R. Koch, Die mittelalterlichen und vorbarocken Klosteranlagen von Mauerbach aus bauhistorischer Sicht


Der Kirchenbau des 14. Jahrhunderts

Der mittelalterliche Kirchenbau von Mauerbach ist nicht wie zumeist üblich nach Osten ausgerichtet, sondern entwickelt sich in Nord-Süd-Richtung. Die Abweichung von der Ostung ist wahrscheinlich geländebedingt, ähnlich wie bei der Kartause Aggsbach oder bei der ehemaligen Zisterzienserkirche in Baumgartenberg (OÖ). Eine Abhängigkeit von hydrographischen Gegebenheiten wäre denkbar, da die Wasserführung in der kartäusischen Klosterarchitektur eine gewisse Bedeutung besitzt.

Von der ersten Kirche des 14. Jahrhunderts - es wurden archäologisch keine Hinweise auf einen Vorgängerbau gefunden - haben sich die südliche Fassadenwand und die östliche Langhausmauer bis in eine Höhe von durchschnittlich 3 m erhalten. Diese beiden gotischen Mauerzüge wurden beim barocken Neubau beibehalten, sodaß die Orientierung der mittelalterlichen Kirchenachse mitbestimmend für das Konzept des barocken Gesamtplans war.

Mauerbach, schematischer Baualterplan Die 1316 geweihte Kirche war ein strebepfeilerloser einschiffiger Saalraum mit 3/8-Schluß. Seine lichten Innenmaße betrugen 37,9 m Länge einschließlich des Chorpolygons bei einer Breite von 7,5 m im Altarraum und Priesterchor. Während die barocke Nachfolgerkirche durch den großen Kreuzgang in nahezu zwei gleich große Räume - den Priester- und den Konversenchor - getrennt wird, waren Altarraum und Priesterchor im mittelalterlichen Bau um rund 9 m länger als der Konversenchor, woraus sich eine lichte Längenproportion von annähernd 3 : 2 ergibt.

Über den Aufriß des Innenraumes geben nur wenige Gliederungselemente an der östlichen Innenwand Auskunft. Das Chorpolygon wurde beim Erweiterungsbau des barocken Chores unter Prior Georg Fasel (ab 1616) geschleift. Da sich in den Fundamenten keine Hinweise auf Dienste für die sicher vorhandene Chorwölbung fanden, werden diese als Konsol- oder Stutzdienste ausgeführt gewesen sein. Rund 5 m von der Abrißstelle des gotischen Chorpolygons steht der Rest einer relativ mächtigen Wandvorlage.

Ein Pendant zu der östlichen Wandvorlage konnte durch die archäologische Untersuchung gesichert werden, allerdings weicht die Bauweise der westlichen Vorlage im Fundament- bzw. Sockelbereich ab, sodaß von seiten der Archäologie eine nachträgliche Entstehung im späten Mittelalter angenommen wird <17>. Es kann sich jedoch aus bauanalytisch- kunstgeschichtlichen Gründen höchstens um eine Sanierungsmaßnahme nach dem Erdbeben von Neulengbach (1590) handeln, bei dem das Chorpolygon auch Strebepfeiler erhielt, da die aus der ersten Bauzeit stammende östliche Wandvorlage ein gliederndes Gegenstück erfordert.

Kirchenuntergeschoß, Reste der Piscinarahmung Das Vorlagenpaar markiert offensichtlich das Ende des Chorraums, zu dem der mittelalterliche Altarsockel unmittelbar vor dem Beginn des Polygons zuzurechnen ist. Es trug daher einen Triumphbogen, auf dem seinerseits der Dachreiter aufsitzen konnte. In der Ostwand des Chores blieben außerdem die beiden unterschiedlich großen und maßwerkgezierten Spitzbögen der Piscina und einer Beistellnische sichtbar.
Kirchenuntergeschoß, Piscina, Beistellnische und ehem. Sitznische Nahezu mittig öffnet sich in der Chor-Ostwand heute eine mit gotischen Profilen eingerahmte tiefe Nische, die im Barock zu einem Fenster in den Treppenhof geöffnet und später bis auf Lüftungsschlitze wieder abgemauert wurde.

Der Befund ist teilweise durch die nachfolgenden Umbauten verunklärt, doch dürfte es sich nicht um einen Durchgang zu dem kapellenartig an den kleinen Kreuzgang bzw. an den Chor angebauten Raum handeln. Es käme dabei zu unorganischen Überschneidungen mit dem Kapellenpolygon und, was noch viel mehr gegen eine Portalsituation spricht, es hätte zwischen Chor und "Kapellenraum" ein erheblicher Niveauunterschied durch Stufen überwunden werden müssen, worauf bereits seitens der Archäologen hingewiesen wurde <18>. Man wird hier eine Wandnische annehmen dürfen. Diese stand anscheinend nicht mit dem noch zu besprechenden "Kapellenanbau", vermutlich dem Kapitelsaal, in Verbindung.

Problematischer zu beantworten ist die Frage nach dem ursprünglichen Zugang in den Priesterchor. Eine Portalöffnung konnte im Fundament der Westmauer unmittelbar nach dem Vorlagenfundament des Chorbogens im Priesterchor festgestellt werden. Davor befand sich großteils innerhalb der Mauerstärke ein nach rechts gewendelter Treppenaufgang <19>. Der Außenbereich vor diesem Portal und der Wendeltreppe ist leider durch den Einbau der barocken Sakristei und einem später an diese und die neue Kirchen-Westmauer angestellten Treppenaufgang in den Südarm des großen Kreuzganges gestört bzw. konnte noch nicht eingehend untersucht werden. Der bauliche Verband der Wendeltreppe mit der Westwand und die Dimensionierung der Stufen spricht für eine Zuordnung zum Erstbau des 14. Jahrhunderts. Ein Umbau der Portalsituation anläßlich der Restaurierungen des gesamten Chorbereiches nach 1590 ist jedoch denkbar.

Das Portal bildet somit den einzigen gesicherten Zugang in unmittelbarer Nähe des Altarraumes, da die gegenüberliegende Nische als Durchgang vom Kapitelsaal in den Altarraum ausscheidet. Die in ein nicht mehr erfaßbares Obergeschoß führende Wendeltreppe gehört daher zu einem westlichen Annexbau des Chorbereiches. Damit ist eine für die mittelalterliche Architektur der Kartäuser typische Situation gegeben: Beiderseits des Altarraumes befinden sich zweigeschossige Flankenbauten, die oft den gleichen Grundrißtypus aufweisen. Im Erdgeschoß liegen die Sakristei bzw. der Kapitelsaal, darüber - mit Wendeltreppen erschlossen - das Archiv bzw. die für die Kartäuser besonders wichtige Bibliothek. Lediglich die Sakristei hat einen direkten Zugang zur Kirche, während der Kapitelsaal auf der Seite des kleinen Kreuzganges liegt und von diesem aus erschlossen wird. Es ist für die konservative Haltung der Kartäuser in Mauerbach geradezu symptomatisch, daß sie beim frühbarocken Neubau und der damit verbundenen rigorosen Neuplanung nicht nur Teile des mittelalterlichen Gründungsbaus beibehielten, sondern darüber hinaus die Anordnung von Sakristei und Kapitelsaal.

Der Kapitelsaal hatte Außenmaße von rund 11 m Länge mal 7 m Breite und schloß in drei Seiten eines Achtecks, wobei die Polygonseite an der Chor-Ostwand bis auf einen kleinen Mauerzug reduziert war. Die Anschlußsituation an den Chor ist durch spätere Vormauerungen etwas verunklärt, der Kapitelsaal wird jedoch auch von den Archäologen als zum Erstbau gehörig angenommen (Kreitner). Das Südportal ist etwas aus der Achse gegen die Kirche verschoben. Von hier aus zweigte ein kurzer nischenartiger Raum ab, dessen Funktion durch die späteren Abtragungen und Überbauungen stark verunklärt ist. Unmittelbar im Anschluß daran konnte in der Kirchen-Ostmauer eine weitere Wendeltreppe zu einem Obergeschoß des Kapitelsaals festgestellt werden, die beim frühbarocken Neubau - wohl aus statischen Gründen - zur Gänze mit relativ dünnflüssiger Mauerspeise "ausgegossen" wurde. Auch diese Wendeltreppe ist wie ihr Pendant in der Westmauer offensichtlich gleichzeitig mit der gotischen Kirchenmauer hochgezogen worden. Die Erschließung der Wendeltreppe kann nur von Osten aus erfolgt sein, woraus zu schließen ist, daß der nischenartige Raum neben dem Portal des Kapitelsaales als Zugangsraum für die Treppe diente.

Zwei weitere Portale konnten am Südende des Priesterchores lokalisiert werden. In situ in den wesentlichsten Teilen erhalten ist das Ostportal vom kleinen Kreuzgang in die Kirche. Die tiefe Portalnische zeigt einen flachen Segmentbogen und gekehlte Kanten in der sorgfältig ausgeführten Hausteinrahmung. Das spitzbogige Portalgewände schließt mit der Kreuzgangmauer bündig ab.

Dem Ostportal genau gegenüber lag ein Südportal, von dem noch die Schwellensituation erfaßt werden konnte. Beide Portale bildeten somit eine Durchgangsachse quer zum Priesterchor. Die Funktion bzw. die für Kartäuserkirchen ungewöhnliche Durchgangssituation kann derzeit nicht ausreichend beurteilt werden, da eine Gesamtuntersuchung in dem hier westlich anschließenden, später "Totenhof" genannten Areal aussteht. Archäologische Vor- bzw. Teiluntersuchungen scheinen darauf hinzudeuten, daß die mittelalterliche Verbauung, von der sich noch heute ein Südtrakt zwischen Kirche und barocker Bibliothek erstreckt, möglicherweise einen hofartigen Bereich umfaßte.

Eine weitere Deutungsmöglichkeit der doppelten Portalsituation wäre bei einem sogenannten Kreuzganglettner, der für die Kartäuserarchitektur als typisch angesehen wird, gegeben. F. Mühlberg hat dazu einen Rekonstruktionsvorschlag gebracht, der folgende Merkmale umfaßt: Priesterchor und Konversenchor werden durch den weitgehend tunnelartig geschlossenen und quer durch die Kirche verlaufenden großen Kreuzgang getrennt. In der Kirchenachse öffen sich zwei schmale Portale in die beiden hierarchisch separierten Kirchenabschnitte. Gegen den Konversenchor ist dem Kreuzgangarm eine Arkatur vorgestellt, welche die gemeinsame Emporenplattform trägt <20>.

Diese Lettnerbühne wurde über eine Wendeltreppe erschlossen. F. Mühlberg und mit ihm alle späteren Autoren <21> haben aus der frühbarocken Anlage des Kreuzganglettners in Mauerbach durch Rückschluß auf einen vermeintlichen Vorgängerbau angenommen, daß sich in Mauerbach einer der frühesten kartäusischen Kreuzganglettner im deutschen Kulturraum erhalten hätte. Seit den Flächengrabungen in der barocken Unterkirche muß diese Hypothese als widerlegt angesehen werden.

Weder im Bereich des frühbarocken Kreuzganglettners noch bei den mittelalterlichen Portalen konnten Reste eines Lettnerfundamentes festgestellt werden. Das ursprüngliche Lettnerfundament hatte eine Breite von rund 3 m und befindet sich 3 m vor der Südwand des frühbarocken Kreuzganglettners. Auch zu den beiden Portalen in den gotischen Priesterchor besteht keine Beziehung. In der Ostwand haben sich zwei reich profilierte Vorlagenfragmente erhalten, die bisher nicht richtig gedeutet werden konnten.

Erst durch die archäologische Feststellung des Lettnerfundamentes gelingt die Interpretation. Der gotische Lettner hatte eine ungefähr 30 cm starke Rückwand. Davor lag die ein Joch tiefe Arkadenstellung der Lettnerbühne. Während die dreieckige nördliche Wandvorlage als Eckgliederung zwischen Lettner-Rückwand und Kirchen-Ostwand situiert war, trug die südliche Wandvorlage den Arkadenbogen. Aus der unterschiedlichen Funktion als Eck- und Flankenvorlage ergibt sich zwangsläufig der bisher nicht beachtete Unterschied im Querschnitt. In der Ostwand zwischen den beiden Gliederungsresten hat sich außerdem die Beistellnische für einen unter der Arkade zu rekonstruierenden Seitenaltar erhalten.

Die gotische Kirche hatte somit keinen Kreuzganglettner, sondern einen auch in anderen Kloster-, Bischofs- oder großen Pfarrkirchen üblichen Hallenlettner mit geschlossener Rückwand <22>. Er besaß wahrscheinlich zwei beiderseits des Mittelportals in den Ecken aufgestellte Altäre.

Der Konversenchor setzt unmittelbar an den Ecken des Lettners an, wobei die Wände an den Innenseiten um 30 cm zurückversetzt wurden. Ein von den Archäologen geöffnetes Befundfenster neben der Lettner-Eckvorlage belegt, daß die gotischen Wände hinter der barocken Vormauerung eine vegetabile (?) Bemalung aufwiesen <23>. Eine in situ erhalten gebliebene rechteckige Wandvorlage, deren Pendant an der Westwand durch Grabung gesichert ist, teilte den Konversenchor in zwei querrechteckige Joche, wobei das nördliche vor dem Lettner um die Breite der Wandvorlage verkürzt war. An der südlichen Fassadenwand sind zwei abgeschlagene Spitzkonsolen zu erkennen, die einst die Gewölbeanfänger einer mindestens dreiachsigen Empore bildeten.

Der eigenartige Rücksprung bzw. die Verschmälerung der Mauerstärke um nahezu ein Drittel im Konversenchor ist beispiellos. Soweit an den Fundamenten und in der Mauerstruktur zu erkennen ist, besteht hier keinerlei Bauzäsur, welche auf eine Mehrphasigkeit schließen ließe. Altarraum, Priester- und Konversenchor wurden gleichzeitig errichtet, während der Lettner mit seinen dünngliederigen und reichen Profilierungen eher an einen nachträglichen Einbau im späteren 15. Jahrhundert denken läßt. Möglicherweise ist die Differenzierung der Wandstruktur zwischen Priester- und Konversenchor Ausdruck eines hierarchischen Ordnungsprinzips, das in der asketischen Wandhaftigkeit bei den Mönchen und einer reicheren Gliederung bei den Konversen zum Ausdruck kommt.

Der Konversenchor wurde durch ein Ostportal erschlossen, dessen Segmentbogen aus Haustein noch in situ unter der barocken Vormauerung erhalten blieb, während die Gewände jüngst bei Bauarbeiten einer Vergrößerung zum Opfer fielen. Es lag bereits außerhalb des kleinen Kreuzgangs <24>.

Kirchenuntergeschoß, vermauertes Kirchenportal und Emporenkonsole

Kirchenuntergeschoß, Fassadenwand mit Emporenkonsole und Portalkante

In der südlichen gotischen Fassadenwand, welche heute an der Außenseite zur Gänze unter der barocken Fassadenverblendung verborgen liegt, befand sich ein achsiales Portal, wie an den Baunähten zwischen den gotischen Gewändekanten und der barocken Vermauerung vom Kircheninneren aus abzulesen ist. Hier befand sich auch die bereits besprochene gotische Empore.

Faßt man die bisherigen Ergebnisse zusammen, so ist die Kirche des 14. Jahrhunderts als langgestreckter, einschiffiger und strebepfeilerloser Bau mit Polygonchor zu rekonstruieren. Die gliedernden Elemente im Inneren beschränkten sich auf einen Triumphbogen über Wandvorlagen zwischen Altarraum und Priesterchor und auf einfache Rechteckvorlagen im Konversenchor. Priesterchor und Konversenchor waren annähernd gleich lang und wurden durch einen schlichten Hallenlettner mit Mitteldurchgang getrennt. Neben der Kirchenhauptachse bestand im rückwärtigen Drittel des Priesterchores eine quergelagerte Durchgangsachse, die vom kleinen Kreuzgang in den hofartigen Bereich westlich der Kirche führte.


Inhalt | Die mittelalterlichen Klostertrakte östlich der Kirche