4. Nach Stalingrad
Da sich die Kriegsaussichten
nach 1942 empfindlich verschlechterten, suchte man nach neuen
Propagandaschlagworten und erfand schließlich das Konzept
der "Festung Europa" das die bisherigen Großraumpläne
ablöste. Man sah sich nun nicht mehr als Herr Europas sondern
als Beschützer des Abendlandes vor dem Bolschewismus. Das
wohl krasseste Beispiel für die propagandistische Nutzung
dieses Konzeptes ist wohl die Broschüre "Der Untermensch"
(SS Hauptamt-Schulungsamt, Der Reichsführer SS o.J.) in dem
die "paradisischen Zustände" in Europa (spielende
Kinder, edle Greise, starke Bauern...) mit der "Hölle"
der Sowjetunion (unterernährte und schmutzige Kinder, ausgebeutete
Arbeiter, Gottlosigkeit und Leichenberge) kontrastiert werden.
Eine Denkschrift des Auswärtigen Amtes forderte allerdings
noch mehr:
"Warum stellen wir nicht auch Zukunftsprogramme auf, die beruhigen, verführen oder doch wenigstens neutralisieren?...Als ob sich nicht nach errungenem Sieg leicht eine Formel finden ließe, die unserem Führungsanspruch genügt und die uns dann erst recht die Möglichkeit gäbe, ohne sichtbare Anwendung von Gewalt unseren bestimmenden Einfluß zu sichern." (Denkschrift Auswärtiges Amt in: Kroener et. al 1999: 499)
Ein im April 1943 eingesetzter Europaauschuß im Auswärtigen Amt entwickelte Pläne für eine europäische Konföderation aus 13 Staaten unter Führung der Achse (abgedruckt in Lipgens 1985). Idealerweise hätte man diesen Bund anläßlich der Feiern zur Erneuerung des Antikomintern Paktes präsentieren können - dazu kam es aber aus zwei Gründen nicht: Erstens beinhaltete der Plan "verspätete, unaufrichtige und unattraktive Ansätze" (Hoensch 1995: 323) und zweitens blieb die Einstellung Hitlers ein Hindernis; dieser hatte schon 1942 solche Planungen verboten. (siehe Hitler 1942 in Lipgens 1985: 108-9) Kroener dazu:
"Da Hitler nicht bereit war, seine
politischen Kriegsziele zu revidieren, konnte die neue Gelenkigkeit
in der wirtschaftlichen Außenpolitik auch keine klaren und
eindeutigen Parolen hervorbringen; und solange eine durchgreifende
Änderung der wirtschaftlichen Ausbeutungspolitk in den besetzten
und abhängigen Ländern ausgeschlossen wurde, blieb die
ganze rührige "Europa" Propaganda der Nationalsozialisten
letztlich wirkungslos." (Kroener et. al 1999: 501)
4.1. Nachkriegsordnung ohne
Hitler
Streng geheim beschäftigte
sich das deutsche Großkapital ab 1943/44 im engen Beirat
der Reichsgruppe Industrie schon mit Plänen für eine
europäische Nachkriegsordnung ohne Sieg Deutschlands und
ohne Hitler. Man fürchtete sich vor allem vor "anarchistischen"
Zuständen wie nach dem ersten Weltkrieg. Riedl, Aufsichtsratsvorsitzender
einer I.G. Farben Untergesellschaft, meinte, daß Deutschland
Fahnenträger und nicht Herr Europas sein müsse. (Giordano
1989: 332) Mit Recht bezeichnet Giordano solche Leute als "Kreidefresser"
(Giordano 1989: 335) und Kahrs faßt zusammen: "Am
Ende stand die Bereitschaft, sich als antikommunisitischer Vorposten
in die Atlantik- und Welthandelscharta einzubringen und dabei
so zu tun, als sei zuvor gar nichts geschehen." (Kahrs
1992: 26, siehe auch Roth 1996b: 186-187)
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Bildquellen: siehe Quellenkritik