als Vorbild für die Regelung des Tagesablaufes galt die Gefängnisordnung von Pretoria! Gandhi gab seine Anwaltspraxis auf und zog auf die Tolstoi-Farm. Im Jahre 1912 verzichtete er in einem feierlichen Gelübde auf jegliches Privateigentum sowie auf Gewalt gegenüber allen Lebewesen. Neue, die Inder diskriminierende Gesetze wurden erlassen, sodass Gandhi schon bald wieder von der Abgeschiedenheit seiner Farm ins Licht der Oeffentlichkeit treten musste. Wieder ruft er zum Satyagraha auf. Mehr als 2'000 Männer und Frauen folgen seinem Ruf und überqueren im November 1913 die verbotene Grenze von Transvaal. Während des Marsches wird er dreimal festgenommen, doch kurz darauf wieder freigelassen. Dies war Gandhis letzte grosse öffentliche Aktion in Südafrika. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges findet ihn wieder als loyalen Bürger des britischen Weltreichs. Ueber London geht sein Weg definitiv in die Heimat zurück. Am 9. Januar 1915 wird er in Bombay von einer jubelnden Menge begrüsst.
Gandhi, die grosse Seele
Bettler, Schlepper und Nepper
Auch am Connaugt Place ist man leider fortwaehrenden Annaeherungsversuchen von Schleppern ausgesetzt, welche die Touristen mit allerlei Tricks koedern. Ein wenig stolz bin ich, nicht auf den Trick der Schuputzer hereingefallen zu sein. Wenigstens einmal bin ich nicht "gelegt" worden, vermutlich aber nur, weil ich vom Trick vorher schon gehoert hatte. Mit einer Praezision ohne gleichen und ohne dass man etwas bemerkt, landet auf Deiner Schuhspitze ein grosser Dreck. Wie die das machen, bleibt mir ein Raetsel. "Sir, Sie haben da etwas auf dem Schuh, kann ich es putzen?". Solche Tricks sind harmlos. Wesentlich gefaehrlicher sind die bewusst herbeigefuehrten Lebensmittelvergiftungen um die Reisenden zum Aufsuchen eines Arztes zu bewegen. Dieser stellt dann ueberhoehte Rechnungen aus, die der Tourist seiner Versicherung vorlegen soll. Beinahe zur Weissglut treiben mich die Hunderten von Velorikschas, Tempos und Schlepper. Wohin man geht, ueberall wird man belaestigt und bedraengt. Ja, ich weiss, die kaempfen auf ihre Weise um jede Roupie. Aber dennoch. Wenn sie nur nicht so aufsaessig waeren. Wenn ich sage ich will kein Rikscha zum Red Fort, dann will ich keines. Auch das staendige Betteln wird mit der Zeit laestig. Obwohl die Armut in Indien nach wie vor gross ist, muss man wissen, dass Bettler vor Hotels und Sehenswuerdigkeiten einer organisierten Gilde angehoeren, die darauf trainiert sind, beim Fremden Mitdleid zu erwecken. Vor allem die Kinder, die einem mit ihren grossen schwarzen Augen anblicken, muessen ihren "Verdienst" an Mafia-Organisationen abgeben. Im Schatten der staatlichen Touristenbueros haben sich auch zahlreiche kleine Reisebueros etabliert. Oftmals verkauft man dem Touristen ueberteuerte Touren nach Agra oder Jaipur. Am anderen Morgen wartet man dann vergeblich auf den versprochenen Bus. Da ich keine Chance sehe, mich jemanden fuer den geplanten Trip zu den Ganges-Quellen anzuschliessen, annulliere ich diesen kurzfristig. Mein nächstes Ziel ist eine Reise nach Darjeeling, zum Kangchendzunga, dem dritthoechsten Berg der Welt. Trotz aller Vorwarnungen, folge ich einem jungen Man der sich als Student ausgibt, in ein staatliches Reisebuero. So ist es zumindest gross an der Eingangstuer angeschrieben. Ich erklaere meine Reiseplaene und schon buche ich bei Mr. Shyan von Merrygo Travels Ltd. das Zugsbillet nach New Jalpaiguri und das Flugticket von Calcutta nach Bangkok. Ich bezahle mit Traveller Checks. Im nachhinein kommen mir immer wieder Zweifel auf, ob das wohl alles mit richtigen Dingen zugegangen ist? Ich aergere mich, dass ich mich so habe draengen lassen. Und wenn das nun eine Falle war? Vielleicht ist er ja morgen mit dem Geld verschwunden? Mensch, werde ich denn nie gescheiter? Mit diesen Indern weiss man ja nie! Zu meiner Beruhigung gehe ich am naechsten Tag nochmals beim Reisebuero vorbei. Mr. Shyan ist noch da, die Tickets soll ich uebermorgen abholen. Als ich am 11. September vom Internet ins Hotel zurueckkomme, erlebe ich im Fernsehen die schrecklichen Bilder aus New York. Unfassbar so etwas!
Im Rajdhani-Express
Wie versprochen, erhalte ich meine Reisedokumente. Langsam aber sicher wundere ich mich ueber dieses Indien. Trotzdem bin ich froh, diese Stadt bald verlassen zu koennen. Sieben Tage in Dehli sind genug. Die staendigen Stromzusammenbrueche machen mich noch fertig. Vorgestern fiel waehrend der ganzen Nacht die Aircondition aus. Gestern brach der Strom sage und schreibe 14 mal zusammen. Endlich ist es Freitag. Relativ einfach finde ich das Perron 12 in der New-Dehli Railway Station. Der Rajdhani-Express nach Calcutta faehrt sogar puentklich ein. Die Gesichter der wartenden Fahrgaeste verraten mir, dass ich am richtigen Ort sein muss, denn die meisten weisen nepalische Gesichtszuege auf. Die wollen doch bestimmt auch Richtung Darjeeling fahren. Der Zug faehrt puenktlich um 12.40 Uhr ab. Von Zugsfahrten in Indien habe ich keine gute Erinnerungen. Als ich das letzte Mal mit Rene Peiry nach Varanasi unterwegs war, wurde ihm aus dem geschlossenen Abteil die Kamera und die Traveller Checks geklaut. Also, diesmal auf der Lauer sein. Ich sitze in einem offenen 6er Abteil. Drei Frauen mittleren Alters aus Sikkim wollen nach Gangtok. Auch mein Nachbar, der soeben von einem einjaherigen Einsatz im Kosovo zurueckkehrt, will nach Gangtok. Und dann noch ein aelteres indisches Ehepaar. Er, ein grosser schlanker Mann, faellt vor allem durch seine lange Finger auf. Die Finger seiner linken Hand sind mit grossen Ringen geschmueckt. In der typischen indischen Art sitzt er im Schneidersitz auf der Pritsche. Mein Nachbar sorgt fuer Unterhaltung. Er erzaehlt von seinem Einsatz. Alle Fahrgaeste hoeren ihm aufmerksam zu. Zwischendurch schallendes Gelaechter. Die Tageszeitungen werden verteilt. Man vernimmt die letzten Nachrichten nach dem Attentat in den USA. Interessant die Meinung der Inder, welche zu den Amerikanern stehen. Sie beschuldigen Pakistan sich wohl der Anti-Terror Koalition angeschlossen zu haben, jedoch den Terror und den Guerilla-Krieg in Jamnu-Pakistan zu unterstuetzen. Fuer Pakisten sind die Kaempfer in Kaschmir jedoch keine Terroristen sondern "Freiheitskaempfer". Eine boese Reaktion gibt es auf den Aufruf des Imam der Jama Mashid Moschee in Delhi (die groesste Moschee Indiens - es gibt in Indien etwa 80 Mio Muslime), die Taliban zu unterstuetzen. In einem Artikel fordert ein Journalist die Regierung auf, den Imam zu verhaften. Inzwischen wird das Mittagessen serviert. Zuerst gibt es einen Aperitif. Zwei Salzstaengeli ohne Salz mit einer Tomatensuppe. So sieht es wenigstens aus. Das wie bei einem Flug abgepackte Essen ist ueberraschend schmackhaft. Es gibt eine Gemuesesuppe, Reis mit Poulet und Dal (Linsen), Chapati (duenne gebackene Fladen aus Mehl und Wasser) sowie ein kleiner Tonkrug Curd (Yoghurt). Zum Dessert erhalten alle noch ein "Chuebeli" Kwalitiy Eiskrem. Nach dem Essen ist der Gang mit Tabletts ueberstellt. Es wird jedoch relativ schnell abgeraeumt und sauber gemacht. Ich bin auch ueberrascht, wie sauber das WC ist. Mein Nachbar erzaehlt noch immer von seinen Abenteuern. Die huebscheste der drei Frauen scheint er in seinen Bann gezogen zu haben. Zwischendurch ruelpst der alte Inder mehrmals so laut, dass es einem fast schlecht wird. Gegen 17.00 Uhr wird die Bestellung fuer das Nachtessen aufgegeben. Was es wohl diesmal geben wird? Man hat die Wahl zwischen vegetarisch und nicht-vegetarisch. Es beginnt wieder mit dem gleichen Aperitif. Auch das Essen ist haargenau das gleiche. In der Zwischenzeit ist es draussen dunkel geworden. Zeit um die Liegesitze einzurichten. Die Leute legen sich nach und nach zum Schlafen hin. Der alte Inder ist so gross, dass er Muehe hat, sich in die Koje zu legen. So vergehen acht Stunden. Zum Fruehstueck wird zum 3. Mal das gleiche serviert! So langsam verleidet einem dieser "Fras" Die Fahrgaeste bereiten sich langsam vor, ihr Gepaeck zu den Ausgangstueren zu schleppen. Mein Nachbar hat eine unmenge Gepaeck aus Europa mitgebracht, u.a. einen Fernsehapparat. Es beklagt sich, dass er fuer seine Importe am Zoll 12'000 Rupien bezahlen musste. Anscheinend sind wir nicht mehr weit von NJP (New Jalpaiguri) entfernt. Nach 25 Stunden und 20 Minuten erreichen wir unsere Destination. Der Zug faehrt noch sechs Stunden nach Calcutta weiter.
Darjeeling im Nebel
Diesmal ist zum Glueck nichts geklaut worden, ich wundere mich einmal mehr. Ich verabschiede mich von den Leuten. Ich bin gespannt, wie es weitergeht. Grosse Sorgen mache ich mir keine, denn ich bin ganz bestimmt nicht der einzige, der nach Darjeeling will. Dank seinem beruehmten Tee ist der Name vielen Menschen gelaeufig, doch nur die wenigsten wissen, wo sich dieser Ort befindet. Irgendwo in Indien. Schon auf dem Weg aus dem Bahnhof erhalte ich die ersten Angebote, fuer 1000 Rupien nach Darjeeling gefahren zu werden. Ich warte keine zehn Minuten und schon kann ich mit einem Sammeltaxi fuer 70 Rupien fahren. Die Strasse fuehrt zunaechst nach Siliguri. Von hier folgen wir der 80 Km langen Schmalspurbahn, die 1880 gebaut wurde. Nach einer halben Stunde beginnt die Strasse kontinuierlich anzusteigen. Es wird immer kurviger. Wieviele Kurven sind es wohl bis Darjeeling"? Ich fange an sie zu zaehlen. Bei der 200. gebe ich auf, denn bis Darjeeling sind es noch 39 Kilometer. Wir passieren Kurseong, bekannt fuer seine Teeplantagen. In Ghoom erreichen wir den hoechsten Punkt, 2483 Meter. Nach 4 ½ Stunden sind wir endlich angekommen. Die Lage der Stadt (60'000 Einwohner) auf einem 2100 Meter hohen Bergruecken gelegen, ist einmalig. Unter den Briten war es eine beliebte "Sommerstation". Aber auch die wohlhabenden Inder fluechten anfangs April, wenn sich die Hitze in der Ganges-Ebene aufbaut, in die Hill-Station im Himalaja. Die Englaender sind weg, geblieben sind Kirchen und ein Golfplatz. Hinzugekommen sind tibetische Kloester. Die von den Englaendern ins Land geholten Arbeitskraefte aus dem benachbarten Nepal bestimmen das Bild der Bevoelkerung. Es gibt auch viele tibetanische Fluechtlinge. Urspruenglich war die Bergregion bis hinab in die Ebene Teil des Koenigreiches von Sikkim und Bhutan. Als die Briten nach den Gurkha-Kriegen mit Nepal 1828 die strategische Lage des Ortes erkannten, bedurfte es nur geringer Anstrengungen den Koenig zum Abdanken zu bewegen. Geschickt nutzten die Englaender 1849 die Gefangenschaft zweier Landsleute um die tiefer liegenden Regionen zu annektieren und damit direkten Zugang nach West-Bengalen zu gewinnen. Ein kurzes Scharmuetzel mit dem Koenig von Bhutan brachte ihnen 1864 Kalipong und 1907 verleibten sie als letztes Glied Siliguri in ihrem Kolonialreich ein. Die Atmosphaere in Darjeeling gefaellt mir ausserordentlich. Man wird nicht belaestigt so wie in Delhi. Unten beim Bahnhof draengen sich die Geschaeftsviertel, oben thronen die Villen der ehemaligen Kolonialherren. Ein unuebersehbares Netz von Gassen und Treppen ueberzieht den steilen Westhang. Es gibt viele tibetische Restaurants, auch Internetanschlüsse gibt es fast an jeder Ecke. Auffallend die vielen Studenten. Wer es vermag, laesst seine Kinder in einem der zahlreichen College studieren. Besonders farbig ist das Strassenleben am Morgen, wenn Hunderte von jungen Leuten in ihren dunkelgruenen, weinroten, maronibraunen oder tiefblauen Uniformen zur Schule gehen. Die groesste Attraktion Darjeelings ist das Panorama der zum Greifen nahen Bergriesen des Kangchenjunga-Massivs. Dies ist ja auch der Grund, weshalb ich hier bin. Das beliebteste Ausflugsziel ist der 2590 m hohe Tiger Hill. Die Sonnenaufgaenge sollen grandios sein. Bei klarem Wetter soll man sogar den Mt. Everest sehen. Von den Bergen ist jedoch nichts zu sehen. Grosse Wolkengebilde huellen die umliegenden Taeler ein. Das Wetter verschlechtert sich sogar zusehends. Darjeeling verschwindet im Hochnebel. Zeitweise kann man kaum Hundert Meter weit sehen. Das waere wirklich Pech, wenn das Wetter so bliebe. Vorsorglicherweise beauftrage ich die Reception meines Hotels, mich fuer eine Fahrt zum Tiger Hill vorzumerken, sollte es unerwartet doch noch bessern.
Himalayan Mountaineering Institute
Auch ohne Bergpanomara bietet Darjeeling fuer mich sehr viel Interessantes. Die ersten Everest-Besteiger mussten 600 muehsame Kilometer von Darjeeling aus ueber das tibetische Plateau trekken, um ueberhaupt an den Fuss des Berges zu gelangen. Hier lebte auch Sherpa Norgay Tenzing, der Erstbesteiger des Mt. Everest, nachdem er 1933 als 17jaehriger von Nepal hierher emigrierte. Nach diesem grossen Erfolg, wurde mit Hilfe der Schweizerischen Stiftung fuer alpine Forschungen, das Himalayan Mountaineering Institute am 2. November 1967 eroeffnet. Vor allem das Everest-Museum ist sehr interessant. Ueber dem Eingang haengt ein grosses Abzeichen des Schweizerischen Alpenklubs. Unter den zahlreichen Austellungsgegenstaenden befinden sich die beiden Wimpel, welche Tenzing 1953 auf dem Gipfel schwenkte, die Kamera von Hillary sowie Tenzings Steigeisen, Schuhe, Rucksack und seine gelbe Jacke. Auch die Schweizer Everest Expedition von 1952 ist gut dokumentiert. Sogar die kleinen, runden Schuhe von Raymond Lambert sind ausgestellt. Der Kurator des Museums, Mr. Chandranath Das, ist vom Besuch aus der Schweiz erfreut und laedt mich zu einem Tee ein. Ich erfahre, dass man zum 50. Jubilaeum der Erstbesteigung, neben dem Grab des 1986 verstobenen Tenzings, ein neues Gebaeude baut. Er erklaert mir, dass eines der Ziele darin bestehe, der breiten Oeffentlichkeit zu erklaeren, dass Bergsteigen, mehr als jede andere Sportart, Selbstvertrauen, Ausdauer, Beharrlichkeit, Entschlossenheit, Verantwortung, die Bereitschaft Risiken einzugehen und auch ein Hauch von Abenteuer verleiht. Das Institut scheut daher keine Muehe, bei jungen Leuten in Kursen ihre bergsteigerische Faehigkeiten und die Geschicklichkeit zu entwicklen. Fuer 2000 Rupien koennen sich Bergsteiger-Aspiranten in Grund- und Fortgeschrittenenkursen weiterbilden. Solche Kurse finden 6 x im Jahr statt und dauern 28 Tage. Nebst einer grossen Bibliothek welche 2500 Buecher umfasst, verfuegt das Institut auch ueber eine Kletterwand. Neuerdings werden junge Kinder im Alter von 12 bis 16 Jahren zum Sportklettern animiert. Die Attraktion des Institut bildet ein starkes Carl Zeiss Jena Teleskop, welches Hitler dem Maharadscha Jung Bahadur Rana, Oberster Befehlshaber der Koeniglichen nepalischen Armee, schenkte, dessen Sohn es dem Institut 1961 vermachte.
Ueber dem Eingang des Everest-Museums
Sherpa Tenzing Norkay (1914-1986)
Schneeleoparden und der Toy train
Trotz regnerischem Wetter ist es mir eigentlich nie langweilig. Total veraergert bin ich nur ueber meine Kamera. Einmal mehr faellt die Elektronik aus. Nun, solange man die Berge nicht sehen kann stoert es mich weniger. Dennoch, das ist nun schon das 3. Mal das mir dies passiert. Zweimal besuche in den Zoo. Baeren, rote Pandas, Schneeleoparden und siberische Tiger sind die Attraktion. Der Zoo in Darjeeling ist der einzige in ganz Suedostasien in welchem siberische Tiger in Gefangenschaft gezuechtet werden. Im Zoo treffe ich einen Genfer. Darjeeling ist jedoch nicht nur fuer Bergliebhaber, sondern auch fuer Eisenbahnenthusiasten ein beliebtes Ziel. Die Nostalgiebahn von Siliguri nach Darjeeling wurde innert zwei Jahren gebaut. Die Schmalspurbahn (610 mm) wurde in erster Linie gebaut, um der aufkommenden Teeindustrie den dringend notwendigen Verkehrsanschluss zu geben und Urlauber nach Darjeeling zu befoerdern. Die Reise von Siliguri nach Darjeeling mit dem "Toy Train", der Spielzeug-Eisenbahn, dauert acht Stunden. Die Steigungen werden durch grosse Kehren bewaeltigt. Nicht weniger als 194mal kreuzt das Trasse die parallel verlaufende Strasse. Viele Jahre lag die Bahn nach Erdrutschen still. Heute faehrt sie wieder. Altehrenwuerdige Dampfloks aus den Jahren 1889 bis 1923 ziehen die winzigen Wagons. Zwei- bis dreimal taeglich wird die Strecke befahren. Zusammen mit meinen Genfer Reisekollegen gehe ich zum Bahnhof, um einen Ausflug nach Ghum zu machen. Niemand weiss, ob und wann der Zug ankommt. So nehmen wir fuer 4 Rupien Platz im ueberfuellten Bus. Beim Buddhistischen Kloster kurz vor Ghum steigen wir aus. Der Gebetsraum ist von einer 5 m hohen Buddhastatue beherrscht. Die Moenche sind am Beten. Eintoenig zitieren sie unablaessig die Gebete unterbrochen durch die Klaenge der Teleskoptrompeten und der Tschinellen. Am Bahnhof von Ghum warten einige Passagiere auf den Zug. Scheinbar wird seine Ankunft demnaechst erwartet. Von weitem hoert man das Pfeiffen und Schnaufen der Lok. Die schwarze Rauchfahne verraet ihren Standort auf der gegenueberliegenden Talseite. Die Fahrkarte zurueck nach Darjeeling kostet 3 Rupien (11 Rappen). Die Rueckfahrt dauert 45 Minuten inklusiv einem Halt um Wasser zu fassen. Kurz nach der Abfahrt in Ghum durchfaehrt die Bahn die beruehmte 360 Grad Batasia-Schleife. Von dieser Stelle werden die meisten Fotos gemacht. Das Wetter scheint sich nicht bessern zu wollen. Ich bin wohl einige Wochen zu frueh nach Darjeeling gekommen. Genau die drei Wochen, die ich urspruenglich laenger in Pakistan bleiben wollte. Schade. Es gaebe noch so vieles zu sehen. Sikkim ist so nahe, nur drei Stunden mit dem Jeep. Welch einmalige Gelegenheit! Mein Flug von Calcutta nach Bangkok mit der Indian Airlines ist erst in 10 Tagen. Was soll ich bei diesem regnerischen Wetter hier noch machen?. Angesichts der gespannten Weltlage und der Gefahr eines moeglichen Angriffs der USA auf Afghanistan, entscheide ich sicherheitshalber so schnell wie moeglich nach Thailand zurueckzukehren. Fliegen scheint gegenwaertig nicht mehr so "in" zu sein, denn ohne weiteres kann ich meinen Flug umbuchen. Mein Flug ist in drei Tagen. Mindestens einen Tag vorher sollte ich in Calcutta sein.
Toy Train
In letzter Minute
Am vorletzten Tag werde ich um 04.00 Uhr morgens geweckt. "Tiger Hill, Tiger Hill!" Was, hat sich das Wetter nun doch noch gebessert? Ohne Fruehstueck fahre ich gespannt mit anderen Hotelgaesten in der Dunkelheit los. Ganze Jeep-Kolonnen sind unterwegs. Als wir auf dem Aussichtspunkt ankommen sind schon etwas hundert Leute da und immer mehr treffen ein. Der Nebel ist zwar weg, aber die Wolkendecke verhindert eine klare Sicht. Kein Sonnenaufgang, keine Berge. Ich bin enttaeuscht. Diesmal scheine ich wirklich weniger Glueck als beim Nanga Parbat zu haben. Nun, man kann ja nicht immer Glueck haben. Und wenn das Wetter nun klar gewesen waere, dann haette ich mich zu Tode geaergert, weil meine Kamera nicht funktioniert. Als ich am letzten Morgen erwache, scheint die Sonne. Im Nu bin ich auf. Die Wolken scheinen sich aufzuloesen. Ob ich meine Abfahrt nun doch um einen Tag verschieben sollte? Als ich mich hinauf zum grossen Platz begebe, ist die Umgebung schon wieder tief in den Wolken verhuellt. Ich kann also ruhig abreisen. Es hat einfach nicht sollen sein! Die ganze Reise nach Darjeeling fuer nichts! Etwa auf halber Distanz nach Ghum, triftt mich fast der Schlag. Auf meiner rechten Seite ist ploetzlich die ganze Bergkette zu sehen. Das gibt es doch nicht! Ich haette vor Freude schreien koennen. Der Kangchendzunga! Die ganze Herrlichkeit dauert knapp eine Minute und schon sind wir wieder im Nebel verschwunden. Was soll ich nun machen? Aussteigen? Erst am Nachmittag oder morgen nach Siliguri weiterfahren?. Aber dann riskiere ich meinen Flug in Calcutta zu verpassen, das waere auch dumm. Und wenn ich jetzt nach Darjeeling zurueckehren wuerde, fotografieren koennte ich ja trotzdem nicht. Dutzende von Gedanken schiessen mir durch den Kopf. Mir kommt die Geschichte von Ian Thorpe, dem mehrfachen Goldmedaillengewinner von Sydney in Sinn. Verdankt er nicht sein Leben dem Umstand, dass er am 11. September 2001 auf dem Weg zum World Trade Center seine Kamera im Hotel vergessen hatte? So spielen manchmal die Schicksale. Also fahre ich weiter, getroestet, dass ich doch noch meinen 9. Achttausender, wenn auch nur ganz kurz, gesehen habe.
So waere die Sicht auf den Kangchenzunga (8586 m) !