Kostbare Momente 14 |
Es war, als hätte der eisige Wind ihn den ganzen Weg von Blue Coves kleinem
Friedhof bis nach New York verfolgt. Jarod schlug den Kragen seines schwarzen
Ledermantels hoch, als er in der kühlen Brise fröstelte. Er stand auf dem Bürgersteig
vor dem Appartementhaus in Brooklyn, in dem Miss Parker Unterschlupf gefunden
hatte.
Sein schlechtes Gewissen regte sich, als er daran dachte, was er während der
letzten halben Stunde gemacht hatte. Während der ganzen Fahrt nach New York
hatte er sich gefragt, was er tun würde, wenn er angekommen war und Miss Parker
gefunden hatte. Als es dann soweit gewesen war, hatte er beschlossen, sich nicht
so viele Gedanken im voraus zu machen und sie einfach mit seiner Anwesenheit zu
konfrontieren. Nervös und besorgt hatte er vor ihrer Tür gestanden, fast eine
Viertelstunde lang, bis er endlich den Mut aufgebracht hatte, zu klingeln. Noch
einmal hatte er gewartet, doch als nach einigen Minuten und weiterem Klingeln
nichts passiert war, hatte er sich dazu entschlossen, die Tür zu öffnen und
nach dem Rechten zu sehen.
Ja, er war in Miss Parkers Appartement eingebrochen. Nur zu ihrem besten, wie er
sich selbst immer wieder versichert hatte. Es hatte ihn nicht viel Zeit
gekostet, durch die kleine Wohnung zu laufen und festzustellen, daß sie nicht
dort war. Diese Erkenntnis hatte ihn entmutigt und einmal mehr an der Weisheit
seines Kommens zweifeln lassen. Er wußte nicht, in welcher Verfassung sie sich
befand. Was, wenn sie ihn nicht sehen wollte? Zu diesem Zeitpunkt war ihm ihr
Verhalten in der Hütte in Alaska wieder einmal schmerzhaft zu Bewußtsein
gekommen.
In seine Gedanken versunken, war er durch die Wohnung gewandert, hatte immer
wieder innegehalten und überlegt, was er als nächstes tun sollte. Sein Blick
war an der Tasche hängengeblieben, die auf dem Bett gestanden hatte. Er hatte
sich auf das Bett gesetzt, dicht neben die Tasche, und sie minutenlang nur
angestarrt. Dann hatte er die Hand danach ausgestreckt, sie wieder zurückgezogen
und dann noch einmal nach der Tasche gegriffen. Überrascht hatte er
festgestellt, daß die Tasche beinahe voll gewesen war, was bedeuten mußte, daß
Miss Parker nur wenige Dinge daraus entfernt haben konnte. Dieser Gedanke hatte
ihn auf unerklärliche Weise betrübt und mit dumpfer Hilflosigkeit erfüllt. Er
wußte, nein, er spürte, daß es ihr nicht gut ging - doch er hatte Angst, daß
er ihr nicht würde helfen können.
Die Tasche schien eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf ihn auszuüben, und
so hatte er schließlich seine Bedenken niedergerungen und sich den Inhalt näher
angesehen. Daß sich fast nur schwarzen Kleidungsstücke in der Tasche befunden
hatten, hatte ihn nicht sehr überrascht. Sein Erstaunen war erst geweckt
worden, als er die beiden Fotos gefunden hatte, die dort - scheinbar achtlos -
zwischen die Sachen gelegt worden waren.
Es waren Familienfotos, oder zumindest Fotos von Menschen, die Miss Parker wohl
ihre Familie nannte. Eines der Bilder zeigte sie selbst und ihre Mutter,
aufgenommen an einem sonnigen Tag, mit dem weitläufigen Gelände, das das
Centre umgab, im Hintergrund. Catherine lächelte auf diesem Bild, ebenso wie
ihre Tochter, doch das eine Lächeln unterschied sich so sehr von dem anderen
wie Tag und Nacht. Der Anblick hatte Jarods Herz schwer werden lassen, und
selbst jetzt, als er auf dem zugigen Bürgersteig stand, entlockte ihm die
Erinnerung daran ein melancholisches Seufzen. Schließlich zwang er seine
Gedanken fort von dem ersten Bild, und hin zu dem zweiten.
Das zweite Bild war, jedenfalls für Jarod, nicht nur interessanter, sondern
schon fast beruhigend gewesen. Darauf zu sehen waren er selbst und Sydney. Genau
wie das erste Bild stammte auch dieses aus einer Zeit, die weit zurücklag und,
aufgrund kindlicher Naivität gepaart mit der verzerrenden Perspektive der
Erinnerung, sehr viel glücklicher erschien. In diesem Punkt fühlte Jarod genau
wie Miss Parker. Nun, vielleicht nicht nur in diesem Punkt.
Was das zweite Bild für Jarod so interessant machte, war nicht allein die
Tatsache, daß es für Miss Parker wichtig genug gewesen war, um es zu den
wenigen Sachen zu packen, die sie aus ihrem alten Leben mitgenommen hatte -
nein, das wirklich Interessante daran war das kleine Bild, das im Rahmen des größeren
steckte, und auf dem Broots mit seiner kleinen Tochter Debbie abgebildet war.
Dieses kleinere Foto war das einzige, das nicht bereits mehr als 20 Jahre alt
war. Jarod wäre jede Wette eingegangen, daß Broots nicht einmal ahnte, in Miss
Parkers Leben eine so wichtige Rolle zu spielen. Wahrscheinlich nicht einmal in
seinen kühnsten Träumen würde er wohl ahnen, daß Miss Parker ihn und seine
Tochter als Teil ihrer Familie - ihrer gewählten Familie - betrachtete.
Nachdem er eine ganze Weile auf die beiden Fotos gestarrt und über ihre
Bedeutung nachgegrübelt hatte, war Jarod widerstrebend aufgestanden, um einen
letzten Gang durch die Wohnung zu machen. Etwas hatte ihm gesagt, daß er nicht
die Zeit hatte, hier auf Miss Parkers Rückkehr zu warten. Er würde hinaus in
die Stadt gehen und sie dort suchen. Sein Weg hatte ihn vom Schlafzimmer, durch
das kleine Badezimmer und die Küche, zurück ins Wohnzimmer geführt. Erst da
waren ihm Details aufgefallen, die er bei seinem ersten Rundgang, der allein der
Suche nach Miss Parker gedient hatte, nicht wahrgenommen hatte. Im Wohnzimmer
war er wie vom Donner gerührt stehen geblieben. Wie hatte er das nur übersehen
können?
Sein Blick hatte am Fernseher geklebt, oder besser an dem, was noch davon übrig
gewesen war. Bestürzt war er näher an die Trümmer herangetreten. Das Gehäuse
des Fernsehers war noch intakt gewesen, doch etwas - eine leere Whiskeyflasche,
allem Anschein nach - hatte mit schwerer Wucht die Mattscheibe durchschlagen und
im Inneren des Fernsehers eine irreparable Verwüstung angerichtet. Scherben
hatten überall auf dem Boden vor dem Gerät verstreut gelegen.
Jarod war vorsichtig in die Knie gegangen, den Blick aufmerksam auf den Boden
gerichtet. Suchend hatte er den Boden um die Scherben herum betrachtet. Es hatte
ihn erleichtert, als er festgestellt hatte, daß wenigstens kein Blut auf dem
hellen Teppich zu sehen gewesen war. Er hatte sich wieder aufgerichtet, den
Blick für einen Moment ins Leere gerichtet. Selbst ohne seine Pretenderfähigkeiten
wäre ihm sofort klar gewesen, was hier passiert sein mußte. Miss Parker war
auf die unangenehmste Weise mit Bens Tod und ihrer - angeblichen - Rolle dabei
konfrontiert worden.
Zu diesem Zeitpunkt war Jarod bewußt geworden, daß er nun keine weitere
Sekunde verschwenden durfte. Er hatte die Wohnung verlassen, nachdem er kurz
erwogen und sich dagegen entschieden hatte, Miss Parker eine kurze Nachricht zu
hinterlassen, für den Fall, daß sie in ihr Appartement zurückkehren sollte,
bevor Jarod sie gefunden hatte. Auf seinem Weg nach draußen hatte er dem
hilfsbereiten Portier in der Eingangshalle des Gebäudes ein Foto von Miss
Parker gezeigt und den Mann gebeten, ihn auf seinem Handy anzurufen, sobald er
oder ein Kollege aus einer anderen Schicht sie sah.
Und nun stand er hier, auf einem Bürgersteig in Brooklyn, mitten im
pulsierenden Herzen von New York. Sein Problem war nicht so sehr, daß er nicht
wußte, wo er mit dem Suchen beginnen sollte - er hatte vielmehr Bedenken, sich
mit Hilfe seiner Fähigkeiten als Pretender in Miss Parker hineinzudenken. Zum
einen stand er ihr emotional viel zu nahe, weswegen es ihm sehr schwer fallen
mochte, seine Gefühle von den ihren zu trennen, zum anderen befürchtete er, daß
der Zustand, in dem sie sich momentan zweifelsohne befand, seine Fähigkeit,
klar zu denken, negativ beeinflussen könnte.
Jarod rang mit sich selbst. Er wußte, daß er keine Zeit zu verlieren hatte,
aber die Entscheidung fiel ihm nicht leicht. Dumpfe Verzweiflung erfüllte ihn,
als er damit begann, sich den Schmerz vorzustellen, der in Miss Parker wüten mußte.
Ohne, daß er es bemerkte, rannen Tränen über sein Gesicht, Tränen des
Mitleids - für Miss Parker, für sich selbst, für das Leben, das ihnen immer
verwehrt worden war.
Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, und als er seine tränenfeuchte Haut
berührte, war die Entscheidung gefallen. Jarod holte tief und zitternd Luft,
ließ seinen Atem entweichen und wiederholte diese Übung, bis er sich etwas
gefangen hatte und zumindest den Anschein von Konzentration erweckte.
Weitere Tränen strömten über sein Gesicht, doch er schenkte ihnen keine
Beachtung, als sich der Schmerz in seinem Inneren vertiefte und Miss Parkers
Emotionen zu einem Teil seiner eigenen wurden. Ein unbeschreibliches Gefühl des
Verlustes schien sein Herz wie in einer gewaltigen Faust zusammenzupressen, bis
er kaum noch atmen konnte. Angst strömte durch seinen Körper, aber er war
nicht länger in der Lage, zu bestimmen, von wem diese Emotion stammte.
Vielleicht war sie ein Teil von ihnen beiden, verband sie auf einer Ebene fast
so tief und intensiv wie die Liebe, die sich Jarod zwischen ihnen beiden wünschte.
Er ignorierte die verwunderten Blicke anderer Passanten, als er eilig über den
Bürgersteig schritt und die Richtung einschlug, von der er wußte, daß sie
richtig war. Miss Parker war gar nicht so weit von ihm entfernt - nur ein paar
Straßen weiter -, doch Jarod erkannte verzweifelt, daß inzwischen eine ganze
Welt zwischen ihnen lag. Der Pretender fiel in einen Laufschritt, den Blick fest
auf die nächste Straßenecke gerichtet, hinter der ihn sein Schicksal
erwartete.
***
Mehrere hundert Meilen entfernt, saß Mr. Lyle hinter seinem Schreibtisch im
Centre. Auch er machte sich Gedanken über sein Schicksal, doch dabei spielten
weder seine Schwester, noch der flüchtige Pretender eine Rolle.
'Wir wollen doch nicht, daß sich diese Sache in Maine wiederholt, nicht wahr,
Lyle?'
Seit er diesen Satz vor ein paar Stunden vom alten Parker gehört hatte, hatte
er ihn nicht mehr losgelassen. Was wußte dieser ignorante Bastard schon von
dem, was in Maine geschehen war?
Unbewußt ballte Lyle seine intakte Hand zu einer Faust, bis die Knöchel weiß
hervortraten und mit einem leisen Knacken protestierten. Mit leerem Blick
starrte er auf seine Hand herunter.
Seine Gedanken bewegten sich im Kreis; seit Stunden schon. Immer wieder fragte
er sich, ob sein Vater vielleicht etwas über ihn wußte, das ihm gefährlich
werden konnte. War es nicht sogar möglich, daß er hinter dieser absurden
falschen Anschuldigung steckte, die ihn an die oberste Stelle der Abschußliste
der örtlichen Polizei befördert hatte?
Mit einiger Anstrengung zwang Lyle sich dazu, seine Hand wieder zu entspannen.
Er mußte ruhig bleiben. Ja. Nur wenn er ruhig blieb, konnte er erkennen, aus
welcher Richtung und von wem ihm Gefahr drohte. Was er brauchte, war ein Plan.
Ein Plan, der ihn nicht nur aus seiner mißlichen Lage befreien, sondern ihm
auch den entscheidenden Vorteil im Kampf um die Macht im Centre bringen würde.
Lyle erhob sich von seinem Ledersessel. Er trat um den Schreibtisch herum,
machte eine Runde durch sein Büro und blieb dann vor dem großen
Panoramafenster stehen, das ihm einen Ausblick auf den langgezogenen
Forschungstrakt bot. Dort drüben schlummerten Projekte im Wert von mehreren
Milliarden Dollar. Wer die Kontrolle über die Forschung im Centre besaß, war
ein gemachter Mann.
Seine Stirn legte sich in Falten, als Lyle an den Mann dachte, der seinen
ehrgeizigen Plänen im Weg stand. Ein eiskaltes Gefühl breitete sich in ihm
aus, als er erneut an die letzte Begegnung mit seinem Vater dachte.
'Wir wollen doch nicht, daß sich diese Sache in Maine wiederholt, nicht wahr,
Lyle?'
Ob er es zugeben wollte oder nicht, Lyle empfand Angst. 'Vielleicht', überlegte
er, 'sollte ich mich nicht auf den ganzen Kuchen konzentrieren.' Würde nicht
schon eine abgesicherte Machtposition, vielleicht als Mr. Parkers rechte Hand,
genügen, um ihn zu einem reichen Mann zu machen?
Innerlich sträubte sich Lyle gegen diesen Gedanken. Parker hatte ihn
verunsichert. Das bedeutete, daß der alte Mann weit mehr Macht über ihn besaß,
als er sich bisher eingestanden hatte. Seine Drohung mochte eine leere gewesen,
aber Lyle konnte sich da nicht sicher sein.
Langsam schüttelte der den Kopf, den Blick noch immer auf das Nachbargebäude
gerichtet. Nein, ganz egal, wie er es drehte und wendete, er mußte Parker aus
dem Weg räumen, bevor es diesem gelang, ihn noch weiter einzuschüchtern.
Wieder ballte sich Lyles Faust, doch diesmal steckte Absicht dahinter. Ein
hintergründiges Lächeln spielte um seine Lippen, als er an den Bericht über
Millers Ermordung zurückdachte, den er am letzten Abend gesehen hatte. War es
nicht merkwürdig, aus welchen Richtungen einen manchmal die Inspiration traf?
***
Die laut hämmernde Musik bildete einen eigenartigen Kontrast zu ihrem
Herzschlag, der sich von ihrem Herz aus durch ihren ganzen Köper fortzupflanzen
schien. Miss Parker versuchte, sich auf eines der beiden Geräusche zu
konzentrieren, gab aber nach wenigen Sekunden entnervt auf.
Der Nachtclub, in den sie sich zurückgezogen hatte, war, wie nicht anders zu
erwarten am frühen Nachmittag, noch relativ leer. Sie hatte einen großen Teil
des Tages hier verbracht, allein mit ihren Gedanken und ein paar Nachtschwärmern,
die entweder den Weg in ihre Betten noch nicht gefunden hatten oder bereits
wieder auf den Beginn der nächsten Party warteten.
Während sie abwesend auf die Tanzfläche in der Mitte des Clubs starrte, fragte
sich Miss Parker, ob das Leben dieser Leute wohl auch so leer sein mochte wie
ihr eigenes. Hatten sie vielleicht auch niemanden, an den sie sich mit ihrem
Schmerz, ihrer Einsamkeit wenden, keinen Ort, an den sie gehen konnten?
Ein bitteres Lachen bahnte sich seinen Weg ins Freie, als Miss Parker diesem
Gedanken folgte. Was war bloß mit ihr geschehen? Wie hatte sie sich so aus Bahn
werfen lassen können?
Ihr leises Lachen verwandelte sich in ein Seufzen und wurde zu einem Schluchzen,
das sie nur mit Mühe ersticken konnte.
'Du hast den Preis dafür bezahlt, daß Du in einer gefährlichen Welt einen
Menschen zu nahe an dich herangelassen hast', erinnerte sie sich selbst. Dem
Gedanken haftete nichts Bitteres an; er war nur ein Ausdruck ihrer tiefen
Resignation.
Miss Parker griff nach dem Glas, daß vor ihr auf dem Tisch stand, und trank den
Inhalt in einem Zug aus. Wasser. Kaltes, klares Wasser, das in seiner
Einfachheit eine fast berauschende Wirkung auf sie ausübte.
Sie hatte die letzte Nacht im Badezimmer verbracht, hatte zitternd vor der
Toilette gekniet und sich wieder und wieder übergeben. Ein Schaudern lief durch
ihren Körper bei der Erinnerung an die schmerzhaften Krämpfe, mit denen ihr
Magen sie stundenlang gepeinigt hatte. Es war ihr fast so vorgekommen, als hätte
ihr Körper versucht, sich auf diese Weise von allem zu reinigen - dem Schmerz,
der Trauer, dem Selbstekel, dem Mitleid und all den anderen, banalen weltlichen
Giften.
Als die Sonne aufgegangen war, hatte Miss Parker auf den kalten Fließen ihres
Badezimmers gesessen und sich so leer gefühlt wie noch nie zuvor in ihrem
Leben. Diesmal hatte sie keinen Schock dafür verantwortlich machen können,
auch wenn der Bericht, den sie über das schreckliche Unrecht am Lake Catherine
gesehen hatte, sie mehr als mitgenommen hatte. Doch so sehr es sie auch erschüttert
hatte, ihr eigenes Gesicht als das der Täterin zu sehen - es war ein heilsamer
Schock gewesen. Ein deutlicher Hinweis darauf, daß sie so nicht weitermachen
konnte.
Ihre Flucht - und genau das war es, wenn sie ehrlich zu sich selbst war - aus
dem Centre hatte ihr die Chance eröffnet, einen Neuanfang zu wagen. Diese
Erkenntnis hatte sie am späten Morgen aus ihrer Wohnung und hierher getrieben.
Der Drang, ihre Wohnung zu verlassen, um an einem anderen Ort über ihre
Situation nachzudenken und eine Entscheidung zu treffen, hatte sie überrascht,
doch sie war ihrem Instinkt gefolgt. Ein Gefühl hatte sie hierher getrieben;
ein Instinkt, der sie dazu veranlaßt hatte, ihre Wohnung zu verlassen.
Miss Parker erlaubte sich ein selbstironisches Lächeln, als sie ihre Gedanken
analysierte. Alles deutete darauf hin, daß sie ihren Instinkten besser nicht
trauen sollte, aber sie konnte einfach nicht anders. Es war ein innerer Zwang.
Sie lauschte in sich hinein, hoffte, das schwache Echo der Stimme ihrer Mutter
zu hören, doch da war nur das leise, regelmäßige Pochen ihres Herzschlages.
Ein Seufzen löste sich von ihren Lippen, ging ungehört unter in der hämmernden
Musik, die alles in dem großen Raum vibrieren ließ.
Für einen Moment schloß Miss Parker die Augen, ließ sich von den Vibrationen
der Musik durchströmen. Doch schon einen Herzschlag später schlug sie die
Augen wieder auf. Wie schon einmal am vergangenen Tag hatte sie in leichtes
Prickeln im Nacken verspürt, das sich wie eine disharmonische Welle durch ihren
ganzen Körper ausgebreitet hatte. Instinktiv zog sie sich tiefer in den
Schatten ihres abgeschiedenen Separees zurück, während ihre Augen den ganzen
Raum absuchten.
Ihr stockte der Atem, als sie den Grund für ihre plötzliche Unruhe am Eingang
des Clubs entdeckte. Er hatte sie gefunden. In einer Stadt voller Menschen hatte
er das Wunder vollbracht, die Spur einer einzelnen Frau aufzunehmen.
Miss Parker fixierte seine hochgewachsene, muskulöse Gestalt. Ihre Gedanken und
ihr Puls rasten. Noch hatte er sie nicht gesehen; sie konnte noch immer
unerkannt entkommen und ihm aus dem Weg gehen, bis er seine Suche frustriert
aufgeben würde. Und er würde aufgeben, so wie alle, die sie kannte, sie immer
aufgegeben hatten.
Sie spürte, wie sich Ärger in ihr ausbreitete. Ärger auf sich selbst, weil
sie schon wieder erwogen hatte, einer Konfrontation aus dem Weg zu gehen, Ärger
auf Jarod, weil er ihrem Hinweis gefolgt war und sie so zwang, sich erneut mit
ihren Gefühlen für ihn auseinanderzusetzen. Vielleicht, wenn sie nicht so
vieles in so kurzer Zeit durchgemacht hätte, hätte sie die Ungerechtigkeit
dieses Gedankens erkannt, doch so verspürte sie nur den einen Wunsch - endlich
mit ihrer Vergangenheit abzuschließen und alles, auch Jarod, hinter sich zu
lassen.
Wie in Trance erhob sie sich von ihrem Stuhl, die Augen noch immer fest auf
Jarod gerichtet, der sie erst jetzt entdeckte. Die Erleichterung in seinem
Gesicht, begleitet von einer anderen, ungleich stärkeren Emotion, festigte Miss
Parkers Entschluß nur noch weiter. Sie griff nach ihrem Mantel und zog ihn an;
ihre Hand schloß sich um die Waffe in der Manteltasche.
Miss Parker sah Jarod an, wie er reglos dastand und sie musterte, hielt seinen
Blick für ein paar Sekunden und ging dann zu einer Tür am anderen Ende des
Clubs, die von einem Schild mit dem Schriftzug 'Notausgang' schwach beleuchtet
wurde. Sie wußte, daß Jarod ihr folgte; sie mußte sich nicht umdrehen, um
sich zu vergewissern. Entschlossen hielt sie auf die Tür zu, hinter der sie
endgültig mit ihrer Vergangenheit abschließen würde.
Ende Teil 14
Fortsetzung folgt...
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