Nachts in einem Hotelzimmer

by Doro   doro-violet@gmx.de

 

Auf eine gewisse Weise ist es eine Fortsetzung von NACHTS AUF DEM BUSDACH.


Barby stand auf dem Balkon, der zu ihrem Hotelzimmer im zwölften Stock gehörte. Mit müden Augen sah sie hinunter auf die Straße. Sie war so weit über der Welt, in jeder Hinsicht, und sie konnte kaum noch sehen und hören, was dort unter ihr war.
Menschen, Autos, Bäume, Blumen.
Sie war zu weit entfernt.
Die Sonne ging langsam unter. Bald würde es wieder richtig dunkel werden, und sie würde allein sein mit ihren Gedanken, mit ihren Gefühlen. Es würde nicht vorbei sein.
Unten auf der Straße hörte sie Menschen rufen. Ein Auto bog hupend um die Ecke. Sie wollte dort unten sein.
Barby drehte sich um und ging zurück in ihr Zimmer, denn sie hatte das Telefon klingeln hören. "Hallo?" sagte sie in den Hörer.
"Hey Babs, hier ist Paddy. Kann ich kurz rüberkommen? Mir ist langweilig in meinem Zimmer," lachte eine Stimme.
Barby fühlte, wie sich in ihr eine Mauer aufbaute. "Warum?" fragte sie abwehrend. "Seit wann ist dir langweilig? Und seit wann kommst du dann zu MIR?"
"Oh Barby, bitteee!" bettelte er.
"Na gut." Sie versuchte zu lächeln und die ganzen Kämpfe mit ihm zu vergessen. "Komm halt rüber."
Sie legte auf und ihr Blick fiel auf ihr Spiegelbild. Sie betrachtete sich selbst und versuchte, gleichmäßig zu atmen. Ach herrjeh, gleich würde Paddy da sein. Sie konnte sich selbst nicht so recht erklären, warum sie ihn nicht mehr an sich heranließ. War es wegen ihrem Gespräch gewesen? Damals auf dem Busdach? Er hatte ihr versprochen, es würde wundervoll sein, wenn sie erst einmal berühmt waren. Er hatte sie angelogen. Und das war es, was sie ihm nicht verzeihen konnte.
Sie hörte, wie sich die Tür öffnete. Dann erschien Paddys Gesicht im Spiegel. Er lächelte, stellte sich hinter Barby und strich ihr eine Strähne aus der Stirn. "Hi, da bin ich! So, was sollen wir machen?"
"Warum fragst du mich das?" Barby drehte sich zu ihm um und verschränkte die Arme vor der Brust. "DU wolltest doch unbedingt kommen!"
"Ist ja gut." Paddy war immer noch erstaunt, wenn sie böse auf ihn war. Er schien es gar nicht richtig zu realisieren, und Barby hasste ihn ein bisschen dafür. Paddy wies auf die Gitarre in seinen Händen. "Ich habe meine Gitarre mitgebracht. Wir können ja ein bisschen singen."
Also gut. Sie nahmen nebeneinander auf dem Bett Platz. Paddy stimmte seine Gitarre. "Singen wir doch das hier." Er begann zu singen : "Life on the stage, music we love..."
Barby sang mit. Als Paddy endete, stellte er fest, dass ihr Tränen über die Wangen liefen. "Barby, warum weinst du?"
"Weil es alles Lüge ist!" schluchzte Barby.
Erstaunt setzte Paddy die Gitarre ab. "Was ist Lüge?"
"Alles was du gesagt hast!" schleuderte sie ihm entgegen. "Du hast gesagt, es wird besser werden! Du hast gesagt, wir werden glücklich sein, wenn wir nicht mehr auf der Straße spielen müssen! Du hast gesagt, alles wird gut, wenn wir erst mal Stars sind!
Street Life ist tot, und du bist Schuld!"
"Warum bin ich Schuld?" schrie Paddy zurück. Nun wurde er zornig. Es war ihr egal.
"Warum du Schuld bist? Du wolltest berühmt werden! Du hast Kathy und John diesen Floh ins Ohr gesetzt! Du hast An Angel geschrieben! Vielleicht bist du jetzt glücklich, aber niemand sonst!"
In Paddys Augen glitzerten Tränen. Er stand auf und nahm die Gitarre vom Bett auf. "Das muss ich mir von dir nicht anhören, Barby. Du hast ja keine Ahnung. Ich gehe jetzt."
"Ja, geh' nur. Geh' nur und hab' viel Spaß als Star. Du bist ja der neue Liebling der Kelly Family, du musst Street Life ja nicht vermissen."
"Nein, du wirst nie erfahren, was Street Life mir bedeutet hat."
Barby erfuhr es nicht. Erst als die Tür hinter Paddy zugeschlagen hatte, ging sie wieder auf den Balkon. Ihre Augen waren ganz blind vor Tränen, doch es war sowieso schon dunkel geworden. Hatte er gewonnen? War es ein Spiel? Unten auf der Straße fuhr ein Bus vorbei. Sie war zu weit oben.


© by Doro