... Ein paar Meter weiter bin ich also in Kolumbien, dem Land mit dem schlechtesten Ruf von ganz Südamerika.
Gebranntes Kind scheut das Feuer, ich habe gelernt, und bin oft genug gewarnt worden, daher schliesse ich diesmal Violeta ab, und für die letzten Münzen, die mir aus Ecuador bleiben, lasse ich sie bewachen, während ich mich erneut um die Papiere kümmern muss.
Diesmal geht es nicht so schnell, ich muss erst eine Weile Schlange stehen, bis ich an der Reihe bin. Aber auch hier bekomme ich bedenkenlos den Einreisestempel in den Pass, dann werde ich weitergeschickt zum nächsten Fenster, wo ich die Genehmigung zur Einreise des Moppeds bekomme.
Oder auch nicht. Ich werde weitergeschickt in den Ort nach Ipiales, wo ich die Genehmigung bei der dort ansässigen Zollbehörde DIAN bekommen soll.
Es dauert zwar etwas, denn es müssen diverse Formulare ausgefüllt werden, dann muss noch das Kennzeichen und die Motornummer persönlich überprüft werden, aber schliesslich bekomme ich das notwendige Papier und kann endlich weiterfahren. Nicht ohne alle möglichen Warnungen und Verhaltensregeln mit auf den Weg zu bekommen.
Inzwischen ist es fast 1/2 2 Uhr, es bleibt Zeit genug, mir das nur 7 km entfernte Santuario Las Lajas anzusehen. Hier, wo heute die Kirche steht, heilte angeblich die Muttergottes ein blindes und taubes Indiomädchen. Die unzähligen Danksagungstafeln zeugen von der Beliebtheit dieses Wallfahrtsortes.
Die Strasse, die zur Kirche führt, endet auf einmal abrupt in einem Parkplatz. Der restliche Weg hinab muss zu Fuss zurückgelegt werden. Als ich den Wächter frage, was denn das Parken kosten würde, zögert er etwas zu lange, bevor er von mir 1.000 Pesos haben will. Der will mich eindeutig reinlegen. Da ist er bei mir aber an der falschen Adresse! Ein etwa 8-jähriger Bub bietet mir an, direkt unten an der Kirche auf Violeta aufzupassen. Hinab führt eine steile, kopfsteingepflasterte Strasse, die durch eine Kette abgesperrt ist. Die Einfahrt ist zwar nicht ganz ohne, aber ich willige ein, und schaffe es auch irgendwie, seitlich an der Kette vorbeizufahren. Wie ich das nachher bergauf schaffen soll, ist mir momentan noch nicht klar.
Unten angekommen, will der geschäftstüchtige Junge plötzlich co$ 2000,- von mir haben. Ich erkläre ihm, dass das ja wohl überhaupt nicht in Frage kommt, gebe ihm jetzt schon mal 500 Pesos, und biete ihm weitere 500 an, wenn er oben dem Menschen mit dem Schlüssel Bescheid gibt, dass dieser mir die Kette aufschliessen soll. So geschieht es denn auch, nachdem ich mir eilig das Bauwerk angesehen habe und mittlerweile bei anderen Besuchern in Erfahrung gebracht habe, dass der Parkplatz kostenfrei ist. Wusste ich es doch!!
Nun aber nichts wie auf nach Pasto. Es tröpfelt schon die ganze Zeit, und nach und nach beginnt es richtig zu regnen. So heftig, dass ich kaum noch was erkenne durch das geschlossene Visier. Lasse ich es jedoch offen, trifft mich der Regen wie Pfeilspitzen im Gesicht. So komme ich natürlich nur mühsam voran, zumindest solange, bis sich der Regen nach etwa 20 Minuten wieder legt und es wieder trocken ist. So lässt es sich doch weitaus angenehmer fahren, und ich kann auch etwas von der Gegend erkennen.
Die Hauptverkehrsverbindungen, die man wegen der ständig durch die Guerrilla lauernde Gefahr keinesfalls verlassen sollte, sind in einwandfreiem Zustand. Ein breites, glattes Asphaltband schlängelt sich in stetem Auf und Ab kurvenreich durch die hügelige Landschaft.
Nach weiteren ca. 80 km bin ich gegen 16.00 in Pasto. Hier herrscht das m.E. bisher grösste Verkehrschaos überhaupt. Aber nach einer Weile komme ich damit ganz gut zurecht, und finde auch recht schnell ins Zentrum. Da die Strassen jedoch recht schmal sind, stellt sich mir hier nun die Frage, wo ich wohl Violeta abstelle, während ich im Hotel nach Unterkunft frage. Es findet sich aber zum Glück ein freies Plätzchen, wo ich das Mopped sogar noch an einen Pfosten schliessen kann. Kaum habe ich die ganze Park- und Absicherungsprozedur abgeschlossen, winkt mich freundlich die Dame aus dem gegenüberliegenden Reisebüro herbei. Sie warnt mich eindringlich davor, das Mopped trotz Absicherung hier unbeaufsichtigt stehen zu lassen. Ich solle es lieber in die Tiefgarage nebenan stellen. Also gut, es ist zwar nervig, aber ich höre lieber auf sie.
Hier ist es in der Tat weitaus sicherer, da kann sie auch stehenbleiben, während ich nach weiteren Hotels suche und bis ich schliesslich beim 4. Anlauf im Hotel Don Saul**** unterkomme. Hier gibt man mir gerne ein Zimmer für 2 Nächte, obwohl Dirk und Mario bereits hier waren vor einem Monat, und obwohl das Hotel genauso wie die vorangegangenen, so gut wie ausgebucht ist weil die Flüge wegen schlechter Sicht gecancelt wurden und die abreisenden Gäste wieder zurückkommen.
Nur verfügt das Hotel leider nicht über einen Parkplatz, und ich muss mich noch um eine sichere Bleibe für Violeta kümmern. Das ist aber zum Glück bald erledigt, 2 Strassen weiter finde ich einen Motorradparkplatz zu einem ganz vernünftigen Preis.
Es ist zwar immer noch früh, erst 18.30, aber mittlerweile ist es dunkel geworden. Ich bin froh, dass ich alles zum Besten erledigt habe, und dass ich endlich unter die Dusche kann. Danach verlasse ich das Hotel nur nochmal, um den Magen zu füllen, denn seit dem Frühstück habe ich den ganzen Tag nichts mehr gegessen.
Do, 22.11.2001
Allzu viel zu bieten hat das Städtchen nicht. Der Stadtrundgang ist schnell erledigt. Man ist auch nicht sonderlich auf Tourismus eingestellt. Kein Wunder, habe ich doch gar den Eindruck, überhaupt die einzige Touristin hier zu sein.
Fr, 23.11.2001
Heute wird es nun richtig spannend, und ich bin zugegebenermassen etwas nervös, als ich um Punkt 8.00 an der Tankstelle am Ortsausgang losfahre. Denn die vor mir liegende Etappe durchquert von der FARC ('Bewaffnete Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens' - die grösste Guerrilla-Gruppierung des Landes) beherrschtes Gebiet, und soll die gefährlichste Strecke des Landes sein.
Zunächst jedoch muss ich mich noch viel zu sehr auf die ständigen Kurven konzentrieren als dass ich Zeit hätte, an irgendwelche Guerrilla-Überfälle zu denken. Etwas unruhig werde ich erst wieder, als mir später doch längere Zeit nicht ein einziges Fahrzeug entgegenkommt. Ob das bedeutet, dass ich geradewegs auf eine Strassensperre zufahre?
Aber nichts dergleichen passiert. Die Fahrt geht durch eine herrlich grüne Bergwelt. Es wirkt alles so ruhig, einsam und friedlich. Schwer vorstellbar, dass sich das jeden Augenblick ändern kann, weil ich mich inmitten eines heftigen Krisengebiets befinden soll. Zu gerne würde ich öfter mal anhalten, um ein paar Fotos zu schiessen, sei es von der Landschaft oder den hier lebenden Menschen, oder auch um endlich meinen Pulli auszuziehen, in dem es mir in dem immer tropischer und wärmer werdenden Klima inzwischen deutlich zu heiss wird. Doch man soll auf dieser Strecke keinesfalls anhalten. Und nach all den eindringlichen Warnungen will ich mich lieber daran halten und widerstehe den Versuchungen.
In einem recht lebhaften kleinen Ort auf etwa halber Strecke wimmelt es auf einmal nur so von finsteren Burschen in Tarnuniform, allesamt mit schwerem Geschütz ausgerüstet. Mein Puls steigt, ich will gar nicht erst wissen, welcher Gruppierung sie angehören -selbst wenn es staatliches Militär ist, muss das nichts Gutes heissen-, und fahre weiter. Aber, welch ein Segen, sie scheinen anderweitig beschäftigt zu sein und beachten mich nicht weiter. Puhhh!
Nachdem ich dann etwa 2/3 der Strecke hinter mir habe, würde ich eigentlich schon gerne mal 'ne kurze Pause einlegen. Aber nein, geht nicht, ich reisse mich zusammen und muss nun durchhalten. Vor der Gegend um Rosas, etwa 45 km vor dem heutigen Ziel, bin ich auch nochmal extra gewarnt worden. Eine undurchsichtige Ecke, da hier oftmals tropischer Nebel herrscht.
Heute fallen hier aber lediglich ein paar Regentropfen, die allenfalls ausreichen für eine leichte Abkühlung, und um das Visier wieder von den vielen Mücken zu befreien, die inzwischen daran kleben und die freie Sicht doch stark beeinträchtigen. Ansonsten scheint sich die Warnung vielmehr auf den deutlich schlechteren Zustand der Strasse zu beziehen, die hier schwer unter dem extremen und unstabilen Klima leidet.
Nach 260 zurückgelegten km fahre ich gegen Mittag in Popayan ein. Von allen Seiten werde ich neugierig beobachtet, manche Moppedfahrer fragen mich noch auf der Strasse während der Fahrt aus, woher ich komme, wohin ich will, etc. Einer ist derart an Violeta interessiert, dass er mich bittet, anzuhalten. Ich beschliesse, nicht weiter misstrauisch zu sein, weil er sicher nichts Böses im Sinn hat, und halte an. In der Tat ist er wirklich nur am Mopped interessiert, obwohl er selber ne 600-er Yamaha fährt, die er aber gerne gegen Violeta eintauschen würde. Klingt fast verlockend, nachdem ich feststellen musste, dass Violeta jetzt recht viel Öl verbraucht und auch verliert, und ich nach gerade mal 700 gefahrenen km schon wieder welches nachschütten muss. Ausserdem wird das Problem mit dem hohen Standgas immer schlimmer. Dennoch muss ich ihn natürlich leider enttäuschen, ein Tausch gegen eine solch schwere Kiste wie seine kommt nicht in Frage. Trotzdem ist er so nett und geleitet mich noch ins Zentrum.
Die Suche nach einer Unterkunft ist um diese Zeit nicht ganz einfach, meistens befinden sich die zuständigen Leute gerade in der Mittagspause. Und so komme ich leider nicht in dem vom Kloster zum Luxushotel umfunktionierten Hotel Monasterio unter, aber auch das Hotel La Plazuela, in dem ich bis Montag bleiben kann, kann sich durchaus sehen lassen.
Sa, 24.11.2001
Die Stadt macht gleich auf den ersten Blick einen sympathischen und auch sicheren Eindruck, was sich auch bei näherer Betrachtung bestätigt. Noch heute lässt sich der in den nahen Goldbergwerken gewonnene Reichtum der damaligen spanischen Familien, die schnell zu ehrbaren und wohlhabenden Minenbesitzern geworden waren, an den prachtvollen Stadtpalästen ablesen. Dass grosse Teile der Stadt 1983 fast völlig von dem grossen Erdbeben zerstört wurden, ist nicht mehr zu erkennen. Die frisch gekalkten Häuserfassaden mit den grün gestrichenen Holzbalkonen, den gepflegten Innenhöfen und den goldenen Schildern strahlen wieder wie einst im 18. Jahrhundert.
Im Gegensatz zu Pasto ist man hier auch besser auf Fremdenverkehr eingestellt. Im Büro der Touristeninformation bekomme ich diesmal einen ausführlichen Stadtplan, und jede weiter Auskunft, die ich benötige. Man bestätigt mir auch, dass der Schein nicht trügt, Popayan wäre eine durchaus sichere Stadt, auch nachts könne frau sich durchaus auf die Strasse wagen, wenngleich ohne jeglichen Schmuck oder sonstige Wertgegenstände - wie überall halt.
Wobei, obwohl heute Samstag ist, Party-Time also, hab ich am Abend gar keine Lust, alleine und ohne Francisco auszugehen. So versetze ich den armen Carlos, den ich am Nachmittag an der Plaza kennengelernt habe und mit dem ich mich für später verabredet hatte.
So, 25.11.2001
Ich will nach San Agustin, einem Dorf abseits der Hauptstrasse im Landesinneren. Da es mitten im FARC-Gebiet liegt, und die unbefestigte Piste grossteils durch recht unbewohntes und einsames Gebiet führt, raten mir alle davon ab, auf eigene Faust mit dem Motorrad hinzufahren. Stattdessen solle ich lieber einen öffentlichen Bus nehmen.
Also lasse ich Violeta und das grosse Gepäck im Hotel, nehme nur das Allernotwendigste mit. Für alle Fälle verstecke ich die Geldscheine im dafür vorgesehenen Gürtel, und lasse nur einen Bruchteil dessen im Geldbeutel, mit dem sich die Guerrilleros im Ernstfall zufrieden geben müssen.
Offiziell fährt der Bus um 9.00, inoffiziell um 9.15, in Wirklichkeit setzt er sich dannn um 9.40 endlich in Bewegung. Für die vor uns liegenden 135 km soll er etwa 6-7 Stunden brauchen.
Die ersten 25 km bis Coconuco sind noch asphaltiert, danach geht es über eine holprige, aber gut in Schuss gehaltene Piste weiter. Die Gegend ist nun tatsächlich ziemlich einsam, aber es wirkt alles ruhig und im Einklang mit der herrlichen Natur. Ich bereue direkt, nicht doch mit Violeta gefahren zu sein. Allerdings nur so lange, bis ein heftiger Regenschauer niedergeht, und die Piste im Nu in eine Rutschbahn verwandelt. Erinnerungen an die Carretera Austral im Süden von Chile holen mich ein.
An einem kleinen Restaurant unterwegs halten wir kurz Mittagspause. Wenig später erreichen wir bei km 90 die obligate Militärkontrolle. Wir müssen alle aussteigen, und unser Gepäck wird inspiziert. Angeblich verlassen wir nun wieder das Guerrilla-Gebiet, ab hier wäre wieder alles normal.
Tatsächlich ist die Gegend wieder bewohnter, die Fincas werden zahlreicher, und wir kommen durch mehrere Orte hindurch. Auch die Wolken am Himmel haben sich längst aufgelockert, da sieht die Landschaft doch gleich viel freundlicher aus. Die Strasse ist eine Mischung aus der Carretera Austral in Chile, dem Weg nach Coroico in den bolivianischen Busch, und dem nach Puyo in Peru. In hervorragendem Zustand windet sich die Piste durch eine spektakuläre Berglandschaft ganz in grün.
Problemlos erreichen wir San Agustín gegen 16.30. Ich steige aus dem Bus, und als einzige Touristin schaue ich mich zunächst etwas hilflos um. Im zentralen Hotel Colonial bekomme ich ein Zimmer. Es ist zwar sehr einfach, ohne Stromanschluss, tagsüber kommt das Licht von draussen durch die geöffnete, hölzerene Balkontür, und nach Einbruch der Dunkelheit gegen 18.00 aus einer Glühbirne, die von der Decke baumelt. Trotzdem fühle ich mich hier sehr wohl. Da das Zimmer oben im ersten Stock liegt, habe ich vom Balkon aus einen hervorragenden Blick über die ganze Strasse. Das gemeinsame Bad liegt am Ende des offenen Korridors, der an drei Seiten um den Innenhof verläuft, und an der vierten Seite den Blick auf die andere Seite des Ortes und in den Wald hinaus freigibt.
Das Dorf ist sehr überschaubar, man braucht nicht lange, um es zu erkunden. Nach dem Abendessen tue ich es dem einheimischen Volk gleich, dessen Lieblingsbeschäftigung am Sonntagabend zu sein scheint, die für den Verkehr abgesperrte Hauptstrasse auf- und ab zu flanieren. Aus den Lokalen, wo die Männer sich in Gruppen mit Bier oder Aguardiente zuschütten, klingt überall bis spät in die Nacht die typische Vallenato-Musik.
Mo, 26.11.2001
Der Ort allein ist nicht der Grund, weswegen man hierher kommt. Vielmehr liegt hier im Quellgebiet des Río Magdalena und des Río Cauca eine der geheimnisvollsten Ausgrabungsstätten des Landes. Über ein weites Gebiet verstreut liegen mehrere Gruppen von Gräbern und zahlreiche Steinskulpturen in unterschiedlichsten Grössen. Von ihren Baumeistern ist nur sehr wenig bekannt, man vermutet, dass sie mehreren recht hoch entwickelten Kulturen angehört haben, die ihre Blütezeit von 500 v.Chr. bis 1500 n. Chr. erlebten.
Ich will heute den nächstgelegenen Fundort besuchen, den Parque Arqueológico, der nur etwa 2 km ausserhalb des Ortes liegt und leicht zu Fuss besucht werden kann. Dennoch komme ich hier nach nur 20-minütigem Fussmarsch bereits schweissgebadet an, denn die tropische Sonne hat doch selbst am Morgen schon ganz ordentlich Kraft.
Der weitläufige Park ist hervorragend angelegt, und zum Glück führt die Wanderung auf den gut angelegten Wegen überwiegend durch den schattenspendenden tropischen Wald. Zu bewundern gibt es drei ausgedehnte Grabanlagen mit freistehenden Grabfiguren, und die Fuente de Lavapatas, ein ritueller Platz, an dem schmale labyrinthische Kanäle und Schlangenköpfe in das Flussbett gemeisselt sind.
Ausser den Parkwächtern bin ich hier ganz allein. Die Zeit scheint stehengeblieben zu sein, und ich lasse nicht nur die seltsame Atmosphäre der Vergangenheit auf mich wirken, sondern geniesse auch den Ausblick auf die Umgebung, den die Lichtungen freigeben, und auf die eigentümliche Natur um mich herum.
Plötzlich werde ich vom Regen überrascht, als ich zum Abschluss noch den Bosque de las Estatuas besuche, einen Lehrpfad durch den Wald, an dem weitere 35 in der Nähe gefundene Statuen aufgestellt sind. Eilig rette ich mich zurück zum Museum, wo ich Schutz finde auf einer Parkbank neben weiteren Angestellten im Park. Schnell kommen wir ins Gespräch, und einer bietet mir an, mich auf seinem Mopped mit hinunter ins Dorf zu nehmen. Das lasse ich mir natürlich nicht zweimal sagen.
Überhaupt sind die Kolumbianer bisher alle sehr freundlich, immer fröhlich, offen und hilfsbereit. Ihre stets gute Laune ist richtig ansteckend.
Di, 27.11.2001
Es regnet in Strömen, und der Himmel mit den tiefhängenden Wolken sieht aus, als wolle es heute gar nicht mehr aufhören. So hat der für 10.00 geplante Reitausflug natürlich keinen Sinn, ich verschiebe ihn zunächst auf den Nachmittag. Die Zwischenzeit nutze ich für einen Besuch im I-Cafe. Danach sieht man weiter.
Als ich wieder ins Freie trete, sind die Strassen tatsächlich bereits wieder trocken, und zur verabredeten Zeit um 13.00 bringt mich mein Führer Albano zur Finca, wo bereits die beiden Pferde Mariposa und Rafael fertig gesattelt auf uns warten.
Es macht mächtig Spass, mit dem unentwegt plaudernden und Geschichten erzählenden Albano durch die kolumbianische Wildnis zu ziehen. Dabei geraten die weiteren archäologischen Stätten wie el Cerro de la Pelota mit den bunten Figuren, und La Chaquira, mit den über den Canon del Rio Magdalena blickenden, in den Fels gemeisselten Figuren fast in den Hintergrund. Und im Gegensatz zum letzten Ausritt in Ecuador könnte ich diesmal noch stundenlang so weiterlaufen, als wir aber nach etwa 4 Stunden leider schon wieder an der Finca ankommen.
Beim Abendessen nimmt mich Lucas in Beschlag. Er stellt sich mir als Bruder der Besitzerin des kleinen und einfachen, aber sehr guten Restaurants vor, und nicht nur seine starke Fahne zeigt, dass er schon deutlich über den Durst getrunken hat. Er ist daher zwar etwas anstrengend, aber ihm zuzuhören ist dennoch durchaus interessant. Vor allem, als er so ganz nebenbei erzählt, dass er bei der Guerrilla gewesen ist, werde ich hellhörig. Ich sitze also einem echten Guerrillero gegenüber! Er war bei der M-19, einer der Gruppierungen, die noch militanter sind als die FARC, und die weiter im Norden des Landes operieren. Lucas scheint aber nur aus Langeweile dabeigewesen zu sein, denn worum es denen im Grunde geht, davon hat er anscheinend keinen Schimmer. Heute jedenfalls lebt er angeblich vom Verkauf von Keramik und Kokain nach Italien. Wie er die Drogen ausser Landes schafft, will er mir erst später erzählen, und will mich noch auf einen Drink im Lokal um die Ecke einladen. Mein Verstand siegt über meine Neugier, und ich lehne dankend ab.
Mi, 28.11.2001
Bevor um 10.00 der Bus zurück nach Popayan abfahren soll, bleibt reichlich Zeit für ein gemütliches Frühstück. Dazu suche ich mir ein neues, einfaches aber sympathisch wirkendes Lokal gleich gegenüber der Bushaltestelle aus. Für die bescheidenen 2 Semmeln, den Kaffee und einen Orangensaft will man am Ende ganze co$ 3.000.- von mir haben. Total überteuert, und ich fühle mich schon wieder übers Ohr gehauen. Ich beschliesse, nie wieder etwas zu essen, ohne vorher nach dem Preis gefragt zu haben, auch wenn das Lokal noch so billig aussieht.
Nahezu pünktlich fährt der Bus vor. Die Rückfahrt verläuft fast genauso wie die Hinfahrt: bis es zu regnen beginnt, bedaure ich, nicht auf dem Mopped zu sitzen.
An der Militärkontrolle schaue ich diesmal etwas genauer hin. Männer und Frauen werden getrennt. Während man von uns Frauen nur das Gepäck sehen will, werden die Männer, die sich in einer Schlange hinter dem Bus aufstellen müssen, auch am Körper untersucht, wobei ein Griff zwischen die Beine nicht ausbleibt. Auch im Bus wird weiter nach Waffen und Drogen gesucht, bevor wir alle wieder einsteigen dürfen. Bis es soweit ist, gesellt sich wieder derselbe junge Soldat zu mir, der schon bei der Hinfahrt sehr neugierig und interessiert war. Sicherheitshalber erzähle ich ihm lieber nicht, wann ich gedenke, nach Calí weiterzufahren.
Nun geht es also wieder durch das gefürchtete Guerrilla-Gebiet. Aber nichts passiert, es ist alles ruhig. Stattdessen werden wir vielmehr von der Gewalt der Natur aufgehalten. An einer der Stellen, wo für die neue Kanalisation die dicken Rohre unter der Strasse verlegt werden sollen, ist durch den anhaltenden Regen der Rest der Piste derart weggebrochen, dass ein Durchkommen nicht mehr möglich ist. Vor uns hat sich bereits ein langer Stau von mehreren LKW's gebildet. Auch aus unserem Bus steigen trotz des immer noch starken Regens mehrere der Fahrgäste aus, um mitzuhelfen, das fehlende Stück Strasse mit Steinen aufzufüllen. In der Zwischenzeit überlässt mein Vordermann das Huhn, das er dabei hat, sich selbst und bindet es am Sitz fest, was dieses mit lautem Gegacker quittiert.
Fast zwei Stunden stecken wir hier fest, bevor die Fahrt endlich fortgesetzt werden kann. Aber wir sind ja schon alle froh und erleichtert, dass es überhaupt noch heute weitergeht. Es ist allerdings noch längst nicht überstanden, denn die Durchfahrt über die schmale Stelle ist nach wie vor kritisch. Im tiefen Schlamm rutscht der Bus gefährlich nahe an den Abgrund. Der geübte Fahrer gewinnt jedoch zum Glück gleich wieder die Kontrolle. Mit Jubel und Beifall wird der Bus von den Umstehenden aus den anderen Fahrzeugen begleitet, die selbst erst noch die Engstelle passieren müssen.
Auch in der Gegenrichtung hat sich schon eine Schlange von 10 Fahrzeugen gebildet, alles Busse und LKW's, nicht ein einziges privates Fahrzeug ist hier unterwegs. Im Vergleich zum Sonntag herrscht heute richtig starker Verkehr.
Nach dieser unfreiwilligen Pause tritt nun der Busfahrer erst recht aufs Gaspedal, als könne er die verlorene Zeit noch einholen. In einem mir fast schon unverantwortlich scheinenden Tempo rasen wir über die holprige und kurvige Piste. Wahrscheinlich will er bei Tageslicht wenigstens noch bis Coconuco kommen, wo er dann wieder Asphalt unter die Räder bekommen wird. Obwohl wir noch ein weiteres Mal etwa 15 Minuten lang aufgehalten werden, schafft er das auch. Aber es war knapp, denn die ersten Strassenlaternen brennen bereits.
Natürlich ist es schon finster, als wir gegen 18.30 in Popayan ankommen, wo ich zum Glück bereits letzten Samstag ein Zimmer im Hotel Los Balcones reservieren konnte, und daher nicht erst noch lange suchen muss.
Beim erneuten Besuch im I-Cafe, um den ich nicht umhin kann, finde ich endlich die ersehnte Nachricht von Francisco vor, dass er wirklich wie versprochen nach Bogotá kommen wird, wo wir uns wieder treffen wollen, um Weihnachten und Silvester zusammen zu verbringen. Ich hatte nicht wirklich daran geglaubt, und freue mich daher jetzt umso mehr.
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