Warum bin ich gegen die Todesstrafe?
Eine grundsätzliche Frage
Diese Frage scheint viele Leser zu beschäftigen. Vor allem Befürworter der Todesstrafe stellen sie und bringen gleichzeitig Beispiele von besonders grausamen Morden, in denen die Hinrichtung der Täter gerechtfertigt erscheint. Meine Beweggründe beziehen sich aber nicht auf die außergewöhnlichen Umstände von einigen speziellen Fällen, sondern auf die grundsätzliche Frage, ob der Staat das Recht zum Töten haben sollte.
Im folgenden finden Sie meine Antworten die ich anläßlich verschiedener Briefwechsel gegeben habe. Als Beispiel für einen besonders grausamen Mord möchte ich aber zunächst einen Pressebericht zitieren, welcher mir während einer solchen Diskussion zugesandt wurde. Dieser Bericht handelt von einem Häftling, der von drei Mitgefangenen ermordet wurde:
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Sie zwangen ihn den Halter für die Toilettenbürste, in den sie uriniert und gespuckt hatten, leer zu trinken. Er musste sein eigenes Erbrochenes, eine Tube Zahnpasta und eine Mischung aus Wasser, Salz und scharfem Pulver runterwürgen; und mehrere Abschiedsbriefe schreiben.
Schließlich versuchten die Täter drei- bis viermal, ihr Opfer mit Kabeln aufzuhängen - doch immer seien diese gerissen. Allein diese Brutalität dauerte insgesamt fast zwei Stunden.
Erst ein Strick aus Bettlakenstreifen hielt dem Gewicht des 20-Jährigen stand. Damit zwangen die drei Männer ihr Opfer auf einen Eimer vor der Toilettentür und legten ihm die Schlinge um den Hals. Als der 20-Jährige bereits an der Tür hing, lösten sie nach eineinhalb Minuten noch einmal den Strang und schlugen den Mithäftling ein letztes Mal zu Bewusstsein. Als sie ihn ein zweites Mal ins Leben zurückprügeln wollten, war der junge Häftling bereits tot.
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Trotzdem dies ein besonders verabscheuungswürdiges Verbrechen war, bin ich entschieden gegen die Todesstrafe.
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1. Die Todesstrafe ist eine nicht umkehrbare Bestrafung
Zweifellos versuchen Gerichte immer wieder die Tatsachen soweit zu klären, daß eine Verurteilung nur dann erfolgt, wenn sie auf Fakten basiert und damit auch sicher ist. Deshalb sollte es keinen Grund zur Umkehrung der Verurteilung geben. Aber wie überall im Leben gibt es keine absolute Sicherheit. Als praktische Beispiele kann man nicht nur Beispiele aus den USA heranziehen, obwohl durch die gegenwärtige Situation bedingt Fälle aus den USA in einer solchen Diskussion überwiegen müssen.
Fälle aus Europa sind mittlerweile bereits historisch, wie z.B. der Mordfall Christie/Evans aus dem Großbritannien der frühen fünfziger Jahre. In diesem Fall wurde Timothy Evans für den Mord an seiner Frau hingerichtet, obwohl dieser Mord von John Christie begangen wurde (Christie wurde einige Jahre später für denselben Mord hingerichtet). Zweifellos kann man zur Behauptung gelangen, dies wäre ein alter Fall und moderne Ermittlungsmethoden würden ein solches Fehlurteil ausschließen. Dies ist aber nur bedingt richtig.
Ein Fall aus den USA, der hauptsächlich für die komplizierte Situation im amerikanischen Gerichtssystem typisch ist, ist der Fall Herera. Lionel Herera hat 1993 in einer mittlerweile berühmt gewordenen Petition an das Oberste Gericht der Vereinigten Staaten den Antrag gestellt, die Beweismittel in seinem Fall erneut mit modernen Methoden überprüfen zu lassen. Der Oberste Gerichtshof hat diesen Antrag abgelehnt, da dies außerhalb seiner Befugnisse liegt. Der Vorsitzende Rehnquist erklärte in der von ihm verfaßten Stellungnahme, das Oberste Gericht sei für die Einhaltung der Verfassung zuständig. Dieser Antrag berührt jedoch keine Verfassungsfragen und muß daher abgelehnt werden. Herera wurde anschließend exekutiert. In einem idealen Rechtssystem könnte man dafür sorgen, daß solche Beweisprüfungen stets durchgeführt werden und somit auch diese Unsicherheit aus der Welt schaffen. Was geschieht aber, wenn diese Mittel zum Zeitpunkt der Exekution noch nicht existieren?
So unterschiedlich beide Fälle auch erscheinen mögen, haben sie zwei Punkte gemeinsam, die man ohne große Einschränkungen in der Mehrzahl der Gerichtsverfahren erkennen kann. Die Natur der Beweise und die Interessen der Beteiligten.
Die Natur der Beweise ist in nahezu allen Fällen eine Mischung aus Zeugenaussagen und Expertengutachten. Beiden ist eine latente Fehlerhaftigkeit zu eigen. Expertengutachten basieren stets auf dem gegenwärtigen Stand der Technik. Jeder Experte bringt seine Meinung zu Beweisstücken als die absolute Wahrheit vor Gericht vor, und Geschworene können gemeinhin nur darauf vertrauen, daß dies tatsächlich der Wahrheit entspricht. Nur selten macht die Wissenschaft rasch genug Fortschritte um diese scheinbare Wahrheit noch während des Ablaufs der Berufungsverhandlungen zu relativieren. Allerdings sind gerade wir seit 20 Jahren in der Lage genau dies zu beobachten. Gentests haben tatsächlich in einer bemerkenswerten Anzahl von Fällen zur Freilassung von rechtmäßig verurteilten Personen geführt. Das Project Innocence hat sich in vielen Fällen gerade auf diese Form von Beweisen spezialisiert. Welche technischen Fehler heute in anderen Bereichen gemacht werden, läßt sich naturgemäß nicht feststellen. Eine Untersuchung von älteren Fällen und der dabei vorgebrachten Argumente zeigt aber eindeutig, daß technische Beweise im Laufe der Zeit durch den Stand der Technik überholt werden. Ein sehr aufschlußreicher Fall hat sich in den 1950er-Jahren in Frankreich zugetragen (Marie Besnard, die schwarze Witwe von Loudun), in dem Experten ihre Meinung zu Arsenresten in exhumierten Leichen zum Besten gegeben haben. Die Angeklagte mußte sich insgesamt 3 Verfahren stellen bevor sie im Zweifel freigesprochen wurde. Nach heutigen Erkenntnissen waren die meisten Zeugenaussagen von Experten zumindest fragwürdig.
So augenscheinlich und überzeugend eine Entlastung mittels DNS-Test auch sein mag, kommt diese Form der Beweisführung aber häufig nicht in Frage weil ganz einfach keine derartigen Spuren zu Verfügung stehen. Die meisten der Fälle, in denen DNS-Spuren zur Entlastung dienten, waren auch nicht Mordfälle, sondern Vergewaltigungen. Gerade in solchen Fällen, in denen die Spuren nicht ausreichend sind, kommt der zweite Teil von Beweisführungen zum Tragen: Augenzeugen. Spuren sind in vielen Fällen selten und wenig aufschlußreich. Deshalb stützen sich Staatsanwälte auf der ganzen Welt auf Augenzeugen. Diese sind aber extrem fehlbar und oft auch voreingenommen. Speziell bei Vergewaltigungen ohne Mord zeigt sich in dramatischer Weise, wie fehlbar Augenzeugen selbst dann sind, wenn sie unmittelbaren Kontakt zum Täter hatten. Das Opfer kann seinen Peiniger anzeigen und selbst zur Aufklärung beitragen. Wenn das Opfer dann in den Zeugenstand tritt und den Angeklagten einwandfrei als Täter identifiziert, erzeugt dies einen bleibenden Eindruck bei den Geschworenen. Trotzdem ist dies oftmals falsch. Erst vor etwas über einem Jahr gab es einen solchen Fall in der Steiermark, Österreich. Ein junger Mann wurde durch die Aussage seines vermeintlichen Opfers eindeutig identifiziert. Er wurde inhaftiert, ein Gentest wurde veranlaßt und, was für eine Überraschung, er wurde durch diesen Test entlastet. Da er es nicht gewesen sein konnte, wurde er sofort wieder freigelassen. Anstatt aber die eindeutigen Beweise für die falsche Identifizierung zu akzeptieren, beschimpfte das Opfer die Polizei und forderte die sofortige Verhaftung dieses Mannes. Daß sie sich irren könnte kam ihr nie in den Sinn. Hätte der Täter ein Kondom benutzt, würde heute wahrscheinlich ein Unschuldiger für lange Zeit im Gefängnis einsitzen. Dabei konnte diese Frau den Täter noch vergleichsweise gut sehen. In Mordprozessen sagen oft Zeugen aus, die den Mörder wesentlich schlechter sehen konnten. Trotzdem stützen sich Staatsanwälte auch auf solche Zeugen. So hatte die einzige Augenzeugin im Mordfall Shaka Sankofa (eigentlich Gary Graham; hingerichtet am 22.6.2000 in Texas) den Täter nur für wenige Sekunden in ihrem Blickfeld, es war dunkel und er ging in beträchtlicher Entfernung an ihr vorbei.
Gerade falsche Identifizierungen können niemals ganz ausgeschlossen werden. Üblicherweise kennen sich Zeuge und Täter nicht, die Beobachtung dauert oft nur kurze Zeit und erfolgt unter schwierigen Bedingungen und ohne große Aufmerksamkeit. Kaum ein Zeuge weiß während der Beobachtung bereits, daß er später darüber vor Gericht aussagen muß. Deshalb konzentriert sich auch kaum ein Zeuge auf das Geschehen.
Schließlich kommt auch noch das Motiv der Beteiligten zum Tragen. Zeugen haben manchmal ein Motiv, zu einer Verurteilung beizutragen, Staatsanwälte haben grundsätzlich ein solches Motiv. Nicht nur in den USA sind verlorene Fälle ein Hindernis für die Karriere eines Staatsanwalts, wenngleich dort die Anreize für eine große Anzahl an Verurteilungen deutlich größer sind als in Deutschland. Die wichtigste Aufgabe des Staatsanwalts sollte die Wahrheitsfindung sein, ist jedoch in erster Linie der Erfolg vor Gericht. Gerade in Fällen mit Todesurteilen wird in vielen Fällen eine neuerliche Überprüfung der Beweismittel beantragt und von den Staatsanwaltschaften bekämpft. Wäre die Wahrheitsfindung der einzige Beweggrund, würde eine solche Ablehnung keinen Sinn ergeben. Auch die Anklagevertreter könnten durch eine solche Überprüfung zu neuen Erkenntnissen gelangen. Die Ablehnung einer neuerlichen Überprüfung erfolgt jedoch deshalb, weil die erste Überprüfung bereits zu einer Verurteilung beigetragen hat und neue Fakten diese Verurteilung aufheben könnten. Zweifellos würde eine generelle Änderung dieser Situation dazu führen, daß Verurteilte grundsätzlich immer wieder Überprüfungen fordern und damit den Berufungsprozeß verlangsamen und verteuern würden. Wo diese Überprüfung bis jetzt gefordert wurde gab es jedoch stets gute Gründe dafür und die Verurteilung wäre bei einem anderen Ergebnis der Beweismittelprüfung in Gefahr gewesen.
Insgesamt ist die fehlende Umkehrbarkeit der Todesstrafe für mich deshalb ein ausschlaggebender Grund, weil für mich stets ein gewisses Restrisiko besteht. Ich möchte nicht die Regeln der Beweiswürdigung neu schreiben um damit unzählige Verurteilte wegen Mangels an Beweisen freizulassen. Aber egal was ich auch immer mache, halte ich mir in meinem Leben stets eine Hintertür offen, um etwaige Irrtümer zu korrigieren. Eine Exekution verschließt diese Tür für immer.
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2. Die Todesstrafe hat keine abschreckende Wirkung
Die Androhung der Todesstrafe für besonders schwere Verbrechen hätte die oben erwähnte Tat nicht verhindert. So oft auch von abschreckender Wirkung die Rede ist, spielt der Gedanke an die spätere Bestrafung bei Tätern während der Ausübung der Tat so gut wie keine Rolle. Wenn die Tat erst einmal begonnen wurde, spielt vielleicht die Suche nach Entschuldigungen und Ausreden bereits mit, aber je tiefer der Täter in die Tat verstrickt wird, desto weniger Grund hat er aufzuhören. Ganz im Gegenteil, denn erst dem toten Opfer kann man die Schuld in die Schuhe schieben. Aber in dem oben erwähnten Fall der drei Häftlinge war wahrscheinlich nicht einmal dies noch von Bedeutung. Wenngleich ich den endgültigen Beweis nicht erbringen kann, behaupte ich, die Tat wäre auch unter Androhung der Todesstrafe in gleicher Weise ausgeführt worden.
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3. Die Todesstrafe ist nicht notwendig
Man könnte die Todesstrafe als Notwendigkeit oder, aus meiner Sicht, als das sprichwörtliche notwendige Übel betrachten, wenn es keinen anderen gangbaren Weg zum Schutze der Gesellschaft gibt. Dieser andere Weg existiert jedoch: lebenslange Einzelhaft zum Schutze der Mithäftlinge und der Ausschluß der Bewährungsmöglichkeit zum Schutze der übrigen Gesellschaft. Bei konsequenter Anwendung dieser Forderungen können die Täter nie wieder eine Gefahr darstellen. Auch die Befürchtung, die Täter könnten aus dem Gefängnis ausbrechen, ändert daran nichts, da man Hochsicherheitsgefängnisse ausbruchsicher gestallten kann. So ist es zum Beispiel noch keinem amerikanischen Häftling gelungen aus der Todeszelle im Hochsicherheitstrakt eines Gefängnisses zu entkommen.
Für beide Forderungen sehe ich ein schwerwiegendes Problem innerhalb fast aller westlichen Strafverfolgungssysteme. Das, was mit diesen 3 Tätern tatsächlich geschehen wird, wird möglicherweise in Zukunft Probleme aufwerfen. Ganz generell haben westliche Strafverfolgungsbehörden oft einen ausgesprochenen Hang zur Resozialisierung, während westliche Psychiater häufig denn Wunsch haben, Täter zu heilen und bei ihren anschließenden Prognosen über die Zukunftsaussichten leider schon oft falsch lagen. Diese 3 Männer könnten also im tatsächlich existierenden deutschen Strafvollzug schon nach wenigen Jahren wieder in die allgemeine Gefängnispopulation integriert werden und anschließend erneut eine Bedrohung für ihre Mitgefangenen darstellen. Im schlimmsten Fall ist es sogar möglich, daß sie nach längerer Zeit wieder in Freiheit entlassen werden, weil ein Psychiater eine positive Zukunftsprognose abgibt, um daraufhin eine noch größere Gefahr darzustellen. Eine noch größere Gefahr deshalb, weil sie in den beengten Raumverhältnissen des Gefängnisses nur beschränkt handeln und kaum etwas verstecken können, während ein Täter in Freiheit mit etwas Geschick lange Zeit unentdeckt bleiben kann.
Ich halte die derzeitige Situation also keinesfalls für ideal. Die in meinen Augen unzumutbaren Zustände beginnen in Deutschland doch schon damit, daß lebenslang nicht lebenslang bedeutet, sondern eine automatische Freilassung nach 15 Jahren zur Folge hat. Dieser Automatismus wird nur bei der Feststellung einer besonderen Schwere der Schuld aufgehoben. Die Möglichkeit zur vorzeitigen Entlassung wird damit aber nicht grundsätzlich ausgeschaltet. Andere Länder haben gleiche Probleme. In den Niederlanden haben die Staatsanwälte im Verfahren gegen den Mörder Theo van Goghs eine unüblich lange Liste an Anklagepunkten zurechtgebastelt um überhaupt eine lebenslange Verurteilung erreichen zu können. Aufgrund der mitleidigen Rechtspraxis wird auch für Mord in der Regel nur eine begrenzte Gefängnisstrafe ausgesprochen. In die gleiche Richtung scheint ein Vorschlag der grünen Partei Österreichs zu gehen, die vor der letzten Wahl im Jahr 2006 die Abschaffung der lebenslangen Haftstrafe gefordert haben.
Leider funktioniert die vorzeitige Haftentlassung gerade bei denen am Besten, die sich besonders gut verstellen können und in der Lage sind, Unterstützung zu gewinnen. Als Henry Abott im Gefängnis sein schriftstellerisches Talent entdeckte, dauerte es nicht lange bis andere Schriftsteller für ihn Partei ergriffen. Selbst Norman Mailer trat in einem heftigen Anfall von Wunschdenken für Abott ein. Wer so gut schreibt kann, kann doch unmöglich ein schlechter Mensch sein, oder? Als er schließlich vorzeitig entlassen wurde, blieb er nur einige Jahre lang gesetzestreu und mordete anschließend wieder. Noch schlimmer war der Fall Jack Unterweger aus Österreich, Tschechien und eventuell den USA (in den beiden ersten Ländern hat er mit Sicherheit gemordet). Die von ihm im Gefängnis verfaßten Werke brachten ihm nicht nur Bewunderung, sondern auch ähnliche Unterstützung wie Henry Abott ein. Das Ergebnis war ebenfalls seine vorzeitige Entlassung aus einer wegen Mordes verhängten lebenslangen Gefängnisstrafe. Jack Unterweger verstand sich wohl darauf, als gefeierter und charmanter Schriftsteller seinen Vorteil aus dieser Situation zu ziehen. Eine amerikanische Schriftstellerin meinte sogar, „Unterweger screwed Austria“. Mit diesem doppeldeutigen Satz sprach sie sowohl die Tatsache an, daß er seine Unterstützer und Bewunderer ausgenutzt und hereingelegt hat, als auch den sexuellen Erfolg den er bei Frauen hatte. Und was das wichtigste war: er mordete wieder.
Die Gefahr, die ich im Falle der drei oben erwähnten Mörder aus dem Gefängnis sehe, liegt für mich also nicht daran, daß sie am Leben bleiben, sondern an der für mich nur als Wunschdenken erklärbaren Haltung der Strafverfolgungsbehörden zur Resozialisierung. Lebenslange Haft ohne Bewährung die, bei entsprechender Gefahr für andere, als Einzelhaft verbüßt werden kann, ist in jedem Falle ausreichend. Auch die dafür anfallenden Kosten können kein Argument sein. In den USA zeigte sich, daß Todeskandidaten keine geringeren Kosten verursachen, und selbst wenn es in Europa aufgrund irgendwelcher Besonderheiten doch einen Unterschied geben sollte, sind auch einige tausend Euro pro Jahr kein Argument zur Entscheidung einer derartig grundsätzlichen Frage. (Ich halte solche Kostenfragen sogar ganz grundsätzlich für blanken Unsinn. Die Unterschiede in den finanziellen Aufwendungen für lebenslang eingesperrte Täter und Todeskandidaten würde wegen deren geringen Anzahl im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung stets nur einen kleinen Betrag ausmachen, der innerhalb des Bundeshaushalts kaum mehr als ein „Rundungsfehler“ wäre. Die Frage nach Leben oder Tod mit Trinkgeldbeträgen zu begründen erscheint mir schlicht und einfach pervers.)
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4. Die Todesstrafe ist nicht ratsam
Der brutale Mord ist ein idealer Aufhänger für die Forderung nach der Wiedereinführung der Todesstrafe. Wer ein solch entsetzliches Verbrechen begeht, hat die schwerste aller Strafen verdient. Tötet sie!
Damit ist aber keinesfalls geklärt, welche Morde wirklich mit dem Tode bestraft werden. Sehr oft ist es mehr als fraglich, ob man einen Fall als besonders grausam betrachten kann, ob er also auf einer Stufe mit denjenigen Fällen steht, die man als plakativen Vorwand für die Berechtigung der Todesstrafe heranzieht. In der Praxis amerikanischer Fälle wird dies besonders deutlich. Bei amerikanischen Verhandlungen besteht das Verfahren immer aus zwei Teilen. Zunächst wird die Schuldfrage geklärt. Im zweiten Teil erfolgt die Bemessung der Strafe. Gibt es erschwerende oder mildernde Umstände und welche dieser Umstände überwiegen? Der langsame und grausame Tod dieses jungen Häftlings würde sicher als extrem erschwerender Umstand gelten. Kaum ein mildernder Umstand könnte das Gewicht dieser einen Tatsache überbieten. In den meisten Fällen ist die Frage nach der Strafbemessung aber wesentlich schwieriger. Geschworene benötigen oft sehr lange Zeit für ihre Beratungen. Niemand weiß, was während dieser Beratungen im Detail besprochen wird, da sie geheim ablaufen. Eine lange Beratung bedeutet aber per definitionem eine strittige Situation. Und genau hier liegt das Problem.
Besonders grausame Morde sind Munition im Kampf um die Wiedereinführung der Todesstrafe. Oft sind sie auch erfolgreich. Als die Schweiz in den 1930er-Jahren die Todesstrafe abgeschafft hat und unmittelbar daran anschließend einige besonders grausame Morde begangen wurden, hat das Gewicht der dadurch ausgelösten und öffentlich vorgetragenen Emotionen ausgereicht, die Todesstrafe erneut zuzulassen. In England und Frankreich haben ähnliche Argumente die Abschaffung der Todesstrafe verzögert. Sobald aber die Todesstrafe zugelassen wird, läßt sich nicht mehr eindeutig definieren wann sie anzuwenden ist. Jeder Gesetzestext ist prinzipiell immer in allgemeiner Weise formuliert und muß von Gerichten interpretiert werden. Wann gilt etwas als schwerwiegend genug um die Todesstrafe anwenden zu können? Solange es die Todesstrafe nicht gibt lautet die Frage „ob“, wenn sie erst einmal eingeführt wurde lautet die Frage nur noch „wann“.
Dieses „wann“ wird stets von Personen (Staatsanwälten, Politikern) mit Eigeninteressen beeinflußt. Lassen Sie mich zugunsten des Arguments einmal annehmen, für den oben genannten Fall des jungen Häftlings wäre die Todesstrafe gerechtfertigt. Wie aber würde die nachfolgende Praxis aussehen? Welche Umstände können zur Verhängung der Todesstrafe führen, oder wie müssen die erschwerenden Umstände aussehen, damit die Todesstrafe verhängt werden kann?
Ein Beispiel sind Haßverbrechen oder „hate crimes“. Der englische Ausdruck „hate crime“ bezieht sich auf die Motive eines Verbrechens. Wenn z.B. ein Homosexueller deshalb ermordet wird, weil er homosexuell ist, also Haß auf eine Bevölkerungsgruppe das Motiv war, gilt dies als erschwerender Umstand. In den USA äußerte sich ein Senator sogar mit großem Bedauern zur Tatsache, daß Haßverbrechen nicht mit dem Tode bestraft werden können. Dabei bezog er sich nur auf die Tatsache, daß dieses Haßverbrechen gleichzeitig einen Mord beinhalten muß, um mit dem Tod geahndet werden zu können. Trotzdem gilt ein Haßverbrechen in allen Bundesstaaten als erschwerender Umstand. Ein solches Motiv ist nur selten zu beweisen. Staatsanwälte sind jedoch versucht, solche Motive durch Zeugenaussagen zu belegen. Da ein solches Motiv nur in den Gedanken des Täters existiert, ist die Zweifelhaftigkeit der Beweisführung unmittelbar gegeben.
In einigen Bundesstaaten kann ein Todesurteil nur dann verhängt werden, wenn neben dem Mord ein weiteres Verbrechen begangen wurde. Diese juristische Voraussetzung wurde in einem Fall durch einen in Tateinheit begangenen Autodiebstahl begründet. Sobald juristische Voraussetzungen für die Verhängung der Todesstrafe existieren, werden Staatsanwälte auch versuchen diese Voraussetzungen zu erfüllen. Und plötzlich sieht man sich Begründungen für ein Todesurteil gegenüber, welche bei weitem nicht so eindeutig sind wie der langsame Tod des jungen Mannes an der Hand seiner Mithäftlinge. Wiederum können die Motive des Staatsanwalts eine bedeutende Rolle spielen. Ist die Todesstrafe erst einmal eingeführt worden, steht sie als Mittel zur Strafverfolgung zur Verfügung und jeder dafür zuständige Staatsanwalt mit hinreichenden Befugnissen kann nach seinem eigenen Gutdünken davon Gebrauch machen oder zumindest versuchen davon Gebrauch zu machen. Staaten sind nun einmal die kältesten aller Monster. Wenn dem Staat erst einmal ein Mittel zur Verfügung steht, wird es Behörden geben, welche dieses Mittel im eigenen Interesse benutzen werden. Grundsätzlich möchte ich daher keiner Behörde und auch keinem anderen Menschen dieses Recht einräumen, den erfahrungsgemäß werden alle Rechte irgend wann einmal ausgenutzt. Ich wage an dieser Stelle sogar eine Behauptung, die sich hoffentlich niemals beweisen lassen wird. Wenn in einem Land die Todesstrafe wieder eingeführt wird, dann werden nur die wenigsten Todesurteile in derartig grausamen und eindeutig belegten Fällen ausgesprochen werden. Dieser extreme Fall kann lediglich als Mittel zur Manipulation der rechtlichen Rahmenbedingungen dienen, wird aber niemals den Normalfall darstellen.
Deshalb halte ich es für nicht ratsam, die Todesstrafe wieder einzuführen. Ist sie erst einmal gesetzlich verankert, wird sie mit all den Unsicherheiten angewendet werden, die ich bereits beschrieben habe und die mich neben anderen Gründen zu einem überzeugten Gegner der Todesstrafe haben werden lassen. Selbst wenn man also so wie ich weiter oben die hypothetische Annahme zuläßt, im Falle des langsam zu Tode gequälten jungen Häftling wäre die Hinrichtung seiner Mörder zulässig, läßt sich damit die grundsätzliche Einführung der Todesstrafe nicht begründen. (In der deutschen Sprache nennt sich dies „Anlaßgesetzgebung“. Zum Glück wird in weiten Bereichen aber leider nicht immer von einer derartigen Form der Gesetzgebung Abstand genommen. Sie benutzt üblicherweise kurzfristige und begrenzte Ereignisse um langfristige und weitreichende Änderungen zu erzielen. Ich lehne diese Form der Schaffung von Gesetzen wegen der ihr innewohnenden Gefahren generell ab.)
Selbst dann, wenn keine Unsicherheiten bezüglich der Schuld existieren, wird es Fälle geben, in denen das vorsätzliche Töten durch Bevollmächtigte des Staates als unangemessen, barbarisch und durch keine vorausgegangene Grausamkeit des Täters entschuldbar angesehen werden kann (unter der Voraussetzung der Eingangshypothese, daß die besondere Grausamkeit eines Verbrechens eine entsprechende Rechtsgrundlage für die Verhängung der Todesstrafe schafft). Ich habe ganz einfach zu wenig Vertrauen in staatliche Behörden (oder irgend jemand sonst), um eine so gewichtige Vollmacht auszustellen: die Entscheidungsgewalt über Leben und Tod. Es ist zwar richtig, daß einige wenige Fälle die Emotionen ganz besonders ansprechen. Diese Fälle sind aber kein ausreichender Grund für eine derartig fundamentale Entscheidung. Denn irgendwann wird es nicht der genau dokumentierte Fall sein, der diese Emotionen auslöst, sondern das Geschick des Staatsanwalts, der mit entflammenden Reden über möglicherweise zweifelhafte Beweise hinweg den Richter oder die Geschworenen überzeugt. Und dann stehen wir vor dem Fall eines Todeskandidaten, dessen Leben oder Sterben uns nicht mehr so unberührt läßt wie das Schicksal der 3 Mörder aus dem Gefängnis.
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5. Die Todesstrafe funktioniert nicht, sondern polarisiert
Allein die Diskussionen um Mumia Abu-Jamal beweisen zur Genüge, daß die Todesstrafe polarisiert. Selbst dann, wenn es Abu-Jamal nicht gäbe, würden andere Fälle an seine Stelle treten. Im Jahr 2000 war dies Shaka Sankofa, 2005 war es Stanley ‚Tookie' Williams. Die 1920er sahen Sacco und Vanzetti, die 1950er Caryl Chessman und kommende Jahrzehnte werden weitere kontroverse Hinrichtungen bringen. Damit möchte ich diese Personen nicht auf die gleiche Stufe stellen. Lediglich die Kontroversen um ihre Hinrichtungen zeigten Gemeinsamkeiten. In allen Fällen gab es Behauptungen über fragwürdige Verurteilungen. Die Zweifel an der Schuld waren zum Teil schwerwiegend (Sacco und Vanzetti), zum Teil künstlich aufgebauscht (Williams), aber stets vorhanden. Dazu kamen noch die prinzipiellen Gegner der Todesstrafe. Auch wenn es für einen grundsätzlichen Gegner der Todesstrafe keinen Unterschied machen sollte, werden auch diese gerade in solchen emotional geladenen Fällen besonders aktiv. Und sie zeigen den fehlenden gesellschaftlichen Konsens deutlich auf. Wenngleich die Mehrheit der US-Bürger anscheinend für die Todesstrafe ist, bleibt diese Mehrheit signifikant unterhalb der Grenze, ab der man von einer allgemeinen Zustimmung sprechen kann. Dieser fehlende Konsens kann sogar durch die Gerichtsakten des Falles Mumia Abu-Jamal belegt werden. Die Auswahl der Geschworenen zeigte eine beträchtliche Anzahl von potentiellen Geschworenen, welche die Todesstrafe grundsätzlich ablehnten.
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6. Die Todesstrafe widerspricht meiner Auffassung von Recht
Diese Einstellung ist zweifellos eine persönliche und emotionale Sicht der Dinge. Sie kann ebenso wenig rational erklärt werden wie ein Religionsbekenntnis. Das Gebot „Du sollst nicht töten“ ist für mich mehr als nur ein Satz aus dem alten Testament. Für mich hat offiziell sanktioniertes Töten keinen Platz in einer aufgeklärten europäischen Gesellschaft. Es ist barbarisch und richtet sich an die niederen Instinkte des Menschen. Es ist der letzte Teil eine Rechtsvorstellung wie sie so ausführlich im alten Testament und in der Scharia zu finden ist. Gerade diese Rechtsvorstellung ist für mich nicht akzeptabel. Ich möchte keinesfalls, daß sich die Gesellschaft der ich angehöre und die ich mitzugestalten gedenke eine solche Verhaltensweise zu eigen macht und sie auch noch für rechtmäßig erklärt.
Für mich ist die Ablehnung der Todesstrafe eine zivilisatorische Errungenschaft auf die ich nicht verzichten möchte. Wenn man die westliche Zivilisation verläßt, stößt man auch immer wieder auf andere Errungenschaften, die alles andere als universell sind. Das Recht auf Leben, auch für verurteilte Mörder, ist für mich eine Leistung europäischen Geistes, die ich genauso wie die Redefreiheit nicht vermissen möchte. Der Verzicht auf die Todesstrafe ist einer von vielen Punkten, der uns von der Barbarei trennt. Deshalb bin ich ohne Einschränkungen gegen Hinrichtungen.
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