
Essay: Sloterdijk-Debatte, Genforschung, Bioethik, Planetarisierung |
Zurück zu meinem Lebenslauf
Einer flog über den Menschenpark
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Unbegründete ethische Bedenken sind nicht ethisch
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von Piotr Kraczkowski
s scheint mir, Professor Dr. Peter Sloterdijk hat seine Elmauer Bioethik-Rede (Sloterdijk-Debatte) auf einem sehr hohem Abstraktionsniveau gehalten und deshalb kann eine Diskussion von einem niedrigeren Abstraktionsniveau heraus zu Mißverständnissen führen. Insbesondere empfinde ich nicht, daß sein Vokabular, wie "zoo-politische Aufgabe", "Menschenpark", "Selektion", "Züchtung", "Zähmung", "Übermensch" usw. inhuman oder wegen Nazi-Assoziationen unangebracht wäre. Auf dem Abstraktionsniveau seiner Rede erlaubt ihm dieses Vokabular mehr zu sagen und scheint mir somit zweckmäßig zu sein.
Es ist jedoch in der Debatte zu Recht bemerkt worden, daß die Naturwissenschaftler bereits mehrmals von Gefahren und Vorteilen der Gentechnologien gesprochen haben, ohne daß sie ähnliche Kontroversen auslosen würden. Es ist eben sehr wichtig, wie etwas gesagt wird. Wenn Sloterdijk nicht die philosophische Sprache wählen würde, dann gäbe es die Debatte vielleicht nicht: Die gewählte Sprache zwingt zum Nachdenken über den tieferen als üblich Sinn der Wörter und damit über die Sache selbst. Sloterdijk hat zunächst eine geeignete Stimmung, eine Atmosphäre erzeugt, indem er einen Überblick über 2500 Jahre des Humanismus als Entbestialisierung durch Alphabetisierung gegeben und Ansichten der ausgewählten Philosophen (Platon, Nietzsche, Heidegger) zum Thema Verbesserung des Menschen durch Selektion zitiert hat, um dann das Problem der genetischen Optimierung von Homo Sapiens zu stellen. Dank der sprachlichen, philosophischen Einstimmung auf das Problem kann sich der Leser die Tragweite dieser genetischen Verbesserung eingehender vergegenwärtigen.
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Q: Shakespeare. Wie wäre es mit etwas Hamlet?
Captain Jean-Luc Picard: Den kann ich besser als Sie zitieren:
"Welch ein Meisterwerk ist der Mensch!
Wie edel durch Vernunft, wie unbegrenzt an Fähigkeiten,
In Gestalt und Bewegung, wie bedeutend und würdig.
Im Handeln ähnlich einem Engel,
Im Begreifen wie ähnlich einem Gott!"
Q: Sicher sehen Sie Ihre Spezies nicht so, oder?
Captain Jean-Luc Picard: Ich weiß, daß wir eines Tages so sein werden, Q.
USS Enterprise, Jahr 2363 (Star Trek: TNG, 10, "Hide & Q")
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er These von Sloterdijk, daß die aktuelle Koexistenz der Menschen "post-humanistisch" wäre, weil sie nach 2500 Jahren der "Züchtung" und der "Zähmung" von Homo Sapiens "entschieden post-literarisch" und "post-epistolographisch" sei, kann ich in ihrem Wortlaut nicht zustimmen. Gestern haben mich Platon und Cicero angerufen und gebeten, da sie selbst noch keinen Internetanschluß haben, irgendwo im Web von ihnen auszurichten, daß sie selbstverständlich ihre Gedanken im Film, Fernsehen, Rundfunk oder Internet verbreiten würden, so wie es Sloterdijk z.B. in Tagesthemen tut, wenn ihnen diese Medien zur Verfügung stünden: Auf den Inhalt nicht auf den Träger, nicht auf die Medien kommt es an.
Begabungen der Menschen sind unterschiedlich: Neben hervorragenden Schriftstellern gibt es großartige Filmregisseure. Man kann zu denselben Schlußfolgerungen als Zuschauer, Zuhörer, oder als Leser kommen. Das Bild sagt bekanntlich mehr als tausend Worte: Homo Sapiens hat hunderttausende Jahre, 99% seiner Existenz, als Zuschauer, nicht als Leser verbracht und seine biologische Möglichkeiten der Wahrnehmung und Reflexion durch Sehen haben sich beträchtlich entwickelt. Das Fernsehen hat den Vietnam-Krieg und andere Konflikte "gezähmt". Über den unübertroffenen weltweiten Erfolg von Star Trek hat vor allem die humanistische Botschaft (ST Ethik, Uni Bochum) seines Schöpfers Gene Roddenberry entschieden. Hat man etwa "Sophie's Welt" nicht verfilmt? Befinden sich andererseits nicht auch zahlreiche Schriften auf dem Index der jugendgefährdenden Werke? Man kann freilich argumentieren, daß nur die zuvor von Schriftkultur selektierten Gene auf "Zähmung" durch z.B. Star Trek oder Fernsehenberichte über die Mondlandung reagieren, aber es ändert nicht die Tatsache dieser "zähmenden" Wirkung des Films.
uch wenn die obige These, daß der Humanismus von der Wahl der Medien abhängen würde, nicht wörtlich genommen werden sollte und im Sinne der Zugänglichkeit der Bildung zu interpretieren wäre, wäre sie ebenfalls nicht richtig. Wieso sollte die humanistische Dimension der Bildung daran leiden, daß die Bildung allgemein zugänglich ist und nicht nur der Selektion der Eliten dient? Ich würde die Selektion der Eliten eher als Folge des technologischen Fortschritts, der Arbeitsteilung, als organisatorische Notwendigkeit sehen. Derselbe technologische Fortschritt hat auch die Bildung der breiten Massen erzwungen. Die Eliten werden heutzutage stärker durch Bildung und Schrift selektiert als je zuvor.
Unser Problem liegt vielmehr darin, daß die technologische Entwicklung so schnell ist, daß uns die Zeit fehlt, die Bildung und gesellschaftliche Strukturen ordentlich zu organisieren - es ist jedoch eine Frage von durchaus möglichen Reformen. Ganz im Sinne von Sloterdijk bemerkt Kurt Reumann in seiner Reportage über die Rektorenkonferenz in Weimar:
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Wenn nicht einmal der Umgang mit Dichtern Menschlichkeit garantiert,
so leisten dies die Ausbildung für einen Beruf und die Beschäftigung
mit Wissenschaft erst recht nicht. (...) Ein kurzes, auf Berufsfähigkeit
gerichtetes Bachelor-Studium, wie es den meisten Rektoren
als Reformideal vorschwebt, läßt kaum Zeit zur Besinnung."1)
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In einer Wissensgesellschaft hängen die "bestialisierenden Tendenzen" von der Qualität der bewußten, demokratischen Selbststeuerung ab - die Selbstverantwortung für die Freiheit und die verschleppten Reformen der Bildung und Arbeit wächst.
Selbst wenn wir uns einigen würden, daß die bestialisierenden Tendenzen tatsächlich zunehmen, so wäre damit weder der Humanismus am Ende noch die Schädlichkeit der Bildung der Massen bewiesen.
Meine Gegenthese: Die humanistische Wirkung der Bildung läßt sich für die breiten Massen verstärken, wenn die Politik den Unsinn der Arbeitslosigkeit beseitigen wird - sehe meine: "Stärker bin ich, schwerere Rüstung gebt mir !" und "Planetary Civilisation Now !" (in Deutsch).
Es wird weiter unten auch hinterfragt, ob ein endgültiger Sieg des Humanismus möglich oder überhaupt erstrebenswert ist.
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"Humanität besteht darin,
daß niemals ein Mensch einem
Zweck geopfert wird."
Albert Schweitzer
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as Problem der Bio-Ethik liegt nicht darin, daß der Humanismus am Ende wäre. Wir alle stimmen wohl überein, der Humanismus ist nicht eine Einstellung, der es um Gleichgewicht von "hemmenden und enthemmenden Einflüsse" geht.
Man muß sich doch vergegenwärtigen, daß Gut und Böse, Lüge und Wahrheit nicht zwei gleichberechtigte Seiten derselben Medaille sind: Eine auf der Lüge und dem Bösen aufgebaute Gesellschaft ist nicht einmal möglich - stellen wir uns vor, daß alle Etiketten auf Waren (Arzneien!), Fahrpläne u.ä. falsch informieren würden, daß man nicht wissen könnte, um wieviel Minuten der Zug zu spät oder ob er überhaupt kommen würde usw. Oder, daß die Parteien sich legal bei Vertragsabschluß belügen dürften. Rein technisch und logisch gesehen - Unsinn. Die individuellen Interessen müssen sich der technischen Wahrheit unterordnen - nur aus diesem Grunde allein (mal abgesehen von den Religionen und anderen moralischen Systemen) müssen Ethik und Moral auf Wahrheit und nicht auf Lüge basieren. Indirekt werden damit die Vorstellungen des Menschen über Gut und Böse durch die direkt moralisch neutrale Natur doch vorgegeben. Es können noch so große moralische Katastrophen kommen, nach einiger Zeit wird die Menschheit immer zu den moralischen Werten zurückkehren, die auf Wahrheit und Güte (und technischer Zuverlässigkeit) basieren.
Damit ist automatisch auch entschieden, daß das Wesen des Menschen, die menschliche Norm, als das Gute zu definieren ist, und das Böse als eine vorläufige Abweichung von dieser Norm. Diese Abweichung kann noch so groß sein oder noch so oft und lange auftreten - an diesem Urverhältnis ändert dies nichts.
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Die Jem´Hadar: "Gewalttätige,
genetisch programmierte ´killing
machines´. Die Jem´Hadar können
ihre mörderische Instinkte nicht
beherrschen." - Department of
Interstellar Travel der Vereinigten
Föderation der Planeten (Star Trek).
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Diese Definition des Menschen ist einfach konform mit der Wahrheit der technischen und organisatorischen Systeme. Konsequenterweise ist das "böse Verhalten" eines Menschen automatisch nicht normal, es ist eine zuverurteilende, zukorrigierende Abweichung.
Probleme beginnen, wenn die Beobachtung der ständigen Abweichungen von der Norm des Guten zum falschen Schluß führt, daß das, was oft, wiederholt vorkommt, die Norm selbst ist. Es ist als Problem zu bezeichnen, weil das "böse Verhalten" dann irreführend als normal klassifiziert wird. Das "gute Verhalten" wird dagegen als nicht normal, sehr selten, verdächtigt, abweichend, als private, irrelevante Sache erklärt: Der Erfolg der Gesellschaft und des Einzelnen wird danach durch "kanalisierten Egoismus" voran gebracht, und das altruistische, gute Verhalten sollte lediglich nicht behindert werden - wenn sie gänzlich verschwinden würde, würde dies für die Gesellschaft keine Rolle spielen. Hauptsache, daß der Gesellschaft die produktiven (!) Egoisten erhalten bleiben. Selbstverständlich muß diese Verwechslung der Norm mit der Normabweichung zur Kollision mit dem obigen technischen Urverhältnis der Wahrheit und zu gesellschaftlichen Degenerationen und Ineffizienzen, ja zu "bestialisierenden Tendenzen" führen. Die Behauptung, daß der Mensch von Definition böse wäre, daß die menschliche Norm das Böse, und das Gute die Abweichung wäre, kann sich jedoch nie langfristig durchsetzen. Dafür eignet sich diese Behauptung hervorragend als kurzfristige Rechtfertigung für korrupte Politiker: Sie wären ja nach dieser Auffassung nur normal, menschlich, mithin sogar besser geeignet. Es wäre eigentlich unanständig und dumm, auf jeden Fall nicht wissenschaftlich, von einem Politiker Anständigkeit zu verlangen. Kurzum: Lobbyarbeit für kleine und große Kriminelle.
Der Humanismus sorgt sich also um Minimalisierung der bestialischen Abweichungen von der Norm des Guten und Wahren. Die Tatsache, daß der Humanismus die bestialisierenden Tendenzen nie vollständig eliminieren kann, scheint mir zu seiner Definition nicht zu seinem Scheitern zu gehören. Vom Homo Sapiens und dem Humanismus kann nur so lange gesprochen werden, so lange die, wenn auch noch so stark zurückgedrängten, bestialisierenden Tendenzen wenigstens als potenzielle Möglichkeit dem freien Willen zur Verfügung stehen. Der Humanismus wäre erfolgreich, wenn der Homo Sapiens sich aufgrund seines freien Willens für die Bestialität entscheiden könnte und dies des Gewissens wegen doch nicht täte. Hinzufügen ist dabei, daß die Zähmung optimalerweise nicht durch unbewußtes Gehorsam erfolgen soll: Der humanistische Ideal ist die Selbsterziehung - der Mensch, der als Subjekt agiert und sich selbst, aus besserer Einsicht zähmt. Als Instrumente der Zähmung kommen mithin nicht nur Verbote und Strafen, sondern auch Hinweise auf die positiven, erstrebenswerten Werte. Der Homo Sapiens existiert demnach nicht nur als Pendel zwischen "Hemmung" und "Enthemmung", sondern entwickelt sich, indem er in ethischer Hinsicht sich selbst, seines Platzes im Universum, seiner technologischen Errungenschaften und Möglichkeiten immer bewußter wird. Noch so große Niederlagen des Humanismus können hier nichts ändern, weil das technische Urverhältnis der Wahrheit am Ende die richtige Sicht der Dinge immer aufs Neue "starten" wird.
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| "
Die Kirche sagt, sie wisse, wann der Mensch beginnt,
und deshalb ist sie gegen Abtreibung.
Ich sage, ich weiß es nicht
und deshalb bin ich ebenfalls gegen die Abtreibung."
4)
Adam Michnik
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as Problem der Bioethik ist, daß sich die Frage der genetischen Verbesserung der menschlichen Gattung mit Sicherheit auch dann stellen würde, wenn Sloterdijk einen Erfolg des Humanismus feiern könnte. Die neue Qualität "der aktuellen Gesellschaften" besteht meiner Meinung nach nicht nur darin, daß die Aussichten auf gentechnische Züchtung anstelle oder als Ergänzung zur Zähmung durch Bildung auftauchen. Es geht in erster Linie darum, daß das XX Jahrhundert zum ersten mal den breiten Massen von Homo Sapiens, nicht nur den einzelnen Visionären vor Jahrtausenden, eine planetare Betrachtung und neues praktisches Handeln ermöglicht:
- Der technologisch unterstützten Bestialisierung fallen vom Jahrhundert auf Jahrhundert immer mehr Erdbewohner zum Opfer. Der Wachstum der Erdbevölkerung wird von unnatürlichem Tod der immer mehr Menschen begleitet: In unserem Jahrhundert wurden ca. 180 Millionen Vertreter von Homo Sapiens in Kriegen u.ä. ermordet, unzählige Millionen sterben an vermeidbare Krankheiten oder Hunger. Im nächsten Jahrhundert müßte man demnach mit ca. einer Milliarde von Kriegsopfern rechnen?
- Der Homo Sapiens ist zum ersten mal in seiner Geschichte imstande, sich selbst zu vernichten - ein planetarer Krieg, globale, unheilbare Krankheiten, eine Klimakatastrophe u.ä.
- Der Mensch ist auch der möglichen planetaren Bestialität der Natur bewußt geworden: Kometen, Asteroiden, Gammablitze, Mikroben können das menschliche Leben auf dem Blauen Planeten auslöschen.
- Planetare Zusammenarbeit - Erfolge in Zähmung - könnte dem Homo Sapiens dagegen einen geradezu märchenhaften Aufstieg, sogar zivilisatorische Unsterblichkeit durch Besiedlung anderer Planeten und Verbreitung im Weltraum ermöglichen.
- Planetar betriebene Genforschung eröffnet Aussichten auf radikale (Leistungs)Verbesserung der menschlichen Gattung.
Sloterdijk hat jedoch durchaus Recht, daß wir die Probleme der Planetarisierung und der Bioethik ohne den wachsenden Egoismus und die Zunahme der "bestialisierenden Tendenzen" viel leichter, bei weniger Leiden, beherrschen könnten. Auch seine Kritik der "alltäglichen Bestialisierung der Menschen in den Medien der enthemmenden Unterhaltung" scheint durchaus berechtigt zu sein.
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| "
(...) Menschen werden seit jeher "gemacht"(...):
(...) Klassen- und Kastenregeln, Heiratsregeln und Erziehungsregeln (...).
Inzwischen kommen zusätzliche biotechnische Optimierungen in
Sicht.
Deswegen wird irgendwann im kommenden Jahrzehnt eine Art von
allgemeinem anthropologischem Konzil vonnöten, oder sagen wir
besser eine Einberufung der Generalstände der Humanwissenschaften,
die den Weltdialog über sinnvolle Limitierungen der Humanbiotechnik
führen und Vorbereitungen treffen für die Formulierung eines Codex
(der Antropotechniken - PK)."2)
Peter Sloterdijk
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s scheint mithin nicht, die neue Qualität der "aktuellen Gesellschaften" bestünde darin, daß sie "entschieden post-literarisch, post-epistolographisch und folglich post-humanistisch" wären, sondern daß die technologische Entwicklung, die auch der Idee des Humanismus neue technische Medien-Träger wie Fernsehen, Film, Internet u.a. zur Verfügung stellte, ihnen ganz neue Möglichkeiten eröffnet. Insbesondere wird es deutlicher als je zuvor, daß der Humanismus nicht nur "Zämung" "der bestialisierenden Tendenzen" des Menschen, sondern auch Schutz vor der Bestialität der Natur, Bedürfnis zu sehen, was hinter dem nächsten Hügel oder auf dem Mars ist, bedeutet - "to boldly go, where no man has gone before..."
Zu der neuen Qualität der "aktuellen Gesellschaften" gehört auch, daß es Genforscher gibt, die behaupten, es gäbe Gen für Religion, für Kriminalität, für Homosexualität usw. Daß es keinen freien Willen gäbe, weil Gehirn und somit Gedanke/Gefühl biochemisch determiniert seien - statt "cogito ergo sum" müßte es mithin heißen: "Ich werde gedacht also bin ich".
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Dr. B. Crusher (r.): "Sie haben Ihre Forschung über
das Leben der Patienten gesetzt....",
Neuro-Genetikerin Dr. Russell (Star Trek).
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enn es medizinisch und gentechnisch möglich sein sollte, den Menschen nach dem Geburt radikal von vielen Krankheiten und Invalidität zu befreien, dann könnte es zweckmäßiger werden, ihn genetisch vor dem Geburt, und zwar für immer, davon zu bewahren. Vorausgesetzt, daß es technisch sicher möglich wäre, frage ich mich, warum dies auch nicht als Keimbahntherapie zulässig sein sollte? Es würde lediglich einen zufällig kranken Teil der bisherigen, natürlichen Menschheit zu Gunsten ihres gesunden Teils durch Vorbeugung eliminieren. Ich fühle mich aber verpflichtet noch weiter zu gehen: Würden wir nicht die Menschheit vor der kosmischen Strahlung im Wege einer Keimbahntherapie schützen, wenn dies die einzige Möglichkeit des Überlebens von Homo Sapiens wäre? Selbstverständlich würden wir in solchem Fall vor dem Eingriff in die Keimbahnzellen nicht zögern. Der Unterschied zu einer nicht direkt vorhandenen aber potenziell immerwährenden Bedrohung aus dem Kosmos, und den Chancen, die sich vor der genetisch verbesserten Menschheit im Weltall öffnen würden, besteht praktisch nicht ("Angriff ist die beste Verteidigung"). Warum also nicht z.B. die durchschnittliche Intelligenz genetisch steigern, wenn dies ohne negative Nebenwirkungen gelingen sollte?
Millionen Menschen empfinden ihren Körper objektiv begründet als Gefängnis, weil sie tatsächlich "zu dick oder zu dünn" sind. Warum also nicht auch gesetzliche, minimale Kriterien der Schönheit, z.B. Körpergröße zwischen 170 und 200 Zentimeter, genetisch durchsetzen?
Ich glaube, wir sollten unsere Lebenserwartung um Jahrhunderte verlängern und die quantitative Spanne der durchschnittlich gesteigerten Intelligenz verringern (also IQ von z.B. 200 bis 220, statt 70 bis 150 wie bisher). Es stören nicht die Höhe und die Vielfalt der Begabungen, sondern die genetisch ungerechten Intelligenz-Unterschiede zwischen Menschen. Es sollte beseitigt werden, daß jemand sich als der Bessere fühlen kann/muß, weil viele Mitmenschen, objektiv gesehen, kosmetisch "zu klein oder zu groß" usw. oder zu wenig intelligent sind. Kein Glück, keine "beautiful People" auf Kosten des genetischen Vergleichs mit den Mitmenschen!
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| "
Sie machen mir Angst Doktor!
Sie setzen das Leben Ihrer Patienten aufs Spiel
und rechtfertigen es im Namen der Forschung.
Sie haben Ihre Forschung über das Leben der Patienten gesetzt,
und ich bin der Meinung, das ist der schlimmste Vertrauensbruch,
den ein Arzt nur begehen kann.
"
Commander Dr. Med. Beverly C. Howard Crusher,
USS Enterprise, Jahr 2365 (Star Trek: TNG, 116, "Ethics")
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owohl das Mitgefühl zu den genetisch kranken oder nur in ihrem Streben nach Glück genetisch objektiv benachteiligten Menschen als auch die Notwendigkeit, sich der Unendlichkeit des Kosmos zu stellen - beide das positive Selbstverständnis des Humanismus - sprechen für derartige genetische Verbesserung von Homo Sapiens, daß eine neue Menschheit entstehen müßte. (Ich nenne sie nicht Übermenschheit, weil dies nach Herrschaft der Übermenschheit über Menschheit klingt.) Dann entsteht jedoch die Frage, was sollte mit "der bisherigen Menschheit" geschehen? Soll sie, wenigstens eine Zeitlang als Versicherung gegen langfristige Risiken oder für immer, parallel existieren? Wer soll über die neuen Eigenschaften des neuen Menschen entscheiden? Würden dann etwa die Einen den Religiosität-Gen und die Anderen den Atheismus-Gen eliminieren wollen? Was soll z.B. genetisch "gezähmt", und was der Arbeit an dem eigenen Charakter dem Einzelnen überlassen werden? Sollten wir die gentechnischen Fortschritte mit "Abtreibung"-Experimenten an Embryonen zulassen, weil man damit, sozial gesehen, viel Unglück verhindern kann? Ist es vielleicht denkbar, die Entnahme der Stammzellen von einem Embryo, wie Blutentnahme zu sehen? Werden sich die Völker eines Tages ihre (vermeintliche) genetische Stärken und Schwächen mit Haß vorhalten und Genforschung als Waffe mißbrauchen? Wird es zu einer Diktatur mit biologischen Mitteln kommen?
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| "
Das Recht auf Selbstsein kann bei gezeugten Wesen
nie bis auf die Mitbestimmung bei der eigenen
Empfängnis ausgedehnt werden. Wir sind alle in
diesem Sinn zur Existenz verdammt. Existieren
heißt den Zufall übernehmen, der uns gemacht hat."
2)
Peter Sloterdijk
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ch möchte Sloterdijk an dieser Aussage nicht fest nageln, aber sie ist so unter keinen Umständen akzeptabel. Wir respektieren sogar einen nicht ausgesprochen
letzten Willen nach Ende des Lebens - warum sollten wir einen nicht ausgesprochen ersten Willen vor seinem Beginn nicht respektieren? Ununterbrochen, ohne
unseres Wissen, entscheiden unsere Volksvertreter für uns - bis zu Fragen über Leben oder Tod. Wenn wir auf dem Operationstisch unter der Narkose liegen, entscheiden die Ärzte, ob sie uns zu unserem Wohl etwas herausschneiden oder nicht. Warum sollten Rechte eines noch nicht existierenden Lebens vor seiner Empfängnis nicht existieren? Sie müssen sogar existieren!
Selbst wenn wir nur die Tiere gentechnisch verbessern oder neu erschaffen sollten, dürfen wir sie nicht so erschaffen, daß sie in ihrer Umwelt leiden müßten, weil ihre Organismen z.B. der Schwerkraft der Erde nicht standzuhalten vermochten.
Um so mehr betrifft dies den Menschen oder ein neues intelligentes Leben. Es muß verboten sein, zu instrumentellen Zwecken den Menschen genetisch zu verändern oder ein anderes intelligentes Leben zu erschaffen. Wir wissen nicht, ob es nicht im Kosmos um tausende Jahre höher entwickelte Zivilisationen gibt. Es ist ein Gesetz des Weltalls: Wenn wir von anderen intelligenten Lebensformen nicht instrumentalisiert werden möchten, dürfen wir selbst dies den anderen nicht antun.
Es ist eine sehr hohe Hürde - sie verbietet z.B. genetische Erschaffung von Soldaten, die keine Angst vor dem Tode haben würden und zwanghaft nur uns dienen möchten.
Die genetische Erschaffung von neuem, nicht menschlichem, intelligentem Leben dürfte mithin nur völlig selbstlos erfolgen. Bei der Verbesserung des Homo Sapiens als Gattung kann man zwar vom Eigeninteresse der Gattung, nicht aber von einer Instrumentalisierung sich selbst sprechen. Das intelligente Leben ist sogar verpflichtet, sich selbst, auch genetisch, ständig zu verbessern, um einerseits sich selbst dem Universum zu erhalten und andererseits u.U. anderem intelligentem Leben zu helfen.
In diesem Sinne muß das Recht auf Selbstsein bei gezeugten Wesen bis auf die Mitbestimmung bei der eigenen Empfängnis ausgedehnt werden. Wir dürfen kein intelligentes Leben verdinglichen, es zur Existenz als Objekt verdammen. Existieren darf nicht heißen, jeden Zufall übernehmen zu müssen, der uns gemacht hat.
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Es wird einigen Leuten nicht gefallen,
aber wir werden im Weltraum kämpfen.
Wir werden den Kampf in den Weltraum hineintragen,
und wir werden aus dem Weltraum heraus,
die Ziele auf der Erdoberfläche angreifen."
3)
Joseph Ashy, leitender Kommandeur der militärischen
Weltraumbehörde U.S. Space Command
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eider läßt die obige Aussage von Sloterdijk eine Diktatur mit biologischen Mitteln zu. Wenn es für einen Weltraumkrieg gerüstet wird, dann wie wahrscheinlich ist es, daß es für militärische Genforschung die Mittel fehlen würden? Um einen Krieg zu gewinnen oder ihn durch Stärke zu vermeiden, muß man dem potentiellen Gegner überlegen sein...
Es ist bereits so, daß Millionen genetisch weniger Begabten zu sie entfremdender Arbeit gezwungen werden und das Leben der "beautiful People" in Fernsehen und in Illustrierten stellvertretend für das Eigene erleben. Die Menschen mit einer, wie auch immer gemessenen, Intelligenz von weniger als IQ=90 (also eher unterdurchschnittlich) haben, statistisch gesehen, im Vergleich zu Personen mit Intelligenz von IQ zwischen 111 und 125 (eher überdurchschnittlich) ein paar mal größere Chancen in Gefängnis zu landen, arbeitslos, geschieden zu werden oder ein nichteheliches Kind zu haben.
Die Bürger der Entwicklungsländern dürfen im Fernsehen das Leben der Nachkommen ihrer Koloniallherren bewundern. Eine genetische Änderung müßte nicht einmal anderen Menschen etwas nehmen: Es würde ausreichen, daß ein Teil der Menschheit sich genetisch von dem anderen Teil zum eigenen Gunsten entfernt, um nach einer Zeit sagen zu können, ja vielleicht zu müssen: "Jedem das Seine!".
it der genetischen "Zähmung" der menschlichen Bestialität würde ich vorsichtiger sein: Soll sie nicht besser, auch auf die Gefahr der Selbstvernichtung der Menschheit hin, weiter dem Gewissen und dem freien Willen überlassen werden? Die genetische Beseitigung der Möglichkeit der Selbstvernichtung der Menschheit würde uns wohl um den Sinn des Lebens und die Freiheit bringen? Man handelt "gut" nur so lange man auch "böse" handeln könnte. Man glaubt nur, wenn man den Gott verneinen
oder abweisen kann.
Die genetische Verbesserung von Homo Sapiens darf also nicht den freien Willen, die Freiheit, den Sinn des Lebens oder die Vielfalt der Begabungen und Persönlichkeiten beseitigen. Sie soll aber den Teil der Menschheit, der objektiv begründet ihren Körper als Gefängnis betrachtet, aus diesem Gefängnis befreien. Die Änderungen, obwohl enorm, werden dabei psychologisch durchaus tragbar sein - wir akzeptieren ja bereits die gerichtlich genehmigten Geschlechtsumwandlungen
oder kosmetische Operationen. Eine Menschheit, die im Schnitt z.B. 300 Jahre, ohne Invalidität oder genetische Krankheiten, ohne die schlimmsten kosmetischen Mängel und mit der Möglichkeit der gerichtlichen Genehmigung der genetischen Eingriffe zu kosmetischen Zwecken leben würde, würde von ihren Vertretern
als normal, und unsere Zeit als bedauernswerte Barbarei gesehen.
Meiner Meinung nach müßten die bereits vorhandenen demokratischen Mechanismen erlauben, eine planetare Öffentlichkeit zu schaffen, notwendige Gesetze auszuarbeiten, und in Debatten nach dem "Euro-Muster" die genetischen Verbesserungen der Gattung schrittweise vorzubereiten.
ir haben noch ein wenig Zeit, bis die Genforschung brauchbare Resultate vorlegen kann. Vielleicht noch weniger Zeit bis zu den ersten, von der Genforschung verursachten Katastrophen. Wir dürfen jedoch die gewisse Trägheit der gesellschaftlichen Entwicklungen nicht vergessen: Die jetzt und in den nächsten Jahren geführte bioethische Diskussion wird in ca. 25 Jahren die Art der Nutzung der Genforschungergebnisse bestimmen. Wenn wir entschieden und demokratisch die weltweite Unterentwicklung bekämpfen, das Recht auf Arbeit für jeden durchsetzen, den Krieg durch den Weltrechtsstaat und die Weltregierung verhindern usw., dann fördern wir beides: Genforschung und sichere, humanistische Anwendung ihrer Ergebnisse.
Als Nebenwirkung, sozusagen Unterwegs, verringern wir dann gleichzeitig die schlimmsten Abweichungen von der Norm des Guten - die schlimmsten "bestialisierenden Tendenzen".
in Paradies werden wir nie schaffen, aber sehr wohl eine menschliche oder natürliche Bestialität im Ausmaß einer planetaren Katastrophe verhindern und genetische Chancenungleichheiten beseitigen können.
Nürnberg, 19. Oktober, 1999
Reumann, Kurt, "Die Kenntnis der Dichter macht nicht menschlich. - Rektoren und Präsidenten der deutschen Hochschulen blicken Weimar ins Doppelgesicht", FAZ, 26.04.99.
Sattler, Stefan, "Was uns immun macht" - Interview mit Peter Sloterdijk in: "Focus".
Rasper, Martin, in: "Natur & Kosmos", Nr. 8, 1999, zitiert nach dem Raumfahrtexperten und Buchautor Karl Grossmann.
Michnik, Adam, "Religia to powazna sprawa" - Gespräch von Adam Michnik und P. Adam Boniecki in: "Tygodnik Powszechny", Nr. 30/1992, S. 1, 4-6. (Übersetzung des Zitats - P. K.)
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