Harte Ziele

Mit seinem US-Regidebüt hat Hongkongregisseur John Woo sich ein "Hard Target" (so der Originaltitel von "Harte Ziele") gesetzt:

Eine Verbrecherorganisation geleitet von Emil Fouchon (Lance Hendriksen) und Pik van Cleaf (Arnold Vosloo), veranstaltet während eines Polizeistreiks in New Orleans Menschenjagden als Freizeitsport für gelangweilte Reiche. Für 10.000 US-Dollar engagieren sie obdachlose Vietnamveteranen als Jagdbeute. Jean-Claude van Damme als arbeitsloser Seemann Chance braucht erheblich weniger Geld, nämlich 217 US-Dollar, um wieder anheuern zu können. Für diesen Betrag hilft er der jungen Anwältin Natasha Binder (Yancy Butler) bei der Suche nach ihrem verschwundenen Vater. Sie kommen den Mördern auf die Spur und werden bald selbst gejagt. Doch sie erweisen sich als wahrhaft "Harte Ziele". Die Verfolgung reicht von den Straßen New Orleans bis in die Sümpfe Louisianas. Dort, im Heimterrain des Cajun Chance, werden aus Jägern Gejagte. Der Showdown in einer Lagerhalle voller riesiger Pappmachee Figuren, alter Festumzugs Requisiten, erreicht traumhafte Züge.

Die Fronten sind klar abgesteckt. Chance und Natasha sind gut, Fouchon und Pik van Cleaf sind böse. Während des Showdowns erkennen wir aber, daß zumindest ihre Methoden gleich sind. In der Lagerhalle agieren Chance und Pik, durch eine Wand getrennt, absolut synchron. In Hongkong hätten aus ihnen Freunde werden können, in Hollywood muß Pik gleich darauf sterben. Aus der Männerfreundschaft früherer Filme wird die sehr vage Beziehung zwischen Chance und Natasha. Eine Schwachstelle des Films. - Mit Frauenrollen hatte John Woo schon immer Schwierigkeiten.

Jean Claude van Damme ist wie immer Frauenretter und "guter Junge" des Actionfilms. Seine Stärke liegt in physischer Präsenz, weniger in ausgefeilter Mimik. Dem trägt Regisseur Woo Rechnung. Er führt Chance mit extremen Detailaufnahmen ein: ein Auge, ein Ohr mit Halsansatz. Momentaufnahmen. Sein Abgang gleich darauf in Zeitlupe, läßt sein schwermütiges Abbild auf der Netzhaut nachwirken. Durch geschickt gesetzte Ausschnitte und Cuts, gewinnt die Figur Chance eine Tiefe, die den Rollen van Dammes bisher fehlte. Chance ist ein rechtschaffener Mann, ein mythischer Held, ein moderner Cowboy, der auf seinem Pferd durch die Sümpfe Louisianas reitet.

Die überraschend eingesetzten Westernzitate wirken in ihrer Vertrautheit leicht komisch. Wachsam von mehreren Rüpeln beobachtet, schlägt Chance die rechte Seite seines Mantels zurück, doch dort befindet sich nicht der erwartete Sixshooter. Daß ihm dennoch nichts fehlt, zeigt er, indem er die Halbstarken gleich darauf mit gezielten Fußtritten außer Gefecht setzt. In "Harte Ziele" verarbeitet Woo noch weitere amerikanische Motive. Das Vietnamtrauma, ohne den ein amerikanischer Actionfilm anscheinend nicht auskommen kann, wird ebenfalls aufgegriffen: Die ehemaligen Soldaten verlieren ein zweites Mal.

Mit "Harte Ziele" hat John Woo zwar kein Meisterwerk a la "The Killer" hingelegt, aber immerhin bewiesen, daß er sich auf dem amerikanischen Filmmarkt behaupten kann.

Auf einer von Schlinge (weglaufen) bis 5 Schwerter (absolut Top) reichenden Bewertungsscala erhält "Harte Ziele" 2-3 Schwerter.
Anja Böhnke

Home Woo goes Hollywood Woos Ballistisches Ballett Face/Off

Noch zur Sache: Erstveröffentlichung Januar 1994, anläßlich des deutschen Kino Starts von "Harte Ziele" ("Hard Target"). In meiner Begeisterung für John Woo und mit den besten Wünschen für sein Wohlergehen hatte ich "Harte Ziele" damals 4 Schwerter verpaßt. Filmkritiker sind eben nicht unparteiisch und lassen manchmal den Wunsch Vater ihrer tippenden Finger sein. Verdient hat der Film jedoch nur die oben angegebenen 2-3 Schwerter . © Anja Böhnke.