Verrat - Teil 3
by Tia



 7. Hoffnung

Die Männer hatten Jessica fest im Griff, auch wenn sie um sich schlug, biss und kratzte. Sie biss durch den Stoff der Anzüge, kratzte über die Hände, die sie umfassten und schlug mit Armen und Beinen auf die steinharte Muskulatur der Bären ein. Die Männer hatten den Befehl bekommen ihr nichts zu tun, aber das liessen sie sich nicht gefallen. Der eine gab ihr eine Ohrfeige. Sie war nicht fest gewesen, doch für ein Kind wie Jessica schmerzte allein der Schock, dass sie überhaupt eine bekommen hatte. Vor Schmerz schrie sie auf und die Tränen liefen wieder in Strömen. Sie weinte und heulte, aber sie wehrte sich nicht mehr. Sie wollte nicht noch einmal geschlagen werden und loskommen würde sie ja sowieso nicht. Und wenn, wo sollte sie hin? Sie hatte keine Ahnung, wo der Ausgang bei diesem riesigen Gebäude war. Es machte also keinen Sinn sich zu wehren und dafür geschlagen zu werden. Also konnte sie es aufgeben.
Sie schluckte die Tränen wieder hinunter. Ich muss stark sein, sagte sie sich, Daddy wäre stolz auf mich. Das Nass in ihren Augen versiegte. Sie wollte nicht mehr weinen und keine kindische Sachen mehr machen. Sie musste überlegen, was gut war und was nicht, und erst dann handeln. So hatte es ihr ihr Vater beigebracht.
Die Männer brachten sie den langen Flur entlang, an Ecken und Kurven vorbei, durch ein ganzes Labyrinth, und steckten sie in das Zimmer zurück, das sie mit ihrer Mutter für die Zeit ihres unfreiwilligen Aufenthalts hier ‚bewohnten‘. Es war genauso schön und gemütlich eingerichtet wie die Zelle von Alex, nur standen vor der Tür nur zwei Wachen statt vier. Von einem kleinen Mädchen und ihrer Mutter erwartete man keine grossen Fluchtversuche. Schon gar nicht, wenn der Mann, der sie beide beschützen sollte, auf der anderen Seite des Gebäudes lag und sich kaum noch bewegen konnte.
Ihre Mutter wartete schon fast wahnsinnig vor Angst auf Jessica. Sofort schloss sie ihre Tochter weinend in die Arme und küsste sie immer wieder.
„Oh, mein Baby, geht es dir gut? Haben sie dir weh getan? Jessi, ich wünschte, sie hätten mich mitgenommen und nicht dich. Aber jetzt ist alles wieder in Ordnung, Jessi. Es wird alles wieder gut. Wir können sicher bald nach Hause gehen. Es ist bald vorbei. Ich verspreche es dir.“
Sie strich Jessica die Haare aus dem Gesicht und wischte ihr das nasse Gesicht ab. Mühsam lächelte sie und versuchte ihre eigenen Tränen aufzuhalten, um ihrer kleiner Tochter ein gutes Beispiel zu geben.
„Wie geht es Daddy?“ fragte sie nach einer Weile leise und sorgenvoll.
„Sie haben ihm weh getan“, antwortete Jessi.
Ihre Mutter sah sie mitleidig an und küsste sie auf die Stirn. Jessica umklammerte ihre Mutter und wollte sie nie wieder loslassen. Sie wusste nicht, um was es hier eigentlich ging, aber eines war ihr klar: Es würde noch mehr Menschen weh getan werden, wenn ihr Vater nicht das tat, was dieser Mann von ihm verlangte. Das war nicht sehr ermutigend, denn ihr Vater war ein Dickkopf, ein sehr harter Dickkopf. Er liess sich nicht so leicht dazu überreden, etwas zu tun, was er nicht tun wollte. Ihre Mutter sagte das oft genug, und manchmal fügte sie im gleichen Atemzug dazu, dass Jessi diesen Dickkopf von ihm geerbt habe. Manchmal half er ihr, sich bei den anderen Kindern - vor allem bei ihren Mitschülern - durchzusetzen, aber manchmal hatte sie dafür Probleme mit den Lehrern. Die schätzten es nicht besonders, wenn man ihnen dauernd widersprach. Doch ihr Vater war stolz auf sie. Er sagte, so könne sie es im Leben einmal weit bringen.
Sie wollte auch jetzt, dass ihr Daddy stolz auf sie sein konnte, wenn sie wieder zu Hause waren. Er durfte nicht glauben, sie sei ein Schwächling. Also schniefte sie ein letztes Mal und sah ihre Mutter an. Ihre Augen waren rot und verschwollen, die Schminke verschmiert, und bei ihr liefen noch immer die Tränen. Sie starrte vor sich hin die Leere und schien nichts mehr wahrzunehmen.
„Mum“, sagte Jessica leise und stiess sie leicht mit dem Arm an.
Ihre Mutter wandte ihr Augen zu und versuchte wieder zu lächeln.
„Daddy wird uns hier 'raus holen und dann können wir nach Hause gehen“, versicherte Jessica ihr bestimmt und sah sie tapfer an.
Ihre Mutter drückte sie erneut an sich und seufzte leise. „Ja, das wird er sicher, mein Schatz. Er wird uns bestimmt bald holen kommen. Es geht nicht mehr lange.“
Jessica drückte ihren Kopf an die Brust ihrer Mutter und schloss die Arme hinter ihrem Rücken. Die Wärme von ihr ging auf sie über, sie roch ihren Geruch und sie spürte das leichte Zittern ihrer Muskeln. Ihre Mutter hatte noch immer Angst, aber es würde alles wieder gut werden. Das wusste sie. Daddy würde es niemals zulassen, dass ihr und Mum etwas passierte. Niemals könnte er zuschauen, dass man ihnen auch nur ein Haar krümmte. Er liebte sie beide. Er würde bald kommen.
 
 

 8. Um die halbe Welt

„Also, wo ist Mings Hauptquartier, Alex?“ fragte Cooper. Er bewunderte die Ausdauer seines Gefangenen, aber irgendwann war es genug. Er hatte eigentlich nicht zu solch unehrenhaften Mitteln greifen wollen, doch als Alex sich nach seiner Folterung immer noch weigerte ihm zu antworten, war ihm keine andere Wahl mehr geblieben. Das eigene Kind war schon immer der Schwachpunkt der Menschen gewesen. Wenn man zuliess, dass es als Druckmittel gegen sich selbst verwendet wurde, war man selbst schuld.
Alex schluckte leicht, aber es blieb ihm keine andere Wahl, als zu antworten. Er war nicht so herzlos wie Samantha! „Es ist in Japan auf einem verlassenen Militärstützpunkt. Nördlich von Kanazawa. Der Stützpunkt war geheim, bis er aufgegeben wurde. Es gibt nur wenige Unterlagen darüber, aber Ihr Hacker findet sie sicher. Er ist nicht schwer zu finden, wenn man weiss, in welche Richtung man gehen muss.
Cooper nickte dem Mann zu und dieser gab die Informationen sofort ein. „Es dauert ein paar Minuten, aber ich denke, es stimmt. Ich habe schon einmal irgend etwas darüber gehört.“
Cooper lächelte zufrieden und stellte weitere Fragen. Alex beantwortete sie und fragte sich gleichzeitig, warum er die Folter über sich hatte ergehen lassen, wenn es jetzt so einfach ging. Cooper brauchte nur auf eine gewisse Person zu zeigen und schon war er bereit, alles zu sagen, was er wissen wollte. Warum hatte sich Cooper die Mühe gemacht, ihn zu foltern, wenn er Jessica die ganze Zeit gehabt hatte? Bei den Nachbarn war sie sicher gar nie gewesen! Wollte er ihm eine Lektion erteilen? Wollte er, dass Alex solche Furcht vor ihm hatte, dass er niemals wiederkehren würde? Oder war er ehrenhaft genug, dass er eigentlich keine kleinen Kinder in den Kampf von Erwachsenen mit einbezog? Warum hatte er es trotzdem getan? War ihm Alex zu hartnäckig gewesen? Oder wollte er ihn zuerst ein bisschen quälen, während er sich die ganze Zeit bewusst war, dass er nicht antworten würde, um erst nachher seine Waffe einzusetzen?
Der Hacker nickte nach jeder Antwort, die Alex Cooper gab, wieder ein bisschen und sein Lächeln wuchs immer mehr in die Breite. Alex vermied es ihn anzusehen. Er wollte nicht, dass er die Kontrolle über sich verlor. Dieses Grinsen war einfach mörderisch für jede angeschlagenen Nerven
„Ich habe alles, Sir. Die Daten, die ich bekommen habe, stimmen mit den Angaben von Garcia überein. Er hat die Wahrheit gesagt.“
Natürlich habe ich die Wahrheit gesagt, dachte Alex. In seiner Situation nutzte es nichts mehr zu lügen. Das war eine seiner ersten Lektion gewesen, die er gelernt hatte, als er in diesem Gewerbe anfing. Hätte er trotzdem gelogen und der Hacker hätte es bemerkt, dann konnte er sicher sein, dass Jessica etwas passierte. So etwas wollte und konnte er nicht riskieren.
Cooper nickte. „Mr. Garcia kann ganz vernünftig sein, nicht?“ sagte er mit einem Seitenblick auf Alex dem Mann, „Sorgen Sie dafür, dass alles vorbereitet wird.“
Der Hacker nickte und Cooper entfernte sich durch die bewachte Tür, nachdem er Alex lächelnd zugenickt hatte.
Nun erst sah Alex den Hacker an und war überrascht. Der Mann war zwanzig, nicht älter. Auf seinem Kinn schien gerade erst der erste Flaum gewachsen zu sein, aber seine Augen waren die eines Erwachsenen, der seine besten Tage bereits hinter sich hatte. In seinem Anzug sah er älter aus, als er in Wirklichkeit war, aber trotzdem erstaunte es Alex, dass ein so junger Mann schon bei der LOTFA mitmachte. Immerhin war es eine Entscheidung fürs Leben. Allerdings, wenn er recht betrachtete; Sam war auch schon in diesem Alter dabei gewesen und schien es nicht zu bereuen, diese Entscheidung getroffen zu haben.
Der Hacker packte seinen Laptop zusammen und ging hinaus. Er konnte hören, wie er den Wächtern ein paar Anweisungen gab und sie diese scheinbar ohne weiteres befolgten. Der Junge musste in einer höheren Position sein, als man seines Alters wegen vermuten konnte.
Alex nahm sich zusammen und setzte sich langsam auf. Er konnte nicht ewig hier liegenbleiben. Irgendwann würde der Drang zu fliehen kommen, und dann musste er laufen können.
Die Schmerzen waren nicht so schlimm, wie er geglaubt hatte, dass sie sein würden. Er zitterte, als er sein ganzes Gewicht auf seine Beine verlagerte und das Bett losliess, aber er konnte sich knapp halten.
Erst jetzt bemerkte er die Verbände, die jemand um die Arme, die Beine und um den ganzen Brustkorb gebunden hatte. Wahrlich, er konnte sich nicht über mangelnde Gastfreundschaft beklagen - solange er in diesem Zimmer war.
Gleich darauf wurde Diane wieder hineingestossen. Sie lächelte erfreut, als sie ihn ansah. „Sie sind wieder auf den Beinen, wie ich sehe. Geht’s Ihnen besser?“
Er nickte. „Mehr oder weniger.“
Sie musterte ihn kritisch und meinte nach einer Weile zweifelnd: „Sie sehen nicht so aus, als können Sie auch nur drei Schritte gehen.“
Er trug vor seinem inneren Auge drei Schritte auf dem Boden ab und musste ihr recht geben. Die Beine heben und absetzen war ein schier unmögliches Unterfangen, jedenfalls im Moment. Aber es würde bald besser werden; es musste bald besser werden.
Diane stellte ihm einen Stuhl auf die Seite und er setze sich dankbar. Seine Beine hätten ihn nicht mehr lange getragen.
Sie nahm vor ihm auf der anderen Seite des kleinen Tisches Platz und musterte ihn noch immer sehr genau. Er konnte glaubte fast spüren, wie sie seine Gedanken las.
„Sie haben ihm alles gesagt, nicht wahr?“ Das war keine Frage.
Er schaute auf die geblümte Tischdecke. Sie strahlte Freude und Heiterkeit aus, der krasse Gegensatz zu seiner jetzigen Stimmung. Gereizt antwortete er: „Was hätte ich denn sonst tun sollen? Zulassen, dass er meine Tochter schlägt?“
Sie lächelte und hob abwehrend die Hände. „Ich habe nicht gesagt, dass Sie es nicht hätten tun sollen. Vermutlich hätte ich sogar gleich gehandelt, wenn ich ein Kind hätte.“
Er nickte beruhigt. Sein Zorn verrauchte wieder ein wenig. Es war nicht ihre Schuld, dass das geschehen war, was geschehen war, also durfte er seinen Zorn auch nicht an ihr auslassen. Das hatte sie nicht verdient. Trotzdem wandte er ihr noch immer nicht die Augen zu.
„Cooper wird den Stützpunkt in Japan sofort räumen und durchsuchen lassen. Und alles, was ihm von Wert ist, mitnehmen, auch Menschen. Wahrscheinlich vor allem Menschen.“
Er musterte sie fast misstrauisch, fragte aber nicht, woher sie wusste, dass der Stützpunkt in Japan lag. Sie konnte es ja in seinen Gedanken gelesen haben.
„Und was macht er mit Jessi?“ fragte er. Eigentlich war es ihm jetzt egal, was mit dem Stützpunkt und den anderen Sachen geschah. Er hatte einmal jemanden verraten; er konnte denselben Mann nicht zweimal verraten. Es interessierte ihn jetzt nur noch, was mit Jessi geschehen sollte.
Diane zuckte mit den Schultern. „Vielleicht lässt er sie frei, oder er schickt sie zu ihrer Mutter. Wahrscheinlich wird Sam so tun, als wäre nichts geschehen und sie gehen nach Hause. Wenn Sie dann nicht kommen, wird sie sagen, dass der Mann, den Jessi gesehen hat, Sie umgebracht hat. Eine ganz einfache und glaubwürdige Geschichte. Keine grosse Sache.“
Er sah sie kurz an. „Cooper wird mich also umbringen“, stellte er fest.
Sie nickte und zuckte gleichzeitig mit den Schultern. „Ausser, Sie fliehen vorher.“
Er hob die Brauen. „Sie haben doch gesagt, dass man hier nicht fliehen kann.“
Sie lächelte und korrigierte ihn sanft: „Ich habe gesagt, ich kann Ihnen nicht helfen zu fliehen. Alleine könnten Sie es vielleicht schaffen. Allerdings, wenn ich Ihren physischen Zustand betrachte, dann...“
Er winkte ab, weil er wusste, was sie sagen wollte. Er war zu schwach, um auch nur an Flucht zu denken, geschweige denn, sie ernsthaft durchführen zu wollen.
„Wenn ich ausgeruht wäre, würde ich es dann schaffen?“ fragte er.
Sie zuckte mit den Schultern. „Wenn Sie so schlau sind, wie man von Ihnen behauptet, dann könnten Sie es tatsächlich schaffen. Aber es würde sicher nicht einfach werden.“
Er nickte nachdenklich. Er musste also sich selbst übertreffen und noch schlauer als sonst sein, da er wirklich nicht gerade in Topform war. Ausserdem musste er noch zwei weitere Faktoren berücksichtigen: Er musste Diane mitnehmen - irgendwie fühlte er sich verpflichtet dazu - und er musste Jessica befreien. Er konnte sie nicht einfach Sam überlassen. Sie wusste ja noch nicht einmal, wer ihre Mutter in Wirklichkeit war.
Die Tür ging erneut auf und ein Mann kam herein, den Alex vorher noch nie gesehen hatte. Er sah nicht aus wie ein führendes Mitglied der Organisation und das war er tatsächlich auch nicht.
„Mr. Cooper sagte, dass ich Ihnen das hier bringen soll.“ Er deutete auf ein Bündel Kleider, das er unter den Armen trug. „Ausserdem lässt er Ihnen Grüsse ausrichten. Die Entscheidung, was er mit Ihnen macht, ist bald gefällt und wird Ihnen mitgeteilt werden.“
Er lächelte dankend. Die falsche Höflichkeit war nicht gerade sein Stil, aber wenn Cooper spielen wollte, dann sollte er spielen. „Richten Sie Cooper meinen Dank für seine Grosszügigkeit aus.“
Der Mann nickte. „Ich werde es Mister Cooper ausrichten.“ Er betonte das ‚Mister‘ sehr, um klar zu machen, dass Cooper auch für Alex der Chef war. Sein Schicksal lag in seinen Händen. Damit ging er wieder hinaus.
Diane ging zu den Kleidern und tastete sie ab.
„Was machen Sie da?“ fragte Alex.
Sie sah kurz in seine Richtung. „Ich kenne die Methoden der LOTFA. Vielleicht haben sie einen Sender in den Kleidern versteckt, falls Sie fliehen sollten. Heutzutage kann man diese verdammten kleinen Dinger kaum noch spüren.“
Er musterte sie neugierig. Ein Sender in den Kleidern? Davon hatte er noch nie gehört, konnte aber durchaus glauben, dass es das gab. Das war ziemlich praktisch. Wer dachte schon daran, dass die Kleider der Spion waren? Allerdings, für was brauchte es einen Sender in seinen Kleidern, wenn man ihn sowieso umbrachte und die Chance auf eine Flucht so verdammt klein war, dass nicht einmal er daran glaubte, etwas erreichen zu können? Wo er doch sonst immer auch die kleinste Möglichkeit sah?
Diane fand nichts, das sie beunruhigte, und setzte sich wieder auf den Stuhl zurück. „In ein paar Minuten wird Cooper wahrscheinlich wiederkommen, um Sie zu holen. Er fliegt mit Ihnen nach Japan, damit Sie ihm den genauen Weg und alle geheimen Eingänge zeigen können.“
Er runzelte verwirrt die Stirn. Ihre Ausdrucksweise gefiel ihm nicht. Zuerst sagte sie, er wird wahrscheinlich kommen, und dann fügt sie hinzu, dass Cooper ganz bestimmt mit ihm nach Japan flog.
„Ich war noch nie dort. Ich kenne keine geheimen Eingänge“, sagte er.
Sie zuckte bedauernd lächelnd mit den Schultern. „Das weiss Cooper aber nicht.“
Er lehnte sich zurück. Vielleicht sollte er Cooper freiwillig noch ein paar Sachen sagen, damit es nicht zu allzu grossen Missverständnissen kam. Doch von wo wusste sie, was Cooper wusste und was nicht?
„Er wird Sie als Geisel gegen Ming benutzen. Obwohl ich eigentlich nicht glaube, dass Ming sich dadurch beeindrucken lassen wird.“
Er sah sie wieder an. Jetzt wird er mich wieder bestimmt als Geisel benutzen, ging ihm durch den Kopf. Irgendwie gefiel ihm das mit Diane immer weniger. Sie sagte einfach zuviel, was nicht ganz zusammenpasste.
„Sie kennen Ming persönlich?“ fragte er.
Sie zögerte einen Moment, bevor sie sagte: „Ich war, wie gesagt, eine Art letzte Hilfe für die LOTFA. Manchmal wurde ich auch eingesetzt um zu bestätigen, dass manche Leute die Wahrheit sagten. Als Cooper sich einmal mit Ming traf, vor längerer Zeit, als sie noch nicht so schlimm verfeindet waren, da war ich ebenfalls dabei, da Ming ein sehr hartnäckiger Brocken ist. Er lässt sich nicht verhören. Weder auf die eine noch auf die andere Art. Ich nehme an, darum hat er auch keine Kinder oder eine Familie. Er liebt nichts und niemanden und kann deshalb selber bestimmen, wann er etwas sagt und wann nicht. Ausserdem beherrscht er diese Technik, die auch Sie beherrschen, und ich bin sicher, er kann sich damit umgehend umbringen, wenn er es für nötig hält.“
Er runzelte erneut die Stirn. Von wo wusste sie, dass er selbst diese Technik beherrschte? Als man ihn gefangengenommen hatte, war sie doch schon längst ebenfalls eine Gefangene gewesen. Na ja, vermutlich hatte sie es gehört, als die Wachen darüber sprachen, oder dachten, so wie sie es von der Folter gehört hatte.
In diesem Moment kam Cooper herein, gefolgt von einer kleinen Armee von Wachen, die alle mit Maschinengewehren bewaffnet waren, als ob sie das ganze Haus damit in kleine Stücke schiessen wollten.
„Haben Sie Angst, dass ich fliehen könnte, Cooper?“ fragte er mit einem amüsierten Grinsen.
Cooper hob nur die Brauen und sagte nichts dazu. „Sie kommen mit uns nach Kanazawa. Damit wir wirklich sicher sein können, dass Sie uns nicht angelogen haben.“
Alex zuckte ungerührt mit den Brauen. Er hatte nichts dagegen. Schliesslich hatte er die Wahrheit gesagt. „Und was passiert nachher?“ fragte er weiter.
Cooper machte eine unwissende Bewegung. „Das werden wir noch sehen. Vielleicht sterben Sie, vielleicht nicht.“
Alex setzte einen steinernen Blick auf. „Was passiert mit Jessica?“
Cooper lächelte. „Sie bleibt bei Sam. Ich werde dafür sorgen, dass die beiden wohlbehalten nach Hause zurückkehren können."
Er spürte erneut die Wut in sich aufsteigen, als Cooper Sams Namen aussprach. Wie konnte sie ihn nur so lange hintergangen haben? Er verstand es immer noch nicht. So etwas war einfach nicht möglich. So dumm war er doch nun wirklich nicht!
Zwei Wachen zogen ihn ziemlich unsanft hoch und brachten ihn durch viele Gänge, an die er sich nicht erinnern konnte, bis nach draussen zu einer schwarzen Limousine, die bereits mit laufendem Motor auf sie wartete. Sie schoben ihn hinein, und Cooper kam ihm nach.
„Bitte bedienen Sie sich. Sie haben doch bestimmt Hunger“, meinte Cooper, als die Limousine abfuhr, und zeigte auf die Platte mit allem möglichen an Essen.
Alex betrachtete das Essen misstrauisch.
„Glauben Sie, ich würde Sie jetzt vergiften wollen, wenn ich Sie schon lange vorher hätte umbringen können?“ fragte Cooper Alex und zeigte ihm damit, dass seine übermüdeten Nerven zu misstrauisch waren. Cooper hatte wirklich keinen Grund, ihn jetzt zu vergiften oder ihm sonst etwas einzuflössen. Das alles hätte er vorher machen können, als er sich nicht wehren konnte.
Also bediente er sich und bemerkte erst jetzt, welchen Hunger er hatte. Doch seine Freude, dass er endlich etwas essen konnte, wurde dadurch geschwächt, dass seine Rippen immer noch gebrochen waren und schmerzten, als er ass.
Cooper beobachtete ihn mit einem Lächeln, während er nur an einem Glas Champagner nippte. „Ihre Tochter ist wirklich bezaubernd, Mr. Garcia. So wild und trotzdem so sanft, wie ein kleiner Löwe. Da muss ich Ihnen ein echtes Kompliment machen.“
Alex hörte auf zu essen. Immer, wenn das Thema auf Jessica geleitet wurde, verging ihm jeglicher Appetit und er spürte wieder den Hass auf Cooper, der seinen Hunger mehr als genug stillte.
„Natürlich, Sam hat ihren Teil dazugetan. Sie sollten sich wirklich noch einmal gut überlegen, ob Sie sich nicht mit ihr versöhnen wollen. Für Jessica würden Millionen von Welten zusammenbrechen, wenn ihr Vater auf einmal nicht mehr da wäre, um sie zu beschützen.“
Alex‘ Mundwinkel zuckten, obwohl es ihm überhaupt nicht nach Lachen zumute war. „Wenn ich mich mit Sam versöhnen würde, würde ich für Sie arbeiten. Vergessen Sie es. Ich arbeite nicht für Kriminelle wie Sie.“
Cooper machte ‚ts, ts, ts‘. „Ich würde mich selbst nicht als einen Kriminellen bezeichnen. Eher als einen Geschäftsmann. Ich verdiene mein Geld genauso wie Sie, einfach auf eine ein wenig andere Art.“
Alex nickte. „Auf illegale Art.“
Cooper schüttelte lächelnd den Kopf. „Wollen Sie etwa damit behaupten, dass die Regierung sich vollkommen bewusst ist, was Sie machen? Dass sie es genehmigt? Wenn ich ein Krimineller sein soll, sind Sie in gewisser Weise auch einer. Schliesslich brechen Sie in Gebäude ein, die sich im Privatbesitz befinden, und stehlen Gegenstände, die eine Besitzurkunde haben, die in meinen Händen ist und auf der mein Name steht, die also mir gehören.“
Alex liess sich nicht weiter auf das Gespräch ein. Cooper war redegewandter, als er angenommen hätte, und genau betrachtet stimmte es, wenn er behauptete, dass auch er illegale Aktivitäten tätigte. Er konnte also nichts dagegen halten.
Cooper schien mit seinem Erfolg zufrieden zu sein und sagte kein Wort mehr, bis sie beim Flughafen angekommen waren. Dort stieg er aus und Alex wurde von den Wachen umringt.
„Machen Sie jetzt ja keine Dummheiten. Sonst muss ich der Polizei sagen, Sie wollten mich umbringen und meine Wachen mussten Sie darum erschiessen.“
Er lächelte. „Das würde Ihnen gefallen, was? Dann hätten Sie wenigstens einen Grund, um mich umzubringen, und müssten kein schlechtes Gewissen haben.“
Cooper grinste ebenfalls und stieg in den kleinen Jet ein, der ebenfalls schon mit warmen Motoren darauf wartete abfliegen zu können. Es war das gleiche Flugzeug wie das, in dem er mit Sam und Jessica geflogen waren, als Judy Dexter ihm versprochen hatte, sie nach Hause zu bringen.
„Machen Sie es sich bequem. In ein paar Minuten wird ein Arzt kommen, der ihre Wunden richtig behandeln wird.“
Alex lächelte dankend. „Wie aufmerksam von Ihnen“, meinte er und setzte sich so hin, dass seine Lungen einigermassen frei waren. Wie versprochen kam ein Mann herein, der ihn freundlich, aber nur kurz untersuchte. Er versorgte seine Kratzer mit Desinfizierungsmittel, das wie wahnsinnig brannte und machte einen provisorischen Verband um sein Handgelenk.
„Es ist gebrochen. Sie sollten bald einmal in ein Krankenhaus gehen, um es gipsen zu lassen. Sonst werden Sie es vielleicht nie mehr richtig benutzen können.“
Alex erwiderte sarkastisch: „Wenn ich solange lebe.“
Der Arzt nickte darauf nur und ging wieder.
Cooper lächelte über seinen letzten Satz und meinte: „Sie sollten sich nicht zu viele Sorgen machen. Ich bin nicht einer, der einfach jemanden umbringt. Das habe ich von Judy gelernt.“
Alex hob die Brauen. „So?“
Cooper nickte. „Sie ist eine bemerkenswerte Frau, nicht? Aber das wissen Sie ja selber gut genug. Jedenfalls hat sie mir erzählt, wie weit Sie gekommen sind, als Sie in ihren Bereich eingebrochen sind. Eine beachtliche Leistung. Ich glaube, keiner vor Ihnen kam bis jetzt so weit an ihren Wachen vorbei.“
Er dankte für das Kompliment und lehnte sich ein wenig zurück. Ja, er war weit gekommen, aber leider nicht genug weit. Aber darüber musste er sich jetzt keine Gedanken machen. Das Wichtigste war jetzt, wie er fliehen konnte, ohne Jessica zurücklassen zu müssen. Es würde bestimmt nicht einfach sein. Das Einfachste wäre wahrscheinlich in Japan zu fliehen. Das war nicht mehr ihr Boden, dort hatten sie keinen Heimvorteil mehr. Das Problem dabei war, dass Jessi vermutlich nicht nach Japan mitgenommen wurde. Sie blieb hier als Versicherung, dass er mit Cooper zurückkommen würde.
Er zog seine Beine an und schloss die Augen. Cooper würde ihn nicht im Schlaf töten, den Grund dafür hatte er ja schon selbst geäussert. Und wenn er ausgeruht war, konnte er auch besser fliehen, dann würde es ein wenig einfacher werden, wenn auch bei weitem nicht einfach genug.
Vermutlich war es auch in Topform unmöglich.
 
 

9. Kanazawa

Ein Ruck weckte Alex aus seinem Schlaf. Er hatte tief und fest geschlafen. Trotzdem war er nicht ausgeruht.
Er zwinkerte, um sich an das helle Licht zu gewöhnen. Sein Blick fiel aus dem kleinen Fenster und sah dort festen Boden. Scheinbar waren sie bereits gelandet.
„Willkommen in Japan. Haben Sie gut geschlafen?“ sagte Cooper, der lächelnd in dem Sitz vor ihm sass und scheinbar überhaupt nicht geschlafen hatte. Sein Haar war so gepflegt und gekämmt wie immer. Sogar der Anzug war noch ohne Falten.
Alex nickte nur.
Cooper stand auf und ging als erster hinaus. Als Alex ebenfalls aufstand, wurden ihm sofort die Hände auf den Rücken gedreht und Handschellen klickten. Er sagte nichts dazu. Die Chance, dass er hier fliehen könnte, war viel grösser als in ihrem Hauptquartier. Wäre er in der Lage der Wachen würde er auch Handschellen anlegen lassen. Mit den Händen auf dem Rücken überlegte man sich zweimal, ob man jetzt wirklich fliehen wollte.
Er wurde von zwei Wachen an den Armen die Treppe hinunter geführt und sofort in einen grossen Lieferwagen gestossen, der direkt unter der Treppe stand.
Der Transporter war voll von Männern mit schrägen Augen, die einen Punkt vor sich fixierten und kein Wort sprachen. Sie beachteten ihn nicht. Sie waren Söldner und wurden für das, was sie taten, bezahlt. Vermutlich hatte die Cooper ihnen nicht gesagt, dass sie auf ihn aufpassen sollen, aber was brachte ihm das? Sollte er etwa mit Handschellen aus dem Wagen springen und sich dabei das Genick brechen? Das war wohl nicht ganz der Sinn einer Flucht.
Er richtete hielt sein Gesicht unbeweglich geradeaus gerichtet, wie die, die mit ihm im Wagen sassen, während seine Augen hin und her schweiften und festzustellen versuchten, ob er diese Männer bestechen konnte. Er kam zu dem Schluss, dass das ziemlich ausgeschlossen war. Theoretisch würden sie sich wahrscheinlich schon bestechen lassen - das zeigte allein ihre Anwesenheit hier - aber er müsste das Doppelte von der Summe zahlen, die Cooper ihnen gegeben hatte, damit sie ihm helfen würden. Doch das Doppelte von einer wahrscheinlich schon so ziemlich hohen Summe war einfach zuviel für ihn..
Die Handschellen schnitten ihm ins Handgelenk und verstärkten den Schmerz im gebrochenen Knochen. Er lehnte sich ein wenig zurück und machte es sich so bequem wie es ging. Er wusste, dass der Weg über die kleine Halbinsel oberhalb von Kanazawa alles andere als eben war.
Die Fahrt ging länger, als er erwartet hatte. Sie mussten mindestens zwei Stunden unterwegs gewesen sein, ehe sie endlich anhielten. Die Strasse war - wie erwartet - wirklich nicht besonders eben und unterdessen tat ihm sein Hinterteil auch ziemlich weh. Mehrere Male schienen sie sich noch verfahren zu haben. Sie stoppten, blieben eine Weile stehen und fuhren dann in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren, nur um sich erneut zu verfahren. Er hatte dabei das Gefühl gehabt, dass sie sich immer nur im Kreis bewegten.
Im Innern des Wagens war es relativ dunkel, nur wenig Licht drang aus dem Fensterchen, das die Fahrerkabine mit dem Frachtraum verband. Dort unterhielten sich zwei Männer lautstark auf Japanisch - so vermutete er jedenfalls. Es könnte auch Chinesisch gewesen sein, doch da sie hier in Japan waren, war es logischer anzunehmen, es sei Japanisch. Er selbst sprach diese Sprache nicht, aber irgendwie hatte er das Gefühl, als ob es immer um die Fahrtrichtung ging. Jedesmal, wenn der Streit einen neuen Höhepunkt erreicht hatte, änderten sie früher oder später die Richtung.
Als die Hintertüre aufgerissen und Alex hinaus gezerrt wurde, konnte er sehen, dass Helikopter und andere Wagen schon da waren. Das Haus, das Alex nun ins Blickfeld geriet, war riesengross. Es war eine Art Lagerhaus, zweistöckig und mindestens dreihundert Meter lang. Rund um das Haus war ein Zaun gezogen, der ausserhalb von Alex’ Sichtweite seine Grenzen hatte. Der Boden war mit Sträuchern bedeckt, so dass nur das Gebäude selbst nicht natürlich war. Hinter diesen Sträuchern hatten Dutzende von Männern mit Maschinengewehren Deckung genommen und hielten die Personen innerhalb des Gebäudes - falls welche da waren - in Schach.
Cooper stieg aus einer vom Staub verschmutzten schwarzen - nun eher grauen - Limousine und stolzierte mit drei Wachen im Schlepptau auf ihn zu. „Ich hoffe, dass Ihre Anwesenheit Mr. Ming ein wenig besänftigen wird“, meinte er und lächelte.
Sowohl Alex als auch er wussten, dass das nicht der Fall sein würde. Wie Diane schon gesagt hatte: Ming liess sich nicht beeinflussen, weder durch Menschen noch durch Schmerzen.
Die Männer sprangen von Gebüsch zu Gebüsch und gaben Cooper und seinen Wachen Deckung, als diese zum grossen Tor gingen. Alex wurde von seinen eigenen ‚Bodyguards‘ hinterher gezogen. Die Wachen traten die Türen ein und wedelten mit ihren Waffen hin und her, um mögliche Angreifer erschiessen zu können. Sie wanderten wie ein Exekutionskommando durch die Gänge, wurden aber weder angegriffen noch ergab sich irgend jemand freiwillig. Überhaupt schien das ganze Haus leer und ausgestorben. Hastig aus den Schränken gerissene Kleider und auf den Boden gefallene Sachen zeugten von einer schnellen Flucht.
„Sucht sofort die Gegend mit den Hubschraubern ab! Wenn ihr jemanden seht, bringt ihn auf der Stelle hierher. Und zwar lebend, klar?“ befahl Cooper in sein Funkgerät und hörte eine Bestätigung.
„Wenn die Vögel hier ausgeflogen sind, werden Sie ziemlich grosse Probleme bekommen, Mr. Garcia“, meinte er zu Alex, „Ich kann es nicht leiden, wenn man mich anlügt.“
Alex widersprach entrüstet: „Was kann ich dafür, wenn sie abgehauen sind? Das ist doch nicht meine Schuld.“ Cooper machte eine undeutliche Bewegung, die alles sagen konnte oder gar nichts, blieb aber ruhig.
Alex hoffte, dass Ming noch da war, aber gleichzeitig auch, dass ihm die Flucht rechtzeitig gelungen war. Schliesslich war es seine Schuld, dass Ming fliehen musste. Aber sollte er wirklich nicht mehr da sein, dann bekam er wirklich Probleme. Cooper könnte annehmen, dass das hier sowieso nur ein Köder war. Dass alles so gemacht worden war, um auszusehen, als hätte vor kurzem eine Flucht stattgefunden. In Wirklichkeit war der Stützpunkt auf der anderen Seite der Welt. Um auf eine solche Idee zu kommen, musste man nicht einmal besonders schlau sein, nur ein bisschen misstrauisch. Cooper könnte mit Grund annehmen, dass er ihn angelogen hatte und Alex könnte es ihm nicht einmal übel nehmen. Dann würde alles wieder von vorne anfangen.
„Sir! Wir haben verschlossene Türen gefunden und die Infrarotsensoren des Hubschraubers zeigen eine ganze Menge Menschen da drin an“, schrie eine der Wachen, die vorausgegangen waren und nun wieder angerannt kamen, lautstark durch die Gänge, so dass es mehrere Male widerhallte.
Ein Lächeln ging über Coopers Gesicht. „Geben Sie eine Warnung durch, dass niemandem etwas passieren, wenn sie sich ergeben, und öffnen Sie dann sofort die Türen.“
Die Wachen nickten und rannten sofort wieder zurück. Die Wächter, die bei Cooper und Alex geblieben waren, liefen hinterher. Cooper nahm eine Waffe in die Hand und drückte sie Alex in den Rücken. Auf seinen Lippen war ein schelmisches Grinsen. Er war sich seines Sieges bewusst. Wenn Alex‘ Hände frei gewesen wären, hätte er versucht Cooper zu erwürgen, damit er dieses schreckliche Grinsen nicht mehr ertragen musste.
So folgte er also den Wachen, die als Wegweiser dienten und kam zu einer Tür, bei der gerade das Schloss aufgeschossen und die Tür eingetreten wurde. Im Raum knieten mindestens fünfzig Männer hinter ihren Deckungen und zielten mit altmodischen Gewehren und Pistolen auf die Eindringlinge. Doch niemand schoss, weder auf der einen noch auf der anderen Seite. Die Wachen von Cooper richteten ihre eindrucksvollen Maschinengewehre auf die fast wehrlosen Männer und forderten sie zur Kapitulation auf.
Nach kurzem Zögern warfen alle ihre Waffen nach vorne auf einen Haufen. Sie sahen ein, dass sie keine Chance hatten. Die Wachen von Cooper sammelten sie ein und durchsuchten jeden einzelnen nach verstecken Pistolen oder Messern. Niemand wehrte sich gegen die grobe Behandlung.
Cooper warf seine Blicke durch die Gefangenen und fing den eines Japaners ein, bei dem man nicht so ganz sicher sein konnte, wie alt er war.
Er ging auf Ming zu. Einige Männer, die nun ebenfalls hinein gerufen worden waren, bildeten sofort einen Kreis um ihn. Alex wurde hineingestossen und neben Cooper gestellt, als lebendes Denkmal für den Verrat, den er begannen hatte.
Ming sah Alex ruhig an. Dieser neigte respektvoll und unterwürfig Kopf. „Ich habe Sie verraten, Mr. Ming. Es tut mir leid. Doch Cooper hat meine Tochter. Ich konnte nichts dagegen tun“, entschuldigte er sich und Ming nickte nur.
Cooper lächelte über die Entschuldigung und wandte sich Ming zu. „Es freut mich, dass wir uns endlich einmal persönlich treffen, Mr. Ming“, meinte er.
Alex sah erstaunt auf. War das etwa das erste Mal, dass sie sich trafen? Aber Diane hatte doch erzählt, dass sie sich schon einmal getroffen hatten!
Seine Blicke schweiften von Ming und wieder zurück zu Cooper.
Sie hatte ihn angelogen. Aber wieso hatte sie das getan? Der Verdacht, der die ganze Zeit in ihm geschlummert hatte, wachte auf und kam in ihm hoch. Diane war gar keine Gefangene wie sie behauptete. Sie war noch immer in der LOTFA und sollte ihn nur aushorchen. Sie war eine Spionin. Mit ihren geschickten Lügen war es ihr auch fast gelungen. Nicht mehr lange und er hätte ihr bedingungslos vertraut. Zum Glück hatte er es noch frühzeitig gemerkt, das heisst, zum Glück hatte sie einen groben Fehler gemacht. Es hätte zu schweren Problemen kommen können.
Ming lächelte ebenso höflich wie Cooper. „Ich wünschte mir nur, es wäre unter anderen Umständen, Mr. Cooper. Vielleicht wäre ich dann gesprächiger, denn in der jetzigen Lage spüre ich nicht das Verlangen mit Ihnen zu plaudern.“
Cooper schmunzelte nur und meinte: „Ich bin sicher, dass Sie sich bald mit mir unterhalten werden.“ Er gab den Wachen ein Zeichen und sie brachten Ming weg.
Alex wandte sich an Cooper und fragte direkt: „Diane ist Ihre Spionin, nicht?“ Er wartet seine Antwort gar nicht. „Sie hat ihre Rolle wirklich gut gespielt, finde ich. Aber Sie haben sich nicht sehr gut abgesprochen, was sie alles sagen darf. Sie hat sich verraten.“
Cooper sah ihn einen Moment lang an, als wisse er nicht, wie er reagieren sollte; wütend, dass er es herausgefunden hatte, oder gleichgültig, da er ja jetzt dann sowieso sterben musste. Er entschied sich für die zweite Variante. „Sie ist eine von unseren besten Agentinnen. Doch leider geht manchmal ihre Phantasie mit ihr durch.“
Alex nickte zustimmend. Dann brachten ihn die Wachen wieder hinaus. Er wurde in einen Helikopter verfrachtet, wo Ming - nun ebenfalls mit Handschellen gefesselt - bereits wartete.
Alex neigte den Kopf. Dieser Mann strahlte eine Ruhe aus, die es ihm unmöglich machte ihn anzusehen. Es wäre viel einfacher gewesen, wenn Ming ausrasten würde. Schliesslich hatte er ihn verraten, alle Geheimnisse, die er wusste, ausgeplaudert. Doch Ming sass ruhig mit geradem Rücken da und musterte Alex.
Schliesslich fragte er in einem überhaupt nicht vorwurfsvollen, ruhigen Ton: „Habe ich Ihnen schon einmal gesagt, dass Familie auch eine Last sein kann?“
Alex schüttelte den Kopf. Nein, das hatte Ming ihm noch nie gesagt, aber er wusste es nun selber mehr als gut genug.
Der Helikopter hob leicht schwankend ab.
„Ich habe es eben selbst herausgefunden, Sir. Doch ich kann nicht einfach meine Familie wieder abschaffen.“
Ming nickte. „Nein, natürlich nicht. Konnten Sie das Mnhei-shahe nicht anwenden?“ fragte er weiter.
Das Mnhei-shahe war die Technik, um sich selbst umzubringen. Vermutlich war es Japanisch, auch wenn es tönte nicht unbedingt danach.
„Ich habe es versucht, glauben Sie mir, Mr. Ming. Aber wie Sie sehen können, hat es nicht funktioniert.“
Ming nickte und ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen. Ein Teil der Autorität, die er verströmte, wich und wurde zu Freundlichkeit. Nun endlich konnte Alex ihn ansehen.
„Sie waren zu sehr darauf versessen es durchzuführen und zu beenden. Sie haben sich nicht entspannt“, sagte der Japaner, obwohl er es gar nicht wissen konnte.
„Es ist schwer, sich zu entspannen, während man gefoltert wird“, widersprach Alex.
Ming lächelte wieder. „Das ist der Amerikaner in Ihnen. Man kann sich in jeder Lage entspannen und es immer genau gleich schwer, oder leicht, wie Sie es sehen möchten. Amerikaner wissen das nicht. Sie haben keine Traditionen.“
Alex neigte wieder den Kopf und sah auf den Boden. „Ich kann nichts dafür, dass ich Amerikaner bin.“
Ming sagte entschuldigend. „Ich wollte Ihnen keinen Vorwurf deswegen machen.“
Alex wusste, dass es kein Vorwurf gewesen war. Unter den anderen von seinem Beruf war es allgemein bekannt, dass Ming die Amerikaner mehr oder weniger abschätzig behandelte, denn seiner Meinung nach hatten sie nie Ruhe und waren dauernd im Stress. Sie konnten sich nie eine Minute Zeit nehmen und tief durchatmen. Denn für Ming war Zeit etwas sehr Wichtiges. Er nahm sich für alles soviel Zeit wie er wollte, und niemand konnte ihn daran hindern das zu tun. Auch wenn es ein Geschäft auf Leben und Tod war, er konnte stundenlang nur dasitzen und nichts tun.
Zu Mings Bedauern waren die Amerikaner aber die besten Spione unter Amerikaner. Ein Japaner unter Amerikanern würde sofort auffallen.
„Es tut mir leid, wenn ich Sie verletzt habe, Mr. Garcia“, entschuldigte er sich noch einmal und wechselte dann das Thema. „Ich würde gerne wissen, was Sie Mr. Cooper erzählt haben.“
Alex seufzte und wandte sein Blick noch mehr dem Boden zu. Er hatte Ming die grösstmögliche Loyalität versprochen und das sichere Verwahren aller Geheimnisse. Er hatte dieses Versprechen nicht eingehalten.
„Er weiss alles, was ich weiss“, antwortete er leise.
Ming blieb still. Er bewegte sich nicht einmal. Wenn Alex ihn angesehen hätte, dann hätte er gesehen, dass er nicht einmal geblinzelt hatte.
„Ist es Ihre Tochter wert, dass Sie das getan haben?“
Diese Frage tönte recht hart, aber ein Mann wie Ming, der niemanden liebte, konnte nur hart sein. Er wusste ja nicht, was Liebe war.
„Sie ist das Einzige, was mir geblieben ist“, antwortete er leise und sah dann plötzlich wieder auf. „Wissen Sie, wer meine Frau in Wirklichkeit ist?“
Ming überlegte kurz. „Sie sagten, ihr Name sei Nora.“
Alex lächelte. „Das stimmt leider nicht. In Wirklichkeit heisst sie Samantha Bishop und gehört zur LOTFA. Sie ist sozusagen Coopers rechte Hand.“
Diese Nachricht regte doch wenigstens ein bisschen Gefühl in Mings Gesicht. „Sie haben das nicht gewusst?“ fragte er leicht die Stirn runzelnd.
„Wenn ich es gewusst hätte, würde ich wohl kaum einen Auftrag gegen die LOTFA annehmen, oder?“ gab Alex gereizt zurück. Von wo hätte er das denn wissen sollen?
Ming schüttelte den Kopf und sagte nichts mehr. Alex war ihm dankbar dafür. Er wollte jetzt nicht reden, schon gar nicht über Sam oder Jessica. Er sollte sich jetzt einmal entspannen, richtig entspannen und sich Zeit nehmen.
 
 

 10. Der Deal

Der Helikopter ging beim Flughafen runter, auf dem sie vor ein paar Stunden gelandet waren. Es war schon ziemlich dunkel. Die Lichter der Landebahnen waren das einzige, das richtig hell war. Rundherum herrschte Finsternis.
Es war ein alter Militärflugplatz, der nur noch selten benutzt wurde, meistens nur dann, wenn das Militär irgendein Überlebenstraining durchführte - oder wenn einer wie Cooper versessen darauf war, seinen Feind zu finden. Das Einzige, was man hier auf diesem Flugplatz tun konnte, war starten und landen, und auch das nur noch knapp.
Unbenutzt wie er war, sah er auch aus. Auf den Pisten wuchsen schon langsam kleine Gräser zwischen dem Beton hervor, die jetzt noch nicht störten, aber die irgend jemand irgendwann einmal entfernen musste. Jetzt konnte man noch immer landen, ohne das Gefühl zu haben, man lande auf einer Wiese, also machte sich niemand die Mühe, hier einmal aufzuräumen. Erst, wenn der erste Unfall passierte, würde jemand kommen.
Sie wurden - für Alex zum x-ten Mal innerhalb von ein paar Tagen - in ein Flugzeug gebracht, allerdings war es jetzt wesentlich grösser als die anderen. Es mussten auch mehr Leute hinein, denn die Wachen für Alex und Ming waren verdoppelt worden. Sie könnten ja versuchen, aus einem fliegenden Flugzeug zu fliehen.
Ganz am Schluss einer schier endlosen Reihe von Wachen kamen Cooper und auch Judy Dexter hinein. Sie lächelte Alex still an. Er überlegte sich, wie sie hierher gekommen war. Als sie hierher geflogen war, war sie doch beim Stützpunkt geblieben. Vermutlich, überlegte er sich, war noch ein anderes Flugzeug hierher geflogen, in dem sie gewesen war.
Die Handschellen wurden ihnen abgenommen und sie mussten sich setzen und sich anschnallen. Cooper und Judy nahmen vor ihnen Platz.
Das Flugzeug startete sofort und Cooper setzte eines seiner freundlichen Lächeln auf.
„Wissen Sie, Mr. Ming, wenn Sie tot sind, werde ich unsere kleinen Auseinandersetzungen richtig vermissen“, meinte er, nachdem das Flugzeug langsam an Höhe gewonnen und sich stabilisiert hatte.
Ming lächelte freundlich zurück. Er war gleich wie Cooper ein sehr höflicher Mensch, in jeder nur erdenklichen Situation, allerdings meinte er es nicht ganz gleich wie Cooper.
„Ich werde sie auch vermissen“, antwortete er, ohne auf die noch immer unbeantwortete Frage zu achten, ob nach dem Tod noch etwas ist. Scheinbar war er überzeugt, dass es so etwas wie ein Leben nach dem Tod gab.
Cooper lächelte leicht. „Dann wünsche ich Ihnen jetzt eine gute Nacht, Mr. Ming. Bis wir wieder in Amerika sind, geht es eine Weile.“
Eine Wache trat hinter Ming und hielt im ein Taschentuch vor die Nase und den Mund. Alex roch den Geruch von Benzin und machte sich darauf gefasst, dass auch er gleich auf diese Weise betäubt wurde. Ming machte keine Anstalten sich zu wehren, obwohl er das zweifellos gekonnt hätte. Aber er betrachtete seinen Situation logisch. Was brachte es ihm, wenn er sich wehrte? Es waren noch fast zwanzig andere Wachen da, die ihn betäuben konnten.
Zwei Wächter trugen ihn in einen anderen Teil des Flugzeugs.
Cooper wandte sich Alex zu. „Jetzt kommt die entscheidende Frage, was wir mit Ihnen machen sollen. Sollen wir Sie mit Ming auf den Fluss der Götter schicken oder sollen wir noch ein wenig damit warten?“ fragte er, ohne eine Antwort zu erwarten.
Alex warf einen Blick auf Judy, die ihn nicht erwiderte. Sie sah aus dem Fenster, obwohl man dort nichts weiter sah ausser Dunkelheit und Schwärze.
„Ich denke, wir warten noch ein wenig“, beantwortete Cooper sich die Frage selbst, „Sie sind uns bis jetzt eine grosse Hilfe gewesen, und ich denke, mit Hilfe Ihrer Tochter werden Sie das auch weiterhin bleiben.“
Alex sah von Judy wieder zurück auf Cooper und er verspannte sich. „Wo ist Jessica? Sie haben mir versprochen, dass Sie sie freilassen werden, wenn ich Ihnen alles gesagt habe“, entfuhr es ihm.
Cooper schüttelte lächelnd den Kopf. „Das stimmt nicht ganz. Ich habe gesagt, ich werde sie in Ruhe lassen, und das mache ich auch. Es läuft alles nur noch über Sam. Ich werde Jessica nie mehr über den Weg laufen.“
Er ballte unwillkürlich die Hände. Natürlich, Samantha! Und Jessica hatte keine Ahnung, dass ihre Mutter sie geopfert hatte, um ihren Vater zu erpressen. Und dass sie es wieder tun würde, wenn es seinen Nutzen brachte.
„Wo ist Jessica?“ fragte er noch einmal und dieses Mal antwortete Cooper: „Sie ist in unserem Hauptquartier. Nur hat sie noch immer das Gefühl, dass ihre Mutter ebenfalls eine Gefangene ist, die, wie sie selbst, von mir benutzt wird, um ihren Vater zu erpressen.“
Alex sah aus dem kleinen Fensterchen und plötzlich sah er mehr als nur Dunkelheit. Von aussen wirkte das Dunkel ruhig und friedlich, doch in ihm war es kalt und hart. Genauso wie es in Coopers Innern aussehen musste.
„Sie ist wirklich ein kluges Kind. Einmal hat sie einen der Wachmänner abgelenkt, der ebenfalls Kinder hat und wäre jetzt nicht mehr bei uns, wenn Sam nicht bei ihr gewesen wäre und sie aufhalten konnte.“
Alex unterdrückte ein stolzes Lächeln. Sie hätte es geschafft - wenn Sam nicht gewesen wäre. Das war das Kriegerblut in ihr. Sein eigener Vater hatte ihm einmal gesagt, er habe das Blut seiner Mutter in ihm, das Kriegerblut, das ihre ganze Familie habe. Alle seien Kämpfer, die um ihre Rechte Schlachten führten und bis in den Tod gingen, um etwas zu erreichen. Er hatte es laut seines Vaters auch und scheinbar war es auch bei Jessica vorhanden. Es war befriedigend zu wissen, dass sie zumindest in dieser Hinsicht nach ihm kam.
„Mr. Garcia, können Sie sich nicht vorstellen, für uns zu arbeiten?“
Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder Cooper zu und musterte ihn spöttisch. „Darum haben Sie mir noch nicht ‚Gute Nacht‘ gesagt? Um mich das zu fragen?“
Cooper machte ein zustimmendes Zeichen.
„Ich glaube nicht, dass Sie mir so sehr vertrauen, dass Sie mich bei Ihnen mitmachen lassen würden. Sie müssten ja bei jeder Information, die Sie mir geben, überlegen, ob die mir jetzt etwas bringt oder nicht, ob ich sie weitergeben oder sogar selbst gegen Sie verwenden könnte.“
Judy meldete sich jetzt zum Wort. Ihre Stimme war sanft, und trotzdem war eine Härte in ihnen, die Alex überraschte. „Sie haben bei Ihrer Analyse etwas vergessen, Mr. Garcia“, sagte sie, „Wir haben Jessica. Wir können Sie zwingen, für uns zu arbeiten.“
Alex warf ihr einen Blick zu, der sie auf der Stelle umgebracht hätte, wenn er töten könnte. „Natürlich könnten Sie das, Miss Dexter. Das wäre kein Problem für Sie“, gab er zurück und versuchte dabei möglichst ruhig zu bleiben.
In Wirklichkeit konnte er aber nur hoffen, dass sie ihn nicht so dazu zwangen, etwas zu tun. So wichtig konnte er nun wirklich nicht für sie sein. Wenn sie ihn brauchten, dann mussten sie ihm Informationen geben, die er gegen sie verwenden konnte. Es konnte schwerwiegende Folgen für sie haben, wenn die Polizei mehr von der LOTFA erfuhr. Würden sie das Risiko wirklich eingehen wollen?
„Warum bin ich so wichtig für Sie? Was scheine ich zu haben, was Sie nicht haben?“ fragte er und Judy und Cooper lächelten gleichzeitig.
„Ich würde die Frage umdrehen“, meinte Cooper, „Was haben Sie nicht, was wir haben? Sie haben keine Feinde und keine Probleme. Jedenfalls nicht allzu viele. Sie können sich frei auf der Strasse bewegen, ohne befürchten zu müssen, dass Sie gleich erschossen oder von der Polizei aufgeschnappt werden, und ohne Verdacht zu erregen. Wenn Sie sich ein Schaufenster genauer anschauen, mustert Sie der Ladenbesitzer nicht misstrauisch, als können Sie etwas durch blosses Anschauen kaputt machen.“
Alex widersprach nicht. An gewissen Orten war das sicher so, aber auch er hatte Feinde. Viele von ihnen waren zwar hinter Gittern, aber einige waren unterdessen auch wieder draussen und er hatte nicht das Gefühl, dass sie ihn unterdessen wieder gern hatten und seine Freunde sein wollten. Und von Problemen wollte er schon gar nicht reden.
„Sie wollen, dass ich für Sie gewisse Orte beobachte?“ fragte er, als ihm die Art der Botschaft klar wurde.
Cooper lächelte. „Nicht ganz, aber fast. Wir wollen Sie zu den Daggers schicken.“
Er runzelte die Stirn. „Zu den Daggers?“ wiederholte er.
Die Daggers? Er hatte noch nie von ihnen gehört, aber er konnte sich vorstellen, dass das auch so eine Gruppe wie die LOTFA war, nur ein bisschen mehr auf Gewalt eingestellt und vermutlich nicht ganz so organisiert. Vermutlich war es eine Bande von Männern, die nicht wussten, was sie mit ihrer Zeit anstellen sollten und darum irgendwelche Läden ausraubten und Leute mit ihren Dolchen bedrohten. Sie mussten einmal zufälligerweise das Hauptquartier der LOTFA erwischt haben, als sie auf einem Kreuzzug waren.
„Sie sollen sich dort einschleusen und ein paar Informationen beschaffen. Ich denke, Sie sind genauso ein Typ wie ihr Anführer, also werden Sie gut an die Infos kommen. Wenn Sie Ihre Sache gut machen, lassen wir Sie danach vielleicht frei.“
Alex nickte und liess sich nicht beirren. „Sicher. Hinterher kommt Ihnen nur noch in den Sinn, dass Sie noch etwas anderes hätten, das ich machen könnte, und dann noch etwas und noch etwas.“
Judy warf Cooper einen lächelnden Blick zu und sah dann zu ihm. Sie war ernst, und schien sich wirklich in ihrer Ehre verletzt zu fühlen. „Wir sind vielleicht keine staatlich anerkannte Gruppe, Mr. Garcia, in Ihren Augen sind wir sogar Kriminelle, aber wir haben trotzdem so etwas wie Ehre. Wenn wir jemandem unser Wort geben, halten wir es auch.“
Er zeigte keine Reaktion darauf. Bis jetzt hatte er noch nicht gesehen, dass sie das nicht getan hätten, aber er vertraute ihnen trotzdem nicht. Die Versprechen, die sie gaben, waren immer zweideutig und liessen sich auf eine Art interpretieren, die für die LOTFA vorteilhaft war. Wenn sie ihm das Versprechen gaben, dass sie ihn vielleicht freiliessen, würde es eine endlose Kette geben. ‚Vielleicht‘ ist ein sehr relativer Begriff. Aber was konnte er dagegen tun?
„Sie können uns vertrauen oder nicht, Mr. Garcia, aber es ändert nichts an der Tatsache, dass wir Ihre Tochter haben. Und wir sind bereit, sie als Druckmittel gegen Sie einzusetzen. Wir tun es nicht gerne, aber wenn es wirklich nötig sein sollte, werden wir nicht zögern.“
Alex presste die Zähne zusammen und nickte. Natürlich waren sie dazu bereit. Wäre er an ihrer Stelle, würde er vermutlich auch nicht zögern. Ein Kind ist das perfekte Druckmittel.
Ein Schlag traf ihn im Nacken und ein Schmerz wie ein Blitz schoss ihm in den Kopf, bevor er das Bewusstsein verlor. Er hatte die Wache hinter sich nicht gesehen.
 
 

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