Vom harten Aufprall des Regens auf das Glasdach über dem Innenhof werde ich geweckt. Es hat fast die ganze Nacht durch geregnet. Doch noch während ich frühstücke klart es etwas auf, beinahe kommt schon die Sonne durch, und die Strassen sind nahezu wieder trocken. Dennoch will ich lieber noch etwas abwarten, bevor ich mich auf den Weg mache.
Wer weiss, wann ich wieder so eine schnelle und günstige Internet-Verbindung finden werde, also nutze ich die Gelegenheit zum Uploaden.
In der Zwischenzeit stabilisiert sich das Wetter, der Himmel ist fast blau, und ich beschliesse, doch noch heute weiterzufahren. Bis nach Calí sind es nur 150 km, dazu ist es immer noch früh genug, auch wenn es schon nach Mittag ist, bis ich endlich gepackt habe und losfahren kann.
Angeblich soll diese Etappe bis Calí auch nochmal durch gefährliches Guerrilla-Gebiet führen. Das beunruhigt mich mittlerweile jedoch gar nicht mehr, ausserdem ist die ganze Ecke viel zu bevölkert, und es herrscht zuviel Verkehr, als dass hier etwas passieren könnte.
Aufgehalten wird man unterwegs allenfalls von den vielen Baustellen. Und gleich stehe ich wieder mal im Mittelpunkt des Interesses der Leute, als wir an einer davon etwa 20 Minuten warten müssen.
In Calí fahre ich gegen 15.30 ein, und verfranse mich auf der Suche nach einem bestimmten Hotel erst mal gehörig im Labyrinth der seltsam angelegten Einbahnstrassen um den Río Calí herum, der die Stadt in Nord- und Südhälfte teilt. Zweimal fahre ich denselben Bogen im Kreis, bevor ich lieber doch ins Zentrum an die Plaza de Caycedo fahre. Während ich die umliegenden Hotels abklappere -und dabei in meiner Kluft ganz ordentlich ins Schwitzen komme-, hält der Portier des Hotel Royal Plaza, wo ich schlussendlich auch unterkomme, ein Auge auf Violeta. Das ist beruhigend zu wissen, denn eindringlich bin ich immer wieder vor den Dieben in Calí gewarnt worden.
Das Zimmer ist in Ordnung, es ist schön gross und hell, es liegt im 9. Stock und bietet eine hervorragende Aussicht über das Zentrum der Stadt. Ausserdem verfügt es über TV und einen Ventilator, den man hier durchaus braucht, denn in Calí ist es heiss und schwül. So sehr, dass es fast schon zweitrangig ist, ob die Dusche über heisses Wasser verfügt, denn ich brauche jetzt als erstes eine Abkühlung.
Nach einer kurzen Verschnaufpause muss ich nun nur noch dringend was essen. Selbst am Abend ist es hier noch warm genug, um im Sommer-Outfit auf die Strasse zu treten. Das ist also Calí, die Hauptstadt der Salsa, unverkennbar, denn aus allen Ecken dringen die heissen Rhythmen. Hier wollte ich immer schon mal hin. Nur heute ist mir das alles beinahe egal, zum Ausgehen kann ich mich nicht mehr aufraffen.
Stattdessen erfahre ich in den Nachrichten, dass die FARC gerade wieder eine entführte kolumbianische Friedenskämpferin in die Freiheit entlassen haben. Andererseits haben sich bereits über 3.000 Personen angeboten, sich freiwillig gegen den seit März 2000 entführten und festgehaltenen Vater eines inzwischen hoffnungslos krebskranken 12-jährigen Jungen einzutauschen. Dem kann man sich u.a. auf der Homepage der Zeitung El Tiempo (s. Link) anschliessen, noch genauer unter dieser Adresse.
Fr., 30.11.2001
Calí ist heute die 2.-grösste und modernste Stadt Kolumbiens. Ihr materieller Wohlstand beruht auf den fruchtbaren Böden im Valle und dem grossflächigen Anbau von Caña (Zuckerrohr). Den letzten und immer noch anhaltenden Wirtschaftsboom verdankt die Stadt ihren Drogenbaronen, die hier im Schatten ihrer stärkeren Konkurrenten von Medellin heimlich und leise ein weitverzweigtes und effizientes Kartell aufbauen konnten. Dieses hat zwar schwer unter der Festnahme mehrerer grosser Drogenbosse im Jahre 1995 gelitten, dennoch wird das Geschäft nach wie vor von kleineren Bossen erfolgreich aufrecht erhalten.
Die Altstadt zeigt sich für kolumbianische Verhältnisse sehr gepflegt und vorbildlich restauriert. Zahlreiche koloniale Gebäude zieren das Stadtbild, alt und neu trifft kontrastreich aufeinander, und an den Uferpromenaden des Río Calí kann man tagsüber im Schatten der hohen Bäume und bei den ganzjährig angenehmen Temperaturen auch bis spät abends gemütlich flanieren. Und vom Cerro Antonio aus hat man einen herrlichen Rundblick über die Dächer der Altstadt.
Doch nicht nur architektonisch hat Calí einiges zu bieten. Angeblich sind die Caleñas, die Frauen von Calí, die schönsten des ganzen Landes. Mich lässt das natürlich kalt, dennoch muss ich zugeben, dass ich durchaus verstehen kann, wenn mann bei manchen von ihnen schwach wird.
Dann ist da noch die Musik. Und heute will ich es nun aber wissen, und stürze mich gespannt ins heisse Nachtleben. Unweit vom Zentrum, also gut zu Fuss zu erreichen, gibt es unzählige Salsotecas in der Avda. 6a, der modernen Flaniermeile von Calí. Es fällt schwer, sich für eines der Lokale zu entscheiden. Sie sind alle gleichermassen stark besucht und die Tanzflächen sind voll, aufgrund der recht luxuriösen Ausstattung und dem entsprechend wohlhabenden und typischen, langweiligen Upper-Class-Publikum entbehren sie aber meines Erachtens der gewissen ursprünglichen Atmosphäre und dieses Fiebers, das einen sonst immer gleich packt und ansteckt. Die 'echten' Salsotecas müssen sich woanders befinden.
So bleibe ich schlussendlich einfach da, wo ich noch einen freien Tisch bekomme. Obwohl die Leute fast ausschliesslich in Begleitung herkommen, bleibe ich nicht lange alleine. Doch schon bald bereue ich, dass ich José hab zu mir setzen lassen, denn er ist weder tanzfreudig noch unterhaltsam. Aber leider werde ich ihn nicht mehr los. Da die Stimmung jedoch eh nicht so gut ist, und ich auch Francisco vermisse, macht es mir nichts weiter aus, den Abend schon gegen 2.00 abzubrechen.
Sa., 01.12.2001
Ob ich heute wohl mehr Glück habe? Nach dem Frühstück bestehend aus köstlichem kolumbianischen Kaffee und leckeren Alborrajados, -Banane und Käse in fritierter Teighülle-, das ich beinahe bis nach Mittag hin ausdehne, erforsche ich weiter die pulsierenden Strassen der Stadt. Vor allem interessiere ich mich für die Gegend um die Calle 5a, weiter im Süden, wo es angeblich jede Menge Salsa-Lokale geben soll. Tagsüber ist das kein Problem, doch ich komme leider zu dem Schluss, dass das keine Gegend ist, wo frau sich nachts alleine bewegen sollte, auch wenn sich hier die wirklichen Salseros tummeln.
Auch Juanchito, ein überwiegend von Schwarzen bewohntes und entsprechend beeinflusstes und urtümliches (Ausgeh-)Viertel weit im Süden am Río Cauca gelegen, ist mir zu abgelegen und unsicher, um mich dort alleine herumzutreiben.
Also bleibt mir nichts anderes übrig, als mein Glück noch einmal in der Avda. 6a zu probieren. Doch es ergeht mir nicht besser als gestern, und noch früher trete ich bereits gegen 1.00 unausgelastet und enttäuscht den Rückweg an. Kaum zu glauben, dass ich mich in der Hauptstadt der Salsa befinden soll, und mich derart langweile!!
So., 02.12.2001
Für ein gutes Frühstück im Freien und bei heissen Rhythmen eignet sich die Avda. 6a aber allemal. So sitze ich gerade in Gedanken versunken über meinem Kaffee, als mich Rodolfo anspricht. Er spricht etwas deutsch, schwärmt von Deutschland, und hat auch viele deutsche Bekannte. Einer von ihnen ist Erwin aus Nürnberg, der gerade für 10 Wochen in Kolumbien auf Urlaub ist, und -mittlerweile fast 2 Stunden später- auch im selben Lokal aufkreuzt und sich zu uns setzt.
Natürlich will Rodolfo wissen, wie es mir in Calí gefällt. Das ist eine gute Gelegenheit, meiner Enttäuschung Luft zu machen, die fast schon sintflutartig aus mir heraussprudelt. Und Rodolfo weiss, dem Abhilfe zu verschaffen. Er empfiehlt mir die Tienda Vieja, weit im Süden an der Calle 5a. Dort wäre die Rumba, -das Tanz- und Ausgehvergnügen- sonntags bereits um 15.00 in vollem Gang. Erwin und ich glauben beinahe, nicht richtig gehört zu haben. Davon müssen wir uns selbst überzeugen. Wenig später finden wir uns zu dritt im Taxi auf dem Weg dorthin.
Und wirklich, als wir gegen 16.00 in dem riesigen, für die Zona Cafetera (Kaffeeregion) typischen Holzbau eintreffen, tun wir uns schon schwer, noch einen freien Tisch in der Nähe der vollen Tanzfläche zu ergattern. Hier geht wahrhaft die Post ab, und es fällt schwer, ruhig sitzen zu bleiben. Das muss ich auch nicht lange. Noch während wir auf die bestellte Flasche Rum und Cola warten, werde ich bereits zum Tanzen aufgefordert. Und nicht nur Rodolfo kann die Texte nahezu aller Lieder auswendig mitsingen. 'Azucar!!!', jawohl, das ist Calí, wie man es sich vorstellt!!.
Nur Erwin, der weder spanisch spricht noch tanzt, und mehr dem Alkohol als der Musik zuzusprechen scheint, fühlt sich schon bald nicht mehr so wohl hier, und will stattdessen -sehr zu meinem Bedauern, denn die Stimmung schwillt gerade erst richtig an und ich könnte leicht bis zum Morgengrauen durchhalten-, in eine Bar in der 6a zurück.
Was soll's, da es noch zu früh ist, um sich bereits ins Hotel zurückzuziehen, gehe ich noch mit den beiden mit. Auch hier herrscht zwar noch lebhaftes Treiben, aber es ist einfach kein Vergleich. Nach weiteren 2 Stunden halte ich es nicht länger aus inmitten all der inzwischen Betrunkenen um mich herum, die in diesem Zustand wie lästige Fliegen sind, die man vergeblich versucht abzuschütteln.
Mo., 03.12.2001
Eigentlich will ich heute die Hacienda El Paraíso etwas ausserhalb von Calí besuchen. Doch vorher will ich noch zur Turi-Info.
Besonders gut ausgestattet ist man hier zwar nicht, dennoch bekomme ich ein paar wertvolle Hinweise. So erfahre ich, dass der nahegelegene Nationalpark, einst ein beliebtes Ausflugsziel der Caleños, derzeit wegen starker Guerrilla-Aktivität unzugänglich ist. Auch nach San Cipriano, das auf dem Weg nach Buenaventura an der Pazifikküste liegt, sollte ich wieder mal lieber mit dem Bus statt mit dem Motorrad fahren. Und zu guter Letzt erfahre ich, dass die Haciendas montags geschlossen haben und nicht besichtigt werden können.
Gut zu wissen! Muss ich also meinen geplanten Ausflug auf morgen verschieben. Alternativ verbringe ich einen ruhigen Tag in Calí.
Di., 04.12.2001
Am Morgen regnet es immer noch und um keine weitere Zeit zu verlieren, frühstücke ich daher heute im Panorama-Restaurant im 11. Stock auf dem Dach des Hotels. Die herrliche Aussicht tröstet über die etwas überhöhten Preise hinweg.
Bis ich startklar bin, ist es fast schon wieder trocken. Die Sonne kämpft noch gegen die Wolken an, aber ihre Chancen stehen gut. Die Regenjacke nehme ich trotzdem mit. Ansonsten bleibt meine Ausrüstung heute im Hotel, ich werde endlich mal wieder ohne Gepäck und in normaler Kleidung fahren, nur der Helm kommt mit. Ganz wie früher!
Der Weg, hinaus aus der Stadt und über die alte, aber dennoch gute Panamericana erst nach Palmira und weiter Richtung Buga ist leicht und schnell gefunden. Hinter Amaime ist der Abzweig zur 12 km landeinwärts liegenden Hacienda gross ausgeschildert und kaum zu verfehlen.
Hier wurde einstmals nicht nur Zuckerrohr angebaut, sondern es hat sich auch die wahre und von Jorge Isaacs zum Roman verfasste Liebestragödie von Efraín und Maria zugetragen. Während Efraín seinerzeit über lange Jahre hinweg ins Ausland musste, ist Maria in der Zwischenzeit vor Liebeskummer gestorben.
Bereits als ich Violeta am Eingang abstelle als würde ich gerade von meinem vom anstrengenden Galopp schwitzenden Pferd steigen, und durch den gepflegten und blühenden Garten auf das grosse, weiss strahlende Haus zuschreite, fühle ich mich von der Vergangenheit des 18. Jahrhunderts eingeholt, und es umgibt mich eine Atmosphäre wie in 'Vom Winde verweht'. Auch drinnen ist noch alles wie damals: der Innenhof mit den ihn umgebenden Korridoren, das Esszimmer mit dem Porzellangeschirr aus Deutschland, das Nähzimmer mit der handgetriebenen deutschen Nähmaschine, die Schlafzimmer, und die Stallungen mit den Satteln an der Wand und den Pferdekutschen.
In einer Führung erzählt eine junge Kolumbianerin über die damalige Lebensweise, die Sitten und Gebräuche. Sie erklärt, wie abends die riesigen Kristalllüster über dem Esstisch per Seilzug herabgelassen wurden, und darin die Kerzen angezündet wurden, denn es gab noch keinen Strom. Und wie der weiter oben am Berg entspringende Bach in verzweigten Kanälen rund ums Haus geleitet wurde, um es frisch und kühl zu halten, um ständig fliessendes Wasser zu haben, und um zu vermeiden, dass Kakerlaken und Ameisen ins Haus gelangen. Sie erläutert den Sinn der Töpfe im Empfangszimmer, die den ankommenden Gästen als Spuknäpfe dienten, und den Gebrauch der Arbeitsgeräte im Schreibzimmer, das nur den Männern vorbehalten war. Auch die strenge Sitzordnung am Esstisch und die Aufteilung der Schlafgemächer geben Aufschluss über das Leben und die Denkweise der damaligen Gesellschaft, deren Wohlstand auf dem Schweiss der importierten Sklaven beruhte, die die anstrengende Arbeit auf den Zuckerrohrfeldern verrichteten.
Davon erzählt die zweite, nur wenige km entfernte, und über eine von hoch aufragendem Zuckerrohr umgebene Schotterstrasse zu erreichende Hacienda Pie de Chinche, die zum Museo de la Caña (Zuckerrohrmuseum) ausgebaut wurde.
In der weitläufigen, herrlichen Gartenanlage sind zwischen ausgesuchter Vegetation und unter den jeweils typischen, schattigen Bäumen die unterschiedlichen Ranchos der verschiedenen Regionen Kolumbiens nachempfunden. Hier lernt man, wie unter schwerster körperlicher Anstrengung erst der Guarapo, der Saft aus dem Zuckerrohr gepresst wurde, dann in den Öfen gekocht und zu Honig gerührt wurde, den man zum Abkühlen und Härten in Formen gegossen hat. Das so erhaltene Produkt ist die Panela, und nun weiss ich auch endlich, was die so köstlich erfrischende Agua de Panela ist, die ich schon so oft getrunken habe.
Am Ende des Rundgangs wird in einem kontrastreichen, modernen Neubau die heutige Zuckergewinnung anschaulich auf Schautafeln dargestellt. Sie nimmt einen nicht unwesentlichen Platz in der kolumbianschen Wirtschaft ein, deckt sie doch einen beachtlichen Anteil des weltweiten Bedarfs an Zucker.
Auf der Rückfahrt spare ich mir selbst die Regenjacke und fahre nur im T-Shirt. Welch ein Genuss, inmitten der Zuckerrohrfelder den bei 90 km/h angenehm erfrischenden Fahrtwind auf der Haut zu spüren!! Fast hätte ich dieses Gefühl bereits vergessen gehabt, und die 50 km zurück in die Stadt -wo die Temperaturanzeige des Motors bedrohlich nah an den roten Bereich ansteigt- sind viel zu schnell zurückgelegt.
Mi., 05.12.2001
Da ich ja nun wegen der erhöhten Guerrilla-Gefahr nicht mit dem Mopped nach San Cipriano kann und stattdessen dazu den Bus nehmen muss, habe ich Erwin eingeladen, mich zu begleiten. Wir treffen uns um 9.00 in seiner Wohnung, die er sich für einen Monat gemietet hat, und fahren von hier aus mit dem Taxi zum Busbahnhof. Eine halbe Stunde später sitzen wir im Bus der Flota Magdalena, der nach Buenaventura fährt. Keine Ahnung, wie weit San Cipriano von Calí entfernt liegt, auf keiner meiner Karten ist der Ort eingezeichnet. Als Referenz habe ich nur die Aussage des Beamten aus dem Turi-Büro. Er meinte, bis zum Abzweig, an dem wir aussteigen müssen, wäre es etwa eine Stunde. Diese Stunde brauchen wir aber fast schon, bis wir überhaupt die Stadt hinter uns lassen.
Nach einer weiteren Stunde, die es hinabgeht durch atemberaubende tropische Landschaft, erreichen wir Cisneros. Bis hierher ist unser Ticket ausgestellt. Der Schaffner jedoch erklärt uns, dass es noch eine weitere halbe Stunde bis zum Abzweig wäre, und will dafür zusätzlich zu den bereits gezahlten $ 4.700,- nochmal jeweils $ 2.000,- von uns haben. Falls er überhaupt noch etwas von uns zu bekommen hat, worüber ich mir ganz und gar nicht sicher bin, so ist es nicht schwer nachzurechnen, dass das auf jeden Fall eindeutig zuviel ist, wenn das gesamte Ticket nach Buenaventura schon nur 7.000,- kostet. Nach einigem hartnäckigen Hin und Her gibt er sich schliesslich mit $ 1.250,- zufrieden.
An der Haltestelle, an der wir abgesetzt werden, wartet bereits ein junger Schwarzer, der uns anbietet, uns noch das letzte Stück bis nach San Cipriano zu bringen.
Da der Schienenstrang, zu dem er uns hinab geleitet, der einzige Zugang in das 6 km entfernte Dorf ist, der Zug aber nur selten fährt, haben die Bewohner sich ihr eigenes Transportmittel ausgedacht. Mit einem Bambusstecken treiben sie ihre Seifenkisten an, die auf ganz gewöhnlichen Kugellagern über die Schienen rollen. Unser 'Taxifahrer' Adrian führt uns auf rasanter Fahrt durch den dichten, grünen Regenwald. Selbst bei nur leichtem Gefälle gewinnt das Gefährt schnell an Fahrt, und wie es so über die Brücken braust, kommen wir uns vor wie auf der Achterbahn. Bremse gibt es keine, und bei Gegenverkehr muss sich schnell geeinigt werden, wer absteigt und den Wagen von den Schienen hebt, um dem anderen den Weg freizumachen.
Eine halbe Stunde sind wir so unterwegs, bis wir endgültig da sind. Als hätten wir in einer Zeitmaschine gesessen, empfängt uns hier eine ganz andere Welt. Wir haben den Eindruck, nach Afrika versetzt worden zu sein, und fühlen uns wie Alice im Wunderland. Die Bevölkerung besteht ausschliesslich aus Schwarzen, und einfache Holzbaracken säumen den Weg am Fluss entlang.
Als erstes stillen wir unseren Durst in einem der Restaurants, einer ebenso schlichten Holzhütte. Aber erstaunlicherweise bekommt Erwin hier, so abseits jeglicher Zivilisation, sogar neue Batterien für seinen Fotoapparat, die er auf der Fahrt unterwegs verloren hat. Und wir bestellen gleich das Essen für später, bevor wir wieder zurückfahren werden. Dann machen wir uns auf an den Fluss, denn bei der schwülen, heissen Luft brauchen wir nun dringend ein abkühlendes Bad im glasklaren Wasser, bevor wir fasziniert die weitere Umgebung erforschen.
Rechtzeitig bevor es wieder zu regnen beginnt, sind wir nach 2 Stunden zurück an der Hütte. Die Schwarzen scheint das kühle Nass von oben überhaupt nicht zu stören, denn sie spielen fröhlich weiter Fussball, während wir uns im Trockenen auf der Veranda an unserem Fisch laben.
Wir brauchen nicht lange zu warten, bis der Schauer vorbei ist, und wir auf gleichem Wege die rasante Rückfahrt antreten können.
Nun müssen wir nur noch auf einen Bus warten, der uns wieder nach Calí bringt. Fahrplan gibt es natürlich keinen, uns so sitzen wir wartend an der Strasse und beobachten den vorbeiziehenden Verkehr. Überwiegend rauschen grosse Trucks in beachtlicher Geschwindigkeit an uns vorbei. Unschwer zu erkennen, dass das nicht mehr weit von hier entfernte Buenaventura den grössten und wichtigsten kolumbianischen Hafen an der Pazifikküste besitzt.
Nach einer halben Stunde hält ein bereits vollgestopfter Bus. Aber wir passen noch hinein, bekommen sogar einen Sitzplatz ganz vorne neben dem Fahrer zwischen einem hoch aufgetürmten Stapel alter Holzkisten. Eine ganz neue Perpektive, und der Fahrer zeigt mir, wo überall am Strassenrand sich die Guerrilla im Busch versteckt hält, jederzeit bereit zum Überfall.
Dazu passend erfahre ich am Abend im Fernsehen die beunruhigende Nachricht, dass die FARC eine Brücke auf der Hauptstrasse Medellin-Bogota gesprengt hat. Diese Strecke gedachte ich eigentlich in etwa 2 Wochen zurückzulegen.
06.-09.12.2001
In diesen letzten paar Tagen in Calí schleicht sich bereits eine gewisse Routine ein. Ich frühstücke erst ausgiebig und lange im Cafe in der 6a, gehe anschliessend ins I-Cafe nebenan, schlendere dannn etwas durch die Stadt bis ich am Ende von einer Parkbank aus das bunte Treiben auf der Plaza de Caycedo beobachte.
Dennoch bleibt der ein oder andere überraschende Zwischenfall nicht aus. Am Freitag treffe ich im Cafe Rodolfo, der mit Duvan, einem Bekannten von ihm, dort sitzt. Der lädt mich schliesslich ein, am Abend eine Stadtrundfahrt zu unternehmen, um zu beobachten, wie die Calenos El Alumbrado feiern. Bei einer luftigen Fahrt zu zweit auf seinem kleinen 80-er Mofa beobachten wir, wie zusätzlich zur fast schon übertriebenen Weihnachtsbeleuchtung, die bis zum 5. Januar blinken wird, die Leute zu Ehren von Maria Empfängnis am Vorabend vor ihrem Haus unzählige Kerzen und Papierlaternen anzünden. In den Wohnvierteln sind ganze Strassen für den Verkehr gesperrt und hell erleuchtet. Überall leuchtet und flimmert es in allen Farben. In einer Allee steht ein Verkausstand neben dem anderen, hier werden alle möglichen Feuerwerkskörper angeboten.
Nach diesem netten Ausflug stellen wir das Mofa ab -in Calí ist es verboten, nach 23.00 auf dem Motorrad unterwegs zu sein- und gehen zum tanzen. Aber die eh nur mittelprächtige Stimmung sinkt schnell, als Duvan dann doch mehr von mir will als ich von ihm. Also breche ich den Abend erneut vorzeitig ab. Schade, dass Francisco nicht hier sein kann.
Mit Rodolfo, ein paar Freundinnen von ihm, Erwin und seinem Freund Adrian, -deutscher Taxifahrer, der sich gerade in Cali eine Eigentumswohnung gekauft hat, in der er künftig immer die Hälfte eines Jahres zu verbringen gedenkt- gehen wir am Samstag Abend wieder in die Tienda Vieja. Im Gegensatz zum Vorabend herrscht hier weitaus mehr Stimmung, und wir bleiben bis zum Schluss um 3.00.
Am Sonntag Abend will ich eigentlich nur noch kurz was essen gehen. Dazu durchquere ich wie immer den Stadtpark am Fluss. Heute bin ich aber neugierig, was ausser der hellen Weihnachtsbeleuchtung soviele Leute hierher lockt, wo es bisher abends immer ziemlich einsam war. Und ich entdecke zu meiner Überraschung, dass hier so etwas wie ein Volksfest oder ein Weihnachtsmarkt stattfindet. Zwischen all den Ringelspielen für die Kinder kann man sein Glück probieren, indem man eine Münze in eine im Wasser schwimmende Tasse trifft, oder indem man errät, in welcher der 10 aufgestellten Hütten die Meerschweinchen Zuflucht suchen. Während ich so gemütlich dahinschlendere, stille ich meinen Hunger und probiere von mehreren der verlockenden Köstlichkeiten, die an all den Ständen lauthals angepreist werden. Ein netter Abschluss, um Calí morgen getrost zu verlassen.
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