Wieder in Chile, gibt es hier in Cerro Castillo leider nicht arg viel Möglichkeiten, unseren Proviant wieder aufzustocken. Der Minimarkt hat nur das Allernotwendigste, und das wenige ist für chilenische Verhältnisse noch ziemlich überteuert. Da können wir froh sein, dass sie an der Grenze unser Gepäck nicht sehen wollten, denn eigentlich darf man keine frischen Lebensmittel nach Chile einführen. So konnte ich jetzt wenigstens meine letzten beiden Äpfel, den Käse und die Salami retten, Michi und Gerhard haben noch viel mehr mit eingeschmuggelt.
Wir sind bisher gut vorangekommen, es ist noch recht früh am Nachmittag, also fahren wir auch noch die letzten 65 km bis in den Nationalpark Torres del Paine. Jetzt bin ich wieder hier, wo ich vor knapp 2 Jahren schon mal war, und wo die Idee zu dieser Reise entstanden ist, als ich nur eine Tagestour im Bus machen konnte und mir dachte, hier müsst ich nochmal herkommen, mit viel mehr Zeit und mit dem Mopped.
Der Eintritt ist für Ausländer recht happig, aber mit meinem chilenischen Ausweis komme ich zum Glück mit einem Drittel dessen davon. Das grössere Problem ist heute allerdings der Fluss, der über seine Ufer getreten ist und die Überfahrt blockiert. Die Parkwächter meinen, an den seichten Stellen wäre es nur knietief, und der Untergrund wäre fest, wir könnten es durchaus schaffen. Bloss, wie sollen wir wissen, wo die seichten Stellen sind? Michi will das natürlich auf jeden Fall ausprobieren und fährt voraus. Er eiert und schlingert ziemlich durch die Gegend, aber er kommt durch, bleibt dann jedoch zunächst im Gestrüpp neben der Strasse stecken. Oh je, mir reicht schon das Zuschauen, ich brauch das nicht noch selber zu probieren, und Gerhard sieht das genauso. Über Zurufe verständigen wir uns mit Michi auf der anderen Seite, und verabreden uns für morgen früh um 10.00 an der Brücke. Je nach Wasserstand werden wir schon sehen, was wir dann tun werden.
Jetzt aber kehren Gerhard und ich erstmal um und fragen die Parkwächter um Rat. Die bieten uns an, die Moppeds bei ihnen stehen zu lassen und stattdessen den Bus zu nehmen, dessen Zubringerdienst sogar im Preis für den Zeltplatz inbegriffen ist. Der Fluss würde wohl noch 4-5 Tage brauchen, bis er wieder seinen normalen Stand erreicht.
Also gut, wir nehmen unser gesamtes Gepäck mit, und lassen die Moppeds zurück. Das Chaos wird perfekt, als gerade auch noch 2 grosse Busse voll mit Pauschaltouristen ankommen. Alle wollen in die kleinen Mini-Busse, das wird sich nie ausgehen. Aber die Pauschalturis bekommen natürlich Vorrang und werden zuerst aufgeladen. Frechheit, wo wir doch zuerst da waren!!
Wir brauchen aber nicht lange zu warten, eine Viertelstunde später kommt der reguläre Bus. Es sind immer noch zu viele Leute, aber die Parkwächter haben das gut im Griff, Gerhard und ich dürfen als erstes zusteigen. Glück gehabt! Auch die Busfahrt ist recht spektakulär, die Holzbrücke, über die wir müssen, dürfte keine 5 cm schmäler sein. Das ist echte Massarbeit, wie der Fahrer den Bus da rüber manövriert!
Auch am Campamento geht es zu wie im Taubenschlag. Jede Menge Zelte überall. Bloss Michis Zelt ist nirgends zu sehen. Hmmmm... Doch! Da, da hinten steht es! Und gleich darauf hält auch schon der Bus und spuckt uns alle aus, wir brauchen gar nicht weit zu laufen. Michi ist schon wieder bei seiner Lieblingsbeschäftigung, dem Essen, und schaut ganz verdutzt als wir doch noch aufkreuzen. So sind wir doch wieder alle drei glücklich vereint.
19.02.2001
Es tröpfelt immer wieder mal in der Nacht, aber am Morgen ist es Gott sei Dank wieder trocken und die Sonne scheint. Die drei Torres, die Felstürme, stecken zwar noch in Wolken, aber es sieht aus als könnten sie bald frei werden. Wir machen uns auf zur Wanderung dorthin, angeblich sind es 3,5-4 Stunden dorthin. Es ist endlich unsere erste gemeinsame Wanderung zu dritt, wobei von 'gemeinsam' eigentlich nicht die Rede sein kann, denn Gerhard läuft uneinholbar voraus. Die ersten beiden Abschnitte zum Campamento Chileno und weiter zum Campamento Torres schaffen wir unter der angegebenen Zeit, nur das letzte Stück geht ziemlich steil bergauf und ist schon eine rechte Kletterpartie über Steine und Geröll und Felsblöcke hinauf. Dafür brauche ich schon fast die 45 Minuten, und ab und zu bin ich nah dran, aufzugeben. Aber so knapp vor dem Ziel, das darf nicht sein! So quäle ich mich die letzten Höhenmeter hinauf, und es lohnt sich! Mittlerweile, bis auch ich oben bin, hat sich die Sonne zwar gerade wieder verzogen, aber der Anblick ist immer noch grandios. Allerdings wird es hier oben schnell ziemlich frisch, daher fällt die Jause recht kurz aus und wir machen uns schnell wieder an den Abstieg.
Schon am Morgen hat uns der nette Busfahrer von gestern Bescheid gesagt, dass der Fluss über Nacht gesunken und der Weg wieder frei befahrbar ist. Also nutzt Michi die Gelegenheit und fährt zurück, um seine Fotokamera zu holen, die versehentlich in Gerhards Jacke bei den Parkwächtern geblieben ist. Ich fahre mit ihm hinten drauf, um Violeta zum Campamento zu holen. Entweder um sie auch hier stehenzulassen, falls ich die nächsten Tage von hier aus wandern werde, oder um sie in Ruhe zu bepacken und weiterzufahren zum Campamento Pehoe am andern Ende vom Nationalpark, um von dort aus die Tageswanderungen zu unternehmen. Das muss ich mir noch überlegen, wie ich die nächsten Tage organisieren werde.
Auch Gerhard fährt um 19.00 mit dem Bus zurück und holt sein Mopped. Ob die Idee allerdings wirklich so toll war, muss sich erst noch zeigen, denn mittlerweile prasselt der Regen wieder auf's Dach meiner gelben Villa. Wenn das so weitergeht, wer weiss, wie hoch dann der Fluss morgen wieder stehen wird. Ausserdem haben es die 7 km zum Campamento ziemlich in sich. Heute hat die Strecke richtig Spass gemacht, aber wenn sie nass ist, mag das ganz anders aussehen.
20.02.2001
Wir haben Glück, der Regen wird schon bald abgelöst vom Wind, der auch die letzten Wolken vertreibt. Die Freude darüber ist aber nur kurz, denn der Wind wird bald zum Sturm, und sorgt dafür, dass wir kaum ein Auge zu tun. Unzählige Male knickt wieder meine Zeltstange ein, und das Zelt bricht über mir zusammen. Sogar durch den Schlafsack fegt der Wind durch!
Als ich endlich gegen Morgen nochmal einschlafe, und gerade von einem luxuriösen Zimmer in einem sündhaft teuren Hotel träume, mit einer ganzen Kanne heissen Kaffees für mich alleine, holt mich auch schon die nächste Windböe wieder in die rauhe Wirklichkeit zurück.
Um mich herum werden Stimmen laut, die ersten Wanderer brechen schon auf. Auch Michi ist bereits am Packen. Er wird sich die harte Tour geben, und wenngleich bloss mit halbem Gepäck, so ist es doch mit dem grossen Rucksack voll mit Zelt, Schlafsack und jede Menge Proviant, womit er sich für 3-4 Tage auf den Weg macht. Eigentlich würde ich das ja auch ganz gerne mal ausprobieren, ich bräuchte ja nicht unbedingt soviel mitnehmen wie er, ich komme mt viel weniger Essen aus, aber mir ist eingefallen, dass ich mein Gepäck nicht aufteilen und beide Teile gleichzeitig wasserdicht verpacken kann. Entweder nehme ich den Packsack mit, dann habe ich nichts, worin ich das restliche Gepäck zurücklasse, oder ich lasse ihn da, dann ist aber das Zeug im Rucksack nicht vor Regen geschützt. Diese Tatsache erspart mir die Qual der Wahl, und gezwungenermassen schliesse ich mich Gerhard an, wir geben uns mit der Weichei-Tour zufrieden. Das ist auch durchaus ok und gar nicht die schlechteste Alternative. Wir werden mit dem Mopped wieder vor zum Eingang fahren, und von dort aus die Strasse entlang nach hinten ans westliche Ende vom Nationalpark. Dort werden wir mit der Fähre über den See setzen. Das sind nicht einmal 30 km zu fahren, und laut Reiseführer fährt das Schiff regelmässig durch bis 21.00. Also lassen Gerhard und ich es gemütlich angehen, inzwischen hat auch der Sturm nachgelassen, und die Sonne kommt raus. Das verlockt zu einem richtigen Frühstück, ich mache erst noch Wasser heiss für den Kaffee. Den schlürfen wir noch in aller Ruhe, erst danach packen wir langsam unser Zeug zusammen.
Die Strecke macht richtig Spass zu fahren, und ich weiss nun definitiv, was ich damals nur ahnte: es ist einfach nur geil, hier mit dem Mopped durch den Nationalpark düsen zu können, selbst wenn die Aussichten heute nicht ganz so beeindruckend sind wie damals, weil die Spitzen der Felstürme immer noch wolkenverhangen sind, und es auch zwischendurch immer wieder mal regnet.
An der Anlegestelle müssen wir leider feststellen, dass wir die Fähre um 12.00 kurz verpasst haben, und die nächste erst um 18.00 ablegt. So ein Scheiss! Wir hätten doch nicht so trödeln sollen. Immerhin, wir können unser Gepäck schon mal unterstellen, und können so noch den ganzen Nachmittag ohne Gepäck rumfahren. Seht gut!! Besser hätten wir das auch nicht planen können. Erst fahren wir zum Wasserfall. Auch hier war ich damals vor 2 Jahren schon, und konnte sogar bis vor an die Felsspitze laufen. Das traue ich mich aber heute nicht, bei dem Wind, der einen ständig ins Wanken bringt. Da bleibe ich lieber in sicherer Entfernung.
Wir fahren weiter die Strasse entlang, ohne Gepäck macht das Fahren doch gleich doppelt Spass, ich kann kaum genug bekommen. Trotzdem kehren wir an der Gabelung nach weiteren 20 km lieber wieder um, denn Gerhard erinnert mich vernünftigerweise an die Reichweite meines Benzintanks. Das wird ganz schön knapp werden bis zur nächsten Tankstelle. Schön blöd! Warum hab ich Depp auch nicht gleich wieder in Cerro Castillo an der Grenze getankt! Das hab ich jetzt davon!! Aber was soll's, es fängt eh schon wieder an zu regnen. Alle 15 Minuten wechseln sich hier Regen, Wind und Sonne untereinander ab.
Die restliche Zeit verbringen wir am warmen Holzofen im Refugio, bis kurz vor 18.00 die Fähre pünktlich da ist. Uns empfängt ein riesiger Catamaran, der etwas überdimensioniert und daher fehl am Platz wirkt. Aber er wird fast voll, und hat wohl durchaus seine Berechtigung. Er kommt auch flott voran, es fällt richtig schwer, bei dem Seegang den Kaffee zu trinken, den wir an Bord serviert bekommen.
Nach einer halben Stunde erreichen wir das Campamento Pehoe. Hier ist der Wind allgegenwärtig. Gleich bei der Ankunft beginnt die Schlacht um die besten Stellplätze, denn es gilt, einen möglichst windgeschützten Platz hinter den Büschen zu finden. Das ist nicht ganz leicht, die besten Plätze sind natürlich schon belegt. Für die Campingwärter, die sich jeden abend auf den Weg machen, um an den zelten die gebühr zu kassieren, muss das hier sein wie Ostereiersuchen. Auch wir werden schliesslich fündig, Gerhard steht an einem künstlich aufgestellten Windfang, und ich entdecke eine Kuhle, die an 3 Seiten von Büschen umstellt ist, das ist der optimale Platz, er ist nur nicht ganz eben, aber das ist hier zweitrangig. Zur Sicherheit beschwere ich die Heringe noch mit Steinen. So, jetzt kann eigentlich nichts mehr passieren.
21.02.2001
Einwandfrei! Der Windschutz wirkt. Ich höre zwar noch den Wind überall um mich herum rauschen, aber hier in meiner Höhle ist es still, und meine Villa steht wie eine Festung. Unbesiegbar! Nur ab und zu dringt noch ein Hauch zu mir durch, der reicht aber nur für ein leichtes Flattern. So kann ich wieder ruhig durchschlafen.
Am Morgen zwängen sich die ersten Sonnenstrahlen durch die Baumkrone. Das sieht gut aus. Der Wind macht es zwar etwas schwer, das Kaffeewasser die 200 m vom Refugio verlustfrei bis zum Zelt zu bringen, aber das Wetter ist in Ordnung. Mehr kann man hier wohl nicht erwarten. Das müssen wir natürlich ausnutzen, daher wollen Gerhard und ich die etwa 4-stündige Wanderung ins Valle Frances machen. Die erste Etappe bis zum Campamento Italiano geht am Fluss entlang und ist recht gut zu laufen. Nur ab und zu bin ich mir nicht ganz sicher, ob der Weg dem Bach oder der Bach dem Weg folgt. Das ist mitunter eine ziemlich schlammige Angelegenheit, aber es geht noch.
Das Wetter wird immer noch besser, der stürmische Wind lässt nach, es wird wärmer, die Gipfel sind frei von Wolken, blauer Himmel. Einfach nur geil!! Um uns herum erheben sich die Felstürme, hinter uns blicken wir ins Tal mit den türkisfarbenen Seen. Herrlich!!
Die zweite Etappe ist etwas steiler, aber immer noch ohne grosse Anstrengung zu laufen. Hier kommt uns auf einmal Michi entgegen, der schon wieder auf dem Rückweg ist. Er wird sich dann auch auf den Weg weiter zu unserem Camp machen, wo wir uns wohl am Abend wieder treffen werden.
Das letzte Stück zieht sich zwar etwas, aber oben werden wir wieder mit einer fantastischen Aussicht belohnt, die jede Mühe wert ist.
Der Abstieg geht zum Glück etwas schneller. Wir kommen sogar genau im rechten Augenblick aus einem Waldstück raus, um einen riesigen Lawinenabgang direkt gegenüber zu beobachten. Fast habe ich den Eindruck, dass die uns gleich mit unter sich begraben wird, wenn sie hier unten ankommt. Dazu reicht es aber zum Glück nicht ganz.
Je näher wir dem Camp kommen, umso öfter überraschen uns immer wieder heftige Windböen. Einmal muss Gerhard seiner Mütze hinterherlaufen, die sich über die Bäume hinweg selbständig macht, ein ander Mal ist es mein Fotoetui, das das Weite sucht. Während Gerhard immer dasteht wie ein Baum, schubst mich mal wieder der Wind in die verkehrte Richtung vom Weg ab den Berg hinauf, oder direkt in eine Schlammpfütze hinein.
Wieder unten im Tal können wir beobachten, wie der Sturm das Wasser im See meterhoch aufpeitscht, dass es aussieht, als würde der ganze See dampfen.
Nach genau 8 Stunden erreichen wir ziemlich erledigt und gerade rechtzeitig das Camp, bevor der Regen wieder einsetzt. Gut getimed.
Michi hat sich auch schon niedergelassen. Er hat sogar mein Zelt gefunden, und steht ganz in der Nähe. In seinem Zelt kann man im Gegensatz zu meinem auch bei Regen noch ganz gut kochen, und so bereiten wir uns die letzte übriggebliebene Suppe zu, bevor ich mich völlig geschafft in mein Zelt zurückziehe.
22.02.2001
Eigentlich wollten wir heute die letzte Wanderung, nämlich die zum Gletscher Grey wieder zu dritt machen. Aber das Wetter lädt mal wieder gar nicht nach draussen ein, ich will am liebsten erst gar nicht aus dem warmen Schlafsack. Überhaupt sind wir alle etwas unentschlossen.
Michi entscheidet sich schliesslich für die Fähre um 10.00, er hat Sehnsucht nach seinem Mopped. Gerhard und ich wollen zumindest noch bis Mittag abwarten und dann kurzfristig beschliessen, ob wir auch das nächste Schiff zurück nehmen, oder doch noch zum Wandern gehen. Oder vielleicht werde ich sogar bis morgen warten mit der Wanderung, denn meinem linken Fuss geht es nicht so gut, und das meldet er mir bei jedem Schritt.
Gegen 11.00 klart es auf, und Gerhard will zur Wanderung aufbrechen. Ich schliesse mich ihm an, oder zumindest will ich es versuchen, umkehren kann ich immer noch, wenn ich merke, dass es doch nicht geht, und es mir zu anstrengend wird.
Als wir nach etwa einer Stunde über einen Bergrücken kommen, kann ich am einen Ende des nun vor uns liegenden Sees die Stelle erkennen, an der ich vor 2 Jahren gestanden habe und den Gletscher Grey nur von ganz weit weg erkennen konnte. Daher hatte ich mir an der Stelle versprochen, irgendwann wieder herzukommen, und ihn mir aus der Nähe anzuschauen. Und genau das habe ich gerade vor zu tun, also auf geht's, weiter vorwärts!!
Nach 2/3 der Wegstrecke sehen wir ihn auf einmal in seiner ganzen Breite mächtig vor uns liegen. Aufgrund seiner Grösse wirkt er schon total nah, aber er ist doch noch eine ganze Ecke weit weg. Erst nach insgesamt 3 Stunden haben wir es fast geschafft. Da ist das Schild, das zum Refugio führt, und ich träume von einem Schoko-Eis, einem Apfelstrudel mit Vanillesosse oder einem Germknödel, während Gerhard sich zur Belohnung eher eine Schweinshaxe oder ein Schnitzel wünschen würde. Stattdessen begnügen wir uns mit unseren spärlichen Resten an Proviant, am äusserst windigen und zapfig kalten Aussichtspunkt. Dennoch, ich habe es geschafft, habe mein Versprechen eingelöst und stehe hier direkt am Gletscher Grey! Was für ein Gefühl!!.
Am Rückweg bin ich froh um jeden einzelnen Schritt, den ich dem Campamento näher komme. In weniger als 3 Stunden werde ich es geschafft haben, dann hat diese Tortur vorerst ein Ende. Zu allem Überfluss überfällt uns beim letzten Drittel auch noch ein neuerlicher Schauer. In Nullkommanichts sieht meine Hose genauso aus wie die von manch anderen Wanderern, die uns begegnet sind, und wo ich mich schon gewundert habe, wieso deren Hosenbeine an der Innenseite bis zum Schritt hoch verschlammt sind. Jetzt weiss ich es!
Gerhard läuft ganz gemütlich voraus, hat dabei sogar noch die Hände in den Taschen. So sieht es zumindest von hinten immer aus. Ich laufe, hechele, jogge, klettere und stolpere eilig hinterher. Trotzdem schaffe ich es kaum, den Anschluss zu halten. Erst mit Hilfe des Windes, der mir plötzlich heftig in den Rücken fällt, was mir sehr entgegen kommt, weil er mich so vorwärts schubst, gelingt es mir wieder, aufzuschliessen.
Als wir wieder über die letzte Kuppe kommen, liegt das Tal mit dem Camp vor uns im Sonnenschein. Bis wir dort ankommen, sind auch unsere Sachen schon fast wieder trocken, bei dem Wind geht das sehr schnell. Einen Vorteil muss er ja haben!
Ein Himmelreich für eine warme Dusche, ein Feuer im Kamin und einen heissen Glühwein! Aber nein, hier gibt es nur kaltes Wasser, die Dusche muss warten bis morgen, und statt dem Kaminfeuer wartet nur mein Schlafsack auf mich. Ich spüre kaum noch meine Beine, erst recht nicht meine Füsse, dafür meine Schultern umso mehr. Ich lasse mich ins Zelt fallen, und schaffe es gerade noch, die feuchten und dreckigen Klamotten gegen trockene zu tauschen. Da die letzten Essensreste mittlerweile aufgebraucht sind, müssen die paar Semmeln und die Dose Thunfisch und der Schokoriegel, die ich am Kiosk vom Camp ergattern konnte, reichen bis morgen Abend. Nachdem die heutige Ration davon verspeist ist, ist für mich heute Sendeschluss. Gerhard geht ganz feudal ins Refugio zum Essen.
Ein leises Rascheln holt mich wieder aus dem Halbschlaf. Irgendwas ist da. Im Schein der Taschenlampe kann ich erkennen, wie 2 Mäuse an der Aussenseite von meinem Innenzelt rumturnen. Sie wollen sich wohl über meine mageren Reste vom Thunfisch hermachen. Kommt nicht in Frage!! Ich kann sie leicht verscheuchen, und will mich gerade wieder hinlegen, als es auf der anderen Seite raschelt. Ich drehe mich rum, und kann soeben noch erkennen, wie sich eine der beiden unter meinem Schlafsack verstecken will. Das ist ja wohl der Gipfel der Frechheit, die ist in meinem Zelt!! Ich hatte den Reissverschluss nicht ganz zugezogen, das hat sie sich gleich zu nutzen gemacht. Sie ist ganz schön flink, und gar nicht so leicht wieder einzufangen. Eine ganze Weile jage ich ihr hinterher, bevor ich sie wieder nach draussen befördern kann, und endgültig für heute meine Ruhe habe.
23.02.2001
Frühes Aufstehen bei leichtem Nieselregen. Packen, um den Katamaran um 10.00 zu erwischen. Beim Blick zurück vom Schiff aus wird mir richtig wehmütig. Es war zwar anstrengend, aber dennoch wunderschön, und es fällt fast schwer, den Nationalpark wieder zu verlassen. Andererseits bin ich nun für die nächste Zeit genug gewandert, und freue mich schon wieder auf Violeta. Die Moppeds erwarten uns auf der drüberen Seite. Das übliche Spiel: bepacken der Moppeds, kicken bis zum abwinken, anschieben, losfahren. Heftiger Seitenwind greift mich gleich wieder an. Ach ja, hatte ich doch fast schon vergessen, wie übel er sein kann.
Schon bald muss ich auf Reserve schalten, aber es reicht gerade noch bis Cerro Castillo, wo ich wieder auffüllen kann. Kurz nach Mittag gelangen Gerhard und ich schon nach Puerto Natales. Mit Michi haben wir uns dort in der Turisten-Information verabredet. Aber er ist nicht hier, hat auch noch keinerlei Nachricht hinterlassen. Seltsam, eigentlich hätte er vor uns eintreffen müssen. Naja, bestimmt wollte er den Weg über die kaputte, gesperrte Brücke nehmen und ist dabei in den reissenden Fluss gefallen. Also gut, erkunden wir halt die Stadt und hinterlassen ihm einen Zettel, wo er uns finden kann.
Der zentrale Campingplatz mitten im Ort sieht ganz brauchbar aus, heisse Dusche gibt's auch, wunderbar, was will man mehr. Das übliche Pflichtprogramm, immerhin bei schönem Wetter, mit Sonne, ohne Wind: Zelt aufstellen, einrichten, duschen, Wäsche waschen. Darin sind wir schon richtig gut geübt, jeder Handgriff sitzt.
Danach machen wir uns auf den Weg, den nächsten Supermarkt ausfindig zu machen, um unsere Vorräte endlich wieder aufstocken zu können. Und siehe da, wer fährt da auf uns zu? Es ist Michi, der noch nach der Turi-Info sucht. Er schliesst sich uns gleich an.
Hier am Meer gibt es wieder leckeren Lachs, und auf selber kochen haben wir keine Lust. Ausserdem ist es hier so frostig, dass wir froh sind, uns irgendwo an einen Ofen setzen zu können. Wir gehen also nicht aus zum Essen, wir kehren vielmehr ein. Bei den hier herrschenden Temperaturen freuen wir uns schon alle darauf, bald wieder in wärmere Gefilde zu kommen.
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