Deutsche Wahl 2002
Deutschland startet in den Wahlkampf
FDP demonstriert auf Parteitag Selbstbewusstsein
Westerwelle tritt als Kanzlerkandidat an
Möllemann als "Deutschlands Haider"?
FDP-Spitze: Möllemann muss sich entschuldigen
Karsli zieht sich aus FDP zurück
Stuttgart - Die FDP ist am Sonntag mit dem Dreikönigstreffen in Stuttgart in den deutschen Bundestagswahlkampf gestartet. Der stellvertretende Parteichef Walter Döring kritisierte laut vorab veröffentlichten Redetextmanuskript die rot-grüne Bundesregierung scharf. "Bruchpilot Schröder und seine grünen Flugbegleiter haben unser Land in den Sinkflug gebracht." Die Regierung habe abgewirtschaftet. Der Chef der Südwest-Liberalen warf Bundeskanzler Gerhard Schröder vor allem Versagen beim Abbau der Arbeitslosigkeit vor.
"3.5 Millionen Arbeitslose nicht möglich"
Der Kanzler hatte erst vor kurzem eingeräumt, dass es nicht zu schaffen sei, eine durchschnittliche Arbeitslosenzahl von 3,5 Millionen zu erreichen. Döring sagte, eine Regierung, die ihre zentralen Ziele so klar verfehlt habe, gehöre abgelöst. "Wir brauchen jetzt dringend eine Regierung, die aus dem Schlafwagen Deutschland wieder eine europäische Lokomotive macht." Die FDP will den Wahlkampf ohne Koalitionsaussage führen. Döring bekräftigte das Ziel der Liberalen nach einer Regierungsbeteiligung in Berlin.
Mehr Geld für Schulbildung
Der Stuttgarter Wirtschaftsminister nannte als Wahlkampfschwerpunkte der Partei unter anderem die Bildungspolitik. "Wir brauchen endlich mehr Geld für die Ausbildung unserer Kinder." Döring forderte einen Ausstieg aus der Steinkohlesubvention. Dieses Geld sollte in die Bildung fließen.
Das war neu: Am Abend des FDP-Erfolgs in Sachsen-Anhalt hielt
Guido Westerwelle in der TV-Talkshow seine Schuhsohle mit aufgemaltem
"18"-Zeichen in die Kameras. Es war dies der vorläufig
letzte der vielen Gags, mit denen der FDP-Chef sein Wahlziel propagiert:
18 Prozent - und damit schlicht den dreifachen Stimmenanteil von
1998 (6,2 Prozent). Seit dem eher gemischten Echo auf diese Werbung
schaltet Westerwelle aber zurück.
Jetzt ist er um Seriosität bemüht. Denn nun denkt er
darüber nach, auch als Kanzlerkandidat anzutreten. Vor einem
Jahr hatte er dies seinem parteiinternen Konkurrenten Jürgen
Möllemann, dem Erfinder der 18-Prozent- Kampagne, abgewürgt.
Nun gehe es um "Ernsthaftigkeit", verkündete Westerwelle
etwa 18-mal in der letzten Pressekonferenz vor dem heute beginnenden
Parteitag. In der Schlussrede am Sonntag wird die Nation erfahren,
ob Guido nun seriös wird - und FDP-Kanzlerkandidat.
Die Wahlkampftour danach wird er jedenfalls im blaugelben Bus
absolvieren, der "Guidomobil" getauft wurde. Das ist
kein Zufall. Westerwelles Stellung in der Partei entspricht der
seines vatikanischen Vorbilds in der Kirche und schlägt sogar
des Kanzlers Verhältnis zu seinem Wahlverein SPD.
Verdoppelt
Westerwelle hat geschafft, was vor einem Jahr kaum einer erwartet
hatte: Er konnte die Zahl der FDP-Anhänger verdoppeln. Schon
gar nicht zugetraut hatte sich das sein honoriger Vorgänger
Wolfgang Gerhart. Höchst elegant hatte ihn damals dessen
eigener Generalsekretär beerbt - und sofort die Partei herausgeführt
aus der Ecke der klassischen Liberalen hin an die Schwelle zur
Volkspartei für selbstbewusste Aufsteiger.
Stationen dabei waren der Titel "Krawattenmann des Jahres"
und die Party zum 40. Geburtstag des eisernen Junggesellen mit
mehr als 1000 Gästen. Westerwelle spielt nicht nur den jüngsten
Parteichef, er ist es - und der mit den besten Sprüchen.
Auf dem Berliner Parkett ist der Anwalt Meister der geschliffenen
Rhetorik: Ein früher Joschka Fischer gemixt mit dem späten
Franz Josef Strauß - frech und angriffig, nur ohne Verletzung
der Gegner, die diese kultivierten.
Die Presse höhnt, die Linke stöhnt: Diese 18 Prozent
sind genau so unrealistisch wie ein Bundeskanzler Westerwelle!
Wann hört bei dem der Gag auf, wo beginnt die Seriosität?
Für ihn im KURIER-Interview kein Problem:
Zu seinem 18-Prozent-Ziel: "Die 18 Prozent sind kein
Gag, sondern ein ehrgeiziges Ziel. In zwölf Monaten hat uns
diese Strategie weiter gebracht als selbst ich - rheinischer Optimist
- es für möglich gehalten hätte. Unsere Generalsekretärin
Cornelia Pieper ist in Sachsen-Anhalt als Kandidatin für
den Regierungschef angetreten - und hat 13,3 Prozent geholt. Deshalb
denke ich neu über eine Kanzlerkandidatur nach. So etwas
entscheidet man nicht im Jubel der Wahlparty, sondern nüchtern,
mit Parteifreunden auf dem Parteitag."
Zum Image einer Spaß- und Ellbogenpartei: "Nein,
die FDP ist eine Partei für alle im Volk. Wir wollen Wohlstand
für alle und nicht einige wenige. Das wird immer mehr anerkannt:
In Sachsen-Anhalt haben uns auch zehn Prozent der Arbeiter und
elf Prozent der Arbeitslosen gewählt! Mit unserem Stil haben
nur die ein Problem, die gute Laune nicht ertragen. Unser Ziel,
Deutschland zu erneuern, ist sehr ernst, der Weg dorthin darf
durchaus fröhlich sein."
Zu möglichen Koalitionen: "Koalitionen sind Zweckbündnisse.
Ob Schwarz/Gelb (mit der Union) oder Rot/Gelb (mit der SPD) -
alles ist besser als Rot/Grün mit dunkelrotem Reserverad
(PDS). Wir sind die unabhängige Alternative zu den Volksparteien
und gehen deshalb ohne Koalitionsaussage in die Wahl."
Bei der großen Feier zum 75. Geburtstag des FDP-Ehrenvorsitzenden
und langjährigen Außenministers Hans-Dietrich Genscher
im Reichstag wurde Westerwelle denn auch von Gerhard Schröder
und Edmund Stoiber derart unverblümt umworben, dass es vielen
peinlich war - ihm selbst allerdings nicht.
Peinlich? Das wäre derzeit nur der FDP-Fernsehspot mit dem
Pornostar Dolly Buster und dem Slogan: "Sie denken drei Mal
täglich an Sex? Dann denken Sie doch gleich an 18 - und die
FDP!"
Parteichef Westerwelle hat diese Werbung zurückgezogen. Mal
sehen, für wie lange.
Mannheim - Auf ihrem Bundesparteitag in Mannheim hat die FDP am Freitag Selbstbewusstsein demonstriert. Generalsekretärin Cornelia Pieper und andere führende Politiker der deutschen Liberalen bekräftigten am ersten von drei Kongresstagen das Ziel von 18 Prozent bei der Bundestagswahl im Herbst. Einhellig betonten sie auch die Absage an jede Koalitionsaussage. Zugleich wuchs in der FDP die Zustimmung dafür, Parteichef Guido Westerwelle als eigenen Kanzlerkandidaten zu nominieren.
Grundsätzliche Bereitschaft zur Kandidatur
Westerwelle hat sich Bedenkzeit ausgebeten, er deutete aber bereits
grundsätzliche Bereitschaft zur Kandidatur an. Der FDP-Vizechef
Walter Döring, der Ehrenvorsitzende Otto Graf Lambsdorff
und zahlreiche weitere Redner griffen vor den 662 Delegierten
sowohl Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) als auch seinen
Herausforderer Edmund Stoiber (CSU) scharf an. Wenn die Wähler
könnten, würden sie sich am 22. September für Westerwelle
entscheiden, sagte Döring. Er warf Schröder Beliebigkeit
in seinen Aussagen vor und sagte, Stoiber wolle offenbar im Schlafwagen
an die Macht.
Klare Bedingungen für Regierungseintritt
Lambsdorff ermahnte die FDP eindringlich, bei ihrer Absage an
jede Koalitionsaussage nicht zu wackeln und nach der Bundestagswahl
klare Bedingungen für einen Regierungseintritt zu stellen.
Notfalls solle sie lieber in der Opposition bleiben als auch nur
den Anschein eines Umfaller zu erwecken. Vor allem an den Forderungen
zur Ordnungspolitik dürften keine Abstriche gemacht werden.
Stoiber "windschlüpfig" geworden
Lambsdorff warf Schröder planlosen und hektischen Interventionismus
vor. Seine "Neue Mitte" sei kein Schwenk der SPD in
Richtung von mehr Marktwirtschaft und Liberalismus gewesen. Auch
Stoiber sei kantig angetreten, inzwischen aber "windschlüpfig"
geworden und in vielem kaum noch von Schröder zu unterscheiden.
Im Gegensatz zum Rückzieher des CSU-Chefs lehne die FDP die
Ökosteuer weiter klar ab.
18 Prozent erreichbar
Die auf dem Parteitag wegen ihres Wahlerfolgs in Sachsen-Anhalt
stürmisch gefeierte Generalsekretärin Pieper hält
das Ziel von 18 Prozent bei der Bundestagswahl für erreichbar.
Bei der Einbringung des Wahlprogramm 2002 sagte sie, die FDP liege
in Ost und West erstmals gleichauf bei jeweils zwölf Prozent.
Sie sei damit wieder eine gesamtdeutsche Partei, die "in
der ersten Liga mit den Volksparteien CDU und SPD" um Stimmen
kämpfe.
"Eine Partei für das ganze Volk"
Im vergangenen Jahr hätten die Freien Demokraten alle Kommunal-
und Landtagswahlen erfolgreich bestanden. Und gemessen an der
"Super-Vorlage" von 13,3 Prozent in Sachsen-Anhalt fehlten
nur noch 4,7 Prozentpunkte bis zum Wahlziel 18 Prozent, sagte
Pieper. Die Wahl in dem neuen Bundesland habe bewiesen, dass die
FDP "eine Partei für das ganze Volk" sei. Das Wahlergebnis
habe gezeigt, dass sich eine "klare Personalisierung, eine
pfiffige Wahlkampagne und ein Programm in klarer Sprache"
auszahlten.
Vorrangiger Reformbedarf beim Bildungssystem
Vorrangiger Reformbedarf besteht nach Ansicht Piepers für
das Bildungssystem. "Bildung ist die soziale Frage des 21.
Jahrhunderts," sagte sie. Derzeit verließen etwa 87.000
Schüler oder neun Prozent eines Jahrgangs die Schulen ohne
Abschluss. Diese Menschen fielen in ein Leben ohne Perspektive.
Die FDP stehe weiter für deutliche Senkungen der Steuern
und Staatsausgaben wie der Steinkohlesubventionen. Lambsdorff
bezeichnete Schröder als Meister der Unordnungspolitik.
Mannheim - Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle will seine
Partei als Kanzlerkandidat in den deutschen Bundestagswahlkampf
führen. Seinen Entschluss gab der 40-Jährige Sonntag
Früh auf einer Sondersitzung des FDP-Bundesvorstands in Mannheim
bekannt. Das Führungsgremium unterstützte den Parteichef
einstimmig in dem Vorhaben, wie Parteisprecher Martin Kothe bekannt
gab. Der Bundesparteitag der Liberalen wurde unterdessen mit der
Beratung des außenpolitischen Teils für das Bundestagswahlprogramm
fortgesetzt.
In dem Beschluss des FDP-Vorstands vom Morgen heißt es:
"Als Partei für das ganze Volk treten wir mit einem
eigenen Kanzlerkandidaten an." Die FDP wolle die Bundestagswahl
am 22. September mit Guido Westerwelle zum Erfolg für Deutschland
machen.
Kurfürst Guido
Auf dem letzten FDP-Parteitag vor einem Jahr in Düsseldorf
hatte Westerwelle die Nominierung eines eigenen Kanzlerkandidaten
der FDP noch entschieden abgelehnt und sich in einer Kampfabstimmung
gegen einen entsprechenden Vorschlag seines Stellvertreters Jürgen
Möllemann durchgesetzt. Inzwischen sei die Situation aber
eine andere, sagten er und andere führende FDP-Politiker
vor allem nach dem Wahlerfolg von Sachsen-Anhalt, wo die Liberalen
am 21. April auf 13,3 Prozent gekommen waren. Auch Möllemann
hatte Westerwelle am Samstag auf dem Parteitag ausdrücklich
zur Kandidatur ermuntert und ihm dafür jedwede Unterstützung
angeboten. Eine Rivalität zwischen ihm und dem Parteichef
gebe es nicht mehr, er wolle "Kurfürst Guido dienen",
sagte Möllemann.
Parteitag fortgesetzt
Am Sonntag setzte der Parteitag die Beratung des Bundestagswahlprogramms
fort. Dessen außenpolitischer Teil wurde ohne Änderungen
einstimmig verabschiedet. Bereits am Samstag hatten die mehr als
600 Delegierten die Abschnitte zur Wirtschafts-, Familien-, Bildungs-,
Verkehrs- sowie der Innen- und Rechtspolitik beschlossen. Nach
einer persönlichen Intervention Westerwelles fand ein Antrag
eine große Mehrheit, wonach der große Lauschangriff
von der Partei kritisch begleitet und die Informationspflicht
über die Abhörpraxis verbessert werden soll. Damit wurde
die von einem Arbeitskreis empfohlene Abkehr der FDP vom großen
Lauschangriff abgelehnt. Vor einem derartigen Schwenk um 180 Grad
hatte Westerwelle ausdrücklich gewarnt.
Von Werner Bosshardt, Berlin
Auch Thomas Borer-Fielding, früherer Botschafter der Eidgenossenschaft in Berlin und Gast am FDP-Parteitag in Mannheim, hält Guido Westerwelle für einen durchaus valablen Kanzlerkandidaten. Doch auf derlei Empfehlungen war der Vorsitzende der deutschen Liberalen längst nicht mehr angewiesen. Schon vor dem Parteitag stand nämlich fest, dass Westerwelles «intensives Nachdenken» über eine Kanzlerkandidatur nicht in massvolle Zurückhaltung münden würde. Bedenken, die Partei könnte sich mit einer Kanzlerkandidatur lächerlich machen, zählten nach einigen spektakulären Wahlerfolgen, zuletzt vor drei Wochen in Sachsen-Anhalt, schlicht nicht mehr.
«Partei für das ganze Volk»
Hans-Dietrich Genscher übernahm die Aufgabe, die Proklamation des Kandidaten rhetorisch vorzubereiten. Die FDP sei die dritte «gesamtdeutsche Partei» der Republik, neben SPD und Union sowie zwei Regionalparteien, sagte der Langzeit-Aussenminister, sie sei auch eine Partei «für das ganze Volk» und solle deshalb ihren «Kurs der Eigenständigkeit» mit einer Kanzlerkandidatur unterstreichen. Genscher bezeichnete Westerwelle als «Mann der Zukunft» und personelle Alternative für jene Millionen von Wählerinnen und Wählern, die weder Schröder noch Stoiber wollten. Vor einem Misserfolg der Kanzlerkandidatur müsse der FDP nicht bange sein, bei der SPD etwa habe das schon neunmal nicht geklappt.
Die deutschen Liberalen haben sich laut Guido Westerwelle «in der Opposition erneuert und neu aufgestellt». Mit Ausnahme der umtriebigen Generalsekretärin Cornelia Pieper sind im Führungspersonal allerdings noch immer dieselben Köpfe wie vor 1998 zu sehen. Dennoch fühlt sich die FDP nun dazu berufen, jene Modernisierung Deutschlands an die Hand zu nehmen, die sie zuvor fast 30 Jahre lang als Mitesser am Kabinettstisch verpasst hat. Die FDP sei die einzige Partei, sagte Westerwelle, die zuerst dem Bürger vertraue und erst dann dem Staat. Eine durchgreifende Reform des Bildungswesens und Steuersenkungen sind zentrale Punkte des FDP-Wahlprogrammes.
Trotz offensichtlicher Präferenzen für die Union versagt sich die FDP nach wie vor eine Koalitionsaussage - erst einmal soll das ganz und gar nicht bescheidene Wahlziel 18 Prozent erreicht werden. Einiges zu reden gab bereits im Vorfeld des Parteitags die Position der Liberalen im Nahostkonflikt. Der Vizevorsitzende Jürgen Möllemann pflegt derart viel Verständnis für den palästinensischen Widerstand aufzubringen, dass der Vorwurf, er schüre antiisraelische oder gar antisemitische Ressentiments, nicht mehr übertrieben weit hergeholt ist. Möllemann war es auch, der dem abtrünnigen grünen Landtagsabgeordneten Jamal Karsli aus Nordrhein-Westfalen ein neues Dach anbot, und nachdem der gebürtige Syrer in einer rechtsextremen Postille über die «zionistische Lobby» hergezogen war, welche die Medien kontrolliere, bequemte sich Möllemann bloss zu einer halbherzigen Distanzierung. Die «Grande Dame» der FDP, Hildegard Hamm-Brücher, sprach von einem «opportunistisch ins rechte Fahrwasser einmündenden Kurs» und drohte deswegen mit dem Austritt aus der Partei.
Applaus für Möllemann
Die Delegierten trugen diesem Unmut mit einer Resolution Rechnung, in der es etwa heisst, kein Widerstandsrecht legitimiere dazu, Selbstmordattentäter zu rekrutieren und Unschuldige mit in den Tod zu reissen. Die Parteitagsrede Jürgen Möllemanns, der keine seiner umstrittenen Äusserungen zurücknahm, wurde dennoch mit grossem Applaus aufgenommen.
Kommentar
Guido macht Spass
Von Werner Bosshardt, Berlin
Die rhetorischen Nebelschwaden werden sich legen und die gelben Luftballons zerplatzen. Dann hält neuer Realitätssinn in der deutschen Republik Einzug, und es wird sich zeigen, dass der nächste Bundeskanzler Gerhard Schröder oder Edmund Stoiber heisst.
Sind die Liberalen derart schlechte Rechner, wie sie vorgeben? Selbstverständlich nicht. Natürlich weiss Guido Westerwelle, dass er selbst mit riskant geschätzten 18 Prozent nie Kanzler wird. Und natürlich wird seine flotte Generalsekretärin Cornelia Pieper nachrechnen können, wie viel nach ihrem 13-Prozent-Ergebnis in Sachsen-Anhalt noch fehlt, um ihren zunächst vollmundig bekräftigten Anspruch auf das Ministerpräsidentenamt zu begründen. Nein, die Westerwelles, Piepers und Möllemanns spielen bloss geschickt auf der Klaviatur der Mediendemokratie und blasen sich zu diesem Zweck auf Überlebensgrösse auf: Unkonventionelles weckt Neugier, Selbstbewusstsein suggeriert Stärke, Lärm überlagert leise Töne. Bisher gibt ihnen der Erfolg Recht. Und nichts wirkt in der Politik so ansteckend wie Erfolg.
Guido Westerwelle hat es in relativ kurzer Zeit verstanden, das angegraute Image seiner Partei aufzu- polieren, es auf Kompatibilität mit der jüngeren Generation zu trimmen. Denn seit er den grundsoliden, aber in der Öffentlichkeit etwas langweiligen Wolfgang Gerhardt vom Parteivorsitz verdrängt hat, ist es seine Devise, den «Weg zur Modernisierung Deutschlands mit Fröhlichkeit zu beschreiten». Und bisher hat es ihm nicht geschadet, dass die Fröhlichkeit dabei stärker im Vordergrund stand als die Modernisierung. Da spannt sich die berühmte 18 eben einmal über den beachtlichen Busen von Dolly Buster, oder sie leuchtet von den Schuhsohlen des Vorsitzenden. Und im Sommer soll ein gelb-blaues «Guidomobil» vor den Grillplätzen der Nation aufkreuzen - mit Guido machen Bratwürste eben noch mehr Spass.
Nach der Wahl könnte der Spass für manche vorbei sein. Für Guido Westerwelle allerdings eher nicht. Denn der ist zwar dannzumal bestimmt nicht Kanzler. Aber wetten, dass der nächste Vizekanzler Guido Westerwelle heisst?