WAFFEN OHNE KÖPFE
Nach den verschiedenen Berichten kam den bewaffneten Gruppen der Fedayin bei den Straßenkämpfen besonders in der Endphase der Auseinandersetzungen eine entscheidende Bedeutung zu. Ganz anders ist die Lage der Fedayin heute, sie finden sich geradezu in der typischen Haltung des Militanten, der nun, nachdem die Phase der bewaffneten Auseinandersetzung durch einen ersten Sieg unterbrochen ist, in die Defensive gerät gegenüber der weiteren Entwicklung der Gesellschaft und des Staates.

Schon kurz nach Chomeinis Rückkehr wurde ihnen klar gemacht, daß ihre Beteiligung zwar soweit notwendig, nun aber nicht mehr erwünscht war. Chomeini polemisierte am lautesten gegen diese "Marxisten und anti-islamischen Elemente", hatte er sich doch unmittelbar mit seiner Rückkehr selbst eine loyale bewaffnete Ordnungstruppe, die islamischen Revolutionskomitees, geschaffen. Als Reaktion auf die Verschärfung der Widersprüche zu Chomeinis Lager, als dieser Mitte Februar 1979 beginnt, Demonstrationen und Kundgebungen der Fedayin zu unter sagen (26), fassen die Fedayin Khalq zwar mit kräftigen Worten zur weiteren Entwicklung ihr Programm in einem Satz zusammen, wonach auf die Schaffung einer Islamischen Republik durch Chomeini eine Proletarische Revolution folgen wird, üben sich ansonsten aber in verbaler Selbstentwaffnung: "Wir werden niemals gegen die Einheiten von Chomeini kämpfen, auch wenn sie uns zu entwaffnen suchen"(27). Die andere Fedayin-Gruppe, die Mu-jahedin, hatte schon früher ihre Ideen über die persische Basisdemokratie mit Räten durch eine opportune islamische Version eines Marxismus ergänzt, wonach der Ayatollah das Sein und dieses eben das Bewußtsein bestimmt.

Bazargan und seine Regierung fühlen sich gleichermaßen durch diese - zumindest von ihnen - unabhängige und nicht direkt zu kontrollierende Kraft bedroht, solange die Rekonstruktion der Polizei und des Militärs nicht abgeschlossen ist; andererseits ist ihnen die Existenz der Fedayin-Gruppen als Gegenkraft zu den genauso unkontrollierbaren islamischen Komitees Chomeinis von Nutzen bei der Sicherung des Status quo, der wichtigsten Voraussetzung ihres Normalisierungsprogrammes.

Der Islam ist eine Opiumhöhle

Die sofort nach dem von ihnen so verstandenen ersten Sieg ausbrechende Rivalität zwischen den Fedayin Khalq und den Mujahedin tut ein übriges, um die Fesselung dieser Gruppen zu verstärken (28).

Neben ihrer Bewaffnung stellt die Tatsache, daß die Fedayin von allen öffentlich agierenden Gruppen die besten Verbindungen zu revolutionären Arbeitern haben, eine große Bedrohung für die neue Ordnung des persischen Staates dar. Obwohl die Zahl ihrer aktiven Mitglieder auf nur je zehntausend geschätzt wird und das Gebiet ihrer stärksten Präsenz Teheran ist, reicht ihre Organisation bis in die südlichen Erdölgebiete, wo es im April in Abadan noch zu Auseinandersetzungen mit Chomeinis islamischen Milizen kam, die versuchten, eine Gruppe der Fedayin wegen Aufwiegelei und Anstiftung zum Streik der Erdölarbeiter zum Tode verurteilen zu lassen und ein Progrom gegen sie und die mit ihnen kooperierenden Arbeiter unter ansässigen und herbeigekarrten Moslems anzuzetteln.

Entschieden stärker sind allerdings Tendenzen unter den Ölarbeitern, die ja erst vor kurzem erlebt hatten, wie wirksam ihre eigenen Waffen wirklich sind, gerade mit diesen ihre Forderungen auch durchzusetzen und jede Delegation des Kampfes an eine besondere Institution abzulehnen.

Ob eine Zukunft für die Fedayin anders wirklich wird, als ihrem Namen, "Die sich für das Volk opfern", gerecht zu werden, ist ungewiß. Tatsache ist, daß sie nicht rechtzeitig in der Lage waren, mit ihrer Praxis aus der Zeit kurz nach Chomeinis Rückkehr zu brechen: Loyalitätserklärungen für Chomeini und die Regierung, während diese schon die Zeit nutzten, um ihnen die Schlinge zu knüpfen. Erst nach der Erstürmung und Plünderung ihrer Hauptquartiere in Teheran durch bewaffnete Milizen Chomeinis änderte sich ihre Taktik, verlegten sie den Widerstand in den Untergrund und versuchten, durch Agitation gegen Chomeini das Vertrauen in die leninistische Guerilla wiederherzustellen, das sie durch ihr langes Zögern verloren hatten. So bleibt ihnen nur noch das Selbstbewußt-sein der geheimen Kader, auf deren einflußlose Existenz sie zurückgeworfen sind.

 

BARFUSS DURCHS ROTE MEER
Eine andere Wirkung der revolutionären Krise in Iran war die Beschleunigung, die der Abschluß des amerikanischen israelischägyptischen Friedensvertrages -nichts anderes als ein erweitertes Abkommen über Militär- und Wirtschaftshilfe bei der Öffnung der Grenzen für die für beide Staaten dringend notwendige freie Warenzirkulation - durch die für alle beteiligten Mächte beunruhigenden Bewegungen des iranischen Proletariats erfahren hatte.

Anders als vor der Niederlage von 1948/49, wo die Rückständigkeit der arabischen Gesellschaft das Hervortreten neuer, fortgeschrittener Führer noch nicht möglich gemacht hatte, und die spontanen Volksaufstände jedesmal dieselben Rekuperatoren wiedergefunden haben - die "feudalistisch-bürgerlichen" Honoratioren und ihre Ware: die nationale Einheit - versucht seitdem jede arabische Führungsgruppe, jedes Regime innerhalb des orientalischen Territoriums auf seinem Staatsgebiet und bei den anderen Staaten den Zustand aufrechtzuerhalten, der dem Kleinbürgertum und den Kadern der 1967 dann zum zweiten Mal besiegten Armeen den entscheidenden Teil der Macht sichert, wo Sadat nichts anderes ist, als die unter dem Licht des Dollars sichtbar gewordene Wahrheit Nassers; denn davon leben alle, weil sich ihre ganze Macht darauf gründet, daß dieses mit Sachkenntnis zerstückelte Gebiet so bleibt.

Sadat beweist inzwischen die ganze Größe eines Politikers, dem nichts mehr unmöglich ist, wenn es darum geht, seine Existenz als Versöhner der Menschheit herauszustellen. Tolldreist ist er dabei, seinen politischen Ruf in der arabischen Region gänzlich zu ruinieren, sich ganz zum Gouverneur eines 52. Bundesstaates der USA zu machen: Zu gern möchte er dem ohne seine Macht schnell zerfallenden Schah zu einem Altenteil in einer der zahlreichen ägyptischen Palastruinen verhelfen.

Ein anderer, sein sonstiger Gegenspieler Arafat, folgt ihm dabei allerdings hart im Windschatten; ein Konkurrent, der alles tut, um durch verschiedene inkompetente Vermittlungsangebote zwischen den Krisenstäben im weißen Haus und den Besetzern der US-Botschaft in Teheran, die soziale Macht, die seine Organisation verloren hat, in politische Macht für sich selbst zu transformieren.

Wie in bisher allen Handlungen und Verhandlungen, an denen auch nur eines der arabischen Regimes oder eine der palästinensischen Organisationen beteiligt war, besteht das Ergebnis des Friedensvertrages in einer weiteren Fesselung der Palästinenser, waren diese selbst nur Mittel, um die eigenen Interessen mit größerem Nachdruck durchsetzen zu können.

Von ihren Führungsorganisationen eingezwängt spielen sie neben ihrer Rolle als geprügelter Hund auch die eines Knochenträgers für verschiedene Reaktionäre. Sie sind eine variable Größe, eine unbezahlte Söldnertruppe im Dienste einer panarabischen Politik, die sie benutzt, um ein Terrain staatlicher Strategie zu besitzen. Die Verfügungsgewalt über die Palästinenser liegt in den Händen ihrer Geldgeber. Dieser Kordon fesselt die Palästinenser an eine Rolle, in der sie nur Verlierer sein können.

Die Antwort der offiziellen Direktoriumscliquen auf diesen Vertrag, die die willkommene Gelegenheit nutzten, um endlich einmal wieder mit martialischen Statements und Aufrufen vor die von ihnen Verwalteten zu treten, welche allerdings wenig Notiz davon nahmen, weil sie selbst schon dabei waren, Aktionen gegen ihre friedliche Liquidierung durchzuführen, entsprach dem in ihrer Jämmerlichkeit und Konfusion genau - sie ereifern sich nicht, ebenso wie auch die anderen arabischen Chefs, weil sich die Situation der Palästinenser verschlechtert hat, sondern weil ihre Vorstellungen von der Kooperation mit Israel und den USA aus den Gründen ihrer zentralen Ideologie - arabische Einheit und Zerstörung Israels - weniger deutliche Züge tragen muß, um ihre Herrschaft weiter zu sichern. Wie wenig substantiell ihnen diese Haltung mittlerweile jedoch ist, zeigt sich deutlich an der Weigerung der Konferenz der Arabischen Liga in Bagdad, Sanktionen auch gegen die USA zu beschliessen.

Konsequenterweise wurde der Friede mit Israel jedoch in allen Staaten zu einer Befriedungsaktion nach innen genutzt: Wer nicht euphorisch mit dem ägyptischen Regime in der ideologischen Suppe herumpatschte, dem wurde dort mit polizeilicher Befriedung nachgeholfen, jeder Widerstand, auch die freundlichste Kritik wurde plattgewalzt, für die anderen arabischen Gebiete umgekehrt eine gute Gelegenheit, dem Gespenst der arabischen Einheit und des Krieges mit Israel wieder zu etwas Lebhaftigkeit zu verhelfen, während in Israel dem von den Rabbinern geführten Wahnsinn für "Israels Grundrecht auf die biblischen Grenzen" mit den pharmazeutischen Möglichkeiten der entwickelten Warengesellschaft Einhalt geboten wird.

Die palästinensische Frage ist zu eng mit den beiden grundsätzlichen Fragen der modernen Revolution - dem Internationalismus und dem Staat - verbunden, als daß irgendeine dort heute bestehende Kraft sie angemessen lösen kann. Allein eine entschlossene internationalistische und antistaatliche, revolutionäre arabische Bewegung kann gleichzeitig den israelischen Staat auflösen und die von ihm ausgebeuteten Massen für sich gewinnen. Den Palästinensern, nicht ihren Führungsorganisationen, kommt dabei eine besondere Beteiligung zu, weil sie durch ihre Lage gezwungen sind, etwas anderes zu werden als eine irgendwie geartete arabische Nationalität, als Stamm etwa wie die Kurden, da sie nicht mehr die Grundlage haben, dieses traditionelle Leben weiterzuführen. Durch ihre Entwurzelung stellen sie in den umliegenden arabischen Staaten eine Art Ersatzproletariat dar, und bilden dort das Arbeitspotential (29). Gerade das macht sie zu einer gewissen Speerspitze der arabischen proletarischen Revolution.

Die persischen Massen geben nur den ersten Klang eines Tons, dessen Lautstärke als Orkan die nächsten Jahre bestimmen wird. Heute ist der feudale Raum des Orients in Persien beendet, morgen schon können die Herren der Sanddose Arabiens die nächsten sein. Die orientalische Revolution wird erst dann eine soziale sein, wenn der imaginäre und imaginierte Mittelpunkt der orientalischen Welt und der darin gefangenen Lebensweise sich gänzlich ruiniert haben, indem sich die letzten Eruptionen seiner weltlichen Ordnung als das bewiesen haben, was sie sind: Erinnerungen an eine vorindustrielle Zeit, in der nicht die Produktion, sondern die Ideen der Antrieb waren.

Die Massen, grau und diffus, die einmal in Bewegung gekommen sind, werden nie wieder in die gleiche fatale Mentalität zurückfallen wie vordem. Sie haben sich zu Wort gemeldet, ohne ihre Worte gesprochen zu haben, aber sie sind dabei, diese ganz zu finden. Die Massen, als handelnde Erscheinung, die halb im Bereich des Autonomen agieren, sind eine neue Kraft in der orientalischen Welt - bisher machten nur die Worte über sie Geschichte, demnächst sie selbst.

Durch die klassische Identität des Orients als geokulturell geschlossener Raum wird sich die proletarische Revolution ebenso entfalten. Sie wird von selbst die Grenzen negieren und sich im selben Maße ihrer eigenen Interessen bewußt werden, wie sich das islamische Bewußtseinsmonopol und die verschiedenen politischen Ableger aus dessen Bannkreis als Bewahrer einer Welt erweisen, die im Versinken ist.

Denn alle Versuche, die Einheit von Staat und Gesellschaft zu erhalten, die nie etwas anderes darzustellen vermochten als die Fortsetzung dieses Monopols mit anderen Mitteln, sind durchgespielt, ohne eine andere Gesellschaft als die einer gedehnten Tradition hervorzubringen.

Die proletarische Revolution wird aus den Belebungsversuchen der Tradition eine Dynamik erhalten, die über den soziologischen Rahmen hinausgeht, da die islamische Orthodoxie die Massen benötigt. Das Aufputschen der Entmündigten außerhalb des stoischen Ritus der Unterwerfung, der dem orientalischen Leben eigen ist, beseitigt die engen Bezirke, in die die menschliche Dynamik dadurch gerät, indem die Bewegung als Ausdruck der tatsächlichen Macht zu denen zurückkehrt, die durch ihre Duldsamkeit alle Macht verloren haben.

Vom Bosporus bis Aden wird die proletarische Revolution ihre Schlachtfelder eröffnen, sie wird aus der tatsächlich schon stattgefundenen Veränderung des Orients hervorgehen. Die Kämpfe der Erdölarbeiter haben eine Partie eröffnet, die Arbeiter anderer industrieller Bereiche werden folgen. Die Trennungen durch die Vielzahl ethnischer Gruppen werden darin aufgehen, schon heute sind die Armenier radikalisiert.

Alle aus ihrem traditionellen Schlaf gerissenen, entwurzelten Bauern, Hirten und Handwerker, zusammen mit den Arbeitern älterer Industriegebiete werden in ihrem gemeinsamen Interesse ihre Gemeinsamkeit finden.

 
EINIGE FRAGEN, DIE ZUR BEANTWORTUNG ANSTEHEN

Werden wir den Boxerkrieg als Komödie erleben?

Wird ein persischer 18. Brumaire die islamische Partei retten und sie so vor ihrem Bankrott als Regierung bewahren, der ihr jetzt droht?

Gelingt es der islamischen Partei, sich und die bedrohten arabischen Regimes innerhalb einer pan-orientalischen Bewegung vor dem weiteren tätigen Werk des Negativen der Geschichte zu erhalten?

Werden hingegen die proletarischen Revolutionäre vor der Etablierung einer erneuernden technokratischen Bürokratie ihre Commune ausfechten?


 

Demnächst im Orient:
WAS VON DER ISLAMISCHEN ENTFREMDUNG ÜBRIG BLIEB NACHDEM DER KORAN VERBRANNT WURDE.