_
|
Ein Bild zu malen ist ein Abenteuer. Dies ist so wahr
wie trivial, doch auch im Zeitalter des Internet und des damit verbundenen
Nervenkitzels bleibt das saftige Surfen des Pinsels auf der nachgiebigen
Leinwand eine unvergleichlich lusterfüllte Reise. Alles ist fließend,
nichts endgültig, bevor ich es sage. Mein Urteilsvermögen oder meine
Laune bestimmen den richtigen Zeitpunkt. Bis dahin tobt meine
selbstverliebte Eitelkeit in wuchtigen, zögernden, übermütigen,
zornigen, fließenden, zerhackten Schwüngen, Fahrten, Ausrutschern und
Ausbrüchen dahin. Gut so!
Der Abend schlich sich ans Fenster und zerschnitt seine schattigen Finger
am hin und wieder bedrohlich flackernden Neonlicht. Ein blutrotes,
abgewetztes Sofa. Ein farbbespritzter Kassettenrecorder japanischer
Provenienz. Zigarettenrauch kontra Terpentin. Sechs blendend weiße Leinwände
harrten ihrer Erfüllung, während ich zum akzentuierten Dröhnen einer
obskuren deutschen Band eine siebente Leinwand traktierte. Die Musik trieb
mich, ich trieb meinen Pinsel, der Pinsel trieb die Farbe vor sich her,
verschlang ein Vakuum, schmeichelte einer Form, tat einer übertriebenen Süße
Gewalt an.
So trieben wir's im Neonlicht und aus dem Chaos schälte sich eine rätselhafte
Gestalt, eine seitwärts auf der Erde liegende nackte Frau, deren rührende
Zerbrechlichkeit bald einer seltsamen Verwandlung unterlag und unter den züngelnden
Strichen des Pinsels einer dampfend wartenden Weiblichkeit wich.
Kaum fühlte ich den gleichzeitig anziehenden und in seiner Direktheit
erschreckenden Blick der Frau in meinem, schloß ich ihr die Augen und
entschied, mich diesem Teil des Bildes erst später wieder zuzuwenden. Ich
scheute davor zurück, die unvermittelt erschienene Gestalt sofort aus dem
Bild zu bannen.
Statt dessen löschte ich das brutale Neonlicht und betrachtete das Werk
im weicheren Schein einer Stehlampe. Mein Blick folgte dem Pinsel, der auf
einem in der Dämmerung entstehenden Weg in die Bildmitte vordrang, wo ein
dunkler Punkt seinen Lauf bremste, ein Schatten, der mir entgegenwuchs,
bis ich das Gesicht eines späten Wanderers ausnehmen konnte. Unwillkürlich
fiel mein Blick auf das sanft atmende weiße Fleisch der Schlafenden und
schon verhüllte ein flüchtig hingeworfenes Tuch ihre Blöße.
Indes war der Wanderer nähergekommen und sein spöttisches Lächeln sagte
mir, daß er diesen Akt der Prüderie beobachtet hatte. Die Musik aus dem
Kassettenrecorder war verstummt, die Stille griff mir ans Herz. Deutlich
vernahm ich die Schritte des Fremden, der mit lässigen Bewegungen des
Oberkörpers den ohnedies immer zaghafteren Pinselstrichen auswich. Sein
unbeirrbares Vorwärtsschreiten verband sich mit dem anschwellenden
Schlagen meines Herzens und dem unbewußten Stöhnen meiner Brust zu einem
dumpfen Rhythmus. Ich tauchte mein Werkzeug in das schwärzeste Schwarz,
denn ich mochte den unheimlichen Gesellen nicht länger dulden. Ich setzte
zur Übermalung an, doch er kam mir zuvor, entriß mir den Pinsel und
bevor ich mich von der Überraschung erholt hatte, führte er damit zwei
rohe Hiebe gegen meine Arme. Als ich an mir herabsah, waren sie beide
weggemalt.
Hilflos mußte ich mit ansehen, wie der bösartige Fremde vor meinen Augen
die Schlafende neuerlich entblößte und sich mit triumphierender Miene in
den weichen Körper wühlte, der diesen Moment begierig erwartet zu haben
schien und in derart heftige Zuckungen verfiel, daß sich das besudelte
Fleisch zu meinem Entsetzen von den Knochen löste. Ich wollte schreien,
doch jeder Gesichtsmuskel war gelähmt. Starren Blicks verfolgte ich das
Treiben des Fremden, bis er mir mit seelenlosem Lachen den Pinsel ins Herz
stieß.
|
_
|