Der ehemalige Lesehof des Hochstiftes Passau in Klosterneuburg
Baugeschichte und Rekonstruktion


Gebäude B: "Kellergebäude"

img016.jpgAnnähernd parallel zum Gebäude A wurde in einer zweiten Phase Gebäude B errichtet. Der in das Bodenniveau eingetiefte rechteckige Keller von 10 x 6 m lichter Weite bei einer Mauerstärke von 1,1 m ist architektonisch am besten erhalten. Im Grundriß zeichnet sich ein klar von Gebäude A zu unterscheidendes architektonisches Gefüge ab. An der Stirnseite, wo der achsial liegende Kellerabgang erhalten blieb, befindet sich an der Ostecke ein diagonal anlaufender Strebepfeiler. Sein Pendant bildet die Zungenmauer von Gebäude A, welche im Aufgehenden von der Ecke des Gebäudes B umfangen wird. Das Kellergebäude B ist daher stratigraphisch jünger als der "Chorhof" A. Ein weiteres Strebepfeilerpaar befindet sich in der Mitte der Längswand. Die Rückwand hatte an der Westecke kreuzförmig angeordnete Strebepfeiler, während sie sich an der Nordecke nach einem Knick in der Bauflucht noch mindestens 10 m fortsetzte. Im Gegensatz zum "Chorhof" A ist das Kellergebäude B als voll ausgebildeter gotischer Strebepfeilerbau anzusprechen. Die Anlage von relativ eng stehenden Strebepfeilern an einem doch relativ kleinen Bau läßt auf ein schweres Gewölbe, etwa ein Kreuzgratgewölbe, schließen. Außerdem scheinen beim Bau in der Nordecke massive statische Probleme aufgetaucht zu sein, den hier greifen zwei Konterbögen über die Ecke hinweg. Das an dieser Stelle schräg nach Norden abfallende Gelände, die Konterbögen, das Abschwenken der Bauflucht und die relativ massiven und eng gesetzten Strebepfeiler sind offensichtlich durch die instabile Statik des Geländes (ein ehemaliger Bachverlauf?) bedingt. Die Lösung des Problems mit Konterbögen an der Fundamentsohle deutet jedenfalls auf einen erfahrenen Baumeister hin.

img017.jpgAn der Südwestseite des Kellerraumes hat sich eine alternierende Reihe von steil abfallenden Fenstersohlbänken und flachen Rechtecknischen erhalten. An der gegenüberliegenden Längswand, die stark durch spätere Eingriffe gestört war, kann eine ähnliche Konzeption rekonstruiert werden. In der Stirnwand sind beiderseits des Eingangs zwei in Höhe und Konstruktion unterschiedliche Nischen angebracht, welche vermuten lassen, daß auch hier eine spätere Abänderung im baulichen Konzept notwendig war.

Das Kellergebäude diente, wie Funde nahelegen, der Weinlagerung. Die erforderliche Belüftung erfolgte durch die seitlichen Fensterreihen an den Längswänden, wobei querrechteckige Fensterrahmungen anzunehmen sind. In der Regel sind solche Keller gewölbt.

Die Fortsetzung des Kellergebäudes nach NO bildet eine in Dimensionierung und Struktur dem Hauptbau gleichartige Mauer. Ob sich zu diesem Zeitpunkt hier bereits weitere Massivbauten befunden haben, kann wegen der Störungen durch spätere Einbauten nicht mit Sicherheit entschieden werden. Zumindest die nordöstliche Längsmauer des Kellergebäudes B blieb zunächst unverbaut, wie aus der Lage des mittleren Strebepfeilers an der nordöstlichen Längsmauer abzuleiten ist. Erst mit der Errichtung des stratigraphisch jüngsten Gebäudes E wurde die Langseite des Kellergebäudes B verbaut. Wie noch gezeigt werden soll, geschah dies wahrscheinlich im späteren 15. Jahrhundert.

img029.jpgEine engere Datierung des Kellergebäudes B erweist sich als schwierig. Der "Chorhof" A trägt mit seiner architektonischen Gliederung durch Ecklisenen noch altertümliche Züge aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Das Baugefüge und der Typus des Kellergebäudes mit seinem stilistisch fortschrittlicheren Strebesystem könnte schon bald danach entstanden sein. Im 15. Jahrhundert, als man Gebäude E errichtete, bestand das Kellergebäude jedenfalls schon längere Zeit. Als Kriterium für eine nähere zeitliche Differenzierung von "Chorhof" A und Kellergebäude B soll die Struktur des Mauerwerks herangezogen werden.

Die Mauern der Gebäude A und B bestehen aus örtlichem Flyschsandstein. Sie sind Schalenmauern, wobei die Mauerspeise zwischen den beiden Bruchsteinschalen als Mörtel-Stein-Gemisch eingebracht wird. Der Aufbau erfolgt in einzelnen Schichtkompartimenten, welche von sorgfältigen horizontal ausgerichteten Ausgleichsschichten kleinerer Steinformate gegliedert werden.

Beim Mauerwerk des Gebäudes A wird versucht, die einzelne Schichthöhe durch geeignete Steingrößen beizubehalten. Es finden sich sehr häufig kleine Steinplättchen als Ausgleich pro Schicht; vereinfacht ausgedrückt, die Mauer wird Schicht für Schicht angepaßt.

Auch das Mauerwerk B verläuft in Schichten, allerdings werden diese zu jeweils 0,4 bis 0,5 m hohen Paketen zusammengefaßt und dann durch plattige Steinlagen horizontal abgeglichen. Dadurch ergibt sich optisch eine oft über die gesamte Länge der Mauer durchlaufende "Bänderung". Innerhalb dieser Schichtpakete erfolgt abschnittsweise ein rascher Wechsel in den Steinformaten.

Aus allgemeinen Untersuchungen zum mittelalterlichen Bruchsteinmauerwerks ist bekannt, daß die Entwicklung vom Schicht für Schicht verlegten Mauerwerk zu immer höheren Schichtpaketen übergeht, wobei im ausgehenden Mittelalter die Höhe der Ausgleichschichten mit den Arbeitshöhen (1 - 1,5 m) zusammenfällt. Die Regellosiigkeit des Mauerwerks zwischen den Schichten nimmt ebenfalls zu, bis schließlich in der frühen Neuzeit der Übergang zum vollkommen regellosen Bruchsteinmauerwerk erfolgt.

Aus der Sicht dieser hier nur sehr grob angedeuteten Entwicklung - sie stellt bloß eine Variante dar - geht hervor, daß das Mauerwerk des Gebäudes A den älteren Typus vertritt, andererseits zeigt das Mauerwerk des Gebäudes B noch nicht die Merkmale eines Mauerwerks des späteren 14. Jahrhunderts.

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