MÄRCHEN |
DER KORANLEHRER BEI DEN BERBERN
Hoch in den Bergen wohnen zahlreiche
Berberstämme, die nur ihre Tachelheit-Sprache sprechen und kein Worte Arabisch
können. Vom Koran und den Formen des Gebetes haben sie nur ganz vage Vorstellungen.
Dennoch fühlen sie sich ganz als Moslems. Auf der alljährlichen Versammlung eines
dieser Gebirgsstämme sprachen die alten Männer miteinander wieder einmal über
diese Notlage. "Wir wissen gar nicht die richtige Form des Gebetes", sagte
ein Weissbart. "Es ist eine Schande, denn wir sind doch gute Moslems".
Da machte ein junger Mann den Vorschlag, man solle den Sultan bitten, dass er
ihnen einen Gelehrten schicke, der sie in allem Nötigen unterrichte.
Man schickte also eine Abordnung von angesehenen Männer zum Sultan in Fes und
bat um einen Gelehrten. Der Sultan war erfreut über diesen Glaubenseifer und versprach
ihnen einen Koranlehrer. Er bestimmte einen dieser hochgelehrten Männer der kostbaren
Karawiyyin-Universität, und dieser musste mit den Männern ins Gebirge ziehen.
Er wurde vom ganzen Stamm mit grosser Freude empfangen und bewirtet. Als nun die
Zeit zum Gebet kam, stand der Lehrer auf und rief zum Gebet. Alle Männer reinigten
sich und stellten sich in Reihen auf, wie es der Lehrer anzeigte. Vor der ersten
Reihen nahm er selbst als Imam den Platz und wollte gerade das Gebet beginnen,
als er sah, dass der Grund, auf dem er stand, vom letzten Regen durchweicht war,
und da er fürchtete, seine makellos weisse Kleidung in diesem Schlamm zu beflecken,
holte er ein in der Nähe liegendes Stück einer Tür herbei und legte sie vor sich.
Die bretter waren aber roh zusammengezimmert und dazwischen waren Ritzen.
Er stellte sich nun auf diese Brettertür und erhob die Hände, wie es die
Sitte vorschreibt, und rief "Allahu Akbar!", (= Gott ist Grösser!) und
alle Männer in den Reihen hinter dem Imam folgten seiner bewegung und wiederholten
den Ruf Allahu akbar. Nach der Fatiha und der Koransure verbeugte sich der Imam
und sprach "Subhan Allah", und gehorsam folgten alle in der Bewegung und
wiederholten die arabischen Worte. Dann beugte sich der Vorbeter aufden Boden
nieder, so dass die Stirn das Brett berührte, und Sprach die rituellen Worte,
und alle folgten ihm und wiederholten die arabischen Worte , die sie nicht verstanden.
Durch den Druck auf die Bretter war jedoch die Ritze zwischen zwei Brettern weiter
geworden, so dass sich die Nase des Gelehrten zwischen zwei Brettern befand, und
als dieser sich nun wieder aufrichten wollte, und daduch den Druck auf die Bretter
nachliess, wurde die Spalte schmaler und die Nase war darin eingeklemmt. Er versuchte
mit Kraft, die Nase herauszuziehen, aber es gelang ihm nicht. Da rief er laut:
" meine Nase ist gefangen!", und alle wiederholten die arabischen Worte : " meine
Nase ist gefangen!" Daraufhin rief er : " kommt und helft mir !", und
sie sprachen mit Inbrust : " kommt und helft mir !". In höchster Not rief
der Imam: "Versteht ihr denn nicht ?", und alle wiederholten mit Eifer
: "Versteht ihr denn nicht ?". Da riess der Imam die Nase heraus und es
blieb die Spitze in der Spalte stecken. Er beendete eilig das Gebet, stieg auf
seinen Esel und Sprach im Wegreiten : " Lernt ihr erstmal Arabisch, dann kann
ich euch Beten lehren !".
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In den Zelten der Zayan im Mittleren Atlas erzählt. Es Stellte ebenfalls eine Eigenart der Berber ins Krasse Licht : ihre Unfähigkeit, die arabischen Sätze der islamischen Gebete zu verstehen. Wiederum ist jedoch der eigentliche Verlierer jener, der aus der Stadt kommt und ihnen die Gebetsform beibringen will. Auf diese Weise rächt sich der Berber für seine Hilfslosigkeit in der von den Gelehrten der arabischen Städte beherrchten Gesellschaftsform.
Aus : Diederichs Märchen der Weltliteratur : Märchen der Berber. Seite 129. Rowohlt Taschenbuch Verlag. Hamburg 1996