Während der Offensive in Ostpolen wurden -trotz anders lautender Versprechungen und Abkommen- [1] insgesamt 15.000 polnische Soldaten von den Sowjets gefangengenommen und in Kriegsgefangenenlager im Inneren der UdSSR verschleppt. Die drei wichtigsten Lager waren: Ostaschkow, Kozielsk und Starobielsk. [2] Daneben gab es noch kleinere Lager in Nordrussland und Sibirien.
Die Lebensbedingungen in diesen Lagern waren äußerst hart: Neben der schweren und vielfach sinnlosen Arbeit (z.B. Bau von Monumentalbauten) sowie dem rauhen Klima war der drakonische Drill sehr belastend. Daneben führten die NKWD-Agenten oft Verhöre und "Umerziehungen" mit stalinistischer Propaganda "im Sinne der Revolution" durch. Kulturelle und religiöse Tätigkeiten waren verboten, wie der folgende Bericht von Stanisław Sianiewicz, eines ehemaligen Häftlings von Kozielsk, zeigt:
"Viele Konflikte ergaben sich wegen der Abendgebete... Trotz ausdrücklicher Verbote der Lagerverwaltung... wurden Gebete anfänglich laut gesprochen, doch nachher -als mit Strafen für die Teilnahme an den Gebeten begonnen wurde- durch Stille von einigen Minuten Länge ersetzt." [3]
Im April 1940 begann die Auflösung dieser Lager. Die meisten Offiziere (insgesamt 4.005) [4] aus Kozielsk wurden vom NKWD in ein Waldstück bei Katyń verschleppt und durch Kopfschüsse ermordet. Am 13. April 1943 wurde dieses Massengrab von deutschen Soldaten entdeckt. Eine aus Ärzten aus dem Deutschen Reich, verbündeten Staaten sowie der Schweiz zusammen gesetzte Kommission stellte Folgendes fest:
"Die Mitglieder der Kommission haben persönlich eine Autopsie von 9 Leichen durchgeführt... Die Untersuchungen und die Beweissicherung ergaben folgende gerichtsmedizinische Ergebnisse:
Bei allen Leichen... wurde als Todesursache Kopfschuss festgestellt. Es waren immer Schüsse ins Genick... Es handelte sich ausschließlich um Pistolenschüsse...
[...]
Die Massengräber befinden sich in Waldlichtungen... Die Gräben wurden als hintereinander liegende Terrassen in hügeligem Gelände ausgehoben. Es ist selbstverständlich, dass sie systematisch angelegt wurden...
Die Uniformen der exhumierten Leichen besitzen im allgemeinen Eigenschaften, die polnischen Uniformen eigen sind..." [5]
Sofort war klar, dass der Mord von den Sowjets verübt worden war. Das nützten die Nazis für Propagandazwecke aus, aber Stalin gab falsche Auskünfte (nämlich, dass die Nazis die Mörder gewesen seien) und brach dann alle Beziehungen zur polnischen Exilregierung in London ab, [6] doch bei den Westmächten fand der Fund von Katyń keinerlei Beachtung. Die UdSSR bekannte sich erst 1989 zu diesem Verbrechen.
Doch anhand von Gegenständen, die bei den Leichen in Katyń gefunden worden waren, zeigte sich, dass die dort Ermordeten ausschließlich aus Kozielsk kamen. [7] Was mit den übrigen Gefangenen geschehen war, klärte sich erst nach dem Zusammenbruch der UdSSR: Bei Charkow wurde ein Massengrab mit Häftlingen aus Starobielsk gefunden, [8] und die Gefangenen aus dem größten Lager, Ostaschkow, wurden in Bologoje und Wjasma ermordet. Laut Aussagen anderer Gefangener wurde ein Teil der Insassen von Ostaschkow ans Weiße Meer transportiert, dort in Boote getrieben und versenkt. [9] Nur 400 Häftlinge kamen ins Lager Griazowiec und wurden nach dem Abkommen mit den Londoner Exilpolen vom 14. August 1941 befreit. [10]
1) siehe Abschnitt 3.4.2 [¶]
2) siehe Karte 3 im Anhang [¶]
3) zit. in: Zbrodnia katyńska, S. 24. [¶]
4) aus: Piekałkiewicz, Der Zweite Weltkrieg, S. 763. [¶]
5) zit. in: Zbrodnia katyńska, S. 145-146. [¶]
6) siehe Abschnitt 7.1.2 [¶]
7) Die Gegenstände trugen Vermerke wie "Kozielsk 1940", doch ähnliche Aufschriften aus anderen Lagern fehlen in Katyń völlig. [¶]
8) Die Untersuchung dieses Massengrabes begann am 15. Juli 1996. [¶]
9) Diese These ist von den Historikern bislang nicht bewiesen worden. [¶]
10) siehe Abschnitte 7.1.1 und 7.1.2 [¶]
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