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Klassenkämpfe nach dem Zweiten Weltkrieg

1. 17. Juni 1953 -ArbeiterInnenaufstand in der DDR

Überall wo LeninistInnen/StalinistInnen/MaoistInnen die Macht hatten oder haben, errichteten sie eine bürokratische Parteidiktatur, die jede Regung der proletarischen Selbstorganisation brutal unterdrückten und auslöschten. Die Parteidiktatur war nur der staatliche Überbau einer besonderen Form der bürgerlichen Produktionsweise -dem Staatskapitalismus. Diese Klassengesellschaft wies/weist einige Unterschiede zum "normalen" Kapitalismus des freien Privateigentums auf. Beide Systeme beruhen aber auf der Ausbeutung von Lohnarbeit. Wie jede andere Klassengesellschaft auch produziert der Staatskapitalismus Klassenkampf. Klassenkampf zwischen der ArbeiterInnenklasse auf der einen Seite und der Staatsbürokratie auf der anderen. In den revolutionären Aufständen entwickelten die ArbeiterInnen Organe der proletarischen Selbstorganisation, sie lebten die ArbeiterInnendemokratie, die jedoch immer wieder von der leninistischen Bürokratie niedergeschlagen wurde.

Daß die ArbeiterInnenklasse teilweise in ihrem Klassenkampf bürgerliches Bewußtsein vertraten und Illusionen in die bürgerliche Demokratie hegten, wird von den entmachteten IdeologInnen des Staatskapitalismus ausgenutzt, um den proletarischen Klassenkampf noch nachträglich als "konterrevolutionär" zu verunglimpfen. Doch diese Damen und Herren können mit dieser Propaganda nicht verschleiern, daß sie unverbesserliche Nostalgiger einer untergegangenen Klassenherrschaft sind.

Als Beispiel eines ArbeiterInnenkampfes im Staatskapitalismus wollen wir uns dem 17. Juni 1953 widmen. Das können wir natürlich nur sehr kurz tun. Wer sich näher mit diesem Thema auseinandersetzen möchte, sei die ausgezeichnete Broschüre von Red Devil, 17. Juni -Arbeiteraufstand oder Konterrevolution empfohlen.

G. Haasis bezeichnete in den 70er Jahren den 17. Juni 1953 in der DDR zu Recht "ein Tabu der bundesdeutschen Linken: Der ostdeutsche Arbeiteraufstand ist noch keine 30 Jahre her und bereits erfolgreich von der Riesenkoalition aus Christdemokraten und Liberalen, Sozialdemokraten und Stalinisten bis zur Unkenntlichkeit verschmiert." (1) Die SED-Bürokratie erklärte den 17. Juni zu einem "konterrevolutionären Putsch" und die bürgerlichen DemokratInnen ernannten ihn nachträglich zum "Tag der deutschen Einheit".

Red Devil legte die Klasseninteressen der ostdeutschen SED-Bürokratie und der westdeutschen bürgerlichen Klasse bei der Verfälschung des ArbeiterInnenaufstandes offen: "In der brutalen Vereinnahmung und einseitigen, herrschaftssichernden Interpretation und Verfälschung der Ziele des Aufstandes gleichen sich Ost und West. Beide Seiten ignorierten die Forderungen der Arbeiter, ihr Verhalten und ihre Aktionen fast vollständig und tauchen höchstens am Rande auf." (2) Auch Klaus Ewers schrieb ganz richtig: "Der 17. Juni 1953 wurde zum Gegenstand der Legendenbil-dung beider Seiten, die aus ihn machten, was sie zur Aufrechterhaltung und zum Ausbau der eigenen Positionen brauch-ten." (3)

Bei Errichtung des staatskapitalistischen Regimes in Ostdeutschland in den 40/50er Jahren wurde die alte herrschende Klasse, die Bourgeoisie, entmachtet, und die materiellen Interessen der alten Mittelschichten und KleinbürgerInnen -BäuerInnen, HandwerkerInnen und LadenbesitzerInnen -beschnitten. Gleichzeitig stieg die stalinistische Parteibürokratie zur ökonomisch herrschenden Klasse der Staatswirtschaft auf. Die Unzufriedenheit der alten bürgerlichen Schichten führte dazu, daß sie die DDR in Richtung Westen verließen -sie machten 80 % der DDR-Flüchtlinge aus.

Die massenhafte Republikflucht veranlaßte die SED-Bonzen zu Zugeständnissen. Am 11. Juni wurde "der neue Kurs" verkündet, der für die alten kleinbürgerlichen Schichten eine gewisse Erleichterung mit sich brachte. Und was war mit der Gesellschaftsklasse, in deren Namen die SED regierte? Die ArbeiterInnenklasse blieb nicht nur in den Ketten der Lohnsklaverei, der Druck auf sie wurde noch erhöht. Die Arbeitsnormen wurden am 28. Mai 1953 erhöht. Die Erhöhung der Arbeitsnormen im Baugewerbe führten zu einem Lohnverlust von 30% für Maurer und sogar 42% für Zimmerleute. Auch die Versorgungslage verschlechterte sich immer stärker.

Es kam in den ersten Junitagen in vielen Betrieben zu Diskussionen und gegen die Betriebs- und Gewerkschaftsleitungen angenommene Resolutionen gegen die Normerhöhung. Doch die SED-Führung blieb bei ihrem Kurs gegen die ArbeiterInnen. Deshalb kam es am 15. Juni zu Punktstreiks auf den Baustellen von Friedrichshain. Die ostdeutschen StalinistInnen antworteten mit Repression: Die Staatssicherheit verhaftete zwei "RädelsführerInnen". Mehrere Baustellen faßten am 16. Juni 1953 Streikbeschlüsse.

In einem Streikbeschluß einer Baustelle in der Stalinallee hieß es zum Beispiel: "Der Streik ist das gewerkschaftliche Kampfmittel zur Durchsetzung berechtigter Forderungen. Wir fordern: 1. Volle Sicherheit für die Sprecher des Streiks. 2. Freie Rede und Pressefreiheit. 3. Weg mit den Normen. 4. Einen Lohn, der den Preisen in der DDR entspricht. 5. Freie Wahlen für ganz Deutschland. 6. Weg mit den Zonengrenzen. 7. Abzug der Besatzungstruppen. 8. Weg mit der kasernierten Volkspolizei. 9. Sofortige Wiedereinführung der 75%igen Ermäßigung bei Arbeiterrückfahrkarten. 10. Freilassung aller poltischen Häftlinge. 11. Rückführung sämtlicher Kriegsgefangenen. 12. Fortfall der Volkskontrollen."

Nach einiger Zeit der Diskussion wurde beschlossen, zum Regierungsviertel in der Leipziger Straße zu gehen. Die ArbeiterInnen setzten sich in Bewegung und wurden durch immer mehr Menschen verstärkt. Als der Protestzug am Regierungsviertel angekommen war, bestand er bereits aus 6000 Menschen. Die gerufenen Parolen gingen längst über das Ziel der Normenabsetzung hinaus. Es wurde unter anderem gefordert: "Die Verteidigung des Arbeiters muß der Arbeiter selbst in die Hand nehmen" "Der Spitzbart muß weg" ("Spitzbart" war Ulbricht) und letz-endlich "Weg mit der SED-Knechtschaft". Es wurden Rufe nach Ulbricht und Grotewohl laut. Doch diese "ArbeiterInnenführer" trauten sich nicht der Klasse, in deren Namen sie regierte, in die Augen zu schauen. Statt dieser beiden Oberbonzen erschien Fritz Selbmann.

Als er die wütenden ArbeiterInnen mit "Kollegen" anredete, erntete er ein klassenbewußtes: "Wir sind nicht Deine Kollegen!" Selbmann versuchte die ArbeiterInnen zu beschwichtigen. Doch diese Versuche schlugen fehl, da sich die Bewegung inzwischen radikalisiert hatte und es inzwischen nicht nur um die Normen ging, sondern um den grundsätzlichen arbeiterfeindlichen Charakter der Parteidiktatur, wie Zwischenrufe wie "Du bist kein Arbeiter, du bist ein Arbeiterverräter" und "Die wahren Kommunisten seid nicht ihr, sondern das sind wir" bewiesen. Gleichzeitig bewiesen sie auch, daß durchaus kommunistische ArbeiterInnen an dieser Aktion beteiligt waren. Doch es überwogen Illusionen in die bundesdeutsche Sozialdemokratie, die sich damals noch proletarischer gab als heute.

Die ArbeiterInnen forderten einen Generalstreik für ganz (!)Berlin. Damals hatten die SED-Bonzen "ihr" Volk noch nicht eingemauert. Die Forderung nach einer einheitlichen Aktion der Ost- und Westberliner ArbeiterInnenklasse war ein Beleg für das weitgehend antikapitalistische Bewußtsein der Bewegung. Doch britische PolizistInnen bewachten die Sektorengrenze und drohten zu schießen, wenn die angeblichen "Agenten des Imperialismus" versuchen würden diese zu überqueren.

Außerdem half der Westen der SED-Führung indirekt die Bewegung klein zu halten. So berichteten zwar RIAS, NWDR und andere westdeutsche Sender vom Streik der Ostberliner ArbeiterInnen, weigerten sich aber deren Forderung nach ei-nem Generalstreik zu senden. Ein ehemaliger Arbeiter berichtete: "Eine Delegation gerade von unserem Block 40 und von anderen Baustellen in der Stalin-Allee ist abends rüber in den Westen zum RIAS und hat verlangt, man solle einen Aufruf zum Generalstreik durchgeben. Wir sind bis zum Direktor vorgedrungen. Der hat uns ausdrücklich versichert, er habe Anweisungen vom amerikanischen Hauptquartier, keinen Aufruf dieser Art durchzulassen." (4) So viel zur stalinistischen Propaganda über die Aufhetzung der ArbeiterInnenklasse durch westliche Medien.

Die Parteibonzen gaben unter den Druck der kämpfenden ArbeiterInnen die Normerhöhung auf. Am Abend des 16. Juni tagte die SED, auf der die "ArbeiterInnenführer" Ulbricht und Grotewohl große Reden hielten, ganz so als ob nichts geschehen wäre. Doch die Parteibürokratie irrte sich in ihrem Glauben, durch die Rücknahme der Normen der Bewegung die Spitze gebrochen zu haben, denn es ging schon lange um mehr.

Der Streik ging auch am 17. Juni weiter und weitete sich auf alle Berliner Großbetriebe aus. Nach Schätzungen waren an diesem Tag allein in Ostberlin 100.000 Menschen auf der Straße. Ein damaliger Beobachter der Ereignisse: "Aus den Betrieben ergossen sich mit dem gewaltigen Strom der Streikenden aus Velten und Henningsdorf zu einem großen brodelnden Meer. Der Höhepunkt der Ostberliner Erhe-bung wurde mit einer gewaltigen Massenkundgebung von 15.000 Henningsdorfer und Ostberliner Metallarbeitern im Walter-Ulbricht-Stadion erreicht. Eine überdimensionale Statue des SED-Generalsekretärs wurde gliedweise zerrupft." (5)

Auf der Kundgebung im Ulbricht-Stadion wurde auch über den Aufbau von ArbeiterInnen-Organisationen diskutiert. Doch die Bewegung konnte keine Organe der Selbstorganisation hervorbringen, weil sie vorher von der stalinistischen Repression zerschlagen wurde.

Die stalinistische "Volkspolizei" war in der Repression gegen das Volk unfähig, diese erfolgreich durchzusetzen. Doch um 13 Uhr rief die sowjetische Besatzungsmacht den Ausnahmezustand aus. Die ArbeiterInnenklasse war zu schwach um sich gegen den bewaffneten Arm des sowjetischen Imperialismus durchsetzen zu können. Wenn jetzt einige TrotzkistInnen und LinkskommunistInnen an dieser Stelle sagen: "Es hat die revolutionäre Partei gefehlt", können wir dem nur widersprechen. Die Klasse hätte sich selbst bewaffnete ArbeiterInnenmilizen schaffen können und müssen. Sie braucht dazu aber keine "revolutionären" Parteibonzen, die nach dem Sieg doch nur wieder an die Stelle der proletarischen Selbstorganisation treten.

Red Devil beschrieb die Niederschlagung des ArbeiterInnenaufstandes durch die Parteidiktatur und dem hinter ihr stehenden sowjetischen Imperialismus: "Um 12. 15 Uhr fielen im Regierungsviertel Schüsse. Auf dem Potzdamer Platz traten gegen 13 Uhr massiv russische Panzer auf; mit MG-Salven schossen sie in die Menge der Demonstranten. Dagegen setzten sich Demonstranten mit Steinen zu Wehr. Um etwa 14 Uhr gingen 3.000 sowjetische Soldaten und 10.000 Vopos (VolkspolizistInnen, Anmerkung von Nelke) im Gefolge von Panzern gegen die Aufständischen vor (Die russischen Truppen, die 1945 von vielen als Befreierempfunden worden waren, handelten nun als Unterdrücker der Eigeninitiative der Arbeiterklasse). Aus den Panzern und von den Vopos wurde immer wieder geschossen (...) Es gelang Demonstranten einige Panzer lahmzulegen, indem sie Balken zwischen die Kettenglieder der Panzer schoben. Aufgrund des Ausnahmezustandes herrschte in Ost-Berlin von 21 bis 5 Uhr des 18. Juni Ausgehverbot. In diesem Zeitraum herrschte in der Stadt allmählich Ruhe. (...)

In den meisten Städten und Kreisen der DDR liefen die Ereignisse ähnlich ab. So gab es schon Wochen vor dem 17. Juni in vielen Betrieben Streiks und Arbeitsniederlegungen, die auf die Rücknahme der erhöhten Arbeitsnormen abzielten und bessere Lebensbedingungen forderten. Im Mittelpunkt der Forderungen standen die Senkung der Arbeitsnormen, freie Wahlen und der Rücktritt der Regierung. Die Arbeiter legten die Arbeit nieder und im Verlauf der anschließenden Demonstrationen wurden die Arbeiter anderer Betriebe mobilisiert und man zog durch die Innenstädte, solidarisierte sich in Wort und Tat mit den Berliner Arbeitern, befreite die politischen Gefangenen aus den Gefängnissen, statten den Gebäuden von SED, FDGB, FDJ, Stasi und anderen staatlichen Institutionen Besuche ab und vernichtete die Akten der Polizei und Stasi sowie Propagandamaterial in großem Maße.

Wo sich den Arbeitern "Volkspolizisten" in den Weg stellten, wurden diese entweder entwaffnet oder entkleidet, wenn nötig auch mit Gewalt, da sich einige Vopos mit gezogenen Waffen den Arbeitern entgegenstellten. Die Vopos, Funktionäre und Mitarbeiter der Stasi flüchteten meist vor den Arbeitermassen und erst russische Panzer konnten die Arbeiter zurückdrängen. Nachdem der Ausnahmezustand über weite Teile des Landes verhängt worden war, trauten sich viele Vopos und Partei- und Staatsfunktionäre wieder in ihre Woh-nungen und Büros. Am Ende waren rund 500.000 Arbeiter in etwa 560 Orten im Streik (auf die damals etwa 5,5 Millio-nen Arbeiter gerechnet waren das fast 10 Prozent) und an anderen Aktionen beteiligt. (...) Hinter den Aktionen standen zum größten Teil die Arbeiter der großen Industriebetriebe..." (6)

Die SED-Propaganda stellte den ArbeiterInnenaufstand als vom Westen gesteuerten Putsch hin. Doch die Beweise waren etwas dünn, wie selbst das Politbüro der SED indirekt zugeben mußte: "Trotzdem schon drei Monate seit den Ereignis-sen des 17. Juni vergangen sind, haben die Staatssicherheitsorgane auch bis jetzt nicht die Organisatoren der Provokationen entlarvt." (7) Diese merkwürdigen "MarxistInnen" begriffen nicht, daß die Verantwortlichen für den 17. Juni sie selbst als ausbeutende Klasse waren, und daß sich der Klassenkampf aus den Unmut der ArbeiterInnen entwickelt hatte.

Jedenfalls wurde der 17. Juni nicht von der bundesdeutschen bürgerlichen Klasse und den BRD-PolitikerInnen organisiert. Adenauers erste Reaktion auf die Ereignisse war: "Das ist eine Provokation der Russen." Auch war der BRD-Bundeskanzler nicht besonders beliebt. So war auf ein Spruchband zu lesen gewesen: "Kehrt Euern Mist in Bonn jetzt aus, in Pankow säubern wir das Haus." Eine unmißverständliche Aufforderung an die westdeutschen KollegInnen zum Handeln. Auf einigen Interzonenzügen stand die Forderung geschrieben: "Fort mit Ulbricht und Adenauer!". Daß der Westen später den ArbeiterInnenkampf vom 17. Juni für seine Interessen mißbrauchte, steht auf einem ganz anderen Blatt.

Red Devil umriß den Charakter des 17. Juni 1953 mit folgenden Worten: "Der Aufstand der Arbeiter gegen das SED-Regime wurde niedergeschlagen, im Blut ertränkt und unter Schutt und Lügen begraben (ähnlich wie 1921 in Kronstadt -aber nicht nur dies sind eindeutige Parallelen der DDR zur SU Lenins, was für Leninisten als "Lob" klingen mag, aber von uns keineswegs so gemeint ist und aufgrund der geschichtlichen Tatsachen als solches auch gar nicht aufgefaßt werden kann) Der Aufstand drückte die offene Verachtung der Arbeiter gegenüber einer Marionettenregierung aus, die sich auf die russische Waffengewalt stützte und dabei die Dreistigkeit besaß, sich eine "Arbeiter- und Bauernregierung" zu nennen. Die Niederschlagung des Arbeiteraufstandes ließ die Fratze der neuen Klassengesellschaft zum Vorschein kommen, die nun ihre Macht zu verteidigen suchte.

Weil die Arbeiterklasse wie jede unterdrückte Klasse keine Fürsprecher hat bzw. sich eben auf solche selbsternannten nicht verlassen kann, muß sie sich selbst Gehör verschaffen und das tat sie in Form von Streiks und Demonstrationen, die ihren Höhepunkt am 17. Juni erreichten." (8)

Wenn mensch den ArbeiterInnenaufstand vom 17. Juni 1953 mit der sogenannten "Wende" von 1989, die mit der Annexion der DDR durch den BRD-Imperialismus endete, vergleicht, fallen mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten auf. Zuerst einmal der Fakt, daß es 1989 kaum eigenständige Aktionen der ostdeutschen ArbeiterInnenklasse gab. Die Anfangszeit der "Wende" wurde von kleinbürgerlichen Intellektuellen bestimmt. Sie war eine kleinbürgerlich-demokratische Bewegung im Staatskapitalismus. Die ArbeiterInnen beteiligten sich zwar massenhaft an den Demonstrationen nach der Arbeitszeit, aber nicht ihre materiellen Interessen bestimmten den Verlauf der Wende -allerhöchstens ihre Illusionen in den bundesdeutschen Kapitalismus.

Die ArbeiterInnenklasse erlangt nur im schärfsten Klassenkampf selbständig ein revolutionäres Sein und Bewußtsein. Dieser eigenständige Klassenkampf blieb aber 1989 weitgehend aus -deshalb handelte die Mehrheit der Klasse zuerst im Schlepptau der kleinbürgerlichen DDR-Intellektuellen und später im dem der großbürgerlichen bundesdeutschen PolitikerInnen. Die große Rolle, die kleinbürgerliche Schichten während der "Wende" spielten steht im totalen Gegensatz zu deren weitgehende Passivität am 17. Juni 1953.

Der bürgerliche Historiker Dietrich Staritz schrieb : "Träger der Bewegung waren Arbeiter. (...) Die Mittelschichten und die Intelligenz hielten sich zurück. Einerseits waren ihre Organisations- und Artikulationsmöglichkeiten schlechter als die der Arbeiter. Andererseits hatte der "Neue Kurs" einen Teil der aktuellen Belastungen des alten Mittelstandes verringert. Die neue Mittelschicht, die Angestellten im öffentlichen Dienst war aufgrund ihres eben erst vollzogenen sozialen Aufstiegs kein starker Rebellionsfaktor. Ähnliche Bedingungen bestimmten das Verhalten der Intelligenz: Alte Fachkräfte waren seit 1950 durch die "Einzelverträge" sozial derart begünstigt, daß ein materieller Rebellionsgrund für sie entfiel, die zahlenmäßig noch schwache "neue Intelligenz" tendierte eher zur Verteidigung als zur Kritik der Verhältnisse." (9)

Ein weiterer wichtiger Unterschied war das Verhalten der sowjetischen Parteibürokratie. Die DDR war von Anfang an ein künstliches Gebilde des sowjetischen Imperialismus. Der ostdeutsche Staat war das As im Ärmel des Kremls beim Pokern mit dem Westen. Die DDR geriet auch in den fraktionellen Machtkampf zwischen Berija und Chrustschow. Letztere warf erstem vor, die DDR zu sehr sich selbst, d.h. der bundesdeutschen Bourgeoisie zu überlassen. Als Chrustschow den Machtkampf gewann, nahm er die DDR wieder fest in seine Klauen und das Entgegenkommen der UdSSR in der "deutschen Frage" hörte auf. Gorbatschows Selbstmord des sowjetischen Imperialismus brachte sie dann wieder zugunsten der westdeutschen KapitalistInnen auf die Tagesordnung.

Natürlich gab es auch am Rande des ArbeiterInnenaufstandes vom 17. Juni 1953 reaktionäre Tendenzen -besonders im ländlichen Raum. Red Devil schrieb: "Jeder Kampf von Menschen, jeder Aufstand und jede Revolution ist in sich nicht stimmig und führt mit sich auch -reaktionäre -Forderungen, die zwar nicht das Gesamtbild bestimmen, aber dennoch vorhanden sind und nicht verschwiegen werden sollten. So ist es auch bei dem Arbeiteraufstand 1953 in der DDR gewesen. Am Rande tauchten Forderungen nach der "Zulassung aller in Westdeutschland genehmigten Parteien" (so z.B. gefordert in den Leuna-Werken) nach der Neugründung der SPD oder nach einer parlametarischen Demokratie auf." (10)

Folgende Losung zeigt große Illusionen in die Sozialdemokratie: "Weder Ulbricht, noch Adenauer, sondern Ollenhauer" Ollenhauer war der damalige SPD-Chef. Aber gerade die stalinistische Parteidiktatur erzeugte bei ihren proletarischen Opfern Illusionen in die bürgerliche Demokratie und in die "ArbeiterInnenpartei" SPD. Genauso wie die "kommunistische" Bürokratie den bürgerlichen Antikommunismus allein durch ihre Existenz dienlich war. Wenn sich die Bewegung auf den Westen ausgedehnt hätte, wäre sie unvermeidlich mit der SPD-Bürokratie aneinandergeraten, was wiederum bei vielen ArbeiterInnen in Ost und West die sozialdemokratischen Illusionen abgebaut hätte. Auch der teilweise bei den ArbeiterInnen vorhandenen Nationalismus war ein Produkt der Klassengesellschaft -sowohl der west- als auch der ostdeutschen. Nur die siegreiche proletarische Weltrevolution kann diesen überwinden.

Eine Gemeinsamkeit des 17. Juni 1953 mit der "Wende" war, daß das Bewußtsein im ländlichen Raum und in Kleinstädten wesentlich rückschrittlicher und bürgerlicher war als in Großstädten. Stefan Brant beschrieb das bürgerlich-konservative Bewußtsein in einer thüringischen Kleinstadt : "Am Tage des Aufstandes sammelten sich gegen 18 Uhr etwa fünfzig Tennstedter um die Arbeiter aus Sömmerda abzuholen. Sie trugen Transparente mit, auf denen der Rücktritt der Regierung und Freiheit gefordert wurde. Dann marschierten sie zum Marktplatz. Der protestantische Pfarrer des kleinen thüringischen Städtchens sprach zu den Menschen und nach ihm der frühere LDPD-Bürgermeister. Die Russen, Vopos (Volkspolizisten, Anmerkung des Autors) und der Kreisrat erschienen: die Versammlung habe sich sofort aufzulösen, sonst werde von der Schußwaffe Gebrauch gemacht. Doch ehe die Bürger auseinandergingen, sangen sie das Deutschlandlied und dann: "Eine feste Burg ist unser Gott" " (11)

Doch es waren nicht diese reaktionären Begleiterscheinungen die die Bewegung dominierte. Der 17. Juni 1953 war ein Tag des proletarischen Klassenkampfes, für uns gehört er zur revolutionären Tradition der deutschen ArbeiterInnenbewegung, die wir nicht von unverbesserlichen LeninistInnen/StalinistInnen verunglimpfen lassen. Der kommunistische Arbeiter Horst Steinert beschrieb seine anfänglichen Illusionen in die SED-Parteidiktatur und seine Teilnahme am 17. Juni: "Als der Krieg zu Ende war, dachte ich wirklich, das jetzt der Sozialismus kommen würde. Ich habe geholfen die FDJ aufzubauen, auch das Banner zu entwerfen: Blauer Himmel, goldene strahlende Sonne, wir waren so voller Zuversicht und Optimismus, die Parole war: nie wieder Krieg. Es war eine tolle Zeit, ungefähr 2-3 Jahre, wir dachten jetzt wird der Sozialismus aufgebaut. Aber Scheiße war`s, es kam der Stalinismus von oben, von Ulbricht u.s.w. Ich nahm 1953 am Bauarbeiter-Aufstand in der Stalinallee teil. Die Arbeiter dort wurden betrogen und durch meinen Gerechtigkeitssinn war ich schnell ein Störfaktor für die Stalinisten. Da haben mir die SED-Bosse gesagt: "Genosse du liegst schief!" Ich lag so schief, daß ich dann 1954 aus der SED ausgetreten bin." (12)

Ein anderer Arbeiter, der ebenfalls am 17. Juni proletarische Interessen gegen die SED-Bürokratie verteidigte: "Es ist verlogen, daß wir damals solche Verhältnisse haben wollten, wie unter Adenauer drüben im Westen. Uns Arbeitern lag nichts ferner, als die alten Großgrundbesitzer und die Fabrikanten und die Kriegsverbrecher und die Nazis wieder in den Sattel zu heben, wie im Westen. Was man euch seitdem jeden 17. Juni erzählt hat, ist nichts als ein großer Volksbetrug gewesen. Euren "Tag der nationalen Einheit" sehen wir in Wirklichkeit als einen Verrat an der ostdeutschen Arbeiterbewegung an." (13)

2. Frankreich im Mai 1968

Das Jahr 1968 wird von der bürgerlichen Geschichtsschreibung vereinfacht als d a s Jahr der StudentInnenbewegung dargestellt. Ein Großteil der ehemals aufmüpfigen studierenden Jugend, die "Alt-68er" sind inzwischen erwachsen geworden und grunzen zur herrschenden Melodie des Schweinesystems.

Doch in Frankreich meldete sich 1968 auch die revolutionäre ArbeiterInnenbewegung zur Wort und Tat. Red Devil beschrieb die damaligen Ereignisse so: "Alles fing mit der Bewegung der Studenten an. (...) Am 3. Mai kam es zu ersten Übergriffen auf die Studenten durch die Polizei, nachdem die Studenten im Innenhof der Pariser Universität Sorbonne eine Versammlung abgehalten hatten, die gewaltsam von der Polizei aufgelöst wurde. In den folgenden Tagen weiteten sich die Proteste der Studenten aus (...) In der Nacht vom 10. auf den 11. Mai kam es zu Barrikadenkämpfen, in deren Folge rund 20. 000 Studenten, junge Arbeiter und Pariser Bürger Tausenden von Polizisten hinter 60 Barrikaden gegenüberstanden und sich stundenlange Kämpfe mit der Ord-nungsmacht bis in die frühen Morgenstunden lieferten.

Am 13. Mai weitete sich die Bewegung nochmals aus, denn die Zentralen der großen Gewerkschaften (CGT, CFDT, FO) hatten zu einem eintägigen Generalstreik aufgerufen und wollten gegen die Polizeibrutalität im Quartier Latin am 10./11. Mai protestieren und für soziale Forderungen wie z.B. Löh-ne, Arbeitszeit, Pensionsalter und gewerkschaftliche Rechte im Betrieb demonstrieren. Es kam zu einem Marsch von 1 (!) Million Menschen durch die Arbeiter- und Studentenviertel, an dessen Ende es zu Auseinandersetzungen zwischen Gewerkschaftsführern der CGT und Teilen der Studenten kommt. Gegen den Willen der CGT-Führer marschiert ein Teil der Arbeiter und Studenten zum Marsfeld, um über die Fortführung des Widerstandes zu diskutieren. Die CGT hätte es gern gesehen, wenn alle Teilnehmer dieses Marsches nach Hause gegangen wären.

Eine ganz andere Dimension nahm die Entwicklung an, als der Protest auch auf die Fabriken übergriff. Am 14. Mai besetzten die Arbeiter der Flugzeugfabrik "Sud-Aviation" in Nantes ihre Fabrik und sperrten den Direktor in seinen Büros ein, weil ihre Forderungen bisher unbeachtet geblieben waren. Diesem Beispiel folgten weitere Belegschaften. So breitete sich der Streik auf die Renaultwerke in Cleon und Flins aus. Alle großen Fabriken von Renault, Rhodiaceta und Berliet waren besetzt. Auch Citroen, wo es seit 30 Jahren keinen Streik gegeben hatte und es nur eine sogenannte "Hausgewerkschaft" gab, wurde bestreikt. Und diese Streiks und Besetzungen kamen völlig unerwartet. Die rote Fahne flatterte schon bald über besetzten Fabriken, Universitäten, Baustellen, Werften, Haupt- und Realschulen, Grubeneingängen, Bahnhöfen, Kaufhäusern, Überseeflugzeugen, Theatern, Hotels.

Die Straßen wurden zu Diskussionsforen und Hunderttausende von Menschen jeden Alters und jeder Bildung diskutierten über jeden Aspekt des Lebens. Es gab auch unter Künstlern, Journalisten und Filmemachern neue Ansätze und es wurden Pläne für ein neues Zusammenleben nicht nur geschmiedet, sondern auch in die Tat umgesetzt. Ende Mai nahmen z.B. Eisenbahner bestimmte Strecken und Züge wieder in eigener Regie in Betrieb, um die von Bauern zum Selbstkostenpreis abgegebenen Lebensmitteln zu den streikenden Pariser Arbeitern zu transportieren. Ähnliches unternahmen viele der etwa 400 Anfang Juni im Pariser Raum bestehenden und von Arbeitern und Studenten gegründeten Aktionskomitees (diese existierten in Fabriken, Universitäten und Stadtteilen) mit Hilfe von PKW und LKW . In einigen wenigen kleinen Betrieben nahmen die Arbeiter die Produktion in eigener Regie und zugunsten der Streikenden auf. Es war der Anfang von Selbstverwaltung.

Nach und nach versuchten allerdings die CGT und die KPF (Kommunistische Partei Frankreichs, Anmerkung von Nelke) die gesamte Bewegung, die sie zuerst versucht hatten zu zerstören oder zu spalten, nun zu vereinnahmen und ihr den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem die CGT in Verhandlungen mit der Regierung trat. Am 27. Mai wurde unter Aufsicht des Premierministers Pombidou mit den Arbeitgebern ein Kompromiß ausgehandelt, dessen Ergebnis für die Arbeiter minimal ist. Diese Verträge wurden von den Arbeitern in den Fabriken nicht angenommen, sondern entschlossen zurückgewiesen und es wurde beschlossen den Streik fortzuführen.

Nachdem Präsident De Gaulle am 29. Mai Frankreich verlassen hatte, kehrt dieser am folgenden Tag zurück und beginnt eine Offensive gegen die Streikenden. Es wird eine antikommunistische Grundstimmung mit Hilfe einer TV-Ansprache erzeugt. De Gaulle rief damals zur Gründung von Bürgerkomitees auf und am selben Abend marschierten zwischen 800. 000 und 1. 000. 000 Franzosen unter französischen und amerikanischen Fahnen und riefen "De Gaulle ist nicht allein", "Befreit unsere (!) Fabriken" oder "Freiheit der Arbeit", "Frankreich den Franzosen" und "Cohn-Bendit nach Dachau!". Die russische Prawda druckte Auszüge von De Gaulles Rede, ließ aber seine antikommunistischen Äußerungen bezeichnenderweise unerwähnt.

Einen Tag später stimmten die Parteien der Linken, einschließlich der KPF De Gaulles Vorschlag zu allgemeinen Wahlen zu. CGT und KPF unterstützten in der Folgezeit das Regierungslager in dem Bemühen, Ruhe und Ordnung für den reibungslosen Ablauf der Wahlen herzustellen. Ihrer bürgerlichen Stellvertreterlogik folgend, wollte sie das Schwergewicht wieder auf die politischen Parteien verlagern. Diese hatten allerdings während des ganzen Mai nicht die geringste Rolle mehr gespielt. Das am Ende alle revolutionären Gruppen wie die JCR, die FER oder die UJC (ML) verboten wurden, störte die CGT bzw. die KPF genauso wenig wie der Fakt, daß frühere Zusagen nicht verwirklicht wurden und daß sich an der Situation nach der Wiederaufnahme der Arbeit nichts geändert hatte.

In der ORTF, der staatlichen Rundfunk und Fernsehanstalt wurden über 100 der am Streik beteiligten Journalisten entlassen. In den Fabriken in ganz Frankreich wurden die politisch aktiven Arbeiter entlassen. In Paris wurden Passanten, die negative Äußerungen über die Polizei machten, von Zivilisten verhaftet und überall in den Cafes waren fortan Spitzel. Die Mitsprache der Arbeiter über die 40-Stunden-Woche waren kein Thema mehr bei den Verhandlungen mit den Arbeitgebern. Ebenso wurden die Gesetze der Sozialversicherung wie das Pensionsalter beibehalten. Von Seiten der "revolutionären Partei" kam hierzu keinerlei Reaktion. (...) In ihren Taten ließ sie es aber an diesem revolutionären Anspruch fehlen. Sie handelte zutiefst konterrevolutionär, organisationsegoistisch und reformistisch. (...) Das gipfelte in den stets üblichen und wie so geäußerten Vorwürfen, Provokateure seien am Werk. (...)

Die KPF sowie die CGT nahm also die Rolle der traditionellen Sozialdemokratie ein und die Worte der Studenten, daß KPF und Gewerkschaften in das System integriert seien, wurden so zur Gewißheit. Recht gut faßte die Revolutionszeitung "Action" die Rolle der CGT und der KPF zusammen: "... was die zahlreichen Artikel der L`Humanite (Zeitung der KPF, Anmerkung von Nelke) und die zahlreichen Erklärungen aus den Zentralen der CGT und der KPF bisher geboten haben: Verleumdung militanter Studenten und Arbeiter, ohne geringste Begründung, systematische Ablehnung einer Verbindung zwischen Studenten und Arbeitern, Verurteilung jeder Position oder Initiative, die der politischen Linie dieser Zentralen nicht entspricht als "abenteuerliches Linksabweichlertum" usw... Der Genosse Seguy ruft über die Erklärung der CGT-Vorstandsbüros eindeutig die gaullistische Polizei zur Repression gegen die Studenten auf, aber auch gegen die Arbeiter auf, die es gewagt haben, sich zu Tausenden den CRS (Polizei-Spezialeinheit, Anmerkung von Nelke) entgegenzustellen..."

Und auch der konservative "Figaro" wußte am 4. Juni durch eine gute Analyse der Rolle der KPF zu glänzen: "Ihr ständiges Ziel war nicht, die Revolution zu machen, sondern sich nicht auf der Linken von den Studenten, den Maoisten, von den jungen Arbeitern überholen zu lassen (...) In der Stunde (...) hat die KPF die Bombe entschärft und Wahlen zugestimmt, die sie kaum zu gewinnen hoffen konnte."

Wichtig an den Ereignissen des Pariser Mai 68 ist, daß große Teile der Arbeiterklasse und der Studenten selbständig kämpften und nicht auf die Initiative irgendwelcher Zentralkomitees oder Zentralen warteten bzw. angewiesen waren, wie es nur allzu oft der Fall in der Geschichte war, was wiederum mit zu solchen Niederlagen wie 1933 in Deutschland führte. Die Arbeiterklasse ist fähig zu kämpfen und bedarf dazu keiner selbstherrlichen Avantgarde und keiner Stellvertreter. Die Verantwortung der CGT bzw. der KPF für das Scheitern der Bewegung des Mai 68 ist genauso sicher wie auch die teilweise Isoliertheit, das Vorhandensein von Illusionen in CGT, KPF und den Kapitalismus und fehlende Koordination daran Mitschuld tragen. Eine der Lehren auch aus den Erfahrungen des Mai 68 dürften folgende Worte von Maurice Brinton sein: "Die Revolution ist eben größer als irgendeine Organisation, toleranter als irgendeine "repräsentative" Institution und realistischer als die Verordnung irgendeines Zentralkomitees." (...) Der Mai 68 gibt eine Vorahnung darauf, was Selbstverwaltung und Freiheit sein können und wozu die Arbeiterklasse und ihre Verbündeten fähig sind..." (14)

3. Klassenkämpfe in der BRD im September 1969

Ähnliche Lehren konnten proletarische RevolutionärInnen auch in der BRD machen, natürlich alles eine Nummer kleiner. Die intellektuelle Linke Westdeutschlands erlebte im September 69 eine Überraschung: das Erwachen der bundesdeutschen ArbeiterInnenklasse. "In der westdeutschen Linken zeichnete sich bereits zur Zeit der sogenannten antiautoritären Phase der Studentenrevolte und der APO-Bewegung (Außerparlamentarische Opposition, Anmerkung von Nelke) ein verstärktes Interesse für die unorganisierten Arbeiter ab. Dieses Interesse bestand ursprünglich vornehmlich, um mit den Arbeitern eine ähnliche Solidarität in den Aktionen herzustellen oder zu erreichen, wie sie etwa im Pariser Mai von 1968 oder auch in Italien zu beobachten war. Der Kampf der APO und der Studenten sollte nicht auf kleine Bereiche der Gesellschaft, soweit sie ihre "eigenen" waren, beschränkt bleiben, denn es handelte sich immerhin um Probleme, die alle Bereiche der Gesellschaft, vor allem auch die der Arbeiterklasse, betrafen; zugleich aber wußte man die großen traditionellen Organisationen der Arbeiterbewegung (SPD und Gewerkschaften) auf der Gegenseite der Barrikade. Dennoch kam es in der Bundesrepublik kaum zu einer Verbindung mit den Arbeitermassen, was die meisten Gruppen der neuen Linken dazu veranlaßt, den westdeutschen Arbeitern ein eigenes politisches Bewußtsein weitgehend abzusprechen.

Eine systematische und weitest gehend unvoreingenommene Diskussion setzte dann allerdings unter einigen Gruppen ein, als sich in den Septembertagen des Jahres 1969 etwas seit dem II. Weltkrieg für viele von uns Unglaubliches abspielte:

-Massenhaft legten Arbeiter in der Stahllindustrie, im Bergbau, in der metallverarbeitenden Industrie und in anderen Wirtschaftsbereichen "spontan" ihre Arbeit nieder, streikten ohne Urabstimmung, ohne Einwilligung der Gewerkschaften;

-ja, es kam noch unglaublicher, denn vieele von diesen Streikenden wendeten ihren Unmut nicht nur gegen die Unternehmer, gegen die Direktoren ihres Betriebes, sondern auch gegen die Gewerkschaften in der gerade laufenden Lohnrunde;

-der Gipfel des Unglaublichen jedoch warr das Verhalten der DKP, die beispielsweise in Dortmund -aber auch anderswo - "einige hundert Arbeiter" daran hinderte, in die Räume des Gewerkschaftshauses einzudringen, um dort ihren Unmut gegen die arbeiterfeindliche Gewerkschaftspolitik deutlich sichtbar Ausdruck zu verleihen: die DKP verwandte, wie sie sich hinterher selber rühmte, "große Mühe" darauf, "diese Stimmung umzukehren und die Hauptstoßrichtung gegen die Direktion zu lenken" (15)" (16)

Nelke (sehr stark von Red Devil inspireirt)

Anmerkungen

(1) zitiert nach Red Devil, 17. Juni 1953 -Arbeiteraufstand oder Konterrevolution?, Lübeck 2000, S. 80.

(2) Red Devil, 17. Juni 1953 -Arbeiteraufstand oder Konterrevolution?, a.a.O., S. 47.

(3) Klaus Ewers, 17. Juni 1953: Arbeiterrevolte in der DDR in DDR-Report, Nr. 7/1983.

(4) Helmut G. Haasis, Erzählung eines einst in Ostberlin ansässigen Arbeiterpaares über den Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953, S. 14.

(5) Joachim G. Leithäuser, Der Aufstand im Juni in Der Monat,September/Oktober 1953, S. 615.

(6) Red Devil, 17. Juni 1953 -Arbeiteraufstand oder Konterrevolution?, a.a.O., S. 34/35.

(7) Auszug aus dem Beschluß des Politbüros vom 23. 9. 1953

(8) Red Devil, 17. Juni 1953 -Arbeiteraufstand oder Konterrevolution?, a.a.O., S. 47.

(9) Dietrich Staritz, Geschichte der DDR. Erweiterte Neuausgabe, 1996, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main, S. 119.

(10) Red Devil, 17. Juni 1953 -Arbeiteraufstand oder Konterrevolution?, a.a.O., S. 38.

(11) Stefan Brant, Der Aufstand, S. 207.

(12) Ein Leben für den Sozialismus in Voran Nr. 211, Dezember 1999/Januar 2000, S. 2.

(13) Helmut G. Haasis, a.a.O., S. 13.

(14) Red Devil, "Wir werden um nichts bitten. Wir werden nehmen." in Revolution Times Nr. 11 vom Winter 1999/ 2000, S.16-19.

(15) Die Septemberstreiks 1969. Darstellung, Analyse, Dokumente der Streiks in der Stahlindustrie, im Bergbau, in der metallverarbeitenden Industrie und in anderen Wirtschaftsbereichen, Frankfurt (November) 1969., S. 64.

(16) Jürgen Klein, Zur Diskussion in der Bundesrepublik über die "andere" Arbeiterbewegung in Deutschland in "Autonomie im Arbeiterkampf.", a.a.O., S. 13.

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