
Giorgio Agamben
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Bei
den Recherchen zum Thema ´Ausnahmezustand` stiessen
wir auf den gleichnamigen Film. Auf den ersten Blick ist der Film
typisches "Hollywood-Kino". Bei näherer Betrachtung ergaben sich jedoch
einige Ansätze, die diesen Film dann doch wesentlich tiefgründiger
erscheinen lasssen.

Edward
Zwick schuf 1998 den Film Ausnahezustand (Originaltitel: The
Siege).
Ausnahmezustand ist ein
Hollywood-Action-Thriller, der den ersten
Anschlag auf das World Trade Center von 1993 weiterspinnt.
In einer Wüste wird der arabische
Scheich
Achmed bin Talal entführt, der
angeblich für Terroranschläge auf amerikanischen Boden verantwortlich
ist. Einige Zeit später verüben Terroristen mehrere Anschläge auf Busse
in New York.
Denzel Washington spielt den
FBI-Agenten Hubbard (seine Freunde dürfen ihn "Hub" nennen), dessen
Anti-Terror-Sondereinheit die terroristischen Zellen aufspüren soll,
die für eine Serie von Bombenanschlägen in New York verantwortlich
sind. Sein Partner ist ein FBI-Agent arabischer Abstammung (Tony
Shalhoub), der filmdynamisch den Beweis liefert, dass nicht alle
Araber böse sind. Mit dabei ist auch eine CIA-Spionin (Elise
Kraft/Sharon Bridger; gespielt von Annett Bening),
deren Verbindungen zu den Terroristen im
Kern der Konflikte liegt. Als die Bombenanschläge
eskalieren und außer Kontrolle geraten, verhängt der Präsident das
Kriegsrecht und setzt unter dem Kommando des Generals Devereaux (mit
undurchdringlicher Mine gespielt von Bruce Willis) Panzer und Truppen
ein, um die Terroristen aufzustöbern. Erinnerungen an die Internierung
von Amerikanern japanischer Abstammung während des Zweiten Weltkriegs
oder die Bilder aus Guantanamo drängen sich auf, als Araber -- darunter
auch der Sohn des
arabisch-amerikanischen FBI-Agenten -- in einem Stadion
zusammengetrieben werden.

(In einem Lager
in einem Baseballstadion werden Verdächtige Araber interniert und
verhört. Die Bilder erinnern stark an inzwischen bekannte aus
Guantanamo Bay.)
Bereits
recht früh im Film
erklärt Kraft/Bridger
(Annett Benning) den Unterschied zwischen alten und neuen
Terrornetzwerken. Früher kontrollierte ein Kopf alle Aktionen eine
Organisation. Heute opperieren mehrere Zellen unabhängig voneinander.
(Bridger/Kraft
erklärt den Aufbau von Terrorzellen in der Vergangenheit und in der
Gegenwart: 0:21min; 332 kb)
In einer Kernszene des Films steht eine
Sitzung des nationalen Sicherheitsrats der USA im Mittelpunkt. In
dieser Sitzung werden alle möglichen Mittel diskutiert, die man hat, um
auf die Anschläge zu reagieren. Ein Vertreter befindet, dass die
"konventionelle Strafverfolgung der Aufgabe nicht gewachsen ist." Ein
anderer hat die Befürchtung, dass die Verantwortlichen nicht auffindbar
seien. Die Möglichkeit, die Army einzusetzen wird ebenfalls
aufgeworfen. Eine Senatorin sagt aus, das es gesetzlich verankert sei,
dass die Armee niemals gegen das eigene Volk eingesetzt werden darf.
Beispiele für einen frühere Verhängung des Ausnahmezustands ( Lincoln,
1862) werden gennant, den das oberste Verfassungsgericht später für
verfassungswidrig erklärte. General Devereaux (Bruce Willis) wird
nach seiner Meinung gefragt und antwortet: Die Army ist ein
Breitschwert kein Skalpell. Glauben sie mir, Senator. Sie wollen die
Army in keiner amerikanischen Stadt haben." Danach veranschaulicht er,
was es bedeuten würde die Army in einer Stadt in Stellung zu bringen.
Die gesamte Sitzung verdeutlicht, in welchem Dilemma eine Regierung
steckt, die in ihrem eigenen Land Terror zu bekämpfen hat.
Die Sitzung des
nationalen Sicherheitsrats in "Ausnahmezustand" als
Audio-mp3-Datei (2:44; 2,5 MB)

(Die Army
besetzt New York. Armeefahrzeuge rollen über die Wall Street.)

(Nur
nach einer Kontrolle darf man New York verlassen oder betreten.)
Die FBI-Zentrale wird gesprengt und der
Präsident verhängt den Ausnahezustand. Junge Araber werden gesucht. Die
Army treibt diese in Lager und verhört sie. Einer wird als Verdächtiger
für ein früheres Attentat verhört. Um Informationen aus ihm
herauszubekommen, entschliessen sich Kraft/Bridger und Devereux zur
Folter.

(Kraft/Bridge
und Devereaux verhören einen Verdächtigen. Hubbard sieht zu.)
Nachdem er gehört hat, wie Devereaux
und Kraft/Bridger planen, den Verdächtigen zu foltern, fleht Hubbard
die beiden an, es nicht zu tun. In dieser Rede wird deutlich, wie weit
ethischer Anspruch und Realität in amerikanischen Handeln auseinander
liegen können.
Devereaux:
"Wir haben hier einen Mann, der leiden muss, damit hunderte von Leben
gerettet werden."
Hubbard:
"Ein Mann! Warum nicht zwei? Warum nicht
sechs? Warum gibt es keine öffentliche Hinrichtung."
Devereaux: "Sie dürfen den Raum
jederzeit verlassen, Agent Hubbard."
Hubbard: "Ich bitte sie
General, wir haben Leute verloren, aber das können sie doch nicht
tun.(...) Was ist, wenn die uns im Grund nur dazu bringen wollen,
Kinder in ein Stadion einzupferchen, so wie wir es gerade tun? (...)
Pfeift auf das Gesetz und zerpfleddert die Verfassung ein klein
bißchen. Denn wenn wir diesen Mann foltern, Genenal, wenn wir das tun,
ist alles wofür mal bluten und kämpfen und sterben mussten zum Teufel!"
Devereaux und Kraft/Bridger
symbolisieren zwei Möglichkeiten, wie
man der Bedrohung begegnen kann. Devereaux verkörpert dabei die Army.
Mit der
Befehlsgewalt über eine gigantische Militärmaschinerie begründet er die
Machtgrundlage der USA. Allerdings ist es unmöglich, diese Macht
dosiert
einzusetzen. „Die Army ist ein Breitschwert, kein Skalpell...“ sagt
Devereaux und bittet gleichzeitig darum, dass die Army nicht auf
amerikanischen Boden eingesetzt
wird. Nachdem der Befehl aber doch kommt, sind
ihm alle Mittel Recht, um seine Ziele zu erreichen. Diese Ziele sind
der
Schutz der Bevölkerung und der Dienst an
seinem Präsidenten. Dafür ist er bereit, Gesetze zu übertreten und zu
foltern.
Im Gegensatz dazu steht Elise Kraft/ Sharon Bridger. Sie steht für die
Möglichkeiten des CIA. Nur auf Auslandeinsätze beschränkt darf sie
eigentlich
nicht im Inland operieren. Sie gibt viel Geld aus für unsichere
Informanten,
sie unterstützte Saddam Hussein und sie bildete anschließend Kämpfer
aus, die
ihn bekämpften. Dennoch ist der Terrorismus eine Bedrohung aus dem
Ausland und
sie verfügt über umfangreiche Kenntnisse über Kultur und Symbolik der
islamischen Welt. Zwischen beiden steht Hubbard. Als "Mr. Right"
vertritt er den gesunden Menschenverstand und die Ethik. Er verliert
Freunde durch die Terroristen und dennoch ist er bereit, ihnen ihr
Rechte zu gewähren. In ihm wird das Dilemma Amerikas auf die Spitze
getrieben. Auf der einen Seite sieht sich Amerika einer schwer zu
bekämpfenden Bedrohung ausgesetzt, auf der anderen Seite sieht es sich
als Vorbild, welche die eigenen Werte vorleben muss, um andere davon zu
überzeugen.
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