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::: Essay über Teilchenphysik
Physik ist eine strenge Wissenschaft, die ihre Resultate aus
Wechselbeziehungen von hypothetischem Denken und experimenteller
Fragestellung gewinnt. Dabei gehört es zur Methode, das für sie
Wesentliche und Interessante idealisierend, damit auch
reduzierend, zu betrachten und in die sprachliche Form der
Mathematik zu packen. Die Folgerungen aus dieser Arbeitsweise
haben zu theorie- und praxisverändernden Auswirkungen geführt und
den Respekt eines breiten Spektrums unterschiedlich motivierter
Leute hervorgerufen.
Auch die Physik, die man eine Zeitlang für abgeschlossen hielt,
hat im vergangenen Jahrhundert eine Entwicklung erlebt, die zu
einer experimentellen Erweiterung und gedanklichen Veränderung der
Wirklichkeit führte. Dem Kausalitätsprinzip folgend wird von
experimentellen Phänomenen auf Ursachen geschlossen, die gute
Erklärungen im Rahmen von Theorieprozessen darstellen und
nachfolgende experimentelle Belege zumindest begünstigen, wenn
nicht geradezu herausfordern.
In weiteren Fortschritten erbrachte die Physik beträchtliche
Leistungen auf dem Gebiet der speziellen und allgemeinen
Relativitätstheorie, der Quantenphysik, der Wissenschaft von den
Elementarteilchen und der Kosmologie. Die fulminante
Wissensproduktion in den genannten Bereichen wandelte das
Verständnis von Physik in einem Maße, daß von klassischer und
nachklassischer Physik gesprochen werden kann, die ihrerseits das
Fundament bildet für Technik und andere Wissenschaften.
Dabei spielt die Wahrscheinlichkeitstheorie als Ausdrucks- und
Verständigungsmittel eine unabweisbare Rolle. Zwar läßt sich die
jeweilige Identität der Mikroteilchen nicht durchhalten. Es ist
vielmehr zufällig, wie sie herausgegriffen und dann gemessen
werden. Ihre Existenz ist also nicht unabhängig von der
Beobachtung. Die Wahrscheinlichkeitstheorie erlaubt es der Physik
jedoch, Aussagen über Zustände zu machen. Konkret: Sie ermöglicht
es, mikroskopische Prozesse zu beschreiben, ohne auf die gewohnten
Termini der makroskopischen Physik verzichten zu müssen, so etwa
Ort, Geschwindigkeit und Masse.
Eine erhebliche, nicht selbstverständliche Änderung in der
Vorstellung von Physik hat sich durch die Entwicklung der
Wissenschaft von den Elementarteilchen ergeben, insbesondere auch
durch ihre Verbundenheit mit Hochenergietechnik und Teamarbeit.
Nach wie vor notwendiges kognitives Bemühen der Physiker als
Einzelpersonen (vgl. Newton und seinen Apfelbaum) korrespendiert
mit kollaborativer, auch individueller Arbeit an Großgeräten und
Computern.
Seit der Antike beschäftigt sich die Menschheit mit der Frage,
woraus die Materie und damit auch sie selbst besteht. Hier
begegnet man zum ersten Mal der Auffassung, daß die Eigenschaften
eines makroskopischen Körpers auf die Eigenschaften seiner
Bestandteile zurückgeführt werden. Die Entdeckung des Elektrons im
Jahre 1897 durch Thomson, die Entdeckung des Protons durch
Rutherford in seinem berühmten Streuexperiment und die Entdeckung
des Neutrons 1932 durch Chadwick führten zu der Erkenntnis, daß
die Vorstellung von Atomen als kleinsten, unteilbaren
(\textsl{atomos}=unteilbar) Bausteinen der Materie revidiert
werden mußte. Heute weiß man, daß Atome komplexe Gebilde mit
komplizierten Kräfteverhältnissen darstellen.
Atome bestehen aus einer Schale, auf denen sich Elektronen
befinden, und einem Kern, dem Nukleus. Der Atomkern als Teil des
Atoms hat selbst wieder eine Struktur, die sich dadurch
manifestiert, daß der Kern Anregungszustände besitzt, in denen
sich die durch Kernkraft gebundenen Nukleonen aufhalten. Die
Bestandteile des Nukleons, die Quarks, werden heute zusammen mit
den Leptonen, zu denen die Elektronen gehören, als elementare
Bestandteile der Materie angesehen.
Mehr als 99,9% der Masse aller Objekte in unserer Welt bestehen
aus Nukleonen; die Struktur des Nukleons zu erforschen, ist
demnach von erheblicher Bedeutung für das Verständnis von Materie
und Natur.
Das Teilchenmodell der klassischen Mechanik sagt für jedes
Teilchen mit bekanntem Anfangsort und Anfangsimpuls eine
wohldefinierte Bahn in einem äußeren Kraftfeld vorher. Zu Beginn
des zwanzigsten Jahrhunderts zeigte sich, daß sowohl das
Teilchenmodell der klassischen Mechanik als auch das durch die
Maxwellgleichungen vollständig beschriebene Wellenmodell der
elektromagnetischen Felder einer Erweiterung bedurfte, wenn man
den Mikrobereich der Atome und Moleküle betrachtete. Eine Reihe
von Versuchen konnte durch die ''klassische Vorstellung'' nicht
erklärt werden. Beispiele sind die Ultraviolett-Katastrophe, die
Deutung des Compton-Effektes und der Franck-Hertz-Versuch. Das gab
den Anstoß zu der
Entwicklung der Quantenmechanik, die durch die grundlegende Gleichung von Schr%
ödinger beschrieben wird. Die Quantenmechanik beschreibt die
Erscheinungen der Elekronenhülle der Atome und damit die Atom- und Molek%
ülphysik.
Subatomare Teilchen bewegen sich häufig annähernd mit
Lichtgeschwindigkeit. Eine wichtige Forderung ist daher die
Einbeziehung der Speziellen Relativitätstheorie. Der entsprechende
Zweig der Quantenmechanik wurde von Dirac initiiert. Die
Quantenelektrodynamik (QED) verknüpft die Maxwellgleichungen der
Elektrodynamik mit der Quantenmechanik und der Speziellen
Relativitätstheorie. Man kann sagen, daß die Quantenphysik mit
ihrer Erweiterung zur QED alle Erscheinungen der Elektronenhülle
der Atome und damit der Atom- und Molekülphysik beschreiben kann.
Ihre Grenzen werden erst bei der Untersuchung der Kernstruktur und
der Elementarteilchen sichtbar.
Die Quantenchromodynamik QCD
hat das Verhalten der Quarks im Inneren der Nukleonen zum
Gegenstand. Mit der QCD liegt eine Quantenfeldtheorie vor, welche
die Starke Wechselwirkung der Quarks beschreibt.
Die starke Wechselwirkung ist eine der vier fundamentalen Kräfte
unserer Natur, die Quarks in den Nukleonen zusammenhält, wie auch
die Protonen und Neutronen, so daß diese Atomkerne bilden.
Im Gegensatz zur Quantenelektrodynamik (QED), der Theorie der
elektromagnetischen Wechselwirkung, ist die QCD eine
nicht-abelsche
Eichfeldtheorie, das heißt, die Feldquanten der starken
Wechselwirkung, die sogenannten Gluonen, tragen selbst eine
Ladung. Es existiert eine nichtlineare Selbstwechselwirkung der
Gluonen. Diese Selbstwechselwirkung hat die sogenannte
asymptotische Freiheit zur Folge: Je tiefer man in die
Gluonenwolke eindringt, die die Quarks umgibt, desto geringer wird
die (Farb)ladung; im Grenzfall sehr kleiner Abstände zwischen den
Quarks verhalten sich diese wie fast freie Teilchen. Die effektive
Kopplungskonstante, die ein Maß für die intrinsische Stärke einer
Kraft ist und die bestimmt, wie stark ein Teilchen mit einem Feld
wechselwirkt, nimmt mit kleiner werdendem räumlichen Abstand und
mit größer werdendem Impulsübertrag ab.
Die elementaren Gleichungen der QCD sind nach heutigen Methoden
nur in Spezialfällen lösbar. Während es in der QED möglich ist,
physikalisch interessante Größen zu berechnen, weil die
Kopplungskonstante einen kleinen Wert hat und
Prozesse höherer Ordnung weniger beitragen, können die
Quark-Gluonen- und die Gluon-Gluon-Kopplungen Werte erreichen, die
größer als eins sind; zunehmend komplizierte Prozesse erfahren
eine stärkere Gewichtung. Man unterscheidet zwischen dem
perturbativen und dem nicht-perturbativen
Bereich. Im perturbativen Bereich lassen sich die
Gleichungen störungstheoretisch behandeln, im nicht-perturbativen
Bereich muß man auf Modelle zurückgreifen oder
Gitter-QCD-Rechungen durchführen, in der die Feldgleichungen in
diskretisierter Form numerisch gelöst werden.
Während die QCD im perturbativen Bereich überprüft werden kann, so
weiß man sehr wenig über die Eigenschaften der QCD im
nicht-perturbativen Bereich. Eine der zentralen Eigenschaften im
nicht-perturbativen Bereich ist die spontane Brechung der Chiralen
Symmetrie im Grundzustand (Vakuum). Die Chirale Symmetrie
(griechisch cheir, Hand) betrifft eine Eigenschaft, die von der
Spinorientierung und der Bewegungsrichtung eines Teilchens
abhängt. Von einer spontanen (d.h. ohne äußere Einwirkung)
Symmetriebrechung spricht man, wenn die Grundgleichungen eines
Systems eine Symmetrie besitzen, die der Grundzustand nicht
aufweist. So kann die Lagrangedichte unter einer
Eichtransformation invariant sein, während das Vakuum als Zustand
niedrigster Energie diese Symmetrie nicht besitzt.
Die Folge der Brechung der Chiralen Symmetrie ist eine qualitative
Veränderung des Grundzustandes. Im Vakuum entstehen skalare
Quark-Antiquark-Paare, das sogenannte nichtverschwindende skalare
Quark-Kondensat
(auch Chirales Kondensat genannt).
Man nimmt an, daß bei endlichen Temperaturen und endlichen Dichten
eine Wiederherstellung der Chiralen Symmetrie stattfindet,
charakterisiert durch das Verschwinden des Ordnungsparameters, des
Chiralen Kondensats. Nun ist es aber so, daß die Eigenschaften von
Teilchen, wie zum Beispiel die Masse, durch die Chirale Symmetrie
und ihre Spontane Symmetriebrechung kontrolliert werden. Das
impliziert eine Abhängigkeit der Eigenschaften von Teilchen von
dem Eigenwert des Chiralen Kondensats. Die Konsequenz ist eine
Veränderung von Teilcheneigenschaften in einer nuklearen Umgebung,
in der das Chirale Kondensat modifiziert wird.
Eine Möglichkeit, stark wechselwirkende Systeme bei endlichen
Temperaturen oder endlichen Dichten zu erzeugen, besteht darin,
schwere Kerne mit hohen Energien kollidieren zu lassen. Der
Atomkern selbst stellt ein System mit endlicher Dichte und
Temperatur Null dar. Bei Kerndichte wird eine Absenkung des
Chiralen Kondensates um 30% erwartet. Es können demnach auch hier
Veränderungen von Eigenschaften durch Modifikation des Chiralen
Kondensates beobachtet werden. Eine Möglichkeit, dies zu
untersuchen, stellen die durch Photonen, Pionen oder Protonen
induzierten Reaktionen zur Produktion von Hadronen dar.
In zusätzlichen Überlegungen wird ein allgemeines Skalenverhalten
der Hadronenmassen im nuklearen Medium vermutet. Im Brown-
Rho-Scaling wird postuliert, daß die Massen von Vektormesonen mit
dem Erwartungswert des skalaren Kondensates. Diese Resultate
befinden sich im Einklang mit weiteren Überlegungen zur Thematik,
die, im Rahmen von QCD-Summenregeln, einer Methodik, die eine
Verknüpfung der partonischen und der hadronischen Freiheitsgrade
herstellt, die Reduktion der Massen von Mesonen aufgrund der
partiellen Restauration der chiralen Symmetrie vorhersagen.
Konventionelle Vielteilcheneffekte, die vollkommen unabhängig von
der Substruktur der Kerne sind, können auch eine Veränderung von
Teilcheneigenschaften bewirken.
Nukleonen, die sich im Kern bewegen, wechselwirken miteinander.
Die Wechselwirkung im Kern ist abhängig von der Struktur des
nuklearen Mediums und wird im wesentlichen bestimmt durch Zustand
und Masse. Das Ergebnis ist ein Vielteilchenproblem. Die Frage
ist, wie Nukleonen paarweise miteinander wechselwirken, wenn sie
sich innerhalb eines Atomkerns befinden und bestimmte
Quantenzustände besitzen. Diese Umgebung modifiziert die
''freie'' Nukleon-Wechselwirkung.
Zusammenfassend kann man folgendes festhalten: Die Eigenschaften
von Teilchen im Vakuum sind weitgehend bekannt. Ein wichtiges und
aktuelles Thema kernphysikalischer Forschung ist es, wie die
Eigenschaften, zum Beispiel Masse oder Zerfallsbreite, sich im
nuklearen Medium verändern. Als nukleares Medium bezeichnet man
hierbei Kerne, in denen viele Nukleonen vorhanden sind.
Rückschlüsse auf das Vakuum lassen sich durch Untersuchungen am
freien Proton ziehen. Eine In-Medium-Modifikation kann zum einen
die Folge konventioneller Vielteilcheneffekte sein, zum anderen
besteht auch die Möglichkeit, daß die Veränderungen der
Eigenschaften im Zusammenhang mit der Wiederherstellung der
Chiralen Symmetrie der QCD erklärbar sind.
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