Mumia Abu-Jamal - Eine Analyse
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Mumia Abu-Jamals Anwälte

Es ist ein hartes Los, für Mumia Abu-Jamal als Anwalt tätig zu sein. Noch schwieriger ist es aber sein ehemaliger Anwalt zu sein. Die Chancen, im nachhinein als unfähig oder vielleicht sogar als verbrecherisch bezeichnet zu werden, sind einigermaßen groß.

Anthony Jackson traf es ganz besonders schlimm. Er mußte sich noch im Gerichtssaal Beschimpfungen wie shyster und baboon (etwa Winkeladvokat und Tölpel) anhören. So nebenbei wurde er auch noch als Verschwörer gebrandmarkt, der mit Richter und Staatsanwalt gemeinsame Sache machte. Die Behauptung, er wäre unfähig gewesen und hätte somit die Bedingungen für „unzureichenden Rechtsbeistand“ erfüllt, gilt unter eingefleischten Anhängern Abu-Jamals als eine feststehende Tatsache. Auch Abu-Jamals Anwälte - wer auch immer dies gerade ist - führen diesen Punkt immer wieder an.

Dabei war seine Leistung vor Gericht nicht einmal schlecht. Im Kreuzverhör konnte er Gary Bells Glaubwürdigkeit sichtbar angreifen und seine Befragung der Experten der Staatsanwaltschaft war ebenfalls ausführlich. Er hatte aber praktisch nichts worauf er aufbauen konnte und konzentrierte sich in einigen Fällen auf die nicht durchgeführten Untersuchungen. Sein Erfolg war offensichtlich gering. Bei der Befragung der Augenzeugen arbeitete er die Unterschiede zu deren vorangegangenen Aussagen heraus. Er erweckte dabei aber oft den Eindruck haarspalterisch zu sein und konnte nicht zu den Geschworenen durchdringen. Man konnte ihn nicht mit O.J.'s Dream Team vergleichen, aber so schlecht war er auch nicht.

Die tatsächlichen Fehler Anthony Jacksons können rasch aufgezählt werden, und bei den beiden schwerwiegendsten Fehlern hatte sein Mandant die Hand im Spiel. Als am letzten Verhandlungstag die Vorladung Gary Wakshuls diskutiert wurde, jammerte Anthony Jackson, daß er die Kopien der Zeugenaussagen von seinem Mandanten nicht zurückbekommen hat und sich nicht an alle Einzelheiten erinnern konnte. Staatsanwalt McGill sagte sofort, dies wäre Abu-Jamals Problem. Auch das Versäumnis, Leumundszeugen während der Strafbemessungsphase aufzurufen, hat Jackson nicht allein zu verantworten. Die Leumundszeugen während der ersten Phase des Verfahrens hat Abu-Jamal selbst bestimmt, und sein Verhalten am letzten Tag zeigt deutlich, daß er auch zu diesem Zeitpunkt die Strategie bestimmt hat. In gewisser Weise hat Abu-Jamal erreicht, was er ausdrücklich erreichen wollte. Er hat seinen Anwalt schon zuvor mehrmals aufgefordert nicht am Verfahren mitzuwirken.

Anthony Jackson hat zwar keine besonders gute Figur gemacht, war aber mit Sicherheit nicht unfähig. Ganz im Gegenteil hat er sich bis zuletzt für seinen Mandanten eingesetzt. Obwohl er von Abu-Jamal bei jeder Gelegenheit beleidigt und gedemütigt wurde, brachte er ein überaus emotionales Schlußplädoyer zustande, während dessen die Beobachter im Gerichtssaal sogar Tränen in seinen Augen sehen konnten. Schließlich fertigte er für die PCRA-Anhörung eine übermäßig selbstkritische Erklärung an, in der er - nicht ganz glaubwürdig - alle Schuld auf sich nahm. Unterstützer Abu-Jamals zitieren gern aus dieser eidesstattlichen Erklärung. Auch der hoffnungslos einseitige Bericht von Amnesty International baut darauf auf. Das für den behaupteten unzureichenden Rechtsbeistand wesentlich weniger günstige Kreuzverhör Jacksons während der PCRA-Anhörung wird jedoch geflissentlich ignoriert. Genauso wird ignoriert, daß Anthony Jackson nicht nur einen Staatsanwalt und einen sehr starken Fall gegen sich hatte, sondern auch noch von seinem eigenen Mandanten behindert wurde.

Die Kritik an der Leistung Anthony Jacksons ist stets oberflächlich. Der Vorwurf, er hätte keinen einzigen Zeugen befragt, klingt alarmierend. Dies ist aber weniger schwerwiegend als es zunächst erscheint. Sein Ermittler, Robert Greer, hatte mit drei Zeugen gesprochen und ihm standen auch die Kopien von über 100 Zeugenaussagen zur Verfügung. Er wußte grundsätzlich was seine Zeugen aussagen würden. Lediglich Veronica Jones hat ihn überrascht. Der Vorwurf gibt also wenig her. Um diese oberflächliche Kritik tiefergehend und damit verwertbar zu machen, müßte man auch wissen, was Anthony Jackson besser machen hätte können. Spätestens an diesem Punkt verstummt die Kritik. Es gibt bis heute keine konkreten Behauptungen, was Anthony Jackson erreichen hätte können. Auch spätere Anwälte konnten aus den vorhandenen Beweismitteln nicht mehr herausholen. Am besten drückte es Richter Yohn in seinem Urteil vom Dezember 2001 aus: "I specifically have found each of petitioner's substantive claims regarding these issues to be without merit."

Etwas besser als Jackson schnitt Marilyn Gelb ab. Sie leitete die Berufungsverhandlungen bis 1991. Auch ihre Arbeit kann man ähnlich wie die Arbeit Anthony Jacksons werten. Sie hat zwar keine grandiose Leistung gezeigt, diese war aber im rechtlichen Sinne mit Sicherheit nicht unzureichend. Ihre Arbeit als Anwältin war insgesamt erfolglos. Es darf aber nicht vergessen werden, daß die späteren Berufungen vor den Gerichten des Staates Pennsylvania auch nicht erfolgreicher waren. Sie hatte ganz einfach keine wirkungsvollen Argumente um erfolgreich in Berufung gehen zu können. Zwar wollten die Anwälte um Leonard Weinglass auch sie als unfähig hinstellen, konnten sie aber aus gesundheitlichen Gründen nicht vorladen. Mangels selbstkritischer Zeugenaussage blieb es ihr daher erspart von Abu-Jamals Unterstützern als Musterbeispiel unfähiger Arbeit mißbraucht zu werden. Lediglich in Petitionen der Anwälte wird ihr behauptetes Versagen angeführt.

Man sollte eigentlich meinen, zwei so erfolgreiche Anwälte wie Leonard Weinglass und Daniel Williams müßten von Vorwürfen verschont bleiben. Schließlich gelang es ihnen zweimal einen bereits unterzeichneten Hinrichtungsbefehl erfolgreich anzufechten. Als Vertreter ihres Mandanten sind sie auch nicht davor zurückgeschreckt, sich selbst lächerlich zu machen und ihre Ehrbarkeit in der Öffentlichkeit in Zweifel zu ziehen. Sie gingen dabei so weit, bis sie von der Presse Philadelphias als Scheme Team, das heißt als verlogene und Ränke schmiedende Mannschaft bezeichnet wurden. Anders läßt sich nicht erklären, weshalb sie William Singletary und William Harmon während der PCRA-Anhörungen aufgerufen haben. Diese beiden haben im Zeugenstand vollkommen unglaubwürdige Geschichten erzählt. Singletary will unter anderem mit dem toten Daniel Faulkner gesprochen und einen nicht vorhandenen Hubschrauber gesehen haben. Er hat auch vergessen zu erwähnen, daß er am Tatort einen ihm persönlich bekannten Polizisten gefragt hat was los ist. Ungeachtet dessen behauptete er ab 1990, er habe das gesamte Geschehen gesehen. Um nichts besser sah William Harmon aus der ebenfalls eine Räuberpistole ablieferte. Das Schlimmste daran war aber, daß sich beide Zeugen so sehr widersprochen haben, daß sich ihre Geschichten gegenseitig ausschließen. Anwalt Williams sollte diese Zeugen später (neben Pamela Jenkins) als Desaster beschreiben. Singletarys Aussage war so entsetzlich unglaubwürdig, daß sogar die Staatsanwältin Arlene Fisk das Angebot machte, ihn unter Begleitung von Polizisten von jedem beliebigen Ort abzuholen und in den Gerichtssaal bringen zu lassen. Offensichtlich wollte sie unbedingt erreichen, daß sich die Verteidigung mit Singletary im Zeugenstand bis auf die Knochen blamiert - was sie auch erreichte.

Obwohl Weinglass und Williams bereit waren, ihren Ruf als Anwälte und ehrbare Männer für ihren Mandanten aufs Spiel zu setzen, hatte auch ihre Bereitschaft Grenzen. Als die Liste unglaubwürdiger Zeugen 1997 mit dem Auftritt Pamela Jenkins' einen katastrophalen Höhepunkt erreichte, mußten sie schon in ihrem eigenen Interesse vorsichtiger werden. Der absolute Schwachsinn den Arnold Beverly ab 1999 an die Öffentlichkeit brachte war schließlich zuviel. Für Rachel Wolkenstein und das Partisan Defense Commitee war Beverly ein Entlastungszeuge, für Williams und Weinglass war er der pure Wahnsinn der ihren Ruf endgültig zerstört hätte. Williams schrieb, er wollte sich die Demütigung ersparen einen solchen Mann in den Zeugenstand zu bringen. Damals konnte er auch noch auf Abu-Jamal zählen. Als er zwei Jahre später Executing Justice veröffentlichte war es damit aber vorbei, und er und Weinglass wurden wegen Vertrauensbruchs entlassen.

Die Entlassung der Anwälte durch Mumia Abu-Jamal ist bis heute eines der großen Mysterien dieses Falles. Während der Bruch des Vertrauens tatsächlich die Erklärung für die Entlassung Williams sein konnte, läßt sich diese Begründung für Weinglass nicht nachvollziehen. Vielleicht war es ein Zeichen von Verzweiflung. Während die juristischen Manöver der Neunziger-Jahre keinerlei Fortschritt brachten, schien Arnold Beverly die Hoffnung auf ein neues Verfahren zu geben.

Das Geständnis Arnold Beverlys war bereits alt und eigentlich vor Gericht nicht mehr verwertbar. Auch der Vorwurf unzureichenden Rechtsbeistands konnte es nicht mehr retten. Daher fuhr Grossman schwerere Geschütze auf. Nach seiner Darstellung habe Weinglass das Verfahren vorsätzlich sabotiert und daher wie ein Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft gehandelt. Wenn tatsächlich die Anklagebehörde schuld daran ist, daß ein Beweismittel nicht rechtzeitig vorgelegt wird, könnte Arnold Beverly aufgrund einer Ausnahmeregelung doch noch verwertet werden. Dementsprechend heftig waren auch die Angriffe gegen Weinglass. Das zuständige Gericht hielt diese Argumentation jedoch für nichts weiter als den nur dünn übertünchten Vorwurf des unzureichenden Rechtsbeistands und lehnte Beverlys Aussage ab.

Leonard Weinglass verhielt sich ebenso professionell wie Anthony Jackson. Er ertrug die Vorwürfe ohne Widerrede und sprach auch später nur positiv von seinem ehemaligen Mandanten.

Die von den neuen Anwälte um Marlene Kamish und Eliot Grossman gewählte neue Strategie wurde von Anfang an kritisiert, und wie die späteren Ereignisse zeigten, war diese Kritik berechtigt. Mittlerweile ist es um Arnold Beverly still geworden. Nachdem Daniel Williams in Executing Justice und David Lindorff in Killing Time das Geständnis als unglaubwürdig bezeichnet haben, wurde auch anderen Unterstützern Abu-Jamals klar, daß mit Beverly nichts anzufangen ist. Nur die extrem links stehenden Unterstützer wie das Partisan Defense Commitee bauen noch darauf. Es ist schon beinahe belustigend wie manche dieser Unterstützer vorgeben im Laufe der Jahre ihre Meinung geändert zu haben. An der Unglaubwürdigkeit Beverlys hat sich seit seinem ersten Auftreten nichts geändert. Die ganzen heute zur Verfügung stehenden Fakten waren auch schon 1999 bekannt. Damals konnte man sich aber noch der Illusion hingeben, daß man dieses Geständnis irgendwie in der öffentlichen Diskussion verwenden könnte. Heute wird nur noch bemängelt, daß ein so wichtig erscheinender Beweis ohne gerichtliche Anhörung aus rein formalen Gründen abgelehnt wurde. Dabei wird aber ignoriert, daß die vollständige Unglaubwürdigkeit der Grund für das Verstreichen der zulässigen Frist war.

Das kurze Zwischenspiel der Anwälte um Grossman hatte mehrere sichtbare Auswirkungen. Zunächst einmal wurde Daniel Williams als Verräter gebrandmarkt. Dies war auch erforderlich um den Inhalt seines Buches verdammen zu können. Falls die Unterstützer Abu-Jamals den Inhalt von Executing Justice als die Wahrheit angesehen hätten, wären mit einem Schlag mehrere Zeugenaussagen wertlos geworden. Grossmans Beweisführung für die faktische Unschuld Abu-Jamals konnte auf Beverly nicht verzichten.

Während ihres kurzzeitigen Mandats waren Grossman und Kamish die ersten Anwälte Abu-Jamals die ihrem Mandanten eindeutig geschadet haben. Anthony Jackson und Marilyn Gelb waren zwar keine Spitzenanwälte, haben sich aber für ihren Mandanten redlich eingesetzt und sind schließlich daran gescheitert, daß der Fall der Staatsanwaltschaft zu stark war. Dazu kam noch, daß Jackson von Abu-Jamal sabotiert wurde. Weinglass und Williams waren eingeschränkt erfolgreich. Sie konnte zweimal erfolgreich einen Hinrichtungsbefehl anfechten und die von ihnen verfaßte Berufung vor dem Bundesgericht führte zur Aufhebung des Todesurteils. Im Gegensatz dazu hat Grossman vollständig versagt. Seine erweiterte Petition an das Bundesgericht wurde ebenso abgelehnt wie seine Beweise zur angeblichen Unschuld Abu-Jamals. Mit den von ihm eingereichten eidesstattlichen Erklärungen hat er Abu-Jamals Aussichten in einem zukünftigen Verfahren sogar deutlich verringert.

Bei einer Pressekonferenz am 5. Mai 2001 legte er 5 Erklärungen vor. Diese Erklärungen sollten Arnold Beverlys Mordgeschichte beweisen. Zunächst sagte Beverly aus, er hätte gemeinsam mit einem unbekannten oder zumindest ungenannten Komplizen Daniel Faulkner ermordet. Dieser Mord wäre vom organisierten Verbrechen und korrupten Polizisten in Auftrag gegeben worden. Abu-Jamal sei erst später dazu gekommen und von einem anderen Polizisten angeschossen worden.

Donald Hersings Erklärung lieferte das Motiv für den Mord an Daniel Faulkner. Hersing war ein Informant des FBI und berichtete von korrupten Polizisten in Philadelphia. William Cook lieferte Hinweise darauf, daß Kenneth Freeman der zweite Täter war. Er selbst hat aber nichts gesehen, da er zu diesem Zeitpunkt etwas auf der Rücksitzbank seines Volkswagens gesucht und daher gerade den entscheidenden Augenblick verpaßt hat. Abu-Jamal behauptete, er saß zum Zeitpunkt der Tat in seinem Taxi und sah ebenfalls nicht hin. Nachdem er etwas wie Schüsse gehört hat sah er seinen Bruder, lief zum Tatort und wurde dort von einem Polizisten angeschossen. Danach kann er sich an nichts mehr erinnern. Da die beiden Brüder nichts gesehen haben, erklärt dies auch warum sie niemals ausgesagt haben.

Der Tatort am frühen Morgen
Der Tatort am frühen Morgen
Die fünfte Erklärung stammte vom Journalisten Linn Washington. Er nutzte seine Erklärung für Angriffe auf die Polizei, beschrieb wie er von anderen Personen gehört hat, daß Abu-Jamal von Polizisten mißhandelt wurde und behauptete, er hätte den Tatort um 8:30 unbewacht vorgefunden, und bei einer anschließenden Untersuchung des Volkswagen hätte er Blutstropen auf dem Boden vor der Rücksitzbank gesehen. Mit diesen Blutstropfen stärkte er William Cooks Aussage. Dies ist etwas seltsam, denn die Polizei hat den VW ebenfalls untersucht aber keine Blutspuren entdeckt. Auch das Bild rechts zeigt, daß diese Aussage nicht stimmt. Das Bild stammt aus einer Filmaufnahme. Die frontal beleuchtete Ostseite des Gebäudes im Hintergrund (The Arts Condominium), die rötliche Färbung dieser beleuchteten Wand, das Fehlen ausgeprägter Schatten und die leere Straße deuten darauf hin, daß es erst kurz nach Sonnenaufgang war (am 9.12.1981 um ca. 7:16), also wahrscheinlich vor 8:30. Der Volkswagen befindet sich aber nicht mehr am Tatort. Selbst wenn das Bild entgegen aller Wahrscheinlichkeit erst nach 8:30 gemacht wurde, nachdem Linn Washington den VW untersucht hat, bleibt noch immer eine Lüge übrig, den der Tatort wurde eindeutig bewacht. Zu sehen ist ein Polizeiauto links und ein weiteres (undeutlich) mit eingeschaltetem Licht auf der anderen Seite der Absperrungen. Wie es ihm gelungen sein soll, den Volkswagen unter den Augen der Polizisten zu untersuchen, bleibt ein Rätsel.

Tatort vor Sonnenaufgang
Tatort vor Sonnenaufgang
Addendum (September 2007)
Ich habe erst jetzt daran gedacht, daß A Case For Reasonable Doubt eine kurze Sequenz zeigt, in welcher der Tatort am frühen Morgen vor Sonnenaufgang zu sehen ist. Links ist ein Polizeiauto zu sehen, und im Hintergrund sieht man wahrscheinlich ein weiteres Polizeiauto mit eingeschalteten Scheinwerfern. Ein Blick bestätigt, daß alle Autos (Faulkners Polizeiauto, Volkswagen und Ford Galaxy) bereits entfernt wurden. Dadurch erscheint Linn Washingtons Erklärung sogar noch verdächtiger. An welchem Ort will er den Volkswagen vorgefunden haben?

Mittlerweile sind viele Jahre vergangen und die ganze Geschichte um Arnold Beverly ist zu Ende gegangen. Die damals veröffentlichten Erklärungen sind schon längst als Unsinn erkannt worden. Das Schlimme für Abu-Jamal ist die Tatsache, daß diese Strategie niemals Aussichten auf Erfolg gehabt hat. Die Verstreichung der zulässigen Frist war ein unüberwindliches Hindernis. Hätte Grossman entgegen allen Erwartungen trotzdem Erfolg gehabt, wäre es lediglich zu einer neuen Beweisaufnahme im Rahmen einer PCRA-Anhörung gekommen. Spätestens dann wäre Beverlys Märchen endgültig im Papierkorb gelandet. Während Grossman einer unerreichbaren Chimäre nachgelaufen ist, hat er aber auch neue Tatsachen geschaffen. Er ließ es zu, daß Abu-Jamal und sein Bruder eidesstattliche Erklärungen anfertigten. Diese beiden Erklärungen waren nicht dazu geeignet die Geschichte Beverlys zu retten. Für dieses Vorhaben waren sie auch vollkommen unnötig. Die beiden Brüder werden aber niemals wieder die Chance haben eine andere Darstellung zu veröffentlichen und gleichzeitig glaubwürdig zu sein.

Eine anders lautende Darstellung der Ereignisse kann erforderlich werden, da Mumia Abu-Jamals und William Cooks Aussagen nicht nur widersprüchlich, sondern in vielen Details ganz einfach falsch sind. Beide haben eindeutig gelogen. Genauso schlimm steht es um Linn Washingtons Erklärung. Diese ist nicht nur beleidigend und auf Hörensagen aufgebaut, sondern wirft auch die Frage auf, wieso er nicht schon früher ausgesagt hat. Obwohl er sich laut seiner eigenen Aussage von Anfang an mit dem Fall beschäftigt hat, empfand er es niemals als sinnvoll die Anwälte zu kontaktieren.

Alle drei haben mit ihren Aussagen ihre Glaubwürdigkeit untergraben. Für Linn Washington ist dies nicht besonders tragisch. Für Abu-Jamal könnte es aber eine Frage auf Leben und Tod werden.

Die Entscheidung des Bundesberufungsgerichts steht noch aus und es besteht noch immer die Hoffnung auf ein neues Verfahren. Nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge ist zumindest eine neuerliche Bestimmung des Strafmaßes erforderlich. Lassen Sie mich einmal darüber spekulieren, was in den kommenden Monaten und Jahren vor Gericht geschehen könnte. Im günstigsten Fall erhält er ein neues Verfahren. All den Mythen über falsche Kaliber und fliehende Männer zum Trotz sind die Aussichten auf einen Freispruch gering. Es ist aber zumindest vorstellbar, daß Abu-Jamal in einem neuen Prozeß eines geringeren Verbrechens für schuldig befunden wird. Sein Bruder könnte bezeugen wie schwer er von Daniel Faulkner geschlagen wurde und er selbst könnte beschreiben wie er dadurch die Kontrolle über sich selbst verloren hat. Auch die verschiedenen Möglichkeiten bei der Deutung der ballistischen Beweise könnten für eine Verurteilung wegen Totschlags verwendet werden. Selbst wenn es nicht ausreicht um die Geschworenen von einem geringeren Vergehen als vorsätzlichen Mord zu überzeugen, könnten solche Aussagen noch immer als Beweis für eine heftige Erregung dienen, womit ein weiterer Milderungsgrund gegeben wäre. Milderungsgründe sind für die Strafbemessung von Bedeutung. Wenn die Milderungsgründe schwerer wiegen als der einzige erschwerende Grund (Daniel Faulkner war ein Polizeibeamter im Dienst), wird Abu-Jamal zu lebenslanger Haft verurteilt werden. Selbst dann, wenn das Todesurteil wieder in Kraft gesetzt wird, könnte eine mitleiderregende Geschichte noch immer hilfreich sein um eine Begnadigung zu erreichen. Für Mumia Abu-Jamal ist es tatsächlich sehr wichtig seine eigene Sicht der Dinge ohne Vorbelastung abgeben zu können.

All diese Möglichkeiten wurden von Grossman und Kamish drastisch eingeschränkt und vielleicht sogar für alle Zeiten verspielt. Abu-Jamal kann seine Aussage selbstverständlich noch ändern und in bewährter Tradition die gesamte Schuld auf seine ehemaligen Anwälte schieben. In diesem Fall wären Vorwürfe sogar berechtigt. Er wird aber für immer als Lügner gelten, der seine Geschichte den momentanen Erfordernissen anpaßt. Zukünftige Geschworene oder der Gouverneur von Pennsylvania werden dies bei der Bewertung seiner Beteuerungen sicherlich berücksichtigen.


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