R. Koch, Die mittelalterlichen und vorbarocken Klosteranlagen von Mauerbach aus bauhistorischer Sicht


Allgemeines zur Architektur der Kartäuser im Mittelalter

Marijan Zadnikar charakterisiert in seiner Gesamtdarstellung die mittelalterliche Kartäuserarchitektur mit folgenden treffenden Worten:

"Die Eigentümlichkeiten, die die Kartausen im Vergleich mit Klöstern anderer Mönchsorden der gleichen Zeitepoche, z. B. den Zisterziensern, aufweisen, kommen in der ganzen Anlage zum Ausdruck ... Die Kartause, als der neue Bautypus eines Mönchsklosters stellt sich als Spiegelbild der Lebensweise und als Ergebnis der Erfordernisse seiner Bewohner dar." <9>

Unterschiede zwischen den frühen Kartäuserklöstern und der Baukunst anderer zeitgleicher Mönchsorden, z. B. der Zisterzienser, sind unter anderem die Anlage von zwei getrennten Klöstern, wobei das "obere" mit zwei Kreuzgängen ausgestattet ist. Selbständige Häuschen am "großen Kreuzgang" dienen als Mönchszellen. Später, so auch beim Gründungsbau der Kartause Mauerbach im frühen 14. Jahrhundert, sind diese beiden getrennten Klöster bereits zu einer Einheit verschmolzen. Die wesentlichsten Elemente, zwei getrennte Kreuzgänge für Mönche und Konversen und die rigorose Beschränkung des Lebensablaufes auf die wie Eremitenzellen abgeschlossenen Häuschen für die Mönche bleiben bestehen.

Eine das gesamte Kloster betreffende Bauordnung - etwa im Sinne eines "bernhardinischen Planes" wie in der Zisterzienserarchitektur - gab es nicht, vielmehr sind einzelne Bauvorschriften in den sogenannten "Gewohnheiten" und "Statuten" festgehalten. Erstmals wurden diese vorher nur mündlich überlieferten "Gewohnheiten" ("Consuetudines Carthusiae") 1127 in 80 Kapiteln durch den 5. Prior, Guigo I. (gest. 1137), aufgezeichnet und behandeln in drei Teilen die Liturgie, die Anleitung der Mönche und der Brüder. Aufschlüsse über die Bauweise der Kartäuser sind jedoch in den Consuetudines nicht nach inhaltlichen Gesichtspunkten ausgewiesen, sondern über die 80 Kapitel verstreut. Dazu kamen bis 1509 noch drei Beschlüsse und Verordnungen (Statuta) der Generalkapitel. Vom 12. bis zum 15. Jahrhundert entstanden etwa 200 Abschriften <10>.

Ordensmitglieder werden nach Religiosen (Professen, Patres) und nach Laienbrüdern mit Gelübde (Konversen) und ohne Gelübde (Donaten) unterschieden. Sie unterliegen alle den selben Ordensregeln und dem Schweigen, das nur an Sonn- und Festtagen sowie beim wöchentlichen Spaziergang unterbrochen wird. Dieser hierarchische Aufbau drückt sich auch in einer Differenzierung der Klosteranlage aus.

Das Hauptgebäude der Klosteranlage ist die Kirche. An diese schließt der große Kreuzgang (Claustrum magnum) mit den Zellen an, kleinen Häuschen mit jeweils eigenem Garten. Hier verbringt der Mönch die meiste Zeit seines eremitischen Klosterlebens. Die Zellen der Laienbrüder liegen ähnlich aneinandergereiht an einem gemeinsamen Flur. Weitere Anlagen sind der kleine Kreuzgang (Claustrum minor), der Kapitelsaal, das Refektorium und die Bibliothek.

Die Möchszellen am großen Kreuzgang sind ein Charakteristikum der Kartäuserarchitektur und werden in ihrer Funktion mehrfach in den Consuetudines erwähnt. Nur sie ermöglichen die Verwirklichung der völligen Abschirmung im Sinne eines Eremitenlebens. Die Eigenheit der baulichen Absonderung der Mönchszellen - im Gegensatz zu den Gemeinschaftsräumen anderer Orden - wurde mehrfach von den Zeitgenossen der frühen Kartäuser betont, so etwa von dem berühmten Abt Wilhelm des Benediktinerklosters Saint-Thierry in Reims und späteren Zisterziensers, der Mitte des 12. Jahrhunderts sogar vorschlug, die Zisterzienserklöster ebenfalls mit solchen kleinen Häuschen für die Mönche auszustatten.

Eine weitere Eigenheit der frühen Kartäuserklöster ist die völlige örtliche Trennung von Professkloster, das in den Consuetudines als "oberes Haus" bezeichnet wird, und dem Kloster der Laienbrüder, das "unteres Haus" bzw. "domus inferior" genannt wird. Die räumliche Trennung konnte mehrere Kilometer betragen, sodaß eine Siedlung dazwischenlag. Dem oberen Haus stand der Prior vor, dem unteren der Prokurator, der unter anderem die Gäste des Klosters aufnimmt.

Beide Klosterkomplexe besaßen zwar eine eigene Kirche, da sich aber die Laienbrüder an Sonn- und hohen Festtagen im oberen Haus versammelten und dort die Nacht verbrachten, mußte für diese ein Dormitorium, wie es auch bei anderen Ordensgemeinschaften üblich war, zur Verfügung stehen. Desgleichen war ein Refektorium mit daran anschließender Küche für das gemeinsame Mahl an diesen Tagen notwendig. Diese Räumlichkeiten lagen mit dem Kapitelsaal um den kleinen Kreuzgang. Im unteren Kloster hingegen fehlten diese Gemeinschaftsräume mit Ausnahme der Küche, da die Laienbrüder wegen ihres Arbeitsablaufes nicht selbst ihre Nahrung zubereiteten.

Da die Kirchen der Kartäuser ausschließlich den Professen und Laienbrüdern als Orte der Versammlung für den Gottesdienst und das Chorgebet dienten, konnten die Kartäuser als erster Mönchsorden auf mehrschiffige Kirchenanlagen verzichten. Entsprechend der Hierarchie dieser Ordensfamilie reihten sich die einzelnen Kirchenabschnitte entlang der Kirchenachse aneinander. An erster Stelle befand sich der Altarraum, dann folgte der Priesterchor. Der anschließende Abschnitt für die Laienbrüder wurde durch einen Lettner optisch wie baulich vom Chor der Priestermönche getrennt. In schlichterer Form konnte die hierarchische Zäsur durch eine Chorschranke zum Ausdruck gebracht werden.

Die hierarchisch-additive Raumordnung fand ihren Niederschlag auch in getrennt angeordneten Zugängen - ein Portal führte in den Priesterchor, eines in unmittelbarer Nähe des Lettners vom kleinen Kreuzgang in den Konversenchor. Die einzige direkte Verbindung zwischen Priester- und Konversenchor bildete ein Portal in der Rückwand des Lettners.

In beiden Kirchenabschnitten fand das Chorgestühl entlang der Seitenwände Aufstellung, wobei im Priesterchor beiderseits mindestens 10 Stallen angeordnet waren <11>. Dieses Chorgestühl bewirkte möglicherweise, daß in den Kartäuserkirchen Gewölbedienste nicht bis an den Boden herabgeführt, sondern über Konsolen abgefangen wurden - vergleichbar den abgekragten Wandvorlagen in den mittelalterlichen Zisterzienserkirchen.

Zwei weitere bauliche Merkmale sind den Kartäuserkirchen gemeinsam. Wegen des Verbots, die Kirchen mit Türmen auszustatten, gelangten nur Dachreiter - turricula super ecclesiam - zur Ausführung. Dieses Turmverbot ist als eine der wenigen konkreten Bauanweisungen in den "Gewohnheiten" verankert. Des weiteren ist der Altarraum gegenüber dem Chor der Priestermönche nicht eingezogen, woraus letztlich die relativ langgestreckte und einheitliche Außenerscheinung der Kartäuserkirchen resultiert.

Die Kartäuserkirchen dürften zunächst nur mit einem Altar im Sanktuarium ausgestattet gewesen sein, 1250 gestattete das Generalkapitel die Errichtung eines "altare minus" und 1276 die Aufstellung zweier weiterer Altäre unter dem Lettner im Konversenchor <12>. Zu den liturgischen Erfordernissen in den mittelalterlichen Kartäuserkirchen gehören weiters im Chorraum rechts vom Hochaltar (auf der Epistelseite) eine Nische mit Becken für die liturgische Handwaschung (Piscina) und Sitznischen (Sedilien) für die Zelebranten.

Neben diesen allgemeinen Merkmalen der mittelalterlichen Kartäuserkirchen, die nicht immer erst eine Schöpfung dieses Ordens waren, wird in der Forschung auf die individuellen Abweichungen - besser ausgedrückt, auf die Anpassung an örtliche Gegebenheiten und Baugepflogenheiten - in der Baukunst der Kartäuser hingewiesen. So sind etwa die Ansichten über den baulichen Einfluß der Ordensfiliation auf eine neue Niederlassung kontroversiell <13>.

Nach Mühlberg <14> besteht zum Beispiel keine nähere bauliche Übereinstimmung zwischen dem ehemals untersteirischen Kartäuserkloster in Seiz (slow. Zicka kartuzija) und seiner Tochtergründung Mauerbach. Auch über die Herkunft der ausführenden Bauleute herrscht Unklarheit. Mühlberg <15> stellt ordenseigene, zentralistisch organisierte Bautrupps in Abrede und denkt an ortsansässige und "innigst mit bodenständigem Stilverständnis und landschaftlicher Überlieferung" vertraute Baukräfte.

Für Zadnikar lag die Hauptaufgabe des Rektors einer Kartause als "prefectus operum" in der Vertretung der Ordensinteressen bezüglich Lage, Grundriß, Funktionalität und anderem gegenüber dem Stifter; eine "Bauschule" ist dabei nicht festzustellen <16>. Aus diesen Gründen können Aussagen, die über den spärlich überlieferten mittelalterlichen Restbestand von Kirche und Kartause in Mauerbach hinausgehen, nur hypothetischen Charakter haben.


Inhalt | Der Kirchenbau des 14. Jahrhunderts