Tina sammelt kleine Holzkreisel. Sie hat schon viele schöne, bunte Exemplare in
ihrem Regal stehen. Alle sind schön aufgereiht. Jeden Abend, wenn sie ihre Zähne
geputzt hat, spielt sie noch eine kleine Weile mit diesen lustigen „Gesellen“.
Einer gefällt ihr am besten. Er ist so bunt bemalt wie ein Regenbogen. Sie hat
ihn von der Oma geschenkt bekommen. Wenn sie ihn tanzen lässt, wirbelt er leise
wie mit Flügeln auf dem Nachttisch. Heute Abend ist er besonders munter und will
nicht aufhören mit seinem Tanz. Er rotiert und dreht eine Runde um die andere.
Die bunten Farben leuchten im Licht der Nachttischlampe. Immer wieder ruft der Kreisel: „Tina, ich bin
noch nicht müde, bitte, bitte lass mich noch einmal tanzen.“
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"Komm
spiel mit mir, so zeig ich dir
den Regenbogenwundertanz.
Komm zieh mich auf -
dann beginnt mein Lauf.
Schnell wie der Wirbelwind,
leicht wie ein himmlisches Kind,
surren im Ringeltanz.
Tanzt auch die Welt
ums Gold, ums Geld,
kleine Tina drehe dich so,
das macht uns beide froh."
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Tina ist das recht, sie will nämlich auch nicht ins Bett. So spielen sie zusammen bis
die Turmuhr elf mal schlägt.
Da
passiert etwas Sonderbares. Der kleine Kreisel schwebt plötzlich über dem
Nachttisch, immer mehr in die Höhe, und dann sieht es so aus als ob er Flügel
hat. Ja, er hat zarte, durchsichtige Flügel wie eine Libelle. Tina staunt und
schaut ihm sehnsüchtig nach. Ja, denkt Tina, fliegen sollte ich können, dann
würden wir zwei auf dem Regenbogen tanzen. Sie steht langsam auf, macht ein paar
Tanzschritte und merkt wie sie immer leichter wird. Sie dreht sich wie ein
Wirbelwind und ist überglücklich. „Was ist denn das? Ich fliege ja, immer hinter
meinem Regenbogenkreisel!“ Und wirklich, als sie sich umschaut, erkennt sie ihre
zwei Flügel. Es sind nicht die gleichen Flügel, wie sie alle Vögel haben, nein
es sind richtige Elfenflügel, bunt schillernde, zarte Flügel. „Komm, kleine
Tina“, ruft ihr der Kreisel zu, „wir fliegen in die weite Welt“.
Schnell sind beide aus dem offenen Fenster in der Sommernacht verschwunden. Tina
und ihr Kreisel werden, wie von einer unsichtbaren Kraft, getragen.
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„Freue dich,
kleine Tina,
und denke nicht daran,
wie schnell unsere Reise
enden kann,"
ruft der
Regenbogenkreisel.
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Tina hat keine Angst und bewegt ihre Flügel gleichmässig, wie im Takt.
Ein lauer Wind nimmt beide mit auf eine lange Reise um die Erde. Sie fliegen
immer dicht nebeneinander und freuen sich über all die Bilder, die sie von hier
oben sehen können. Der Nachthimmel ist mit zehntausenden Sternen übersät. Das
muss die Milchstrasse sein, denkt Tina bei sich. Die Sterne über ihr funkeln
sehr hell. Der Mond leuchtet auf die Städte und Dörfer, auf die Seen, Flüsse
und Berge. Von hier oben sieht alles winzig klein aus. Plötzlich zeigt sich ein
grosser, feuerroter Ball am Himmel. Das ist die Sonne. Ein neuer Tag
beginnt.
Die
Mutter ist erschrocken, als Tina am nächsten Morgen nicht im Bett liegt. Wo mag
sie bloss sein? Das lange, rosarote Nachthemd liegt nicht auf dem Bett.
Ängstlich sucht sie überall und kann ihr Kind nicht finden. Da entdeckt sie,
dass auch der Regenbogenkreisel nicht im Regal steht. Wo sind die beiden? Sie
sucht den ganzen Vormittag, auch im Garten. Als eine schwere Gewitterwolke am
Himmel aufzieht, geht Tinas Mutter traurig ins Haus. Gleich nach dem
Gewitterregen kommt die Sonne hervor und ein Regenbogen erscheint über dem
Horizont. Sie schaut wie der farbige Regenbogen immer weiter und breiter wird.
Dann entdeckt sie Tina in ihrem Nachthemd und den bunten Kreisel dort oben. Sie
tanzen und spielen. Sie drehen sich wie im Wirbelwind, förmlich losgerissen und
aller Schwerkraft trotzend. Verzweifelt ruft Tinas Mutter immer und immer
wieder, so laut sie kann: „Tina, Tina mein Kind, komm wieder zur Erde hinunter,
komm nach Hause.“ Aber das kann Tina natürlich nicht hören. Und doch sieht es
jetzt so aus, als ob beide zur Erde zurücktanzen. Sie kommen immer näher. Die
Mutter breitet ihre Arme aus und Tina fliegt ihr direkt entgegen. Tina wacht
auf. In der Hand hat sie ihren kleinen Regenbogenkreisel.
Text und Foto : Christiane Wild |
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