I really love you
(Teil 1)

by Mirjam   baerbern@bluewin.ch

 

 

Wütend riss ich meine Turnschuhe aus dem Schuhschrank und schnürrte sie mit heftigen Bewegungen zu, als könnten sie etwas für meine miese Laune. Mit einem gekonnten Griff schob ich das Haarband in mein Haar und verliess dann die Wohnung mit lautem Türknallen.
Heute war wieder mal alles schief gelaufen. Zuerst hatte mich auf dem Schulweg ein Regenschauer überrascht, so dass ich vollkommen durchnässt in der Schule ankam. Dann gab es die Mathearbeit zurück, die ich natürlich vollkommen versaut hatte. Eine glatte 3 (in der Schweiz ist die 6 die beste und die 1 die schlechteste Note). Und zu guter Letzt hatte ich auch noch Alex mit der dummen Schnepfe aus der Neunten beim Knutschen erwischt.
Alex. Es gab mir einen Stich im Magen. Vier Monate waren wir nun zusammen gewesen. Ich hatte geglaubt, er würde mich wirklich lieben. Doch offensichtlich war er schon länger mit dieser Kathrin zusammen. Jedenfalls hatte er, als ich ihn vor die Entscheidung gestellt hatte, sich gleich für Kathrin entschieden. Mit der Begründung: "Mit ihr kann man wenigstens guten Sex haben, was man von dir nicht behaupten kann, da du immer ablockst." Das sass. Von der letzten Stunde bekam ich nicht viel mit. Die Wut im Magen war zu gross und die Lust loszurennen auch. Bei mir war es schon immer so, dass, sobald ich wütend oder traurig war, einfach losrennen wollte. Den Kopf frei machen und die Wut in den Boden stampfen.

Zum Glück war niemand zu Hause, der blöde Fragen stellte. So ging ich joggen und merkte nicht einmal, dass meine Kleiderkombination mehr als falsch war. Orange Jogginghosen und ein pinkes T-Shirt. Im Renntempo rannte ich zum kleinen Park, wo ich regelmässig meine Runden drehte. Doch auch da wurde ich nicht langsamer. Ich rannte, obwohl meine Lunge schmerzte und ich Seitenstechen hatte. Ich fühlte, dass sich meine Gedanken nicht mehr wild im Kreis drehten und ich mich langsam beruhigte. Meinen Blick stur auf den Weg gerichtet, der vor mir lag. Deshalb konnte ich die Katastrophe, die sich gleich ereignete, auch nicht voraussehen.
In einer Kurve hatte ich mein Renntempo schön aufgebaut, als ich plötzlich in jemanden hineinstiess. Ich stolperte, verlor das Gleichgewicht und landete mit dem Gesäss voll in einer Pfütze. Mein erster Gedanke war: Oh, hoffentlich ist das nicht Alex mit Kathrin. Mit einem kurzem Blick stellte ich fest, dass es nicht Alex war, doch meine Wut wurde dadurch nicht kleiner. Obwohl ich ja eigentlich die Schuldige war, brüllte ich meinen Gegenüber an: "Mensch, was soll denn das? Kannst du nicht aufpassen? Das ist ein Joggingweg und du trampelst darauf rum wie `n Elefant!" "Äh, sorry. Das wollte ich nicht. Komm, ich helf' dir hoch!"
Diese Stimme kam mir doch bekannt vor. Ich sah nun die Person, die mir helfend die Hand hinstreckte, genauer an. Mein Gott! Vor mir stand niemand anderes als Patrick Kelly. Ich glaube, mein Herz setzte für einen kurzen Moment aus. Plötzlich war meine Wut weg. Ich fühlte mich nur noch wahnsinnig traurig und das entlud sich in diesem Moment. Die Anspannung des Tages war zu gross gewesen. Die Tränen rollten mir aus meinen Augen wie Regentropfen. Da sass ich nun, zum zwiten Mal nass, in einer Pfütze, vor mir Patrick Kelly, der immer noch die Hand entgegenstreckte, und heulte. Patrick hockte sich vor mich hin und fragte: "So schlimm? Komm, steh' auf. Du kannst doch nicht sitzen bleiben!"
Diesmal ergriff ich seine Hand und stand wieder auf den Beinen, wenn auch auf wackliegen. Wortlos hielt Patrick mir ein Taschentuch hin. Dankbar sah ich ihn an und putzte geräuschvoll die Nase. Mein Gesicht war voller Dreckspritzer und meine Wimperntusche war verlaufen, doch ich fühlte mich weniger schlecht als vorher. "Sorry, dass ich so unfreundlich war. Äh..., eigentlich, äh..., bin ja ich Schuld." , stammelte ich verlegen. "Schon okay. Aber ich lad' dich zum Trinken ein, denn ich denke, du hast ziemliche Pobleme, dass du so ausgerastet bist. Und vielleicht tut es gut, darüber zu reden?!", schlug Patrick vor.

Ich bedankte mich für die Einladung und gemeinsam liefen wir zu einem kleinen Cafe. Es war schon ein komisches Gefühl, neben Patrick Kelly und einem nassen Hintern zu laufen. Wir betraten das Cafe und wie es halt so ist, wanderten alle Blicke auf uns, vor allem auf mein nasses Gesäss. Unbeindruckt steuerte Patrick auf einen freien Tisch zu. Er war sich das ja schliesslich gewohnt. "Äh, ich geh' rasch aufs Klo.", murmelte ich verlegen. "Willst du die Hosen wechseln?" "Hosen wechseln?", fragte ich und es klang wahrscheinlich ziemlich blöde. Patrick wühlte in seinem Rucksack herum und zog eine graue Trainerhose hervor. "Da!" "Danke!"
Ich verschwand auf der Toilette und konnte es nicht unterlassen, kurz an Patricks Hose zu riechen. J Rasch schlüpfte ich aus meiner nassen Jogginghose und zog Patricks Trainerhose an. Meine Unterhose blieb zwar weiterhin nass, doch wenigstens war der Rest trocken. Mein Blick in den Spiegel sagte alles. Ich sah aus, alles hätte ich mich im Dreck gewälzt. Na ja, dafür wusste ich nun, dass meine Wimperntusche doch nicht wasserfest war. Mit viel Wasser wurde ich einigermassen sauber. So konnte ich mich jedenfalls wieder unter die Leute trauen.
Patrick sah aus dem Fenster, als ich zurück kam. Er lächelte leicht und mir wurde seltsam warm. "Was möchtest du?" "Eine Cola, bitte." Patrick rief den Kellner und bestellte zwei Colas. "Also, wer ich bin, weißt du ja. Oder?" "Hm ja, Patrick Kelly. Ich bin Mirjam, aber alle nennen mich Mimi." Wir schwiegen beide, bis ich mich räusperte: "Tja, dann bin ich dir wohl `ne Erklärung schuldig, was?" Er nickte und ich begann zu erzählen.
Von dem Regenschauer, der mir nun gar nicht mehr so schlimm vorkam, von der Mathearbeit und dann von Alex. Als ich Alex erwähnte füllten sich meine Augen mit Tränen und meine Lippen fingen an zu zittern. Ich dachte an all die schönen Stunden, die wir gemeinsam verbracht hatten. "Hey, wegen diesem Arschloch musst du doch nicht weinen!", meinte Patrick lieb und streckte mir zum zweiten Mal ein Taschentuch hin. "Sag mal, würdest du das auch tun? Ein Mädchen betrügen, bloss weil sie noch nicht mit dir schlafen wollte?" "Nee, das ist doch Scheisse. Entweder ich sage dem Mädel, dass es halt aus ist oder ich warte, bis sie dazu bereit ist." "Warum sind denn einige Jungs so?" "Weiss nicht. So sind Jungs eben!" "Du auch?" "Ich?" "Ja!" "Nee, nee. Wenn ich sie wirklich liebe, dann warte ich und sonst weiss sie, dass es nur für `ne Nacht ist." "Du hast auch Frauen nur für `ne Nacht? Hätt`ich dir gar nicht zugetraut!" "Tja, ich bin halt nocht so brav wie ich aussehe. Und bei den Angeboten..."
Wir quatschten noch eine Weile, bis ich fragte: "Was machst denn du in Bern?" "Hatte die ganze Scheisse satt, wollte `n bisschen Ferien machen. Und so bin ich hier gelandet." "Und die Auftritte?" "Ach, hör`mir auf mit dem. Meine Geschwister kommen schon alleine zurecht." "Bist du noch lange hier? Nur so wegen der Hose." "Höchstens zwei Wochen, dann muss ich zurück ins Studio." Er gab mir die Adresse seines Hotels und wir verabredeten uns für den nächsten Tag. Er bezahlte die Colas und dann verliessen wir das Cafe. "Tja dann, bis morgen!" "Ja, und nimm's nicht so schwer mit Alex. Vergiss ihn einfach. Es gibt noch andere Typen." Ich lächelte und drehte mich um zum Gehen. "Hey!" "Ja?" "Warum nennst du mich eigentlich nicht Paddy?" "Weiss nicht. Paddy tönt doch irgendwie kindisch und ich glaube, du bist inzwischen ganz schön erwachsen." Patrick lächelte und dann gingen wir für diesen Tag entgültig auseinander.

Ich kam nach Hause, wo mich meine Mutter neugierig musterte. "Wie siehst du denn aus? Und von wem ist überhaupt diese Hose?" "Von Patrick." "Patrick?" "Ja, Mensch, Patrick Kelly." Meine Mutter glaubte mir erst kein Wort, doch nach langem Überzeugen glaubte sie mir endlich. Ich verriet ihr aber nicht, dass wir uns am nächsten Tag treffen wollten.
Am nächsten Tag in der Schule beachtete ich Alex kaum, ständig musste ich an Patrick denken. Schon lange fand ich die Musik der Kellys gut und Patrick hatte es mir irgendwie auch ziemlich angetan. Doch nun, als ich ihn in Natura erlebte, kamen meine Gedanken nicht mehr los von ihm. In der Pause kam Alex auf mich zu: "Es tut mir so leid, dass es so enden musste. Aber weißt du, ich fühlte schon länger, dass es nicht mehr lange gehen kann." Ich musterte ihn kühl und sagte dann: "Ach, weißt du, so sind halt die Jungs. Doch es gibt auch andere und ich hab' so einen kennen gelernt. Er wird auf mich warten, egal wie lange." Damit drehte ich mich um und ging. Alex stand ziemlich verdattert da. Okay, es war ein bisschen gelogen, schliesslich waren Patrick und ich kein Paar, aber auf die Schnelle fiel mir nichts anderes ein.

Nach der Schule raste ich nach Hause, obwohl ich, bis zum Zeitpunkt unserer Verabredung, noch genügend Zeit hatte. Ich ass mein Mittagessen und überlegte dann, was ich anziehen sollte. Doch je länger ich überlegte, desto mehr kam mir nichts in den Sinn. Schliesslich liess ich meine Klamotten an. Ich packte die Trainerhose von Patrick in einen Plastiksack und ging zur Tür, wo ich rief: "Ich geh' dann!" "Wohin gehst du?" Typisch meine Mutter. "Ich hab' abgemacht." "Ja, mit wem denn?" "Mit `nem Kollegen." "So, und wann bist du zurück?" "Weiss nicht. Ich komm' zum Abendessen, ja!" Danach ging ich schnell aus der Wohnung, bevor meine Mutter weitere Fragen stellen konnte.
Ich kannte das Hotel nicht, indem Patrick abgestiegen war, aber da Bern nicht allzu gross ist, fand ich es schnell. Es lag total verwinkelt in der Altstadt mit Blick auf die Aare (Fluss). Obwohl es kein grosses Hotel war, sah man gleich, dass es bestimmt nicht billig war. Der Portier musterte mich misstrauisch, als ich eintrat. "Guten Tag!", sagte ich höflich. Der Portier nickte kurz mit dem Kopf. "Ich bin der Besuch für Kurt Wenzel.", erklärte ich höflich. Unter diesem Namen war Patrick zu Gast. "Ja, ja. Immer mit der Ruhe. Ich rufe ihn ja schon."
Ich setzte mich auf einen dieser Sessel, die total bequem aussehen, aber in Wirklichkeit sind sie unbequem. Es dauerte nicht lange. Der Lift ging auf und Patrick kam auf mich zu. "Hi! Schön, dass du da bist." Ich lächelte verlegen. "Lass uns doch raufgehen in mein Zimmer.", schlug Patrick vor. Ich war einverstanden. Wer hätte da schon Nein gesagt... J

Das Zimmer war nicht gross. Es war mit allem, was man braucht ausgestattet, mehr hatte es nicht. Nicht mal ein romantisches Doppelbett. Es schien, als konnte Patrick Gedanken lesen, denn er sagte: "Tja, du hast bestimmt gedacht, ich hätte ein viel luxuriöses Zimmer, nicht?" "Äh, wie kommst du denn darauf?" "Ich kann Gedanken lesen." "Ach?" "Hm, du hast jetzt gerade gedacht, wo ist denn das romantische Doppelbett für ihn und seine Freundin. Hab' ich recht?" "Quatsch." Doch dabei war ich tomatenrot.
Viel persönliches hatte das Zimmer nicht. Nur in einer Ecke stand seine Gitarre und auf dem Nachtisch stand ein Foto von seiner Familie. Sonst gab es nichts, dass an einen Gast erinnerte. Ich blickte rüber zur Gitarre und hätte liebend gern mal darauf gespielt. Ich spielte noch nicht lange Gitarre, aber die Grundgriffe konnte ich schon. "Kannst du Gitarre spielen?" "Häh? Kannst du Gedanken lesen?" "Sagte ich doch!" "Ich kann nicht gut spielen." "Komm, das sagen alle."
Bevor ich wusste, was mit mir geschah, drückte er mir seine Gitarre in die Hand. Ich setzte mich vorsichtig auf die Bettkante (es hatte sonst keine andere Sitzgelegenheit!). "Hast du ein Capo?" Patrick nickte und drückte mir das Teil in die Hand. Spontan war mir nämlich Why don't you go eingefallen. Ich zupfte den ersten Akkord und Patrick hörte mir konzentriert zu. Ich wusste zuerst nicht, ob ich dazu singen sollte, entschloss mich aber dann dafür. Meine Stimme klang anfangs etwas zittrig, doch mit der Zeit hatte ich mehr Mut und sang kräftiger. Das Lied war fertig und ich endete unsicher. "Von wegen du kannst nicht spielen. Und singen auch noch!" Verlegen lächelte ich ihn an. Ich gab ihm die Gitarre und er sagte nachdenklich: "Ich hab' da ein neues Lied."
Dann schloss er die Augen und begann zu singen. Die Melodie war so schön und traurig zugleich. Patrick sang unheimlich schön und wir wissen alle, wie er mit Herz singen kann... Mir kamen die Tränen und ich heulte verlegen vor mich hin. Das Lied war zu Ende und Patrick blickte mich erschrocken an: "Du weinst ja!" "Hm." Ohne ein Wort reichte er mir ein Taschentuch, dass ich dankbar entgegen nahm. "Ich hoffe, ich hab' nicht deinen ganzen Taschentuchvorrat aufgebraucht." "Quatsch. Ich hab' tonnenweise von dem Zeug. Brauch's halt immer wieder."
Es entstanden einige peinliche Schweigesekunden, bis Patrick leise fragte: "Hat dir das Lied gefallen?" "Das fragst du noch?" "Ich hab's dir gewidmet!" "Mir?" "Ja." "Aber warum denn?" "Weil ich dich mag. Weil ich seit gestern wieder einen Sinn zum Leben sehe. Weil ich seit gestern das Gefühl hab', dass eine kleine Sonne in meinem Leben aufgegangen ist und weil du sehr viel für mich getan hast. Darum hast du dieses Lied verdient." "Ich hab' doch nichts für dich getan, Patrick!" "Doch, Mimi, das hast du." Ich fragte nicht weiter, seine Worte hatten mich verwirrt. "Danke Patrick!" "Für was?" "Für deine lieben Worte!" Wir lächelten uns an, und mir war, als würden wir uns schon Jahre kennen.

"Ich hätte Lust, ein bisschen nach draussen zu gehen." , meinte ich. "Wenn du nichts dagegen hast, begleite ich dich." Gemeinsam fuhren wir mit dem Lift runter und spazierten einwenig in der Stadt umher. Es war ein total schöner Nachmittag und ich hatte mehrmals Tränen gelacht. Doch ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass ich nach Hause musste. "Danke für den schönen Nachmittag, Pad." "Danke gleichfalls. Sehen wir uns morgen?" "Wenn du Zeit hast..." "Wohl eher, wenn du Zeit hast. Ich bin immerhin hier in den Ferien." Wir verabredeten uns und glücklich ging ich nach Hause.


© Mirjam


[ Teil 2 ]