Jagdgott

Ein Gastbeitrag von Herrn Studienrat Sigmund Mutznock aus Castrop-Rauxel:

gams02Morgendämmerung.
Alles schläft. Nur ich bin wach. Schleiche mich in den Wald, schwer bewaffnet.
Es ist ruhig. Nur hier und da hört man die Regentropfen, die auf unberührten Boden fallen. Einige Vögelchen zwitschern. Ich kann sie nicht sehen, also nicht erschießen.
Ich gehe weiter, erreiche eine Lichtung. Steige auf den Hochstand. Ansitzen.
Ihr dummen Nicht-Jäger. Ihr wisst nicht, was in der Natur vorgeht. Aber ich weiß es: Fluktuation des Wildes. Bestände. Natürliches Gleichgewicht, durch Jäger wie mich geschaffen. Ich weiß alles über diesen Wald. Alles über die Tiere. Ich kenne alle Zusammenhänge. Ich bin, denn ich weiß. Ich bin Go...
Was ist das?
Ein Stück Wild betritt die Lichtung, sieht sich vorsichtig witternd um.
Ich erhebe mich langsam, lege an. In meinem Magen und meinem Schlüpfer rumort es . Ich zittere vor freudiger Erregung. Drüsentätigkeit. Schweißausbrüche. Ein Lüftlein will ans Tageslicht. Ich ignoriere den Drang. Das Knattern meines Enddarms würde das Stück Wild erschrecken.
Ich drücke ab.
Das herrliche Knallen der Jagdwaffe zerreißt die Stille. Der Schuss hat gesessen: der halbe Hinterlauf des Stück Wilds ist aufgeplatzt, eine Schlagader pumpt rhythmisch pochend Blut ins Freie. Es dampft.
Das Stück Wild versucht sich humpelnd davonzumachen. Einfach grotesk!
Ich lache aus vollem Halse über den ulkigen Anblick.
Zwei, dreimal schlage ich mir noch glucksend auf die Schenkel, dann verlasse ich in stolzer Haltung den Hochstand.
Nachsuche.
Ich gehe auf das Stück Wild zu. Es ist seitlich umgefallen. Atmet heftig. Blickt mich mit vor Angst irrem Blick an.
Es spürt: Hier kommt ein Hoher zu mir. Ein Jäger. Ein Wesen, das alles über mich und die Natur weiß. Ein Wesen, das alle Zusammenhänge durchschaut hat.
Auch mir wird in diesem Augenblick außerordentlich klar, wer ich bin. Ein Überwesen, ein Übergott. Nur ich - und die anderen Jäger - wissen über sämtliche Zusammenhänge dieser Welt Bescheid.
Ein tiefes, hochzufriedenes Seufzen kommt aus meiner Kehle. Ich, der Herr über Leben und Tod. Ich, der Alleswisser und sich im Recht befindliche. Kein Wunder, dass in dieser Sekunde der winzige Kerl in meiner Hose zu pulsieren und zu wachsen beginnt. Ich verändere die Welt, bin Schicksal...
Während ich erneut anlege, streckt sich mein ganzer Körper. Ich werde zu einer imposanten Erscheinung mit stolzgeschwellter Brust.
Es kracht. Der Glanz in den Augen des Stück Wilds erlischt schlagartig.
Ich kann nicht anders. Ich gebe einen ohrenbetäubenden, urigen Schreilaut von mir. Ich bin nicht nur der Herr dieses Waldes - ich bin der Herr der Welt, wie ich nun erkennen muss.
Unglaublich. Was ich bin ... ein Jäger ... etwas überirdisch Schönes ... alles, was der Mensch erreichen kann, das bin ich.
Ich schreie immer noch. Glück, Glück und nochmals Glück durchströmt orgasmusartig meinen Jagdleib.
Ich taumele hin und her, bis ich merke, dass ich mich selbst beschmutzt habe, alle Muskeln haben sich aufgrund des Freudenrausches arg entspannt. Ich genieße die herausströmende Wärme, die langsam bis zu meinen Kniekehlen durchsickert. Ein herber Männerduft erfüllt die Umgebung
Ich schlitze das Stück Wild auf. Hole das dampfende Gedärm hervor.
Dann werfe ich mir den blutenden, warmen Kadaver über meine Übermenschen-Schultern, trage es von dannen, bis hin zu meinem Rover.
Am Abend werde ich, darauf freue ich mich, mit meinen Jagdfreunden ordentlich einen Saufen. Schließlich muss unser All-Wissen, unser All-Können gebührend gefeiert werden.