Ballistisches Ballett

Hongkongs Meisterregisseur John Woo und seine Kollegen erobern Hollywood

Sie sind die wahren Küstler der Action: die Regisseure Hongkongs. Jetzt ist auch Hollywood auf den Geschmack gekommen und lädt die Meister immer häufiger zum Sparring ein, um US-Produktionen zu veredeln. Mit seiner kompromißlosen und häufig sogar als überbrutal kritisierten Handschrift ist John Woo der unangefochtene König unter Hongkongs Action-Regisseuren. In seiner dritten US-Arbeit "Im Körper des Feindes" verbindet er Hongkong-Action mit Hollywood-Studio-Stil und bittet Nicolas Cage und John Travolta zu einem tödlichen Tanz.

Nicolas Cage wandert in Zeitlupe mit wehendem Mantel eine Landebahn entlang oder tanzt um eine Bombe herum. John Travolta drückt seinen Sohn an die Brust. Zwischendurch, davor und danach fliegen die beiden von rechts und links durch die Luft, beschießen sich mit einer Knarre, mit zwei Knarren, mit Maschinenpistolen und sogar mit einer Harpune. Flugzege, Boote und Häuser explodieren, Tauben flattern durchs Bild. Alles sieht so unglaublich schick aus, obwohl die beiden Kontrahenten versuchen, sich gegenseitig umzulegen. Rasante Schnittechnik, eine poetische Inszenierung, die entgegen aller Vorurteile immer wieder auf Zeitlupen zurückgreift und exzesiven Schußorgien: Mit "Im Körper des Feindes" hat John Woo ein visuelles Hollywood-Meisterwerk geschaffen.

Endlich kann der Begründer des Heroic Bloodshed Movie stilistisch wieder an seine dynamisch-lyrischen Actionmelodramen "A Better Tomorrow", "The Killer" (bei uns jahrelang nur auf Video als "City Wolf" bzw. "Blast Killer") oder "Hard Boiled" anknüpfen. Denn John Woos erste beiden Hollywood-Produktionen konnten leider nicht so richtig überzeugen. Nur hartsesottene Fans mochten für das mittelmäßige van-Damme-Vehikel "Harte Ziele" lobende Worte finden. Und die nachfolgende "Operation: Broken Arrow" (mit John Travolta und Christian Slater) erwies sich zwar als durchaus erfolgreich, aber auch als 100prozentiges Produkt der Traumfabrik. Von tänzerischer Hongkong-Dynamik oder Woos typisch symbolträchtigen Bildern fehlte fast jede Spur.

Auch den anderen Actionmeistern aus Hongkong scheint bei ihren ersten Gehversuchen in Hollywood das Gespür für Spitzenfilme abhanden gekommen zu sein. Ringo Lams "Maximum Risk" ging bei uns im Kino gänzlich unter, mauserte sich aber immerhin zum Videotheken-Renner. Und der demnächst bei uns anlaufende "Double Team" von Tsui Hark ist zwar recht rasant, erinnert aber wenig an Meilensteine wie "Peking Opera Blues". Dabei revolutionierte der Spielberg Asiens in den 80er Jahren Hongkongs Filmlandschaft und erweckte zu Beginn der 90er mal eben den Schwertkampf- und Kung-Fu-Film zu neuem Leben.

Hopfen und Malz sind trotz des unsäglichen Fantasy-Films "Warriors of Virtue" von Ronny Yu, eigentlich Hongkongs Top-Visualist, nicht verloren. Mit dem innovativen Crossover "Im Körper des Feindes" zeigt John Woo, daß eine gelungene Genese zwischen Hongkong-Action und Hollywoods Studiomaschinerie - samt Riesenbudget - möglich ist. Damit hat er die Traumfabrik erobert, sie liegt ihm anbetend zu Füßen.

Man kann nur hoffen, daß die andren Exil-Regisseure nicht auch drei Versuche brauchen, um ihre alte Höchtsform von Hongkong auf Hollywood zu übertragen. - Und das aus den poetischen Todestänzen kein Eiertanz wird. Anja Böhnke

Home Face/Off Woo goes Hollywood Hard Target

Noch zur Sache: Erstveröffentlichung 25. September 1997, anläßlich des deutschen Kinostarts von "Im Körper des Feindes" (Face/Off). © Anja Böhnke.