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Lehren aus den Klassenkämpfen

Das Bewußtsein wird vom sozialem Sein bestimmt. Aber das Denken der Menschen ist konservativ und hinkt der sozialen Wirklichkeit hinterher. Viele Lohnabhängige haben ein bürgerliches Bewußtsein. Im Klassenkampf wird das Bewußtsein der ArbeiterInnen vorangetrieben und ist die bewußte Vorbereitung auf die kommenden Klassenkämpfe. Zwischen "normalen" Klassenkämpfen und der der sozialen Revolution besteht keine Scheidewand. Doch den Weg der sozialen Revolution wird die Klasse der Lohnabhängigen erst gehen, wenn sich alle anderen Wege als Sackgassen herausgestellt haben und sie ihre Ausbeutung so unerträglich findet, daß ihr kein Risiko zu groß scheint.

Paul Mattick hatte erkannt: "Es ist in der Tat nicht möglich, im Kapitalismus revolutionäre Massenorganisationen aufzubauen, da es der organisatorische Erfolg selbst ist, der die ursprüngliche revolutionäre Ideologie zerstört. Revolutionäre Organisationen müssen sich, um solche zu bleiben, von der ordinären Tagespolitik frei halten, was jedoch wiederum ihre eigene Entwicklung hindert. Das Dilemma der Arbeiterbewegung scheint demnach unlösbar, da beides, die aktive Anteilnahme an der gegebenen gesellschaftlichen Praxis und deren prinzipielle Verneinung, zur revolutionären Entmachtung führt. Diesem Dilemma kann man nur durch die spontane Bildung revolutionärer Organisationen entgehen, die innerhalb des Kapitalismus nicht von Dauer sein können. Mit anderen Worten: es ist die spontane Organisation der Revolution selbst, die das Dilemma der revolutionären Bewegung im Kapitalismus zu lösen vermag." (1)

Auch Anton Pannekoegs theoretische Arbeit in den 30er Jahren ist heute immer noch fruchtbarer, als das geistlose Gestammel von "modernen" ParteimarxistInnen. Pannekoeg betonte: "Am wichtigsten sind aber die von der Arbeiterklasse selbst entwickelten Kampfformen: Demokratie, Organisation, Partei. Gerade weil sie aus der eigenen Lebenspraxis, dem Klassenkampf entsprangen, weil mit ihnen die Erinnerung der leidenschaftlichsten Anstrengung, der selbstlosesten Hingabe, der tiefsten Erregung in Sieg oder Niederlage verbunden ist, wurde ihre Würdigung, aus der Erkenntnis praktischer, an Zeit und Verhältnisse gebundener Notwendigkeit, zu dem Glauben in ihre absolute schrankenlose Vortrefflichkeit verhimmelt. Und damit wird dann der Übergang zu neuen Notwendigkeiten, zu neuen Formen des Kampfes erschwert. Sicher ist es immer die Praxis des Lebens, die die Arbeiterklasse zu neuen Kampfformen nötigt; aber die alten Traditionen können sie doch in verhängnisvoller Weise verzögern. Was hier, in dem Streit zwischen überlieferter Ideologie und praktischer Notwendigkeit, dem Arbeiter not tut, ist die Einsicht, daß immer die Ideen und Regeln, die zum Ausdruck bringen, was ist und was nötig ist, aus der früheren Erfahrung stammen; daß der Menschengeist, die Bedingungen übersehend, diesen Regeln und Ideen instinktiv eine schrankenlose Gültigkeit zuerkennt und als absolut Gutes oder Böses verhimmelt oder haßt, und sich damit zum Sklaven eines Aberglaubens macht; daß durch die Erkenntnis der Bedingungen und Beschränkungen der Aberglauben beseitigt und der Blick frei gemacht wird. Und umgekehrt, was er als das bleibende Interesse, die allgemeine wesentliche Grundlage für den Klassenkampf seiner Klasse erkannt hat, muß unbeirrt von den Wechselfällen der Ereignisse, aber auch ohne es überschwenglich zu verhimmeln, als leuchtender Leitstern für alles Handeln im Auge behalten werden." (2)

Wenden wir die richtige Analyse Pannekoegs ganz konkret auf die Klassenkämpfe des 20. Jahrhunderts an. Parteien und Gewerkschaften haben sich in allen größeren Klassenkämpfen und in revolutionären Situationen als nicht- und/oder konterrevolutionär erwiesen. Als revolutionär erwiesen sich nur die Organe, die sich die Revolution selbst schuf. Deshalb können wir RätekommunistInnen mit vollem Recht sagen, daß Parteien und Gewerkschaften keine revolutionären Organisationen sein können. Wir machen aber nicht den Fehler, daß wir die konkrete Struktur der ArbeiterInnenräte der russischen Revolution oder der deutschen Novemberrevolution auch als Antwort auf die Organisationsfrage in kommenden Klassenkämpfen ansehen. Jede revolutionäre Situation geht mit einer neuen Organisation schwanger, die die konkrete Antwort auf die spezifische Situation ist. Der Klassenkampf und seine Organe ändern sich ständig, weil auch die Zusammensetzung der ArbeiterInnenklasse einer ständigen Umwandlung unterworfen ist. Das klassische Industrieproletariat wird immer geringer. Aber gleichzeitig werden die anderen Berufszweige immer stärker proletarisiert und in den Klassenkampf hineingezogen.

Der holländische Rätekommunist Cajo Brendel beschrieb diesen Prozeß in einem Interview mit der Jungen Welt folgendermaßen: "Aber ein Streik von Bankangestellten hat es vor dem Krieg nie gegeben. Die Schalterkräfte mußten damals noch eine spezielle Bildung besitzen, zum Beispiel Prozentrechnung im Kopf beherrschen. Heute brauchen sie überhaupt keine Bildung mehr, sie sind genauso wie zum Beginn des Kapitalismus einfach zu Objekten der Maschinen geworden. Deshalb streiken sie auch. Die technische Entwicklung des Kapitalismus läßt den klassischen Proletarier verschwinden, zur gleichen Zeit werden aber alle anderen Berufe immer mehr verproletarisiert. Ob die Leute sich das eingestehen oder nicht, sie werden zum Klassenkampf gezwungen. Sie reden nicht vom Klassenkampf, sie haben ganz andere Sprachgewohnheiten, tun aber dasselbe." (3)

Die ArbeiterInnenklasse wird in ihrem Klassenkampf gezwungen sein, die bürgerlich-bürokratische Fesseln der Partei und der Gewerkschaft abzusteifen und sich selbst Organe zu schaffen. Wilde Streiks -wie zum Beispiel der bei Opel im Juni 2000 sind ein Anzeichen der proletarischen Selbstorganisationen. In Zeiten verschärfter Klassenkämpfe werden wilde Streiks zunehmen und daraus Organe der ArbeiterInnendemokratie hervorgehen (Streikkomitees, ArbeiterInnenräte) die in einer revolutionären Situation zu Trägern der sozialen Revolution werden können.

Cajo Brendel führte in dem oben erwähnten Interview aus: "Im Gegensatz zu Lenin, der gesagt hat: ohne Theorie keine revolutionäre Praxis, sagen wir: jede Theorie ist die Abstrahierung oder Zusammenfassung oder die Zusammenfassung dessen, was sich in der Wirklichkeit abspielt. Ich habe mein Leben lang genau studiert, wie der Klassenkampf sich ändert. Ich fing 1934 an, seither haben sich die Formen des Kampfes sehr verändert. Dieser Klassenkampf ist ein ganz anderer als der politische Kampf von Parteien, denen es um Macht geht, die die Auffassung vom Sozialismus als Zerschlagung des kapitalistischen Staates überhaupt vergessen haben. Betriebsbesetzungen zum Beispiel, glaubst du, daß das Maßnahmen der Gewerkschaften sind? Sie sind immer Formen autonomen Kampfes. Diese habe ich vor dem zweiten Weltkrieg nirgendwo gesehen." (4)

Auch Cajo Brendels Ausführungen über Rätedemokratie und die Aufhebung der Warenproduktion können wir nur zustimmen: "Ich produziere keine Illusionen, was Marx Rezepte für die Zukunft nennt. Solange der Wert beim Austausch der Waren darauf basiert, daß die Arbeitskraft eines jeden Individuums mehr Wert erzeugt, als seine Arbeitskraft wert ist, haben wir unweigerlich Ausbeutung. Darauf basiert die ganze kapitalistische Wirtschaft. Für einen Sozialismus müssen ganz andere Rechnungen beim Warenaustausch stattfinden. Wann das möglich sein wird, kann ich nicht sagen. Und wie genau, darüber kann man auch keine Erfindungen machen. Ich weiß nur, wo irgendwo kämpfende Arbeiter über eine bestimmte Grenze gehen, und das ist dann immer die Grenze ihrer eigenen Vorstellungen, ändert sich das Machtgewicht. Irgendwann ist man gezwungen, den Schritt zu Arbeiterräten zu gehen, weil bestimmte Aufgaben gelöst werden müssen." (5) Selbstverständlich werden nicht nur im Produktionsbereich Organe der Selbstverwaltung entstehen, sondern auch in den Schulen und Universitäten sowie im Wohnbereich.

In einer revolutionären Situation werden die Organe der proletarischen Selbstorganisation zu Machtorganen. Es kommt zur Doppelherrschaft in der kapitalistischen Wirtschaft und Gesellschaft. Die Doppelherrschaft kann nicht konstitutionalisiert werden. Entweder es gelingt den bürgerlichen Organen die ArbeiterInnendemokratie zu zerschlagen, oder die Organe der ArbeiterInnenselbstorganisation entmachten den bürgerlichen Staat und werden zu neuen Machtorganen. Über das, was dann folgen sollte, sind wir unterschiedlicher Auffassung als Marx und Engels.

Engels schrieb: "Das Staatseigentum an den Produktivkräften ist nicht die Lösung des Konflikts, aber es birgt in sich das formelle Mittel, die Handhabe der Lösung." (6) Weiter führt der Autor aus, "indem die kapitalistische Produktionsweise (...) mehr und mehr auf Verwandlung der großen, vergesellschafteten Produktionsmittel in Staatseigentum drängt, zeigt sie selbst den Weg an zur Vollziehung dieser Umwälzung. Das Proletariat ergreift die Staatsgewalt und verwandelt die Produktionsmittel zu-nächst in Staatseigentum." (7)

Die ParteimarxistInnen werden nicht müde, dieses Zitat von Engels wiederzugeben. In der Tat, zeigt sich Engels hier als geistiger Wegbereiter des Reformismus und Stalinismus. Nur mit dem Unterschied, daß Engels im Gegensatz zu seinen heutigen Epigonen, die Folgen der Verstaatlichung der Produktionsmittel nicht mehr analysieren konnte. Auch stammen von Engels Äußerungen, die die ParteimarxistInnen nicht so gerne zitieren. Viele von ihnen unterlassen die Analyse der "sozialistischen" Staaten bewußt, denn diese würde ihre ganze aufgeblasene Doktrin sprengen. Staatseigentum führt unweigerlich zu Staatskapitalismus -das ist die Analyse des Rätekommunismus. Red Devil schrieb ganz richtig: "Der Begriff "Arbeiterstaat" ist an sich schon ein Unding, denn Staat bedeutet Herrschaft, Hierarchie und Unterdrückung." (8)

In der Frage des Staates waren Marx und Engels nicht konsequent genug. Der Verlauf des Klassenkampfes hat der anarchistischen Kritik des damaligen Marxismus recht gegeben, aber gleichzeitig auch die meisten Methoden des Anarchismus als falsche Wege offengelegt. Joachim Bruhn hatte vollkommen Recht, als er schrieb: "1. Marx beweist nichts gegen Bakunin, Kropotkin widerlegt nicht Lenin, Engels ist kein Argument gegen Proudhon und der spanische Anarchismus der Jahre 1936/37 ist nicht die Alternative zur Russischen Revolution von 1917. 2. Für eine Staatskritik in revolutionärer Absicht sind die anarchistischen wie marxistischen Theorien gleichermaßen unerheblich und belanglos, d.h. nur Gegenstände von historischem Interesse. Das Bestreben Marx gegen Bakunin auszuspielen, beweist nur, daß der Kritiker noch unter dem Niveau der Verhältnisse agiert, die er doch überwinden möchte. Das Beharren auf Bakunin als Alternative zum "autoritären Sozialismus" ist ein Kapitel revolutionärer Romantik." (9)

Die soziale Revolution enteignet die Bourgeoisie und zerschlägt die Organe der bürgerlichen Klassenherrschaft. Die Organe der proletarischen Demokratie übernehmen die Macht. ArbeiterInnendemokratie ist soziale Organisation ohne Staat. Nachdem die soziale Revolution weltweit gesiegt hat, geht sie zur klassenlosen Demokratie des Kommunismus über. Denn indem die ArbeiterInnenklasse die Bourgeoisie entmachtet, hebt sie sich selbst als Klasse auf.

"Es genügt nicht, für die abstrakte Macht der Arbeiterräte zu sein, sondern es gilt ihre konkrete Bedeutung aufzuzeigen: die Abschaffung der Warenproduktion und folglich des Proletariats. Die Logik der Ware ist die erste und letzte Rationalität der gegenwärtigen Gesellschaften, die mit Puzzles vergleichbar sind, deren Teile scheinbar so verschieden, in Wirklichkeit aber adäquat sind. Die Warenverdinglichung ist das wesentliche Hemmnis zu einer totalen Emanzipation, zur freien Konstruktion des Lebens. In der Welt der Warenproduktion entwickelt sich die Praxis nicht gemäß einem autonomen bestimmten Ziel, sondern gemäß den Anweisungen äußerer Mächte. Und wenn die ökonomischen Gesetze scheinbar zu Naturgesetzen einer besonderen Art werden, dann deshalb weil ihre Macht allein auf dem "Mangel an Bewußtsein derer, die daran teilnehmen", beruht. Das Prinzip der Warenproduktion ist der Verlust des Ichs in der chaotischen und unbewußten Schaffung einer Welt, die ihren Schöpfern völlig entgleitet." (10)

Diese richtigen Worte stammen von den SituationistInnen, einer politisch sehr klaren Strömung der 68er Bewegung. Diese schrieben weiterhin: "Die Selbstverwaltung der Warenentfremdung würde aus allen Menschen bloße Programmierer ihres eigenen Überlebens machen: die Quadratur des Kreises. Folglich wird die Aufgabe der Arbeiterräte nicht die Selbstverwaltung der bestehenden Welt, sondern ihre ununterbrochene qualitative Umwandlung sein: die Konkrete Aufhebung der Ware (als gigantische Umlenkung des Menschen durch sich selbst." (11)

Wie wir sehen, waren die SituationistInnen klarer im Kopf als einige DDR-MarxistInnen, (z.B. die "Plattform Rätebewegung") die eine "sozialistische Marktwirtschaft" mit Rätedemokratie zu einem "Modell" vereinigen wollten. Wir schrieben über diesen Unsinn: "Marktwirtschaft und Rätedemokratie schließen sich aber einander aus. Denn die ArbeiterInnen schließen sich ja in Räten zusammen, um Einfluß auf die Produktion zu bekommen. ArbeiterInnenräte sind potentielle Selbstverwaltungsorgane einer realen Planwirtschaft, wo die Bedürfnisse der ProduzentInnen und KonsumentInnen die Basis der Wirtschaftsplanung bilden. Wenn sie diese Rolle real niemals spielten, so liegt das an der konterrevolutionären Rolle der Sozialdemokratie (Deutschland 1918/19) und des Leninismus (Rußland 1917-21).Marktwirtschaft heißt zwangsläufig daß die Wirtschaft eine Warenproduktion ist. Die Arbeit bleibt eine Ware -Lohnarbeit. Lohnarbeit ist wirtschaftliche Unfreiheit.

Wirtschaftliche Unfreiheit und Rätedemokratie in einem "Modell" zu vereinen -das ist das Ende des wissenschaftlichen Sozialismus. In die Praxis läßt sich dieses "Modell" nicht übertragen -entweder zerstört die wirtschaftliche Sklaverei die Rätedemokratie oder die Rätedemokratie beseitigt die Lohnsklaverei.

Auch die Interessen der KonsumentInnen stehen im Gegensatz zu den Gesetzen einer Marktwirtschaft. Denn sie befriedigt nicht alle Bedürfnisse, sondern nur die zahlungsfähigen. Alle armen Menschen im Kapitalismus können davon ein Lied singen. Mensch könnte jetzt einwenden, daß das Ziel der "Plattform Rätebewegung" keine kapitalistische Marktwirtschaft war. Subjektiv mag das stimmen. Aber die Gesetze des Marktes haben ihre eigene Dynamik und lassen sich nicht sozialistisch umprogrammieren. Alle Elemente der bürgerlichen Ökonomie dienen einzig und allein der Klassengesellschaft. Das ist auch eine Lehre des Zusammenbruches des "realen Sozialismus". Die "Plattform Rätebewegung" hat diese Lehre nicht verstanden. Auch darin zeigt sich, daß sie "nur" ein radikaler Ausdruck der kleinbürgerlichen Demokratie war." (12)

Die Organe der ArbeiterInnendemokratie üben in der sozialen Revolution die Herrschaft der lohnabhängigen Klasse aus, die sich gegen die zu entmachtende Bourgeoisie richtet. Diese kann und darf nur auf der Selbstorganisation der Klasse beruhen. In den Strukturen der ArbeiterInnendemokratie ist ein permanenter Kampf gegen Bürokratisierung zu führen. BerufspolitikerInnentum ist eine Wurzel des bürokratischen Staates, und ist deshalb in einer ArbeiterInnendemokratie wie Unkraut zu bekämpfen. Es darf in einer ArbeiterInnendemokratie keine hauptamtlichen FunktionärInnen geben.

Die BürokratInnen des Parteimarxismus werden für die Rätedemokratie zu einer großen Gefahr. Sie besitzen heute schon ein Privileg auf Politik. Dieses Monopol macht sie den bürgerlichen PolitikerInnen als direkte VertreterInnen des Kapitals ähnlich. Diese Damen und Herren haben also durch die soziale Revolution etwas zu verlieren. Die Ex-StalinistInnen/NeosozialdemokratInnen werden mit hoher Wahrscheinlichkeit auf der Seite des Privatkapitals und der bürgerlichen Staatsmacht stehen, während sich die trotzkistischen BürokratInnen in die Rätedemokratie einschleichen werden um diese unter ihre Führung zu bringen. Doch der trotzkistisch vergewaltigten Rätedemokratie droht das Versacken im Staatskapitalismus. Denn die TrotzkistInnen streben immer noch einen "ArbeiterInnenstaat" an, den es aber in der Wirklichkeit nicht geben kann. Dieser Staat kann nur die Klassenherrschaft verewigen -genauso wie sie die Warenproduktion und Lohnarbeit verewigt.

Die soziale Revolution wird die Teilung der Gesellschaft in Führende und Geführte aufheben. Die bürgerliche PolitikerInnenkaste -einschließlich den ParteimarxistInnen -wird nicht freiwillig auf ihre sozialen Vorteile verzichten wollen. Die Rätedemokratie wird sie dazu zwingen müssen. Denn sonst erhalten diese entweder mit der Bourgeoisie den alten Laden aufrecht, oder sie werden die herrschende Klasse des neuen Ladens, wie die Geschichte gezeigt hat. Die alte Klassenspaltung der Produktion muß auch gegen den Widerstand des Parteimarxismus aufgehoben werden. Damit alle Menschen schöpferisch geistig tätig sein können, muß die körperliche Arbeit gerecht verteilt werden.

Friedrich Engels schrieb: "Indem sich die Gesellschaft zur Herrin der sämtlichen Produktionsmittel macht, um sie gesellschaftlich planmäßig zu verwenden, vernichtet sie die bisherige Knechtung der Menschen unter ihre eigene Produktionsmittel. Die Gesellschaft kann sich selbstredend nicht befreien, ohne daß jeder einzelne befreit wird. Die alte Produktionsweise muß also von Grund aus umgewälzt werden, und namentlich muß die alte Teilung der Arbeit verschwinden. An ihre Stelle muß eine Organisation der Produktion treten, in der einerseits kein einzelner seinen Anteil an der produktiven Arbeit, dieser Naturbedingung der menschlichen Existenz, auf andre abwälzen kann; in der andrerseits die produktive Arbeit, statt Mittel der Knechtung, Mittel der Befreiung der Menschen wird, indem sie jedem einzelnen die Gelegenheit bietet, seine sämtlichen Fähigkeiten, körperliche wie geistige, nach allen Richtungen hin auszubilden und zu betätigen, und in der sie so aus einer Last zu einer Lust wird.

Das ist heute keine Phantasie, kein frommer Wunsch mehr. Bei der gegenwertigen Entwicklung der produktiven Kräfte genügt schon diejenige Steigerung der Produktion, die mit der Tatsache der Vergesellschaftung der Produktivkräfte selbst gegeben ist, die Beseitigung der aus der kapitalistischen Produktionsweise entspringenden Hemmungen und Störungen , der Vergeudung von von Produkten und Produktionsmitteln, um bei allgemeiner Teilnahme an der Arbeit die Arbeitszeit auf ein nach jetzigen Vorstellungen geringes Maß zu reduzieren." (13) Das schrieb Engels bereits 1894! Was hätte er wohl zu den StalinistInnen gesagt, die die alte Arbeitsteilung verewigen wollten?

Marx schrieb allen parteimarxistischen BürokratInnen über die alte Arbeitsteilung in leitende und ausführende Tätigkeit in das Stammbuch: "Sie ver-krüppelt den Arbeiter in eine Abnormität, indem sie sein Detailgeschick treibhausmäßig fördert durch Unterdrückung ei-ner Welt von produktiven Trieben und Anlagen... das Individuum selbst wird geteilt, in das automatische Triebwerk einer Teilarbeit verwandelt." (14)

Die soziale Revolution der ArbeiterInnenklasse kann nur als Weltrevolution siegen. Die Weltbourgeoisie wird jeder bedrängten nationalstaatlich organisierten KapitalistInnenklasse zur Hilfe kommen. Dem muß die internationale Solidarität der lohnabhängigen Klasse gegenübergestellt werden. Der beste Akt der internationalistischen Hilfe ist immer noch die Durchführung der eigenen sozialen Befreiung. Auch wenn die kommunistische Gesellschaft nur im Weltmaßstab aufgebaut werden kann, muß die Umwandlung der Klassengesellschaft sofort in den Gebieten beginnen, in denen die Organe der ArbeiterInnenklasse mächtig genug sind, sie durchzuführen. Der Staat muß zerschlagen werden und die ersten Schritte zur Überwindung der Warenproduktion/ Lohnarbeit müssen noch unter der Bedrohung der internationalen Konterrevolution durchgeführt werden und können nicht bis nach den weltweiten Sieg der sozialen Revolution verschoben werden. Entweder führt die politische Herrschaft der Organe der ArbeiterInnendemokratie zur sozialen Befreiung aus der Lohnarbeit oder die proletarische Demokratie bricht wieder in sich zusammen.

Auch die soziale Befreiung der proletarischen Frau aus den Überresten des Patriarchats muß mit der sozialen Revolution beginnen, und auch gegen konservative lohnabhängige Männer durchgesetzt werden. Die ersten Maßnahmen zur Vergesellschaftung der Hausarbeit muß von den revolutionärsten Teilen der Klasse vorangetrieben werden. Sexuelle Gewalt gegen Frauen muß unter schwerer moralischer und materieller Bestrafung der Rätedemokratie stehen. Die Aufhebung der Prostitution wird mit der gesellschaftlichen Umwandlung vollzogen. Auch die sexistische Sichtweise -die Frau ausschließlich als Sexualobjekt zu sehen -ist nur durch die Überwindung der Warenproduktion radikal zu bekämpfen.

Die soziale Revolution wird nicht von PazifistInnen durchgeführt werden können, aber auch nicht durch bürokratischen Terror. Die "Rote Armee" und die Tscheka waren Gebilde der bürgerlich-bürokratischen Machtausübung der LeninistInnen, können infolgedessen auch kein Vorbild für die Bekämpfung der Konterevolution sein. Ein wirkliches Vorbild war der Kronstädter Aufstand. Red Devil beschrieb den Unterschied zwischen dem Terror der Bolschewiki und der aufgezwungenen Notwehr der aufständischen Matrosen: "Trotzki hatte sich nach Petrograd begeben und ein Ultimatum an die Kronstädter gerichtet: "Die Regierung der Arbeiter und Bauern ist entschlossen, Kronstadt und die Schiffe unverzüglich wieder unter die Verfügungsgewalt der Räterepublik zu stellen ... Nur wer sich bedingungslos ergibt, kann auf die Gnade der Sowjetrepublik hoffen ...". Falls sie diesem nicht nachkommen sollten, so hatte Trotzki gedroht, würde er sie wie Rebhühner abknallen lassen.

Kronstadt setzte seine ganze Hoffnung nicht auf seine militärischen Fähigkeiten, sondern auf die Solidarität der Arbeiterklasse. Militärisch konnten sie nicht gewinnen, politisch waren sie allerdings isoliert und diskreditiert durch die Bolschewiki und ihre Rote Armee. Als Vertreter der Dritten Revolution, die nach der Februar- und der Oktoberrevolution nun endlich den Sozialismus verwirklichen wollten, waren sie stolz von sich sagen zu können: "Wir wollten kein Bruderblut vergießen und gaben keinen einzigen Schuß ab, bis man uns dazu zwang."Die Bolschewiki hingegen begannen ihren Sturm auf Kronstadt am 7. März. Es folgten tagelange Beschüsse und Bombardierungen. Die Bolschewiki zogen immer neue Einheiten zusammen, die entweder aus entlegenen Gegenden stammten oder sehr zuverlässig (Kadetten, Tschekisten) waren. Im Rücken der Regierungstruppen standen die Einheiten der Tscheka, die Fahnenflüchtige erschossen. Viele Bataillone weigerten sich auf die Kronstädter zu schießen und von etlichen Kompanien und Regimentern kehrten nur die Offiziere zurück, während die restliche Kompanie zu den Rebellen überliefen. Einige Augenzeugen berichteten, daß einige Verbände beim Vorrücken schon die Hälfte ihrer Männer verloren hatten, ehe sie überhaupt in das feindliche Schußfeld gelangten. Über eine Woche dauerte die Angriffswelle, bis es am 16. März 1921 der Roten Armee gelang in die Stadt Kronstadt einzudringen. Dort leistete die Bevölkerung allerdings noch 2 Tage lang Widerstand, so daß der Großteil der Aufständischen nach Finnland fliehen konnte. 8.000 Personen, Matrosen und die aktivsten Zivilisten flohen." (15) Die soziale Revolution muß jedes bürokratische Monopol zur Gewaltausübung zerschlagen. Die Organe der ArbeiterInnendemokratie üben die Verteidigung selbst aus. Es wird keinen "revolutionären" Geheimdienst geben. Denn die schärfste Waffe der Revolution ist die Offenlegung aller Geheimnisse. Es wird keine stehende Armee geben, keine Militärpflicht und kein Kadavergehorsam. Die "Offiziere" werden von den Einheiten gewählt und sind jederzeit abwählbar. Die einzige Disziplin ist die kollektive Selbstdisziplin der Klasse, die von ihrem Freiheitswillen genährt wird, ihr Leben selbstbestimmt zu führen. Die Verteidigung der Revolution darf nicht zu ihrer Selbstfesselung führen. Eine Revolution, die zu bürokratischen Terror greift um sich zu verteidigen, wird es bald nicht mehr wert sein, daß die Klasse für sie ihr Blut gibt.

Sie darf auch in der größten Gefahr nicht die Selbstorganisation der Klasse beschneiden. Die Revolution muß jeder bewaffneten Konterrevolution den Schädel einschlagen, aber sie verwirklicht demokratische Freiheiten auch für ihre unbewaffneten GegnerInnen. Denn wer soll das Recht haben zu entscheiden, wer loyaler Revolutionär ist und wer nicht. Selbstverständlich wird es in der Rätedemokratie auch Gesetze geben, denn schließlich ist sie Ordnung ohne Staat. Und wo es Gesetze gibt, muß auch ihre Einhaltung überwacht werden. Das übernehmen ebenfalls die jeweiligen Organe der Selbstverwaltung. Über die konkrete Art und Weise der Rechtsprechung in einer ArbeiterInnendemokratie können und wollen wir jetzt noch keine genauen Angaben machen. Eines können wir jedoch mit Bestimmtheit sagen: sie muß und wird sich grundlegend von der Klassenjustiz im heutigen Kapitalismus unterscheiden.

Die Forderung des russischen linkskommunistischen Arbeiters Gabriel Miasnikow von 1921 nach "Pressefreiheit von den Monarchisten bis zu den Anarchisten" (16) konnte die bolschewistische Parteidiktatur natürlich nicht umsetzen. Die Rätedemokratie wird aber auch ihren FeindInnen Pressefreiheit gewähren. Angewendet auf die zukünftige Revolution muß es heißen: Pressefreiheit von den Neonazis bis zu den ParteimarxistInnen. Allerdings bestimmen in den Großdruckereien die ArbeiterInnen was gedruckt wird. Wenn die mehrheitlich keine Lust haben bürgerlichen Dreck abzudrucken, müssen die AutorInnen halt sehen wie sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung materiell durchsetzen. Die ArbeiterInnendemokratie wird also mit ihren bürgerlichen GegnerInnen so umgehen: Die herrschende ökonomische und politische Klasse wird schonungslos aller ihrer sozialen Vorrechte und Privilegien beraubt. Jammern darf sie darüber. Denn in einer ordentlichen Rätedemokratie herrscht Meinungs-, Presse-, und Versammlungsfreiheit. Wenn die bürgerlichen Damen und Herren aber mit Waffengewalt versuchen ihre Vormachtstellung wieder zu erringen, werden sie mit Waffengewalt daran gehindert. Ansonsten dürfen sie am Aufbau des Kommunismus gerne teilnehmen. Allerdings wird es bei den meisten von ihnen ratsam sein, sie nicht in die nebenamtlichen Funktionen zu wählen. Nach dem weltweiten Sieg der ArbeiterInnenklasse wird die Rätedemokratie nicht mehr die Herrschaft des Proletariats sein, sondern die Organisation der klassenlosen Gesellschaft. Der Kommunismus wird auf der völligen Selbstverwaltung der Menschen beruhen, deren Produktion ausschließlich nach den Bedürfnissen der ProduzentInnen und KonsumentInnen ausgerichtet sein. Die klassenlose Gesellschaft wird eine Technik entwickeln, die es der Menschheit erlaubt körperliche Anstrengung auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Gleichzeitig muß der kommunistische Mensch wieder lernen im Einklang mit der Natur zu leben. Die Technik, die der Kapitalismus hervorbringt ist nicht wertneutral. In ihr gehen das Ziel, zur maximalen Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft und der Natur beizutragen, mit in die technologische Forschung und Entwicklung mit ein. Deshalb ist die bisherige Technik der Klassengesellschaft für den Kommunismus nur bedingt tauglich. Wir stellen uns den Kommunismus nicht als widerspruchsloses Paradies vor. Eine Gesellschaft ohne Widersprüche wäre das Ende der Entwicklung. Die ist der Kommunismus nun aber gerade nicht. Dieses Ende der menschlichen Entwicklung und Existenz droht gerade bei Fortbestand der Klassengesellschaft, die schon heute ein barbarisches 21. Jahrhundert vorbereitet. Der wahnsinnige und blutige Amoklauf der Klassengesellschaft kann nur durch die soziale Revolution gestoppt werden: Kommunismus oder Barbarei!

Nelke

Anmerkungen

(1) Paul Mattick, Der Leninismus und die Arbeiterbewegung des Westens, a.a.O. S. 174/175.

(2) Anton Pannekoek, Lenin als Philosoph, a.a.O., S. 150/151.

(3) Cajo Brendel im Interview mit der Jungen Welt, zitiert in Revolution Times Nr. 11, Winter 1999/2000, S. 23.

(4) Cajo Brendel im Interview mit der Jungen Welt,a.a.O., S. 22/23.

(5) Cajo Brendel im Interview mit der Jungen Welt,a.a.O., S. 22.

(6) Marx-Engels, Werke, Berlin 1962, Bd. 20 S. 260.

(7) Marx-Engels, Werke, a.a.O., S. 261.

(8) Red Devil, 17. Juni 1953 -Arbeiteraufstand oder Konterrevolution?, a.a.O., S. 14.

(9) Joachim Bruhn, Abschaffung des Staates -Thesen zum Verhältnis von anarchistischer und marxistischer Staatskritik in Der revolutionäre Funke Nr. 10, S. 82.

(10) Über das Elend im Studentenmillieu, Broschüre der SituationistInnen, S. 28.

(11) Über das Elend im Studentenmillieu, Broschüre der SituationistInnen, S. 28. (12) Kritik an der Plattform Rätebewegung in Soziale Befreiung Nr. 1, Bad Salzungen Januar 2000, S. 32.

(13) Friedrich Engels, Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft in Karl Marx/Friedrich Engels, Ausgewähl-te Werke in sechs Bänden, Band V, Dietz Verlag Berlin 1972, S. 321/322

(14) Karl Marx, Das Kapital, Dietz Verlag Berlin, 1973, S. 381.

(15) Red Devil, Die Kronstadt-Rebellion, a.a.O. S. 9/10.

(16) zitiert nach: Die kommunistische Linke in Rußland in Die russische Revolution, IKS-Broschüre, S. 23.

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