Back to Spain
(Teil 8)
Tage vergingen. Das Haus war inzwischen fertig. Die Kellys verteilten bereits die Zimmer, in die sie später einziehen würden. Barby bekam Ärger mit der Familie, weil sie sich das größte Zimmer ausgesucht hatte.
"Das geht so nicht!" schimpfte Joey. "Wir kriegen alle nur so 'ne kleine Kammer, und du willst das größte Zimmer haben! Wofür brauchst du das denn?"
"Brauch ich halt!" giftete Barby und sah Paddy hilfesuchend an.
Ein Problem gab es noch: sie wussten nicht, was sie mit dem Sterbezimmer ihrer Mutter an fangen wollten. Wohnen wollte keiner darin.
"Wir lassen es einfach leer," schlug Maite vor.
"Das ist nicht gut, so werden wir nie loslassen können!" meinte Jimmy. "Machen wir doch ein Musikzimmer daraus!"
"Wo wir dann nur traurige Songs schreiben, wie?" fragte Kathy. "Nee nee, das geht nicht!"
Man entschied sich, die Sache zu vertagen. "Und wie sehen jetzt unsere weiteren Pläne
aus?" wollte Maite wissen.
John begann: "Also, in den nächsten Tagen wird Vater kommen und sich alles anschauen. Dann fahren wir zurück nach Köln und ziehen um. Und dann werden wir noch einige Monate hier verbringen, bevor wir wieder auf Tour gehen, und dann..."
Paddy unterbrach ihn: "Darf ich nochmal kurz weg?"
"Ja," meinte Johnny, "aber wohin..."
Doch Paddy hörte ihm gar nicht mehr zu. Er war schon längst auf Burritos Rücken gesprungen und galoppierte den Hang hinunter in Richtung Dorf.
Freudig öffnete Emma die Tür. "Hallo Paddy, das ist aber schön, dass du kommst. Marija schläft gerade. Was zieht dich denn hierher? Möchtest du einen Kaffee?"
"Ja, gerne," sagte Paddy verlegen. "Schwarz mit Zucker. Oder störe ich?"
"Du störst nie," rief Emma aus der Küche.
Als der Kaffee fertig war, setzten die beiden sich auf den Balkon. Von dort aus hatten sie einen guten Blick auf Burrito, den Paddy nicht angebunden hatte und der gerade Blumen aus Emmas Vorgarten fraß. "Aber das macht noch überhaupt nichts," versicherte Emma. "Warum bist du denn gekommen, Paddy?"
Unruhig stellte Paddy die Tasse ab. "Ich hab's bei den anderen einfach nicht mehr ausgehalten. Die reden ständig über Mama, es wird mir einfach zuviel."
"Ach ja, deine Mutter," seufzte Emma. "Sie war so eine freundliche Frau und eine wunderbare Freundin. Ich wünschte, sie..." Unsicher brach Emma ab. "Entschuldige bitte, ich wollte
nicht..."
"Doch, red weiter," sagte Paddy. Aber Emma zögerte. "Bitte, red weiter!" drängte Paddy. "Du kennst meine Mutter besser als ich. Erzähl mir etwas von ihr, als ich noch nicht auf der Welt war."
"Ich weiß nicht mehr viel." Emma dachte angestrengt nach. "Ich erinnere mich an eine Begebenheit in den Siebzigern. Ich saß am Tisch. Plötzlich klopfte es heftig gegen die Tür. Draußen stand deine Mutter, mit wehenden Haaren und strahlendem Gesicht. 'Ich muss dir was sagen! Ich bin schwanger!' rief sie ganz außer Atem. Ich freute mich mit ihr und fragte sie, wie das Kind denn heißen solle. Da sagte sie: 'Es wird ein Mädchen. Also soll es Barbara Ann heißen, wie ihre Mutter und ihre Großmutter.' Es wurde ein Mädchen. Eure Barby."
"Das ist schön," nickte Paddy. Gedankenverloren sah er auf die Straße. "Oh mein Gott! Burrito ist weg!"
Emma runzelte besorgt die Stirn. "Den einzufangen wird nicht leicht sein. Es ist schon dunkel. Ich hole dir einen Taschenlampe." Polternd lief sie die Treppe hinauf. Paddy blieb voller Gewissensbisse zurück. Warum hatte er nur nicht besser aufgepasst!
Emma kam zurück, das Gesicht vor Schreck verzerrt. "Paddy. Marija ist auch weg."
"Was?" Paddys Herz fing heftig an zu klopfen. "Sag dass das nicht wahr ist!"
Emma blickte nervös aus dem Fenster. "Ich wette mit dir, dass Marija sich Burrito geschnappt hat und auf ihm reiten wollte! Oh nein! Sie wird sich alle Knochen brechen! Und es ist schon so dunkel..."
"Ich geh sie suchen!" sagte Paddy plötzlich entschlossen. Emma sah ihn bewundernd an.
"Das würdest du tun, Paddy? Du bist wirklich sehr tapfer! Soll ich zu Pablo gehen und fragen, ob er dich begleitet?"
"Nee, lass mal," meinte Paddy nur, "ich schaff' das schon!"
Das ganze Dorf hatte Paddy schon abgesucht, aber hier schienen Marija und Burrito nicht zu sein. Und auch alle Leute, die Paddy unterwegs gefragt hatte, hatten keine alte Frau in einer gestrickten gelben Jacke mit einem grauen Esel gesehen.
Also gab es nur noch eine Möglichkeit: sie mussten den Berg hinauf vom Kelly - Haus gegangen sein.
Paddy lief im Dunkeln die Landstaße entlang und hatte schon eine Menge Angst. Alle fünf Meter blieb er stehen und rief mit lauter Stimme: "Marija! Burrito!" Doch keine Antwort kam. Schließlich kam Paddy oben am Haus an. Die Geschwister saßen um das Lagerfeuer und löffelten Suppe.
"Habt ihr Burrito und Marija gesehen?" keuchte Paddy.
"Nö, hätten wir sollen?" fragte Maite mit vollem Mund.
"Shihit!" fluchte Paddy.
"Warte mal," sagte Joey nachdenklich, "vorhin hab' ich eine Gestalt mit einem Esel im Dunkeln runter zum Bach laufen sehen. Aber ich dachte, du wärest das und müsstest nur mal pissen, also habe ich mich nicht weiter darum gekümmert."
"Du bist ein Engel!" rief Paddy erleichert und rannte den Hang hinter dem Haus hinunter. Da er so schnell war, stolperte er plötzlich und rutschte die letzten Meter bis zum Fluß. Fluchend rappelte Paddy sich auf. Und dann sah er sie.
Burrito stand nur wenige Meter vom Wasser entfernt. Gemächlich kaute er an den Grashalmen. Auf seinem Rücken saß Marija. Sie trug Barbys gelbe Strickjacke, und mit entrückten Blick starrte sie aufs Wasser.
"Marija!" rief Paddy leise. "Komm da runter!"
Überrascht drehte Marija sich um. Ihr Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen. "Guten
Abend! Endlich Publikum! Ich weiß zwar nicht, wer Sie sind, aber kommen Sie ruhig näher und schauen Sie mir zu!"
"Marija, bitte steig ab!" flehte Paddy.
Marija gehorchte, ohne zu zögern. Aber gehen wollte sie noch nicht. "Früher war ich eine sehr gute Tänzerin," verriet sie mit strahlendem Gesicht. "Aber ich bin es immer noch. Ich kann mit einem Satz auf den Rücken dieses Esels springen und tanzen. Wollen Sie es sehen?"
"Bitte nicht!" flehte Paddy. "Du bist nicht mehr so jung, du bist nun eine alte Frau!"
"Ich bin keine alte Frau!" sagte Marija zornig. "Ich bin ein junges Mädchen!" Und dann - Paddy hielt den Atem an - nahm Marija Anlauf, sprang mit voller Wucht auf Burritos Rücken und blieb stehen, ein Bein angewinkelt in der Luft. Burrito zuckte sichtlich zusammen, blieb aber trotz der Last stehen. Paddy verschlug es den Atem. Sie konnte es wirklich noch!
Doch plötzlich hörten sie ein lautes "Platsch!" Ob ein Frosch ins Wasser gesprungen war, oder ob sich eine Eichel vom Baum gelöst hatte und in den Bach gefallen war - man erfuhr es nie. Jedenfalls, Marija verlor das Gleichgewicht und fiel von Burritos Rücken, direkt auf den Kopf. Paddy schlug die Hände vors Gesicht. Er konnte richtig die Knochen knacken hören. Vorsichtig nahm Paddy die Hände runter und ging zu Marija hin, die leblos im Gras lag. War sie tot?
"Marija," flüsterte Paddy, "Marija, bitte steh doch auf!"
Schwerfällig öffnete Marija die Augen. "Was ist denn nur passiert? Warum ist es hier so dunkel? Paddy, bist du das? Du bist aber groß geworden!"
"Du erkennst mich?" fragte Paddy. Er war total baff.
"Natürlich, du bist doch das Kind von Barbara Kelly. Aber groß bist du geworden! Gestern warst du doch noch so klein!" Marija stand langsam auf und sah auf ihre Hände. "Warum habe ich so faltige Hände? Bin ich schon so alt?"
Paddy seufzte leise auf. Es war unglaublich. Durch den Sturz hatte Marija wieder ihren Verstand zurückgewonnen. Der Schlüssel zu ihrem Gedächtnis, wie Emma es genannt hatte, war wieder
da! "Ich hab' den Schlüssel wiedergefunden!" jubelte Paddy innerlich. Ihm war, als würde sein Herz vor Freude zerspringen.
Marija war aufgestanden und sah in den Bach, wo sie nun ihr eigenes Spiegelbild erkannte. "Das bin ich? Ich habe mich aber verändert. Alles hat sich verändert! Was ist denn nur los?"
"Du warst auf einer langen Reise," sagte Paddy andächtig.
Marija lächelte und betrachtete ihr altes Gesicht im Wasser voller Liebe. Vom Haus her, hörte Paddy die Stimmen seiner Geschwister, die gerade First Time am Lagerfeuer sangen: "Open your heart, and give it to me..."
"Komm," sagte Paddy, "ich bring' dich heim zu Emma. Ich möchte sehen, was sie dazu
sagt!"
"Paddy!" brüllte Angelo. "So steh doch auf! Es ist fast schon eins!"
"Ich hab' 'ne anstrengende Nacht hinter mir," brummte Paddy, ohne die Augen aufzumachen. Er lag allein im großen Familienbett. Wenn er an die vorherige Nacht dachte, kribbelte es immer noch in seinem Bauch vor Freude.
Emma hatte sehr viele Tränen geweint. Vor lauter Glück, dass Marija endlich wieder richtig im Kopf war. Auch Marija hatte geweint, und immer wieder hatten sich die beiden alten Frauen umarmt. Nun würde alles wieder gut werden. Allen war klar, dass Marija noch einen langen Weg vor sich hatte. Sie musste 16 Jahre Leben nachholen. Heute morgen war sie in ein Krankenhaus gebracht worden. Die Ärzte wollten sie einige Tage dabehalten, um zu sehen, ob wirklich wieder alles in Ordnung war. Emma hatte Paddy als Dank versprochen, dass sie ihn als Alleinerbe einsetzen würde. Das ehrte Paddy, doch es war ihm nicht wirklich wichtig. Die Hauptsache war doch, dass Marija wieder ganz gesund würde.
Angelo beugte sich über das Bett und öffnete Paddys Augen. Im ersten Moment dachte Paddy, ein Monster mit Nickelbrille wäre über ihm. "Paddy, stehst du jetzt bald auf! Schließlich kommt Vater heute, um sich das Haus anzuschauen!"
"So?" murmelte Paddy, stand aber dann auf. Er ging hinunter an den Bach. Auf einem großen Stein saß Barby und strickte etwas. Noch konnte man nicht erkennen, dass es ein Strampelanzug sein sollte. Er war rosa. Der Arzt hatte Barby bestätigt, dass es ein Mädchen werden würde. Barbara Ann, die Werweißwievielte!
Paddy ging zu Barby und befühlte ihren Bauch. Er war schon leicht rundlich geworden, aber das Kind konnte man noch nicht fühlen. Orry war inzwischen auch eingeweiht. Barby hatte es ihm am Telefon gesagt. Orry war natürlich stolz, Vater zu werden, und hatte sich gleich einige Tage Urlaub genommen. In den nächsten Tagen wollte er nach Belascoain kommen.
"Und wann willst du's endlich dem Rest der Familie sagen?" fragte Paddy.
"Weiß noch nicht," meinte Barby. "Bald. Vielleicht schon heute. Du wirst es merken."
Plötzlich hörten sie in der Ferne Autohupen und dann Johns aufgeregte Stimme: "Papa
kommt!"
Dan stieg aus dem Auto, gefolgt von Sylvia. Sie umarmten alle Kinder und besichtigten dann das Haus. "Unglaublich!" murmelte Dan immer wieder. "Dass ihr das hingekriegt habt!"
"Dürfen wir jetzt in den nächsten Tagen umziehen?" fragte Kathy eifrig.
Vater seufzte. "Nun ja... ehrlich gesagt habe ich für die nächste Woche eine Europa - Tournee angesagt!"
"Was? So war das aber nicht abgemacht!" brüllte Maite.
"Aber Kinder, seid doch vernünftig!" bat Dan verlegen. "Eure Fans in Köln rennen mir die Tür ein, weil sie euch endlich wieder live sehen wollen! Das Haus läuft euch ja nicht weg!"
"Ach, ist das doof!" muffelte Angelo. "Ich will doch hier bei meiner Freundin bleiben!"
"Freundin?" Überrascht sah Vater Dan ihn an. "Ach Papa, sieh doch mal die schönen Blumen!" lenkte Patricia geschickt ab.
"Nun gut, zurück zum Thema," fing Dan wieder an. "Ich persönlich hielte es für das Beste, wenn wir morgen abend schon zurück nach Schloß Gymnich fahren könnten, wo ihr euch auf die Tour vorbereiten sollt!"
"Die Leute von Belascoain werden sich nicht freuen, wenn wir schon wieder weggehen," maulte John.
"Unsinn, ihr kommt doch wieder!"
"Dürfen wir denn dann wenigstens ein großes spanisches Abschiedsfest machen?" schlug Maite vor.
"Natürlich, wenn ihr wollt, können wir das morgen machen!" sagte Dan. "Geil!" Paddys Augen leuchteten.
"Geil!" brüllte auch Joey. "Kommt, wir gehen gleich Pablo Bescheid sagen!" Gefolgt von Sylvia, Johnny und Patricia rannte er ins Dorf. Jimmy, Maite und Angelo kündigten an, sie wollen sich um die Dekoration kümmern.
"Na super!" prustete Kathy. "Und was machen wir jetzt?"
"Wir können Emma Bescheid sagen," schlug Paddy vor. Überrascht horchte Dan auf. "Emma? Ich habe sie lange nicht mehr gesehen. Wenn ihr erlaubt, begleite ich euch."
Natürlich durfte er. Gemeinsam mit Kathy und Paddy lief er plaudernd den Weg zum Dorf. Plötzlich fragte Dan: "Wo ist denn eigentlich die Barby?"
"Keine Ahnung. Ich glaube, sie ist nicht mit ins Dorf gegangen, und bei der Deko hilft sie auch nicht. Ich weiß nicht, wo sie ist," antwortete Kathy.
Emma freute sich sehr, Dan und Paddy und Kath' zu sehen. Sie machten es sich am Tisch gemütlich, und Paddy rückte mit dem Vorschlag heraus: "Was hältst du davon, wenn wir morgen ein Fest veranstalten? Der Anlass dafür ist aber eigentlich eher traurig, denn wir gehen für einige Zeit wieder weg."
"Von der Idee mit dem Fest halte ich viel," sagte Emma gleich. "Morgen kommt nämlich auch Marija aus dem Krankenhaus zurück. Also haben wir einen doppelten Grund zum Feiern."
"Einen dreifachen," sagte Kathy. "Morgen will nämlich auch noch Orry kommen. Ich weiß aber nicht warum."
Nun schüttelte auch Dan noch seinen Trumpf aus dem Ärmel: "Einen vierfachen. Cherie hat gerade ihren Film abgedreht und will morgen kommen, um Jimmy zu besuchen."
Und plötzlich musste Paddy an Barby und das Baby denken. "Vielleicht sogar einen fünffachen," begann er, "weil..."
Plötzlich klopfte es heftig gegen die Tür. "Wer kann das sein?" fragte Emma verunsichert. Dan, Paddy und Kath' begleiteten sie zur Tür. Emma öffnete. Draußen stand Barby, mit wehenden Haaren und strahlendem Gesicht. "Ich muss euch was sagen! Ich bin schwanger!" rief sie ganz außer Atem.
"Das gibts doch net!" flüsterte Paddy, der sich plötzlich an Emmas Erzählung über seine eigene Mutter erinnerte.
Wie aus einem Reflex fragte Emma: "Wie soll das Kind denn heißen?"
"Es wird ein Mädchen! Also soll es Barbara Ann heißen, wie ihre Mutter und ihre Großmutter!" rief Barby überglücklich.
Da rannten Emma, Kathy und Dan zu ihr und umarmten sie stürmisch. Paddy puffte Barby in die Rippen und zischte: "Jetzt hast du mir meine Sensation geklaut!"
"Können wir also morgen mit euch rechnen?" fragte Kathy. Emma nickte. "Natürlich. Wir kommen allerdings etwas später. Marija und ich müssen erst noch etwas erledigen."
Und auf dem Rückweg blieb Kathy plötzlich stehen und rief: "Jetzt weiß ich auch, was wir aus Mamas Sterbezimmer machen!"
"Was denn?" fragte Dan. Kathy lächelte zu Barby. "Na, das ist doch klar! Das wird das Kinderzimmer für Barbys Kind!" Davon waren Vater Dan und Barby begeistert.
"Jedes Ende wird irgendwann einmal ein neuer Anfang..." sagte Paddy sehr leise und lächelte dabei ein bisschen.
© Doro