Prinz der Täuschungen

Tor der südlichen Himmel

geblendet

letzte Ernte

gestrandet am Abend

Geheimnistöter

Falschgeld

Worte

Ping Pong

außer Spesen nichts gewesen

weg damit!

Zwilling

Bumerang

ohne Karte und Kompaß

ein Himmel von Stein

am Ufer

zweiter Abschied

 


 

Prinz der Täuschungen

er hält Hof in Scharlachrot
König der Wünsche
Prinz der Täuschungen
inmitten taumelnder Tiere
Traumdeuter, blutender Lippen
er hält Hof in Scharlachrot
du, nein, wir, ich, vernetzt, verkauft
von Spiegel zu Spiegel
er hält Hof in Scharlachrot


 

Tor der südlichen Himmel

die Sonne steht für uns weit offen
Tor der südlichen Himmel
Schnittpunkt unserer Fluchtlinien
Blindflug und blindes Vertrauen
wir durchstoßen den Kreis der glühenden Trabanten
die Elemente trennen sich
die Atome unserer Körper stoßen sich ab
Auflösung der Materie
Vereinigung der Gedanken
weiße Geometrie im gekrümmten Raum


 

geblendet

geblendet gehe ich durch eine Nacht aus Stein
an langen Gittern aus verdorrten Zungen
der nasse Asphalt schreit
gerinnt in schwarzen Klumpen
nicht weit, nicht nah
Oh Fleisch des Himmels
Blut der Dämmerung
und deine Haare meiner Regennacht


 

letzte Ernte

letzte Ernte unfruchtbarer Tage
stumpfe Winterfrucht
hängst du tot an einer faulen Schnur
hängst im Himmel meines Abschieds
Vogel der Gedanken 
geköpft
gefiederte Verlassenheit


 

gestrandet am Abend

wir sind gestrandet am Abend
die ans Land geworfenen Augen der Wellen
im Sturm der Steine
Stein
auch landeseinwärts
Fetzen der Träume und der Wiederkehr
makellose Vogelknochen
bald erblinden wir
die stumpfen Adern des Abendlandes
tränken nicht
uns tränkt das Licht der Strandung
bis der Morgen steht


 

Geheimnistöter

Geheimnistöter
Schattenvernichter
Neonprometheus
der Kampf ist angesagt
und jeder aufgefordert
an jedem Tag ein Wort nicht auszusprechen
einen Gedanken nicht zu Ende zu denken
das Erwartete nicht zu tun
ich sehe unklar doch bestimmt
die millionenfache Rebellion der Gehirne
und höre
voll Ungeduld und Zweifel
die Parolen für den Streik der Gedanken


 

Falschgeld

ich hasse meine Worte
die mich nicht sehen, hören, fühlen, denken lassen
immer ist meine Zunge schneller
um den Bruchteil einer Sekunde
und überläßt meinen Augen nur eine befleckte Wirklichkeit
entstellt und kommentiert
vorweggenommen
viel lieber will ich sprachlos leben
Gefühl gezähmt und reguliert
um-, abgeleitet
ich hole mich nie ein
kleine pünktliche Dämonen
sind mir die Worte stets zur Hand
eine gefälschte Wirklichkeit
schiebt sich vor die Dinge
ich zahle mich in Falschgeld aus


 

Worte

Worte rinnen wie Wasser durch meine Hände
kühle Worte
selbst die Erinnerung an die Trauer hat uns schon verlassen
Worte wie Glas
ohne Schatten und Gestalt
leichter als Luft, immer bereit
Nein und Nein
Niedertracht der schönen Worte
Nein
ein Wort will ich bauen
undurchsichtig und kantig
ungehorsam und verzweifelt
Freund oder Feind
Freund und Feind
unaussprechlich und unausgesprochen
stark und stumm


 

Ping Pong

das Saxophon stöhnt rot durch den Rauch
auch ich wie du
keiner kennt den Trommelkönig aus dem fernen Erdteil
du sprichst von Majakowski
ich von Einstein
irgendwie, irgendwann oder umgekehrt
du sagst Rimbaud
ich sage nein
du sagst James Joyce
ich lasse ihn gelten
der Trommler schlägt die Namen entzwei
sinnlos entkommen
New York, drei, zwei, ein Wort voraus
Jackson Pollock, ein Glas zu spät


 

außer Spesen nichts gewesen

nie gesehen was gewesen
nie begriffen was gesehen
nie gedacht was begriffen
nie gesagt was gedacht
nie getan was gesagt
nie gesehen was getan
nie gewesen, nie geworden
nie begriffen, nie ergriffen
nie gelitten, nie gelernt
nie gelebt, nie gebebt
der Zug steht, die Landschaft fährt vorbei


 

weg damit!

was dir ins Fleisch schneidet
den Finger, die Hand, den Arm verdorren läßt

was dir Löcher in die Darmwand brennt
was dir den Schlaf, jeden Traum in Ketten legt

was dich spaltet, vom Scheitel bis zum Geschlecht
vom Hirn bis zu den Eingeweiden, von hier bis dort

was kein Leben zuläßt, nicht innen und nicht außen
was dein Blut verfärbt

wirf es fort, reiß es aus,
verbrenn es, verkauf es, verschenk es
gleichwie
sogleich
stoß es ab, spuck es aus, tritt es in den Sand


 

Zwilling

in mir frißt an mir
mein Zwilling
und webt aus meinen Windungen
dunkles Gewebe
lebt er, sterbe ich
stirbt er, sterbe ich dennoch
ich bin eins mit dem Widerspruch
alles trennt mich von mir
doch ich bin die Trennung
alles verstört mich
doch ich bin die Verstörung
ich verzehre, was mich verzehrt
mein Brot ist die Spaltung


 

Bumerang

viel Gutes geschieht mir
doch mir nicht zum Besten
alles wirft mich auf mich selbst zurück
der Gedanke als Bumerang
ich jage Bilder
und erlege Spiegelbilder
diese Jagd wendet sich gegen mich
meine Worte schlagen mir ins Gesicht
mein Atem erstickt mich
mein Blick blendet mich
ich biete mich an
ich gebe mich hin
doch diese Stadt ist unbewohnt
wer sich nicht verliert
wird sich nicht finden
wer nicht fortgeht
kehrt nie zurück
doch ich stehe in meiner Stadt
und werfe weiter mit verbogenen Gedanken um mich


 

ohne Karte und Kompaß

ohne Karte und Kompaß
fahre ich
auf dem dunklen Strom deines Blutes
stiller Entdecker verborgener Kontinente
angsterfüllter
Eroberer atmender Inseln
Verbote und Weissagungen
Ebbe und Flut der Pulse
ohne Karte und Kompaß
auf dem dunklen Strom des Vergessens
Trommeln
ein neues Alphabet
Anfang und Ende
auf und ab


 

 

ein Himmel von Stein

ein Himmel von Stein
die gläsernen Mauern stürzen
in schwarzen Schreien
wir sind leichter
als ein geraubter Splitter
wir sind kleiner
als ein Atom der Nacht
es wächst und zerreißt sich in uns
blendet im Haar
O letzter Mond
auf unsrer Haut


 

am Ufer

am Ufer stehn
eine Handvoll Asche in den Wind verstreun
verbrannte Brücken, wohin?
gebrandschatzte Boote
mit geschwärzten Segeln
Erinnerungen auf den Grund gesunken
das Wissen weit im Wind
ich seh
es bleibt mir immerhin
noch eine Handvoll Abschied
und eine halbe Handvoll Unbekannt


 

zweiter Abschied

zwischen mir und dem Gesicht
das ich dir zuschreibe
wächst das Geflecht der Zeit
schon könnte das Auge ein Mund
dein Ohr das Auge sein
schon verweht der Wind
den Geruch deiner Haare
schon werfe ich Worte nach dir
und Gedanken
die hängenbleiben
Mauer aus totem Wind
unscharf die Umrisse
vergeblich die Suche
tief und immer tiefer
in den Spalten des Bewußtseins

und ich weiß, der zweite Abschied
hat schon lang begonnen