Der Schilderbilder achter Teil

Wenn der letzte geographische Schlupfwinkel photographiert ist, wird die ganze Menschheit erblindet sein.
Siegfried Kracauer

[ 1 ] [ 2 ] [ 3 ] [ 4 ] [ 5 ] [ 6 ] [ 7 ] [ 9 ] [ 10 ] [ 11 ] [ 12 ]
[ Natur - x: Eine Theorie der Schilderbilder ] [ Kaufen, gucken & lesen ] [ Linx & Rinx ] [ Gästebuch ] [ Die unverzichtbare Seite "Über mich" ] [ Post ] [ Ausstellungen: Galerie gesucht! ] [ Von vorn ]

 

Es verlautet, der Biograph von Robert Walser hat auf dem Billigramsch eine Erstausgabe des "Hesperus" gefunden, handsigniert und mit einer Leseanleitung an des Künstlers (nicht Walsers) Herzensfreundin drin.

Andere von uns haben ebendort immerhin ein Besprechungsexemplar des "Titan" aufgegabelt, den dritten Band aus der großen Gesamtausgabe anno 1960, mit dem Begleitanschreiben vom Hanser Verlag an eine Zeitung und dem Belegexemplar der stattgehabten Besprechung. Klingt nach der Süddeutschen.

Wie das Anschreiben an die Zeitung und die Besprechung von der Zeitung in das selbe Buch hineinkommen, kann man gerne mal die Post fragen. Oder die schludrige Modemaus, die 1960 bei der Süddeutschen Praktikantin war. Sie hat dann doch lieber Kosmetikerin gelernt und arbeitet noch beim Karstadt am Stachus auf ihre Rente hin. Morgen gehe ich zu ihr und zeige ihr die Buchbesprechung von damals.


Ein Lob sei an dieser Stelle der Kinowerbung, die den Kinoendverbraucher immer so zuverlässig vor den Auswüchsen des zeitgenössischen Filmschaffens warnt. Das Nötige, so vorhanden, sieht er spätestens in den Vorschauen auch der klugen Filme.

Das meiste Geld spart der mündige Kinobesucher zweifellos, wenn er die Binger Sisters überhaupt nicht anschaut. Wobei die ja gar nicht mal so hässlich sind, alles was recht ist. Wenn er sie denn also schon anschauen muss, dann wenigstens zweimal: Mehr Sisters fürs Geld. Für den Rest ziehe der mündige Kinobesucher sich einmal "Jabberwocky" am DVD-Automaten.


.


Quod erat praecipendum: Eine Stadt, die seit Jahrhunderten bis übers Erdgeschoss unter Wasser steht, kann keine Ewigkeit durchhalten. Kein Wunder, dass bei so feuchten Kellern niemand mehr ein Haus am Fluss zu kaufen wagt. Und der Fluss ist überall!

Was die Jugend dazu zu sagen hat? Nichts. Grinst und schleckt Süßigkeiten.


Banken sind letztendlich Betrugsgeschäfte: Sie stellen keinerlei Produkt her. Sie kassieren Geld ohne Gegenleistung. Sie streichen den Mehrwert aus abstrakten Tauschgeschäften mit großer Selbstverständlichkeit ein.

Banken verdienen mit Gütern, die es nicht gibt, Geld, das es nicht zwingend geben muss, und werden reich dabei.

Deshalb müssen sie durch imposante Architektur und betont seriösen Auftritt das unterstreichen, was sie bei ihren Kunden Kreditwürdigkeit nennen.


Du kommst als Fremder und gehst als Freund: Das Land der Verheißung liegt wie immer am anderen Ende der Welt.

Ob die Australier vice versa auch glauben, bei uns kämen sie für ein Nichts davon?


Winter 2003: Was immer die Bürgerwehr Giesing bezweckt - ihre Werbeplakate sprechen tiefe Wahrheit. Zumindest heben sie den unterschätzten Münchner Stadtteil, der immerhin einen Franz Beckenbauer hervorbrachte, über sein biederes Image hinaus.

Hier liebäugelt eine Aktivistin der Bürgerwehr Giesing bei einem Love-in gegen die Gesundheitsreform mit Fahnenflucht.


Ich kannte mal eine Kneipe, die hieß Express. Bis man da drin von einer Bedienung wahrgenommen wurde, musste man sich mehr als einmal neu auf seinen Bestellwunsch besinnen, sofern man nicht vorher verdurstete.

Wer denkt denn unter solchen Vorzeichen aber auch, dass die Leute ausgerechnet in einer Kneipe sterben, die durch ihre Namensgebung derlei Morbides abzuwenden sucht.


Sie hieß Anja. Als kleines Mädchen war sie ein wahres Sonnenscheinchen. In einem Londoner Vorort aufgewachsen. Hellblaue Augen, Stupsnase, blonde Zöpfchen.

Am Tag vor ihrem vierten Geburtstag - sie hatte am 24. Dezember - durfte sie zum ersten Mal im Leben ins Land ihrer Familie, nach Deutschland. Sie flog mit ihrer Mutter nach München, um bei der Großmutter Weihnachten und ihren Geburtstag zu feiern. Anja konnte vor lauter Vorfreude den ganzen Advent lang nicht schlafen.

Das Flugzeug stürzte über der Hallertau ab. Anjas Mutter kam in den Trümmern um. Anja musste zuschauen, bis die Rettungskräfte ankamen.

Nach dem Begräbnis wurde Anja von der Großmutter in dem fremden Land aufgezogen. Die folgenden zehn Jahre verbrachte sie in Psychotherapie. Mit vierzehn kam sie in eine Suchtbehandlung, wegen Missbrauchs von Schmerzmitteln. Mit fünfzehn wurde sie zweimal wegen Ladendiebstahls verurteilt und 90 Tage lang in die Jugendstrafanstalt gesteckt. Wegen Besitzes von Kokain.

Als Anja sechzehn war, starb ihre Großmutter. Ihrer einzigen Enkelin hinterließ sie ihre bescheidenen Ersparnisse. Größtenteils verwendete Anja ihre Erbschaft für mit Waschpulver gestrecktes Heroin.

An ihrem Geburtstag trampte Anja zum Münchener Flughafen. Unter dem großen Weihnachtsbaum in der Ecke der Besucherplattform ließ sie sich nieder und setzte sich den goldenen Schuss. Der Stoff stammte von ihrem letzten Geld. Im Wegdämmern schaute sie verglühenden Flugzeugen zu, wie sie eins nach dem anderen aus einem zwielichtigen Himmel stürzten. Dabei sang sie wie jedes Jahr "Happy Birthday" und "Stille Nacht" vor sich hin.

Um 16.32 Uhr wurde Anja für tot erklärt, exakt zur Zeit des Sonnenuntergangs. Eine Münchener Underground-Band bekam für einen Song über Anja - "Twilight Child" - ihren ersten Plattenvertrag. Die "Abendzeitung" brachte den tragischen Fall als Titelgeschichte. Ein paar Tage lang wurde Anja von ganz München betrauert - das Mädchen, das zwölf Jahre lang starb.

Nach Terry Jones


Crossover-Werbung: Die Grünen distanzieren sich von der Toscana-Fraktion, Ibiza von der Fun-Generation.


Vor Zeiten, als das Wünschen noch geholfen hat, wurden die Köpfe erlegter Feinde auf Stangen an der Stadtmauer angebracht. So handelten die Ottonen, die Karolinger, die Staufer. Graf Vlad Dracul aus Rumänien pflegte unliebsame Personen an empfindlichen Körperstellen anzubohren und ihr Blut zu sich zu nehmen. Das trug ungemein zur Legendenbildung bei und hielt höchst probat neue Feinde fern. Der Graf ging wegen dieser seiner Sitte - oder sagt man besser Unsitte? - sogar in die Weltliteratur ein.

Ottonen, Karolinger und Staufer gelten vor allem deswegen als unzivilisiert, weil sie nicht in die Longsellerlisten vorgedrungen sind. Kein Grund, sie zu verurteilen. Die Germanen hätten's wahrscheinlich auch probiert. Wenn sie Stadtmauern gehabt hätten. Haben aber nur Zaundraht.


.

 

Der Schilderbilder neunter Teil

Natur - x: Eine Theorie der Schilderbilder

Kaufen, gucken & lesen

Linx & Rinx

Die unverzichtbare Seite "Über mich"

Gästebuch

Post

Ausstellungen: Galerie gesucht!

Von vorn