Sonderpädagogische Förderung

§ 49 Anspruch auf sonderpädagogische Förderung

(1) Kinder und Jugendliche, die zur Gewährleistung ihrer körperlichen, sozialen und emotionalen sowie kognitiven Entwicklung in der Schule sonderpädagogischer Hilfen bedürfen, haben einen Anspruch auf sonderpädagogische Förderung.

(2) Den sich aus diesem Anspruch ergebenden sonderpädagogischen Förderbedarf erfüllen die Sonderschulen in ihren verschiedenen Formen oder die allgemeinbildenden und beruflichen Schulen (allgemeine Schulen), an denen eine angemessene personelle, räumliche und sächliche Ausstattung vorhanden ist oder geschaffen werden kann. Die sonderpädagogische Förderung erfolgt für jede Schülerin und jeden Schüler auf der Grundlage eines individuellen Förderplans.

§ 50 Prävention, Integration, Rehabilitation

(1) Die allgemeinen Schulen und die Sonderschulen haben den gemeinsamen Auftrag, bei der Rehabilitation und Integration der Kinder und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf in die Gesellschaft mitzuwirken und dabei mit den Behörden und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe und den Trägern der Sozialhilfe zusammenzuarbeiten. Der Erfüllung des Auftrags dienen insbesondere Maßnahmen der Prävention und Minderung von Beeinträchtigungen in der allgemeinen Schule. Sie sind in Zusammenarbeit von allgemeiner Schule und Sonderschule im Rahmen der personellen, räumlichen und sächlichen Möglichkeiten der Schule zu entwickeln.

(2) Zu den vorbeugenden Maßnahmen gehören Fördersysteme wie zum Beispiel Kleinklassen für Erziehungshilfe und Sprachheilklassen. Die Kleinklasse ist die flexible Organisationsform, in der die besondere Förderung einzeln oder gemeinsam in Lerngruppen erfolgt. Der Schulträger legt im Schulentwicklungsplan (§ 145) dem voraussichtlichen öffentlichen Bedürfnis entsprechend fest, in welcher Zahl Kleinklassen für Erziehungshilfe oder Sprachheilklassen eingerichtet und unterhalten werden. Das Staatliche Schulamt entscheidet jährlich im Benehmen mit dem Schulträger nach der Zahl und den regionalen Schwerpunkten der in der Maßnahme erfassten Schülerinnen und Schüler sowie nach den personellen Möglichkeiten, an welchen Schulen Kleinklassen für Erziehungshilfe und Sprachheilklassen angeboten werden.

§ 51 Gemeinsamer Unterricht in der allgemeinen Schule

(1) Gemeinsamer Unterricht von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf und ohne diesen Förderbedarf findet in der allgemeinen Schule in enger Zusammenarbeit mit der Sonderschule statt. Bei der Planung und Durchführung des gemeinsamen Unterrichts wirken Sonderschullehrerinnen und -lehrer und Lehrerinnen und Lehrer der allgemeinen Schulen in einem der jeweiligen Art und Schwere der Behinderung angemessenen Umfang zusammen. Die Beratung und Stellenzuweisung für den gemeinsamen Unterricht erfolgen durch das Staatliche Schulamt.

(2) Formen des gemeinsamen Unterrichts für Schülerinnen und Schüler mit praktischer Bildbarkeit oder Lernhilfebedarf in den Jahrgangsstufen 5 bis 10 der allgemeinen Schule sind die umfassende Eingliederung (integratives Angebot) und die teilweise Eingliederung in die allgemeine Schule (teilintegratives Angebot).

(3) Die Angebote nach Abs. 2 stehen in den Schulen zur Verfügung, die der Schulträger im Benehmen mit dem Staatlichen Schulamt für diese Zwecke räumlich und sächlich ausstattet.

(4) Formen der Förderung von Schülerinnen und Schülern mit Lernhilfebedarf in der Grundschule sind unter Beteiligung der Sonderschule zu erproben. Auf eine sonderpädagogische Überprüfung (§ 54 Abs. 2) kann verzichtet werden.

§ 52 Besonderer Unterricht in der Berufsschule

In der Berufsschule kann der Bedarf an sonderpädagogischer Förderung außer in den Formen des gemeinsamen Unterrichts in der Regelklasse in Bildungsgängen erfüllt werden, die auf eine Berufsausbildung oder eine Berufstätigkeit vorbereiten oder für einen Beruf qualifizieren.

§ 53 Sonderschulen

(1) Die Sonderschulen sind Einrichtungen für Schülerinnen und Schüler, die auf Dauer oder für einen längeren Zeitraum einer sonderpädagogischen Förderung bedürfen. In ihnen sind pädagogische Hilfen auch zur Erleichterung des Übergangs ihrer Schülerinnen und Schüler in die allgemeinen Schulen zu geben. Die Beratung der allgemeinen Schulen in sonderpädagogischen Fragen ist Bestandteil sonderpädagogischer Förderung und gehört zu den Aufgaben der Sonderschulen. Die Sonderschulen können als selbstständige Schulen errichtet oder als Zweige, Abteilungen oder Klassen allgemeiner Schulen eingerichtet werden. Sie sollen entsprechend dem regionalen Bedürfnis in Abteilungen, die Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichen Behinderungen aufnehmen können, gegliedert werden, damit dem sonderpädagogischen Förderbedarf insbesondere der Schülerinnen und Schüler entsprochen werden kann, die mehrfach behindert sind. Berufsschulen können als selbstständige Sonderschulen nur errichtet werden, wenn besondere Formen überregionaler Berufsausbildung eine Beschulung in enger Verbindung mit der Ausbildungsstätte erforderlich machen.

(2) Sonderschulen als sonderpädagogische Beratungs- und Förderzentren übernehmen Aufgaben der Beratung und der ambulanten sonderpädagogischen Förderung in den allgemeinen Schulen. Sie sollen mit den Beratungsstellen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe zusammenarbeiten. Über die Einrichtung einer Sonderschule als sonderpädagogisches Beratungs- und Förderzentrum entscheidet das Kultusministerium im Benehmen mit dem Schulträger.

(3) Zwischen der Sonderschule und der allgemeinen Schule können Formen der Kooperation entwickelt werden, in denen das Kind Schülerin oder Schüler der Sonderschule bleibt (kooperatives Angebot).

(4) Sonderschulen unterscheiden sich in Formen mit einer der allgemeinen Schule entsprechenden Zielsetzung und in Formen mit abweichender Zielsetzung. Formen mit entsprechender Zielsetzung sind die Sprachheilschulen sowie die Schulen für Körperbehinderte, Hörgeschädigte, Sehbehinderte, Blinde, Kranke und die Schulen für Erziehungshilfe mit Ausnahme der Abteilungen für Lernhilfe und für praktisch Bildbare. Sie bieten in einer den Anforderungen der jeweiligen Behinderung entsprechenden Unterrichtsorganisation die Bildungsgänge der allgemeinen Schule an.

(5) Formen abweichender Zielsetzung sind die Schule für Lernhilfe und die Schule für praktisch Bildbare. Aufgabe der Schule für Lernhilfe ist es, Kinder und Jugendliche, die auf Grund einer erheblichen und lang andauernden Lernbeeinträchtigung sonderpädagogischer Förderung bedürfen, zum Abschluss der Schule für Lernhilfe zu führen, soweit nicht der Übergang in eine allgemeine Schule möglich ist. Aufgabe der Schule für praktisch Bildbare ist es, geistig behinderte Kinder und Jugendliche zu befähigen, sich als Person zu verwirklichen, Umwelt zu erleben, sich in sozialen Bezügen zu orientieren, bei ihrer Gestaltung mitzuwirken und zur eigenen Existenzsicherung beizutragen.

(6) An der Schule für Blinde, Sehbehinderte und Hörgeschädigte kann ein fünftes Grundschuljahr angeboten werden; über die Einrichtung entscheidet die Gesamtkonferenz nach Anhörung des Schulelternbeirats mit Zustimmung der zuständigen Schulaufsichtsbehörde und des Schulträgers.

§ 54 Entscheidungsverfahren

(1) Auf Antrag der Eltern oder der allgemeinen Schule stellt das Staatliche Schulamt den sonderpädagogischen Förderbedarf fest. Der Antrag der allgemeinen Schule muss den Förderbedarf begründen und die bisherigen vorbeugenden Maßnahmen darstellen; er kann ohne sonderpädagogische Überprüfung zurückgewiesen werden, wenn weitere vorbeugende Maßnahmen ausreichend und der allgemeinen Schule möglich sind.

(2) Grundlage der Entscheidung über Art, Umfang und Dauer des sonderpädagogischen Förderbedarfs und über die Voraussetzungen für einen angemessenen Unterricht sind eine sonderpädagogische Überprüfung durch eine Sonderschullehrerin oder einen Sonderschullehrer, bei Bedarf eine schulärztliche Untersuchung und in Zweifelsfällen eine schulpsychologische Untersuchung. Das sonderpädagogische Überprüfungsverfahren kann mit Einverständnis der Eltern entfallen. Die Entscheidung wird in diesem Fall auf der Grundlage diagnostischer Unterlagen aus vorbeugenden Maßnahmen, aus dem Bereich vorschulischer Förderung und, wenn erforderlich, des schulärztlichen Gutachtens getroffen. Die Eltern sind im Entscheidungsverfahren umfassend zu beraten; darin erstellte Gutachten sind ihnen in einer Ausfertigung auszuhändigen.

(3) Die Eltern entscheiden darüber, ob ihr Kind die allgemeine Schule oder die Sonderschule besucht. Ihr Wahlrecht umfasst für Schülerinnen und Schüler mit praktischer Bildbarkeit oder Lernhilfebedarf (§ 53 Abs. 4) auch die Wahl zwischen integrativen, teilintegrativen oder kooperativen Angeboten im Rahmen des regionalen Schulangebots (§ 51 Abs. 2 und § 53 Abs. 3). Bei Schülerinnen und Schülern, die nach dem festgestellten sonderpädagogischen Förderbedarf für den Besuch einer Sonderschule mit einer der allgemeinen Schule entsprechenden Zielsetzung (§ 53 Abs. 3 Satz 2) in Frage kommen, ist von einer Entscheidung für die allgemeine Schule auszugehen, sofern die Eltern nicht einen Antrag auf Besuch der Sonderschule stellen. Der Wahl einer allgemeinen Schule muss das Staatliche Schulamt widersprechen, wenn an ihr die räumlichen und personellen Voraussetzungen für die notwendige sonderpädagogische Förderung nicht gegeben sind oder die erforderlichen apparativen Hilfsmittel oder die besonderen Lehr- und Lernmittel nicht zur Verfügung stehen. Es kann der Entscheidung widersprechen, wenn auf Grund der allgemeinen pädagogischen Rahmenbedingungen erhebliche Zweifel bestehen, ob die Schülerin oder der Schüler in der allgemeinen Schule angemessen gefördert werden kann. Halten die Eltern an ihrer Wahl fest, entscheidet das Staatliche Schulamt unter Abwägung der von den Eltern dargelegten Gründe und auf der Grundlage einer Empfehlung des Förderausschusses, sofern dessen Einrichtung nach Abs. 5 beantragt worden ist, endgültig. Kann nicht allen Entscheidungen für den Besuch einer allgemeinen Schule stattgegeben werden, sollen vorrangig Kinder berücksichtigt werden, die in eine Vorklasse aufgenommen werden können oder die in das erste oder zweite Schulbesuchsjahr eintreten.

(4) Das Staatliche Schulamt bestimmt die zuständige Sonderschule, wenn sich die Eltern für deren Besuch entschieden haben oder ihrer Entscheidung für den Besuch der allgemeinen Schule nicht entsprochen werden kann. Satz 1 gilt entsprechend, wenn der gemeinsame Unterricht nicht in der nach § 60 Abs. 4 zuständigen Grundschule besucht werden kann. Das Staatliche Schulamt entscheidet ferner im Rahmen der personellen Voraussetzungen über die Gewährung von Sonderunterricht, wenn Schülerinnen oder Schüler auf Dauer oder für eine längere Zeit zum Besuch einer Schule nicht fähig sind oder auch in einer Sonderschule nicht gefördert werden können.

(5) Auf Antrag der Eltern, die nach Abs. 3 Satz 6 an ihrer Entscheidung für den Besuch der allgemeinen Schule festhalten, bestellt das Staatliche Schulamt für die Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf einen Förderausschuss; ihm gehören an

  1. die Fachberaterin oder der Fachberater für die sonderpädagogische Förderung oder eine vom Staatlichen Schulamt Beauftragte oder ein Beauftragter mit der Wahrnehmung des Vorsitzes,
  2. eine Lehrerin oder ein Lehrer der allgemeinen Schule,
  3. eine Lehrerin oder ein Lehrer der Sonderschule,
  4. jeweils die Eltern des Kindes,
  5. eine Lehrerin oder ein Lehrer für den muttersprachlichen Unterricht mit beratender Stimme, wenn ein Kind ausländischer Eltern an diesem Unterricht teilgenommen hat oder teilnimmt,
  6. eine Vertreterin oder ein Vertreter aus dem Bereich der Frühförderung oder des Kindergartens mit beratender Stimme, wenn das Kind eine Einrichtung dieser Art besucht hat,
  7. eine Vertreterin oder ein Vertreter des Schulträgers mit beratender Stimme, wenn der gemeinsame Unterricht besondere räumliche und sächliche Leistungen erfordert.

Für Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf, die eine allgemeine Schule besuchen, kann auf Antrag der Eltern oder der allgemeinen Schule der Förderausschuss jederzeit eingerichtet werden.

(6) Der Förderausschuss gibt dem Staatlichen Schulamt eine Empfehlung über einen dem festgestellten Förderbedarf angemessenen Unterricht unter Berücksichtigung der personellen, räumlichen und sächlichen Voraussetzungen. Er hat ferner die Aufgabe, die allgemeine Schule bei der Förderung der Schülerin oder des Schülers mit sonderpädagogischem Förderbedarf zu beraten und den schulischen Bildungsweg zu begleiten.

(7) Zeigt die Entwicklung der Schülerin oder des Schülers mit sonderpädagogischem Förderbedarf in der allgemeinen Schule, dass eine angemessene Förderung nicht möglich ist, oder wird die angemessene Förderung anderer Schülerinnen und Schüler in der Regelklasse erheblich beeinträchtigt, ist auf Antrag der Eltern der Schülerin oder des Schülers oder der Schule die Stellungnahme des Förderausschusses darüber einzuholen, ob die Förderung an einer anderen allgemeinen Schule möglich ist oder die zuständige Sonderschule besucht werden muss. Die Entscheidung trifft das Staatliche Schulamt auf der Grundlage der Stellungnahme des Förderausschusses.

§ 55 Nähere Ausgestaltung der sonderpädagogischen Förderung

Die nähere Ausgestaltung der sonderpädagogischen Förderung erfolgt durch Rechtsverordnung mit Regelungen insbesondere

  1. über die Durchführung vorbeugender Maßnahmen in der allgemeinen Schule,
  2. hinsichtlich der allgemeinen Schulen, die an der Erprobung nach § 51 Abs. 4 teilnehmen, über die Kriterien zur Bestimmung des Lernhilfebedarfs, die Konzeption des Förderprogramms sowie die personellen und sächlichen Voraussetzungen der Erprobung,
  3. zum Verfahren zur Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs,
  4. zur Aufnahme in die allgemeine Schule oder in die Sonderschule einschließlich der Aufgaben des Förderausschusses,
  5. über die unterschiedlichen Formen des gemeinsamen Unterrichts in der allgemeinen Schule einschließlich der Versetzungen und Zeugnisse, die für diese Formen jeweils erforderlichen personellen und sächlichen Voraussetzungen und über Art und Umfang der Zusammenarbeit mit der Sonderschule,
  6. über die Gestaltung der Sonderschulen, ihres Unterrichts und ihrer Abschlüsse der jeweiligen Zielsetzung entsprechend,

über die besonderen Bildungsgänge in der Berufsschule; dabei ist festzulegen, ob die Berufsschulpflicht nach Inhalt und Dauer der Ausbildung ganz oder teilweise durch ihren Besuch erfüllt werden kann.