Am 17. September 1939 um 3 Uhr früh erhielt der polnische Botschafter in Moskau, Wacław Grzybowski, von der sowjetischen Regierung eine provozierende Nachricht:
"Sehr geehrter Herr Botschafter!
Der polnisch-deutsche Krieg hat die Wurzellosigkeit des polnischen Staates an den Tag gelegt. Binnen zehn Tagen Krieg verlor Polen alle seine Industriegebiete und Kulturzentren. Warschau als polnische Hauptstadt existiert nicht mehr. Die polnische Regierung ist zerfallen und gibt keine Lebenszeichen von sich. Das bedeutet, dass der polnische Staat und dessen Regierung faktisch zu bestehen aufgehört haben... Deshalb...kann die sowjetische Regierung gegenüber diesen Fakten nicht mehr neutral bleiben.
[...]
Auf Grund dieser Situation hat die sowjetische Regierung das Oberkommando der Roten Armee angewiesen, den Befehl zur Grenzüberschreitung zu erteilen." [1]
Stalin hielt die politischen Zustände in Polen also für Anarchie und rechtfertigte den Einmarsch mit dem vermeintlichen Zerfall des polnischen Staates.
Am Morgen des gleichen Tages überschritten Rotarmisten die polnisch-sowjetische Grenze und attackierten damit die polnischen Truppen im Rücken. Da zur Sicherung dieser Grenze nur Grenzschutzverbände (KOP) [2] eingesetzt waren, konnten die Sowjets ohne wesentliche Verluste den äußersten Osten Polens einnehmen. Erst als klar war, dass die Wehrmacht Polen besiegen würde, griff Stalin ein.
Am 19. September erreichte die Rote Armee Wilno, traf aber auf hartnäckigen Widerstand der KOP-Einheiten, der erst am 22. September gebrochen wurde. In Grodno kam es am 20. September zu einem polnischen Gegenangriff. In Szack rieb ein KOP-Verband unter Gen. Wilhelm Orlik-Rückeman eine sowjetische Panzerkompanie auf. Die Verteidigung von Lemberg unter dem Kommando von Władysław Langner scheiterte jedoch: Die Stadt wurde sowohl von der deutschen 10. Armee als auch von Verbänden der Roten Armee angegriffen, und am 22. September kapitulierte Langner vor den Sowjets. Wie überall garantierte die Rote Armee den polnischen Soldaten die Freiheit, nahm sie aber später gefangen. [3] Der KOP-Verband wurde bei Włodawa eingekreist, konnte aber ausbrechen und beteiligte sich später an der Schlacht von Kock. [4]
1) zit. in: Białe plamy, S. 92-93. [¶]
2) Korpus ochrony pogranicza (Oberbefehlshaber: Gen. Wilhelm Orlik-Rückeman) [¶]
3) siehe Abschnitt 4.3.2 [¶]
4) siehe Abschnitt 3.3.5 [¶]
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