Erstpublikation in: Beiträge zur
Mittelalterarchäologie Österreichs 1, 1985, 48 - 57, Taf. 20 -
22.
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ARCHÄOLOGISCH-KUNSTHISTORISCHE UNTERSUCHUNGEN IN DER PFARRKIRCHE ST. MARTIN IN ATTERSEE/OBERÖSTERREICH.
Von RUDOLF KOCH. Wien
3. BESCHREIBUNG DER BESTEHENDEN KIRCHE
Wie schon KLAAR (1975) 8) erkannte, besteht die heutige Martinskirche (St. Martin II) im Kern seit spätgotischer Zeit. Der Typus des einschiffigen Saalraumes mit gleich breitem, etwas abgeflachten Polygonchor stellt eine einfache, im 15. Jahrhundert häufig angewandte Grundrißlösung bei Dorfkirchen dar, welche auf eine Vereinheitlichung des Kirchenraumes abzielt 9). Kirchen, wie in Geretsberg (BH. Braunau), Gstaig (BH. Braunau), Holzhausen (BH. Wels), Lochen (BH. Braunau), Pulgarn (BH. Urfahr), Sarleinsbach (BH. Rohrbach) und Utzenaich (BH. Ried) belegen in Oberösterreich die Verwendung dieses Typus auf breiterer Basis 10). Die Ausstattung mit Netzrippengewölben - in Attersee als Dreiparallelrippenfiguration - gehörte zum beliebten Formenrepertoire der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts.
Nach
Abnahme der Holzverkleidung im Chor konnten an der nördlichen
Polygonfläche die Reste eines freskierten Medaillons mit der
Halbfigur des Johannes Evangelista entdeckt werden, welches ins
3. Drittel des 15. Jahrhunderts zu datieren ist. Spuren weiterer
Medaillons zeigten sich an der Nordseite des Chores, sodaß
ursprünglich der Hauptaltar an den Wänden von den vier
Evangelistensymbolen umgeben vorzustellen ist. Unterhalb der
Medaillons umzog ein gelbes Vorhangmotiv auf weißem Grund und
zwischen marmorierten Halbsäulen das Presbyterium. Diese
malerische Ausstattung wurde aus Kostengründen und mit
Rücksicht auf den fragmentarischen Erhaltungszustand bis auf das
Medaillon des Johannes Evangelista bei der Neugestaltung wieder
übertüncht. Das Figurenprogramm entstand jedoch nicht zur
Erbauungszeit der gotischen Kirche, da sich darunter - über der
Feinputzschichte - eine erste weiße und eine grauweiße
Farbschichte nachweisen ließ. Man wird daher den Kirchenbau um
die Mitte des 15. Jahrhunderts ansetzen dürfen.
Ebenfalls aus dieser Zeit hat sich im Süden des Chores die Sakristei erhalten, welche über einem jetzt der Aufbahrung dienenden Raum errichtet wurde. Beide Baukörper wurden später verändert.
Im 17. Jahrhundert
erfolgte die Neueinwölbung des Langhauses mit einer
Stichkappentonne. Schmale Stuckauflagen an den Graten der
Gewölbekappen und die Betonung der Eckverschneidungen durch
kleine, spiralenförmige Motive erlauben eine Datierung in die
Zeit um 1600 11). Schon vorher oder um diese Zeit wurde der Chor
zweimal weiß übertüncht. Nach Angaben in der Pfarrchronik
waren (mit Unterbrechung um 1598) von 1547 bis 1612 im Räume
Attersee evangelische Pfarrer tätig. Bis 1624 befanden sich in
St. Georgen i. A. noch ein Prädikant und ein protestantischer
Schullehrer. Die Umgestaltung des Langhauses und die Fassung des
Chores dürften daher mit Sicherheit auf die Reformationszeit
zurückgehen. Vor allem die erste Übertünchung der Chorfresken
spricht dafür, da das mittelalterliche Dekorationssystem den
liturgischen Vorstellungen der Protestanten widersprach.
1781 erließ Kaiser Joseph II. das Toleranzpatent, welches im Attergau den Protestanten die freie Religionsausübung nach Augsburgischem Bekenntnis zugestand. Damaliges Zentrum war Zell a. Attersee. 1809 gelangte Attersee durch den Friedensvertrag von Schönbrunn an Bayern. Die positive Einstellung der bayerischen Regierung gegenüber den Protestanten ermöglichte 1813 den Ankauf der seit Joseph II. aufgelassenen Filialkirche um 400 Gulden. Die drei noch vorhandenen Altäre der barocken Ausstattung wurden der evangelischen Gemeinde überlassen 12). |
1894 stiftete ein Villenbesitzer die polygonale Gruftkapelle an der Nordseite, und um 1900 stattete die evangelische Gemeinde den Chor mit einem neugotischen Flügelaltar und einer Seitenkanzel aus. Die Wände wurden wieder mit einem Vorhangmotiv bemalt, darüber befanden sich pastellfarbige Rahmenfelder. Die gotischen Netzrippen erhielten eine Fugenmalerei, die Gewölbekappen zeigten goldene Sterne auf blauem Grund. |
Im 20. Jahrhundert wurde der Chor mit Holzpaneelen verkleidet, die letzte farbliche Fassung war wieder einheitlich hell mit dunkelgrauer Architekturgliederung. In jüngster Zeit wurde die neue tiefreichende Orgelempore eingebaut. Besonders hervorzuheben ist die Neugestaltung des Chorraumes nach Grabungsabschluß, welche nicht nur einen Teil der spätgotischen Wandmalerei konservierte, sondern in lobenswerter Weise durch farbliche Differenzierung des Presbyteriumbodens die Lage des ergrabenen romanischen Vorgängerchores dokumentiert. Der jetzige Altartisch befindet sich an der Stelle des spätmittelalterlichen Altarsockels.
Letzte Aktualisierung 22.06.00