Der Computer -
ein multimediales Werkzeug zum Lernen von Physik (Teil II)
 
Das Projekt
"Galileo" - Videoanalyse von Bewegungsvorgängen
Peter Krahmer; Rolf
Winter; Helmut Mikelskis
 

Bild 1: Das
Videoauswertungsprogramm "Galileo"
 
Zielsetzung
Die Videoanalyse von
Bewegungsvorgängen mit Hilfe des Computers ermöglicht eine
praktische Realisierung der didaktischen Forderung nach
Alltagsorientierung von Physikunterricht. Realvorgänge aus dem
Sport, dem Verkehr, vom Jahrmarkt oder aus der Natur können so
auf neue Weise insbesondere den Mechanikunterricht ab Klasse 10
oder 11 lebensnah gestalten helfen.
Mit physikalischen
Denkwerkzeugen auf wirkliche Vorgänge dieser Welt zugehen, ohne
schon gleich das Laborexperiment an den Anfang zu stellen, das
soll im folgenden am Beispiel von "Galileo" (Bild 1)
vorgestellt werden.
Und selbst dann noch, wenn
einmal nicht alles klappt und der frustrierte Computerfreak das
"gute Stück" aus dem Fenster wirft und dem freien Fall
überläßt (Bild 2), ist uns das eine Videoanalyse wert.
Schließlich gehören auch Karikatur und ein Schuß Selbstironie
zum Physiklernen.
Ausgehend von diesen
Erkenntnissen wurde vom Celtis-Gymnasium in Schweinfurt/Franken
(OStR Peter Krahmer) und dem Bereich Didaktik der Physik der
Universität Potsdam (Dr. Rolf Winter) ein gemeinsames Projekt in
Angriff genommen, dessen Ziel darin bestand, ein Video -
Auswertungsprogramm zu entwickeln, mit dem physikalisch
interessante Vorgänge untersucht werden können. Gegenüber den
aus den USA bzw. Frankreich kommenden Entwicklungen (CUPLE,
Videopoint, 2-D Video QT bzw. IMAWIN /1/) sollte es folgende
Vorzüge haben:
    - Benutzeroberfläche in
        deutscher Sprache, 
 
    - bedienerfreundliches
        Anpassen einer Modellkurve an die Meßwertkurve (Fitten),
        
 
    - Angebot als preiswerte
        Shareware.
 
Außerdem sollte eine Sammlung
von didaktisch interessanten und lehrplanrelevanten Videoclips
Bestandteil des Projekts sein. 
 
Das Programm
Die Lernumgebung
"Galileo" (Bild 1) besteht aus den Modulen Videoauswertung,
Modellbildung, Simulation und
Tabellenkalkulation, die miteinander vernetzt sind.
Für das Arbeiten mit Galileo im Unterricht wird folgende
Vorgehen empfohlen:
    - Lehrer und Schüler suchen
        gemeinsam ein geeignetes Bewegungsphänomen aus.
        Gesichtspunkte bei der Auswahl sollten vor allem der
        physikalische Gehalt und eine taugliche Kameraperspektive
        sein (wenig perspektivische Verzerrungen).
 
    - Herstellen eines
        Videoclips dieses Phänomens. Gut geeignet sind
        Mitschnitte aus dem Fernsehen (Sportsendungen) und
        Videoaufnahmen, die die Schüler selbst angefertigt haben
        (Projektarbeit). Im Programmpaket Galileo werden auch
        einige von den Autoren hergestellte Clips angeboten.
 
    - Umwandlung des analogen
        Videoclips in ein digitales Softwarevideo im Format Video
        for Windows (*.AVI -
        Datei). Technisch wird das mit einer Videokarte und
        entsprechender Software gelöst (zu technischen
        Einzelheiten und Problemen siehe /1/). Diese Aufgabe
        sollte der Lehrer in der Unterrichtsvorbereitung
        tätigen.
 
    - Im Unterricht wird zuerst
        die Zeit- und Längeneichung (Kalibrierung) vorgenommen.
        Das ist nötig, um später quantitative Auswertungen
        durchführen zu können. Außerdem muß der
        Koordinatenursprung festgelegt werden.
 
    - Mit der Computermaus als
        Meßinstrument wird dann die Position des bewegten
        Objekts auf den einzelnen Bildern ausgemessen. In dieser
        Phase sind die Schüler tätig. Der Lehrer gibt das
        Abtastsystem (x-y, x-t oder y-t) vor und die Schüler
        erarbeiten eine Meßwerttabelle. Auf die Koordinaten x
        und y und die Zeit als dritte Koordinate ist im
        allgemeinen besonders zu achten. Bei Wurfparabeln z.B.
        ergeben sowohl die x-y-Ortskurve als auch das
        y-t-Diagramm jeweils eine Parabel. 
 
    - Die Meßwerttabelle wird
        grafisch dargestellt und mit diversen Modellansätzen
        verglichen. Die wenigen Modelle, die im Physikunterricht
        in Form geschlossener Lösungen relevant sind, können im
        Programm aufgerufen werden (siehe Bild 2, unten rechts).
        Es sind dies ein x-y-Modell (zeitfreies Modell, z.B. für
        Wurfparabeln), ein x-t - bzw. y-t-Modell jeweils in
        quadratischer Abhängigkeit von der Zeit (z.B. für Fall,
        Beschleunigung, Wurf und viele weitere Themen der
        Schulphysik) sowie ein x-t - bzw. y-t-Modell in
        sinusförmiger Abhängigkeit von der Zeit (z.B. für
        Schwingungen, Drehbewegungen usw.). Die Schüler drehen
        an den "Parameterschrauben", die im Programm
        durch Schieberegler realisiert werden, und finden die
        optimalen Parameter, z.B. den Wert für die
        Fallbeschleunigung (fitten).
 
    - An einem zweiten Ansatz,
        nämlich dem Vergleich der Messergebnisse mit einer durch
        Kraftgesetz und iterativer Simulation generierten
        grafischen Darstellung, wird zur Zeit gearbeitet. Die
        endgültige Version von Galileo wird dies beinhalten, um
        z.B. Reibungsvorgänge im Modellbild beschreiben zu
        können. Man kann aber auch externe
        Modellbildungsprogramme (z.B. MODUS, STELLA) einsetzen
        /1/.
 
    - In bestimmten Fällen
        erweist es sich als günstig, zusätzlich zur
        Videoanalyse auch noch ein Real-(Labor-)Experiment
        durchzuführen. Zum Vergleich der Ergebnisse werden die
        ermittelten Daten in ein Tabellenkalkulationsprogramm
        exportiert, z.B. EXCEL (siehe Bild 3). Allerdings
        funktioniert das nur dann, wenn die Schüler gewisse
        Vorkenntnisse im Umgang mit EXCEL besitzen. Ist das nicht
        der Fall, kann die Physikstunde auch mal zum
        Trainingsfeld für die IT-Bildung (informationstechnische
        Bildung) werden. Dies ist in den Rahmenlehrplänen der
        meisten Bundesländer auch so vorgesehen. Die Erfahrungen
        lassen sich in einer häufigen Schülerreaktion
        zusammenfassen: "Warum haben Sie uns den Umgang mit
        EXCEL nicht schon früher gezeigt, das ist ja toll!"
 
    - Hausaufgaben und
        Tabellenmitschrift ins Heft sind aus methodischer Sicht
        nach wie vor dringend anzuraten. Die Schüler betrachten
        sonst Filmvorführungen, Videostunden und manche
        Computerstunde als Unterhaltungsprogramm. Da läuft
        etwas, das der Lehrer später nicht abprüft. 
 
 
Unterrichtsbeispiel 1:
"Freier Fall"

Bild 2
Benutzeroberfläche von Galileo mit AVI-Clip "Fall"
An Hand des Videoclips
"Fall", der in Form einer AVI-Datei im Programmpaket
enthalten ist und den Wurf eines Computers aus dem zweiten Stock
eines Hauses darstellt, soll das Vorgehen noch einmal detailliert
beschrieben werden:
    - Die AVI-Datei wird
        geladen. Es wird der Meßanfang (erstes auszuwertendes
        Frame des Clips) und das Meßende (letztes Frame) mit
        Hilfe der Schieberegler festgelegt und diese Auswahl dann
        fixiert. Es ist günstig, die kleine Sequenz ein paarmal
        ablaufen zu lassen, damit die Schüler Vertrauen in die
        Anordnung gewinnen. Der Eichschritt ist ebenso einfach,
        da die Höhe des Fensters in den Clip eingeblendet ist.
        Ein Mausklick am Anfang, ein Mausklick am Ende, und das
        Meßinstrument Maus ist geeicht. Eventuell kann man in
        der Oberstufe auf einfache lineare Transformation
        eingehen. 
 
    - Der Schüler tastet nun
        einfach das Bild ab (ohne eine Maustaste zu drücken) und
        durcheilt den aus der Realität abgebildeten Bereich. Er
        lernt dabei oben, unten, links und rechts den
        x-y-Meßwertpaaren zuzuordnen. Je jünger die Schüler
        sind, um so wichtiger erscheint gerade diese
        vertrauensbildende Maßnahme. 
 
    - Nun wird die linke untere
        Ecke des Computers als Hot-Spot ausgewählt, und der
        Meßwert mit einem Maustastendruck in Grafik und Tabelle
        übertragen. Automatisch rückt der Zeiger der Tabelle um
        eine Zeile weiter, der zweite Meßwert folgt. Die 10 bis
        20 Meßwerte sind schnell ermittelt. 
 
    - Jetzt wird das
        quadratische Modell mit x(t) und y(t) ausgesucht, wobei
        man natürlich im Unterricht die Formeln schon besprochen
        haben sollte. 
 
    - Als letzter Schritt
        erfolgt nun der Vergleich von Modellbild aus diesen
        Formeln und den Meßwerten. Die Schüler
        legen durch Drehen an den Parameterschrauben
        (Schiebereglern) Ausgangshöhe, Startgeschwindigkeit und
        Fallbeschleunigung fest, und bereits während des Drehens
        ändert sich der Modellgraf im Grafikfenster. Der
        Schüler erlebt so aktiv die Bedeutung der Parameter in
        den sonst so trockenen Formeln. 
 
    - Bei optimaler Deckung wird
        der Wert für die Fallbeschleunigung abgelesen. Die
        Videoanalyse liefert mit g = (9,8 ± 0,5)m/s2 einen
        erstaunlich guten Wert. Dies entspricht einem relativen
        Fehler von 5%, und liegt somit trotz der prinzipiellen
        Mängel des Verfahrens (siehe /1/) innerhalb der
        typischen Genauigkeit in der Schulphysik.
 
 

Bild 3 Die Daten
der Videoauswertung werden in ein Tabellenkalkulationssystem, z.
B. EXCEL , exportiert und ausgewertet
 
Unterrichtsbeispiel 2:
"Weitsprung"
Beispiele aus dem Sport bieten
eine Vielzahl von Möglichkeiten zur physikalisch relevanten
Videoauswertung. Deshalb wurden Videos von Wurfbewegungen sowie
von Stoß- und Schlagvorgängen aufgenommen. Dazu zählen
    - Wurf eines Basketballs 
 
    - Stoßen einer Kugel 
 
    - Treten eines Elfmeters 
 
    - Schlagen eines Tennisballs
        
 
    - Weitsprung.
 
Eine ausführliche Darstellung
der Videoauswertung dieser Clips im Physikunterricht der
Abiturstufe erfolgt in den Teilen III und IV dieser Reihe
"Der Computer - ein multimediales Werkzeug zum Lernen von
Physik". Deswegen soll hier nur kurz auf die Auswertung des
Weitsprungs eingegangen werden.
Der Videoclip
"Weitsprung.AVI" wird wie im Unterrichtsbeispiel 1
beschrieben in das Programm geladen, Anfang und Ende festgelegt
und die Eichung vorgenommen. Dazu ist in den Clip ein weißes
Quadrat mit der Kantenlänge 1 m eingeblendet. Der
Koordinatenursprung wurde auf den Absprungbalken gelegt. Als
Hot-Spot zur punktweisen Auswertung eignen sich
Körpermittelpunkt oder Kopf des Springers. Die Füße sind z.B.
sollte man nicht nehmen, da sie eine zusätzliche Bewegung
ausführen. Es ergibt sich eine typische Wurfparabel, deren
Parameter aus der Fittingkurve entnommen werden können (Bild 4).
Aus dem y-t-Diagramm kann man z.B. für g = 9,89 m/s² entnehmen.

Bild 4 y - t -
Diagramm eines Weitsprungs
 
Unterrichtsbeispiel 3:
"Frosch"
Aber auch etwas
"fremdere" Bewegungsvorgänge können untersucht
werden. Quakt ein Frosch sinusförmig oder nicht ? Dazu wurde ein
quakender Frosch mit einer Videokamera aufgenommen und in ein
Softwarevideo konvertiert. Nur bei kleinen Amplituden sind fast
alle periodischen Bewegungen sinusförmig (Bild 5).
 

Bild 5 Auswertung
des Videoclips "Frosch.AVI"
 
Wie erhält man das
Programm "Galileo"?
Das Programmpaket
"Galileo" enthält das eigentliche Programm Galileo.EXE, eine Beschreibung des Programms
Galileo.TXT sowie einige Videoclips im VfW-Format als AVI-Dateien
(z.B. Fall, Basketballwurf, Elfmeter, Tennis, usw.). Die
Videoclips wurden von einer Arbeitsgruppe des Bereichs
Physikdidaktik der Universität Potsdam (Mikelskis, Seifert,
Winter) hergestellt. Das Paket "Galileo.ZIP" (1
Diskette), das die Dateien Galileo.EXE, Galileo.TXT und Fall.AVI
enthält, ist gegen eine Selbstkostenerstattung von 20,- DM bei
Peter Krahmer (Adresse s.u.) erhältlich. Es läuft auf 486er
Rechnern (und höher) unter Windows. Das Programmpaket ist auch
im Internet abrufbar (bitte das Sharewarekonzept beachten), und
zwar wahlweise über
Über die HomePages und die Teachers
Pages kann man sich ständig über weitere Verbesserungen
informieren. An Unterrichtserfahrungen der Leserinnen und Leser
mit dem Programm sind die Autoren sehr interessiert.
 
    
        | OStR Peter Krahmer  Methfesselstr. 18  
        97074 Würzburg 
         | 
        Prof. Dr. Helmut Mikelskis  Dr. Rolf Winter 
         | 
        Universität Potsdam  Institut für Experimentalphysik und
        Physikdidaktik  
        Am Neuen Palais 10 
        14469 Potsdam 
         | 
    
 
 
Literatur:
/1/ Mikelskis, H.; Seifert, S.;
Winter, R.: Der Computer - ein multimediales Werkzeug zum Lernen
von Physik (1), Multimedia und Hypermedia im Physikunterricht -
eine einführende Übersicht. - In: Physik in der Schule. -
Berlin, 35 (1997) 6 - S. ...)