JUDO

Vor Beginn seiner ersten internationalen Judo Sommerschule vom 7-12. August 1932 Setzte sich Alfred Rhode mit dem Gründer des Kodokans In Tokio, Herrn Professor Jigoro Kano, in Verbindung. Erteilte ihm mit, daß er beabsichtige die Technik des europäischen Judo durch die Schaffung dieser jährlich im Sommer abgehaltenen Lehrgänge zu fördern, zu denen er auch japanische Lehrer wie Koizumi, Tani, lshiguro, Dr. Kitabatake, Otani, Dr. Kitayama und Hano Rhi einzuladen gedenke.

Erbat ihn, seine Grundsätze und Gedanken überjudo schriftlich darzulegen, um in diesem Sinne die Lehrgänge durchzuführen. Herr Professor Kano sandte ihm daraufhin den nach­folgenden Beitrag, der die Grundzüge des Judo so anschaulich darstellt, daß man sie gut und gerne als einen philosophischen Lebensleitfaden bezeichnen kann.

,,DER BEITRAG DES JUDO ZUR ERZIEHUNG"

Von Exzellenz Professor Jigoro Kano

(Mitglied des japanischen Oberhauses, Präsident und Gründer des Kodokans, Ehrenprä­sident und Gründer der Japanischen Athleten-Association und Präsident des Nationalen Olympischen Komitees von Japan.)

Der Zweck dieser Zeilen ist, Ihnen in den Hauptzügen zu erklären, was Judo ist. In unserer Ritterzeit gab es viele militärische Übungen wie FechtenBogenschießen, Speerwerfen usw,. Unter diesen wird eine Jiu-Jitsu genannt, eine zusammengestzte Übung, hauptsächlich be­stehend aus den Arten des Kampfes ohne Waffen, wobei gelegentlich aber auch Dolche, Schwerter und andere Waffen benutzt wurden. Die Arten des Angriffs waren meist Werfen, Schlagen, Würgen, Stoßen oder Treten des Gegners, den Gegner niederhalten, Arme oder Beine des Gegners biegen oder verdrehen, um Schmerzen oder Bruch zu verursachen. Der Gebrauch von Schwertern und Dolchen wurde auch gelehrt.Wir hatten, auch zahlreiche Wege, uns gegen solche Angriffe zu wehren. Diese Übungen in einfachster Form bestanden sogar in un­serem mythologischen Zeitalter. Aber die systematische Unterwei­sung, als eine Kunst, reicht erst ungefähr 350 Jahre zurück.

In meiner Jugend studierte ich diese Kunst bei drei hervorragenden Meistern dieser Zeit. Der größte Nutzen stammte von diesem Studium, es lehrte mich mit dem Gegenstand ernsthafter umzugehen und 1882 eröffnete ich eine eigene Schule, die ich Kodokan nannte. Kodokan bedeutet ,,Schule zum Studium des Wegs". Die wirkliche Bedeutung des ,,Wegs" ist der Begriff des Lebens. Ich nannte den Gegenstand, den ich lehrte ,,Judo" statt ,,Jiu-Jitsu". Zuerst will ich Ihnen die Bedeu­tung dieser Worte erklären. ,,Jiu" bedeutet sanft oder nachgeben, ,,Jit­su" Kunst oder Kunstgriff; und ,,do" Weg oder Grundsatz; so bedeutet ,,Jiu-Jitsu", eine Kunst erst nachzugeben um schließlich den Sieg zu erringen; während Judo bedeutet den Weg oder Grundsatz desselben

Lassen Sie mich nun erklären, was mit dieser Sanftheit oder dem Nachgeben wirklich gemeint ist. Nehmen wir an, wir messen die Stär­ke eines Mannes mit Einheiten von eins. Zum Beispiel die Stärke eines vor mir stehenden Mannes wird von 10 Einheiten dargestellt, während meine Stärke, die geringer ist, nur 7 Einheiten darstellt. Wenn er mich nun mit seiner ganzen Kraft stößt, werde ich natürlich zurückgestoßen oder hingeworfen, auch wenn ich meine ganze Kraft gegen ihn nutze. Dies würde geschehen, obgleich ich meine ganze Kraft gegen ihn wenden würde,Kraft gegen Kraft gemessen. Aber, wenn ich anstatt mich ihm entgegenzustellen, nachgebe und meinen Körper gerade soviel zurückziehe, wie er mich gestoßen hat und dabei das Gleichge­wicht halte, dann würde er sich natürlich vorwärtsneigen und dabei sein Gleichgewicht verlieren.

In dieser neuen Stellung, wird er so schwach (nicht in wirklicher physi­scher Stärke, sondern angesichts seiner ungeschickten Stellung>, daß seine Stärke in diesem Augenblick nur 3 Einheiten darstellt statt seiner normalen 10 Einheiten. Währenddessen erlange ich, immer Gleichgewicht haltend, meine volle Kraft wieder, die ursprünglich 7 Einheiten darstellte. Hierdurch bin ich augenblicklich in einer günsti­gen Lage, und ich kann meinen Gegner mit nur halber Kraft schlagen, das ist die Hälfte von 7 oder 31/2 gegen 3. Dies läßt die Hälfte meiner Kraft für andere Zwecke verfügbar. Falls ich größere Kraft.als mein Ge­gner hätte, könnte ich ihn natürlich zurückstoßen. Aber auch in die­sem Falle, wenn ich ihn zurückstoßen wollte und auch die Kraft dazu hätte, würde ich, um mit meiner Energie besser Haus zu halten, zuerst nachgegeben haben                                                           

Dies ist ein einfaches Beispiel dafür, wie ein Gegner durch Nachgeben geschlagen werden kann. Andere Beispiele mögen folgen.'

Angenommen mein Gegner versucht, meinen Körper zu drehen in der Absicht mich zu Fall zu bringen. Würde ich ihm widerstehen, würde ich bestimmt zu Boden geworfen werden, weil meine Kraft nicht ausreicht, ihm Widerstand zu leisten. Aber wenn ich andererseits ihm Raum gebe, und meinen Gegner noch ziehe, kann ich ihn sehr leicht absichtlich werfen, besonders wenn ich dabei zu Boden gehe.

Ich will noch ein anderes Beispiel geben. Angenommen wir gehen ei­nen Bergpfad entlang, an einer Seite ein Abgrund und dieser Mann springt plötzlich auf mich zu und versucht, mich in den Abgrund zu stürzen. In diesem Falle könnte ich es nicht verhindern, in den Abgrund geworfen zu werden, auch wenn ich es versuchte ihm zuwider-stehen, während im Gegenteil, wenn ich ihm nachgebe, im selben Au­genblick meinen Körper wende und meinen Gegner zum Abgrund zie­he, so kann ich ihn leicht über den Rand werfen und zur selben Zeit meinen Körper auf dem Boden in Sicherheit bringen.

Ich kann noch beliebig viele Beispiele anführen, aber ich denke, die, die ich gegeben habe, genügen, damit sie verstehen, wie ich einen Geg­ner durch Nachgeben besiegen kann,-und da gibt esso viele Beispiele im Jiu~itsu-Kampf, in welchem dieser Grundsatz angewendet ist,und weswegen der Name Jiujitsu (das ist san der nachgeben> zum Namen dieser ganzen Kunst geworden ist.

Aber, genau gesprochen, das wirkliche Jiujitsu ist~etwas mehr. Die Wege, den Sieg über einen Gegner durch Jiujitsu zu erringen, sind nicht darauf beschränkt, den Sieg durch Nachgeben zu erringen. Manchmal schlagen, stoßen und würgen wir auch im körperlichen Kampf, aber im Gegensatz zum Nachgeben sind dies verschiedene Formen von positivem Angriff. Manchmal hält der Gegner das Handge­lenk fest. Wie kann man sich freimachen, ohne seine Kraft gegen des Gegners Griff anzuwenden? Dasselbe kann man sagen, wenn jemand einen Gegner vom Rücken aus angreift. Wenn also der Grundsatz des Nachgebens nicht alle Kniffe des Jiujitsu-Kampfes erklären kann, gibt es dann überhaupt einen Grundsatz, der wirklich das ganze Feld deckt? Ja, den gibt es, das ist der Grundsatz des möglichst wirksamen Gebrauchs von Geist und Körper und Jiuditsu ist nichts anderes als die Anwendung dieses alldurchd ringenden Grundsatzes anzugrei­fen und zu verteidigen.

Kann dieser Grundsatz auch auf anderen Gebieten menschlichen Wirkens angewandt werden? Ja, denselben Grundsatz kann man anwen­den zur Vervollkommnung des menschlichen Körpers, um ihn kräftig', gesund und nützlich zu machen, hiernach zu handeln bedeutet die körperliche Erziehung. Er kann auch angewandt werden zur Vervoll­kommnung der intellektuellen und moralischen Kraft und bedeutet dann die geistige und moralische Erziehung. Er kann ebenso ange­wandt werden zur Vervollkommnung von Kost, Kleidung, Wohnung, gesellschaftlichen Verkehr und Geschäftsgebaren und bedeutet Stu­dium und Übung auf den Wegen des Lebens. Ich gab diesem alles durchdringenden Grundsatz den Namen ,,Judo». So ist Judo im weiten Sinne ein Studium und eine Übungsmethode für Geist und Körper wie auch für die Vorschriften des Lebens und Geschäfts. -

Daher kann Judo, in einer von diesen Formen studiert und geübt wer­den mit Angriff und Verteidigung als Hauptziel. Bevor ich den Kodokan eröffnete, wurden diese Angriffs- und Verteidigungsformen studiert und geübt nur unter dem Namen Jiu-Jitsu, verschiedentlich auch ge­nannt Taijutsu, das bedeutet, die Kunst den Körper zu handhaben oder Yawara, die sanfte Handhabung. Aber ich kam zu der Einsicht, daß das Studium dieses alles durchdringenden Grundsatzes wichti­ger ist als das bloße Üben des Jiu-jtsu, weil das richtige Verstehen dieses Grundsatzes uns nicht nur befähigt, ihn in allen LebensIagen anzuwenden, sondern auch große Dienste leistet beim Studium der Kunst des Jiu-Jitsu selbst.

Man kann diesen Grundsatz nicht nur so erfassen, wie ich es tat. Man kann zu demselben Schluß kommen durch philosophische Betrach­tungen der täglichen Geschehnisse oder durch abstrakte philosophi­sche Ergründung. Aber als ich anfing zu lehren, hielt ich es für ratsam, demselben Verlauf zu folgen, den ich beim Studium dieser Sache nahm, denn dadurch konnte ich den Köper meiner Schüler gesund,kräftig und. nützich machen. Gleichzeitig konnte ich ihnen helfen, diesen überaus wichtigen Grundsatz zu begreifen. Aus diesem Grund begann ich die Unterweisung im Judo mit Ubungen in Randon und Kata. Randone bedeutet freie übung und wird unter den Bedingungen des wirklichen Kampfes gehandhabt. Es umfäßt Stoßen, Würgen, den Gegner niederhalten uhd Arme oder Beine biegen und verdrehen. Die zwei Kämpfenden können jeden beliebigen Kniff anwenden, jedoch. vorsichtig, um sich gegenseitig nicht zu verletzen, und müssen den-Regeln des Judo betreffend Höflichkeitsformen gehorchen.     -Kata, was wörtlich Form bedeutet, ist ein regelmäßiges System von vorbereiteten übungen, wie Stoßen, Schlagen, Werfen,- Stechen usw.' nach Regeln,  daß jeder Kämfer vorher genau weiß, was sein Gegner tun wird. Das Uben von Stoßen, Schlagen, Werfen und Stechen wird in Kata gelehrt und nicht in Randori, denn würden sie in Randori an gewandt, könnte leicht ein Unfall entstehen, während in Kata nicht-so leicht Unfälle entstehen können, weil alle Angriffe und Abwehren vorbereitet sind.  andon wird in verschiedenen Formen geübt. Ist das Ziel einfach ein Uben der Angriffs und Verteidigungsfonnen, kann die Aufmerksamkeit besonders gerichtet werden auf das Üben der wirksamsten Mittel: beim Werfen, Biegen oder Verdrehen, ohne dabei besondere Absicht auf die Entwicklung der Körper, oder die geistige und moralische kultur zulegen. Randori kann auch studiert werden mit physischer.Erziehung'als Hauptziel. Ich habe schon gesagt, alles muß mit dem Grundsatz von:größter Wirksamkeit verrichtet werden. Wir wollen nun sehen,-wie die bestehenden Systeme der körperlichen Erziehung diese Prüfung be-' stehen. Im ganzen genommen, ist Athletik wohl nicht die ideale Form der körperlichen Erziehung, denn jede Bewegung ist nicht zur allge meinen Ertüchtigung des Körpers gewählt, sondern um irgendein an deres bestimmtes Ziel zu erreichen. Und weiter, verlangen wir eine be sondere Ausrüstung und lassen eine Anzahl Personen;daran-teilhaben, so ist diese Athletik eine Übung für nur eine bestimmte Gruppe von Menschen und nicht ein Mittel, die physischen Bedingungen, ei ner ganzen Nation zu verbessern. Dies trifft zu beim Boxen, Ringen und verschiedenen Sorten militärischer Ubungen, die in der-ganzen Welt geübt werden. Dann mögen die Leute fragen: ,,Ist Gymnastik nicht eine ideale Form von nationaler körperlicher Ertüchtigung?"

Darauf antworte ich, daß es wohl eine ideale Form von körperlicher Er­ziehung ist, die es ermöglicht, den ganzen Körper zu entwickeIn~ und nicht unbedingt besondere Ausrüstung und Teilnehmerverlangt.Über bei der Gymnastik mangelt es an sehr wichtigen Dingen, die für die physische Erziehung einer ganzen Nation wesentlich sind.:

Diese Mängel sind:

1.  Verschiedene gymnastische Bewegungen haben keinen Sinn und sind natürlich ohne Interesse,

2.  Kein weiterer Nutzen wird durch das Üben gewonnen,     .

3. Erlangung von besonderer Geschicklichkeiten bei der Gymnastik nicht so sehr erreicht werden wie bei manchen anderen übungen.

Von diesem kurzen Überblick über das ganze Gebiet der körperlichen Erziehung kann ich sagen, daß bis jetzt noch keine ideale Form erfun­den ist, die die notwendigen Bedingungen dazu erfüllt.Diese ideale Form kann nur erschaffen werden durch ein Studium begründet auf größter Wirksamkeit. Um all diese Bedingungen und Forderungen zu erfüllen, muß ein System erfunden werden, das als erste Uberlegung die allgemeine Entwicklung des Körpers hat wie in dem Fall der Gymnastik. Das nächste wäre, die Bewegungen müßten einen Sinn haben, so daß sie mit Interesse ausgeführt würden. Dann wieder, die Bewegungen müssen so sein, daß sie keinen großen Raum, keine besondere Kleidung oder Ausrüstung verlangen. Weiterhin müssen sie so sein, daß sie sowohl einzeln als auch in Gruppen ausgeführt  werden können.

Dies sind die Bedingungen und Forderungen für ein befriedigendes System zur körperlichen Erziehung einer ganzen Nation. Erst ein System, das diese Anforderungen erfolgreich erfüllt, kann als Programm zur körperIichen Erziehung, begründet auf den Grundsatz größter Wirksamkeit, in Erwägung gezogen werden.

Ich habe diesen Gegenstand langeZeit studiert und habe zwei Formen gefunden, welche wohl alle diese Anforderungen erfüllen.

Eine Form nenne ich die ,,darstellende Form". Dies ist derweg, Gedan­ken, Ideen und Gemütserregung durch Bewegungen der Glieder, des Körpers und des Kopfes darzustellen. Tanzen wäre eine dieser Bei­spiele, aber Tanzen ist nicht zum Zweck körperlicher Erziehung erfun­den und darum kann man nicht sagen, daß es diese Forderungen erfüllt. Aber es ist möglich, verschiedene Arten von Tänzen zu erfinden, die für Menschen verschiedenen Geschlechts und geistiger und körperlicher Bedingungen passend, die moralische Gedanken und Gefühle ausdrücken, sodaß, verbunden mit der Ausbildung der geistigen Seite einer Nation, auch der Körper entwickelt werden kann in einer Art, die für alle geeignet ist.

Diese darstellende Form, nehme ich an, ist auf die eine oder andere Art üblich in Amerika und Europa, Sie werden wissen, was ich meine, da­rum wih ich dies nicht weiter behandeln.

Dann gibt es noch eine andere Form, die ich ,,Angriff- und Abwehr-Form" nenne. In dieser habe ich verschiedene Methoden des Angriffs und der Abwehr vereinigt, und zwar so, daß das Ergebnis zu einer har­monischen Entwicklung des ganzen Körpers führt. Die gewöhnlichen Methoden des Angriffs und der Abwehr, wie sie in Jiu~itsu gelehrt werden, kann man nicht als ideal für die Entwicklung des Körpers be­zeichnen, darum habe ich sie so vereinigt, daß sie die notwendigen Bedingungen zur harmonischen Entwicklung des Körpers erfüllen. Map kann sagen, dies erfüllt zwei Zwecke: 1. körperliche Entwicklung, 2. Ubung in der Kunst des Kampfes. Da von jeder Nation verlangt wird,daß sie für ihre nationale Verteidigung sorgt, so muß jeder Einzelne, sich selbst verteidigen können. In diesem Zeitalter derAufklärung wür­de niemand daran denken sich auf einen Angriff anderer Personen oder anderer Nationen vorzubereiten oder um anderen Gewalt anzu-, tun. Aber Verteidigung aus dem Grunde der Ge,rechtigkeit und Men­schlichkeit darf niemals von einer Nation oder einem Ein nach lässigt werden. zelwesen ver ­Diese Methode körperlicher Erziehunug in Angriffs- und Verteidigungs, formen teilte sich in zwei Arten von übungen: die eine ist eine Ubung, für einen einzelnen, die andere eine Ubung mit einem Gegner.

Durch meine Erklärungen haben Sie ohne Zweifel verstanden, was ich, meine mit körperlicher Erziehüng begründet auf dem Grundsatz von größter Wirksamkeit. Obgleich ich unbedingt verteidige, daß die kör-­perliche Erziehung einer ganzen Nation von diesem Grundsatz'geleitet werden muß, lege ich gleichzeitig keinen geringeren Nach,dru'ck auf Athletik und verschiedene kriegerische Übungen. Wenn sie auch' nicht als passend für die körperliche Ertüchtigung ,einer ganzen Nation erachtet werden können, weil sie eben nen Gruppen von Personen dienen, haben sie doch ihren besonderen: Wert und ich will niemand davon abschrecken, bes6nders nicht von,' den Randori übungen im Judo.

Ein großer Wert liegt bei Randori in der Fülle der Bewegungen, die tauglich zur körperlichen Ertüchtigung sind. Ein anderer Wert liegt darin, daß jede Bewegung einen Zweck hat und mit Uberlegung ausge­führt wird, während bei gewöhnlicher Gymnasti die Bewegüngen des Interesses entbehren. Das Ziel eines systematischen körperlichen, Trainings im Judo ist nicht nur den Körper zu entwickeln; sondern den' Mann oder die Frau in den Stand zu setzen, eine vollkommene Kontrolle über Geist und Körper zu haben und so auf jedes Ereignisvorber tet zu sein, sei es ein einfacher Zwischenfall oder ein Angriff durch an­dere           

Obgleich Übungen im Judo hauptsächlich zwischen zwei Personen' in einem extra für diesen Zweck hergerichteten Raum ausgeführt wer­den, ist dies nicht imm'er notwendig. Sie können von einer Gruppe oder von einer einzelnen Person auf dem Spielplatz oder in einem ge-," wöhnlichen Raum geübt werden. Man denkt im allgemeinen, in Randori zu fallen ist mit Schmerz und manchmal mit Gefahr verbunden. Aber eine kurze Erklärung, wie das Fallen gelehrt wird, genügt um zu, verstehen, daß es dabei keine Schmerzen oder Gefahr gibt.,

Ich will nun von der intellektuellen Seite des Judo sprechen. Geistiges Training beim Judo kann sowohl beim Kata als auch beim Randon ge­schehen, aber erfolgreicher bei dem letzteren: Da Randon ein Kampf zwischen zwei Personen ist, die alle Mittel benutzen und den vorgeschriebenen Regeln des Judo gehorchen, müssen beide Gegner äu­ßerst aufmerksam sein und sich bemühen schwache Punkte des Geg­ners zu erkennen, um anzugreifen sobald sich eine Gelegenheit bie­tet. Solch eine Gewohnheit des Geistes, Angriffsmittel zu finden, macht den Schüler ernst und aufrichtig, vorsich  und überlegend in seinem ganzen Wesen. Gleichzeitig wird man geübt in schnellem Endschluß und sofortigem Handeln, denn wenn man beim Randon sich nicht schnell entschließt und sofort handelt, verliert man die Gelegen­heit sowohl zum Angriff wie zur Verteidigung.

Dann wieder kann der Kämpfende beim Randon nicht sagen was der andere tun wird, und so muß man immer auf einen plötzlichen Angriff-des anderen vorbereitet sein. Ist man hieran gewöhnt, so entwickelt man einen hohen Grad von geistiger Gemütsruhe. Ubungen in Aüf­merksamkeit und Beobachtung in der Übungshalle entwickeln natür­lich diese Fähigkeit, die im täglichen Leben so nützlich ist.

Um Mittel zum Siege zu finden sind Übungen der Kraft der Vorstellung, der Folgerung und des Urteils unentbehrlich-und diese Fähigkeit wird beim Randon entwickelt. Andererseits ist das Studium des Randon das Studium der Beziehungen zwischen zwei kämpfenden Parteien; Hunderte von wertvollen Aufgaben stammen aus diesem Studium, aber ich will mich im Augenblick damit begnügen, Ihnen ein paar Bei­spiele zu geben. Beim Randon lehren wir den Schüler immer nach dem grundlegenden Prinzip des Judo zu handeln, ganz gleich wie kör­perlich unterlegen ihm sein Gegner erscheint und sogar wenn es klar liegt, daß er seinen Gegner leicht überwältigen kann. Wenn er gegen diesen Grundsatz handelt, wird er seinen Gegner niemals von seiner Niederlage überzeugen, welch rohe Gewalt er auch angewandt hat. Es ist unbedingt notwendig, Ihre Aufmerksamkeit auf die Tatsache zu len­ken, daß der Weg, den Gegner durch Beweise zu überzeugen nicht der ist, irgendeinen Vorteil ihm gegenüber auszunutzen, sei es den der Kraft, des Wissens oder des Reichtums, sondern ihn zu überzeugen -durch unwiderlegliche Regeln der Logik. Die Lehre, daß Überredung und nicht Zwang wirksam ist - dies ist wertvoll im praktischen Leben -lernen wir es durch Randon.

Wir lehren den Lernenden, wenn er einen Kunstgriff anwendet, um sei­nen Gegner zu überwältigen, nur soviel Kraft anzuwenden, wie unbe­dingt nötig ist fürdenfraglichen Zweck, wobei er genau abwägt, daß nicht zu viel und nicht zu wenig Kraft verwandt wird. Es gibt nicht weni­ge Fälle, in denen der Fehler gemachtwird, bei einem Unternehmen zu weit zu gehen, weil man nicht weiß, wann man aufhören muß, und umgekehrt.

Um noch ein weiteres Beispiel zu nehmen: Im Randon lehren wir den Schüler, daß er, um den Sieg über einen wild erregten Gegnerzu erringen, ihm nicht mit aller Kraft Widerstand leisten soll, sondern, daß er mit ihm spielt bis seine Wut verraucht.

Die Nützlichkeit dieser Methode für das tägliche Leben ist augenfällig. Jedermann weiß, daß keine Vernunftsgründe etwas nützen, wenn wir es mit jemandem zu tun haben, der aufs äußerste erregt ist. Alles, was man in solch einem Falle tun kann, ist abzuwarten bis seine Wut sich legt. All diese Lehren erfassen wir beim Uben des Randon. Ihre Anwen­dung im täglichen Leben ist ein interessantes Studium und ist vorallem für junge Leute   höchst wertvoll als eigene geistige Übung. Lch  will  mei­ne Ausführungen über die geistige Seite von Judo beschließen, indem ich kurz auf die vernünftigen Methoden der Ausbildung des Wissens. und der geistigen Kraft komme. Wenn wir genau die tatsächlichen ge­sellschaftlichen Verhältnisse beobachten,sehen wir überall wie wir unsere Energie töricht bei der Erlangung von Wissen verausgaben.-Unsere ganze Umgebung gibt uns fortgesetzt Möglichkeiten nützIiches Wissen zu erwerben. Aber meist versäumen wir es, diese Gele­genheiten wahrzumachen. Wählen wir wirklich unsere-Bücher, Zeit­schriften und Zeitungen gut aus? Finden wir nicht oft, -daß unsere. Energie, die für die Sammlung nützlichen Wissens hätte benutzt wer den können, oft für solches Wissen verbraucht wird, das für uns selbst und auch für die Gesellschaft schädlich ist.             

Außer der Erwerbung nützlichen Wissens, müssen wirversuchen, un­sere geistigen Kräfte zu erhöhen, z.B. Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Beobachtung, Urteil, Uberlegung, Vorstellungsgabe usw. Aber dies sollten wir nicht dem Zufall überlassen, sondern wir sollten dies in Übereinstimmung mit psychologischen Gesetzen tun, sodaß das Ver­hältnis dieser geistigen Kräfte untereinander harmonisch wird. Nur bei getreuester Befolgung des Prinzips der größten Wirksamkeit - das ist Judo -,können wir das Ziel erreichen, unserWissen und unsere geisti- -ge Kraft auf vernünftige Weise zu vermehren.

Ich will jetzt über die sittliche Seite vom Judo sprechen. Es ist nicht meine Absicht, über die moralische Erziehung zu reden, die Schülern in dem Schulraum gegeben wird, wie die Beobachtung der üblichen Höflich keitsregeln, Mut und Ausdauer, Freundlichkeit und Respektvor anderen, Gerechtigkeit und ,,fair play" welches so sehr im athletischen, Sport in der ganzen Welt betont wird. Die Ausbildung in Judo hat in Japan eine besopdere moralische Bedeutung, weil Judo mit anderen kriegerischen Ubungen von unseren Samurai, die einen hohen Ehrbegriff hatten, ausgeübt wurde, deren Geist uns durch Judo überliefe'rt -worden ist. In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen erklären, wie-. das Prinzip der größten Wirksamkeit uns dabei hilft, die moralische' Führung zu verbessern.- Mancher ist gelegentlich sehr erregbar und, geneigt sich über Kleinigkeiten zu ärgern. Aber wenn man begreift, daß. erregt zu sein, einen unnötigen Verlust an Energie bedeutet und oft ei­nem selbst oder anderen schaden kann,  wird der Schüler von Judo ein solches Verhalten vermeiden

Mancher ist gelegentlich niedergeschlagen auf Grund von- Enttäu­schungen, ist traurig und hat keine Lust zu Arbeiten. Ein solc, her fühlt, sich durch Judo veranlaßt, herauszufinden, Vvelches der beste Weg ist, den erbeschreiten kann. Solch ein niedergeschlagener Mann scheint mir in derselben Lage zu sein, wie einer der auf der Höhe des Erfolges, ist. In beiden Fällen gibt es nureinen Weg den er beschreiten kann, das ist der, den er selbst als den besten in diesem Zeitpunkt erkennt.' So kann man sagen, daß die Lehre von Judo einen aus der Tiefe der Verstimmung in ein Stadium energischer Tätigkeit mit einer frohen Hoffnung in die Zukunft führen kann. Dieselbe Übe  jung trifft aufjeman­den zu, der unzufrieden ist. Unzufriedene Leute sind oft schlechter Laune, machen andere verantwortlich, ohne sich genügend um ihren eigenen Beruf zu kümmern. Die Lehre von Judo wird solchen Leuten verständlich machen, daß ihrVerhalten gegen das Prinzip der größten Wirksamkeit verstößt und wird Ihnen klarmachen, daß sie mit der ge­treuen Befolgung dieses Prinzips sehr viel heiterer werden. So ist die Lehre von Judo auf die verschiedensten Arten für eine moralische Lebensführung von Wert.

Schließlich möchte ich noch einige Worte über die Gefühlsseite vom Judo sagen. Wir kennen alle das angenehme Gefühl, das uns unsere Muskeln durch Ubung geben, wir finden es angenehm, Forts6hritte beim Gebrauch unserer Muskeln zu machen und ebenso erfreulich ist für uns die Empfindung der Uberlegenheit über andere beim Kampf. Aber zu diesen angenehmen Empfindungen kommt noch die weitere aus den schönen Stellungen und Bewegungen, einerlei, ob man sie -selbst ausführt oder bei anderen sieht. Die ästhetische Seite vom Judo besteht eben in der Übung und Beobachtung solcher Bewegungen, die gleichzeitig Symbole verschiedener Ideen sind.

Ich nehme an, Sie sehen nun, was Judo tatsächlich bedeutet im Ge­gensatz zu Jiu~Jitsu unserer Ritterzeit.

Wenn ich nun in einer kurzen Form zusammenfasse, worüber wir ge­sprochen haben, so möchte ich es folgendermaßen resumieren:Judo ist Studium und eine Ubung von Geist und Körper, die für die Führung des Lebens und aller Angelegenheiten gilt. Aus der Übung der verschiedenen Methoden von Angriff und Verteidigung kam ich zu der Überzeugung, daß alles von der richtigen Anwendung des einen großen Prinzips abhängt: was immer das Ziel ist, es kann am besten er­reicht werden durch den höchst wirksamen Gebrauch von Geist und Körper für diesen Zweck.

Ebenso wie dieses Prinzip auf die Methoden von Angriff und Verteidigung angewendet Jiu-Jitsu bedeutet, so bedeutet dasselbe Prinzip auf körperliche, geistige und sittliche Kultur angewendet, das Wesen vom Judo.

Wenn die wirkliche Bedeutung dieses Prinzips erkannt ist, kann e's auf alle Seiten des Lebens und der Tätigkeit angewendet werden und be­fähigt uns ein würdiges und vernunftgemäßes Leben zu führen.

Das wirkliche Verständnis dieses Prinzips muß nicht unbedingt durch die Übungen in Angriff und Verteidigung erlangt werden, aber ich selbst kam zum Verständnis dieser Ideen durch die Ubung in diesen Methoden.

Dieses Prinzip der größten Wirksamkeit in seiner Anwendung auf das gesellschaftliche Leben ebenso wie in seiner Anwendung auf Geist und Körper verlangt vor allem Ordnung und Harmonie unter seinen Mitgliedern und diese kann nur durch gegenseitige Hilfe und Nach-sicht erreicht werden, die zu allgemeiner Wohlfahrt und Glück dienen. Das letzte Ziel vom Judo ist also, in den Geist eines jeden Respekt für

das Prinzip ,größten Wirksamkeit einzupflanzen und so allge.meine Wohlfahrt und Glück zu verbreiten. Betrachten wir den tatsächlichen gesellschaftlichen Zustand über die ganze Welt hin. Trotz der Tatsache, daß Ethik in allen ihren Formen (religiöser, philosophischer oder überlieferter Art) dazu da ist, das gesellschaftliche Verhalten der Men­schen zu verbessern und einen idealen Zustand herbeizuführen, so zeigen uns die Tatsachen fast das Gegenteil. Wir sehen Laster, Strei­tigkeiten und Unzufriedenheit in jeder gesellschaftlichen Klasse von der höchsten bis zur niedrigsten. Während wir eine gesunde und ordentliche Lebensführung schon in der Schule gelehrt bekommen, neigt fast jeder dazu diese Regeln zu mißachten.

Die tatsächlichen Verhältnisse beweisen, daß unserer Gesellschaft et­was fehlt, das ans Licht gebracht und allgemein anerkannt werden muß und das' die jetzige Gesellschaft neu formen könnte und der Welt größeres Glück und mehr Zufriedenheit brächte. Das ist die Lehre der größten Wirksamkeit und allgemeiner Wohlfahrt und Glück

Ich will damit nicht sagen, daß unsere alten überkommenen morali­schen und sittlichen Vorschriften weniger beobachtet werden müs­sen. Indessen man läßt diese Vorschriften ebenso-viel geachtet wie bisher aber man füge zu ihnen unser Prinzip der größten Wirksamkeit und allgemeinen Wohlfahrt hinzu. Dies sage ich mit allem Nachdruck, weil in unserem Zeitalter der Kritik und der neuen Ideen jede neue Leh­re einen unbestreitbaren Vernunftsgrund haben muß, wenn sie sich durchsetzen will. Jemand, der nachdenkt, sagt heutzutage nicht: ,,Weil ich dies oderjenes glaube, deswegen mußt Du es auch glauben" oder ,,ich kam zu diesem oder jenen Schluß durch meine eigene,Überlegung, deswegen mußt Du zu demselben Schluß kommen". Was man behauptet, muß auf Tatsachen gegründet sein oder auf einervernünfti­gen Uberlegung, die kein Gesunder verneinen oder bezweifeln kann. Sicherlich kann niemand das Prinzip verneinen: ,,Was auch das Ziel ist, es kann am besten erreicht werden durch den höchsten oderwirk­samsten Gebrauch von Geist und Körper für diesen Zweck." Ebenso kann niemand bestreiten, daß nur durch Streben nach allgemeiner Wohlfahrt und Glück jedes Mitglied der Gesellschaft von Uneinigkeit und Streit abgehalten werden kann und in Frieden und Wohlfahrt lebt. Vermutlich ist es die allgemeine Anerkennung dieser Tatsachen, daß die Menschen soviel über Wirksamkeit und wissenschaftliche Organi­sation reden. Hinzu kommt, daß das Prinzip von Leistung und Gegen­leistung immer mehr der bestimmende Faktor im Leben der Mensch­heit wird. Es ist doch wohl das Prinzip der allgemeinen Wohlfahrt und des Glücks, das so allgemein anerkannt wurde, daß man den Völker­bund gegründet hat und die Großmächte der Welt zusammenkamen, um Rüstungsbeschränkungen zu vereinbaren. Diese Tatsachen be­deuten auch eine klare Anerkennung der dringenden Notwendigkeit von Wirksamkeit und allgemeinerWohlfahrt und Glück. Solche Bestre­bungen müssen durch die Erziehung in jedem Lande gefördert werden.                                                                                 

                                                                                                 Jigoro Kano

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