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Les Rhinocéros

{Nashorn}

 {short description of image}THEMEN:

"Les Rhinocéros" ist ein Stück in drei Akten, das in Düsseldorf 1959 uraufgeführt wurde (Erstaufführung in Paris 1960).

Die Geschichte: An einem Sonntagmittag verfolgen die beiden Freunde Bérenger und Jean von ihrer Restaurantterrasse aus ein Ereignis, das fatale Folgen haben wird: ein Nashorn galoppiert über den Bürgersteig und verschwindet in Windeseile. Am folgenden Sonntag erscheint es erneut und zertrampelt ein Kätzchen. Die beängstigten Menschen laufen herbei. Die Aufmerksamkeit richtet sich zunächst auf das Häufchen von Katze, dann jedoch wendet sie sich dem Streit zu, der zwischen Bérenger und Jean über die Anzahl der Hörner auf der Nase des Tieres (eins oder zwei) sowie damit direkt zusammenhängend über die Rasse des Tieres (afrikanisches oder asiatisches Nashorn) entbrannt ist.

Am nächsten Tag geht in der Kanzlei Bérengers die Nashorn-Diskussion weiter. Der Sozialist Botard bestreitet die Existenz von Nashörnern in der Stadt, der Assessor Dudard, die Sekretärin Daisy und auch Bérenger behaupten dagegen, eins gesehen zu haben. Plötzlich erscheint die Frau des Angestellten Boeuf und berichtet, ihr Mann habe sich in ein Nashorn verwandelt und er habe sie bis zu diesem Büro verfolgt. Er sei unten und zerstöre die Treppe. Alle laufen hin und bestaunen den verwandelten M. Boeuf. Mme Boeuf stürzt sich zu ihm hinab und wird ebenfalls zum Nashorn.

Es werden immer mehr Nashörner in der Stadt gemeldet. Am Nachmittag besucht Bérenger seinen Freund Jean, um sich wieder mit ihm zu versöhnen, doch diesem geht es sehr schlecht, und Bérenger muß mitansehen, wie auch er sich langsam in ein Nashorn verwandelt. Bald bekommt Bérenger zu Hause Besuch von Dudard und es kommt zu einer Diskussion, in der Dudard versucht, objektiv zu sein, Bérenger aber nichts von den Nashörnern wissen will. Auch ihr Bürovorsteher ist mittlerweile zum Nashorn geworden und als Daisy erscheint, berichtet sie, daß Behörden und Rundfunk von den Tieren belagert sind. Selbst Botard sei zu ihnen übergelaufen.

Als sich schließlich auch Dudard mit den anderen solidarisch erklärt, bleiben nur noch Bérenger und Daisy als letzte Menschen übrig. Trotz ihrer Liebe und der Überzeugung Bérengers, man könne die Welt retten, indem man Kinder zur Welt bringt, verliert Daisy den Glauben und den Mut. Auch sie geht zu den Nashörnern über. Bérenger steht alleine da, völlig verzweifelt. Auch wenn er gerne wie die anderen wäre, so kann er es doch nicht. Er greift schließlich zum Gewehr und ruft aus, er sei der letzte Mensch, er werde es bleiben bis zum Ende, er werde nicht kapitulieren.

Bedeutung: "Les Rhinocéros" ist eine geradlinige, überzeugende und poetische Parabel, die die Entindividualisierung des Menschen, die Uniformierung des Lebens und die Barbarei eines ideologischen Massenwahns ausdrückt. Die Dialoge sind satirisch knapp und glänzen durch doppelten Sinn. Von den vielen scharf umrissenen Figuren zeichnen sich einige bereits zu Beginn durch ihre latenten Neigungen zur Massenbewegung und zum Ausbruch aus (wie z.B. die sentimentale Pseudo-Humanität, die Gedankenlosigkeit; die Ressentiments gegen Minderheiten, usw). Bérenger wird mehr und mehr zum Mittelpunkt der Handlung. So wird er zum letzten Individualisten, zum Helden, zum Verfechter der bedrohten Menschheit und Verteidiger der Menschlichkeit erhoben.

1. Nashörner
2. Grundidee und autobiographischer Hintergrund
3. Entmenschlichung
4. Aufnahme in der Öffentlichkeit
5. Literarische Verfahren
6.  Novelle und Theaterstück
7. Theaterkonzeption
8. Gedanken zu Metamorphose und Vermassung
 
 
 

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1. Nashörner

Nashörner sind eine "seit dem Eozän bekannte Fam(ilie) tonnenförmiger, fast haarloser, dreizehiger Unpaarhufer mit fünf Arten in den Savannen und Grasländern Afrikas und Asiens". So lautet die Beschreibung von Meyers Großem Taschenlexikon (1981, Bd.15). Des weiteren sind es "laub- und grasfressende Tiere mit panzerartiger Haut, kurzen, säulenartigen Beinen und ein bis zwei hornförmigen Bildungen auf Nase bzw. Nasenbein". Ihr Gesichtssinn sei schlecht, erfährt man weiter, ihr Geruchssinn dagegen sehr gut ausgebildet. Während die Arten der Breitmaul-, Spitzmaul- und Sumatranashörner über zwei Hörner verfügen, haben die Panzernashörner sowie das Javanashorn nur ein oder ein kleines Horn. Die Nashörner aus Afrika haben also zwei Nasenhörner und die aus Asien nur eins. Im Allgemeinen ist das Nashorn nicht wild und gefährlich. Nur wenn es durch ein anderes feindliches Nashorn provoziert wird, sich attackiert fühlt, verletzt wird oder wenn sein Junges angegriffen wird, wird das Nashorn kämpferisch. Wenn es allerdings provoziert wurde, dann stößt es mit ungeahnter Schnelligkeit nach vorn und trampelt alles zu Boden, was ihm in den Weg kommt. Das Nashorn hat eine ungeheure Stärke und großen Mut, wenn es kämpfen muß und den Feind ausgemacht hat.

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2. Grundidee und autobiographischer Hintergrund

Warum hat Ionesco solche Tiere wie die Nashörner als "Hauptfiguren" seines Stückes ausgewählt? Warum wirken sie so abschreckend? Warum gibt es zuletzt keine Menschen mehr, nur noch Nashörner? Die Nashörner im Theaterstück verfolgen die Menschen und trampeln, durch die Straßen galoppierend, alles nieder. Sie tun ihnen nichts zuleide, aber sie wirken dennoch wild. Ionesco sagt dazu, daß die Nashörner, für ihn, Unschuld und Wildheit miteinander vermischt ausdrücken. Sie könnten einen plötzlich töten (s. Ionesco, Notes et contre-notes). Damit spielt Ionesco wahrscheinlich auf das kleine Hirn der Nashörner an: sie gelten nämlich als ziemlich dumm. Für ihn sind es Monster, die unzurechnungsfähig sind. Aber es steckt noch mehr hinter der Idee, Menschen in Nashörner verwandelt plötzlich in Massen auftreten zu lassen. Ionesco war sein ganzes Leben lang vom Strom der allgemeinen Meinung fasziniert: seine schnelle Entwicklung, seine Ansteckungskraft, die wie eine richtige Epidemie ist (wie die "Pest" von Camus vielleicht?). Wie Menschen, die sich durch eine neue Religion einlullen lassen, durch eine Doktrin, einen Fanatismus bzw. einen "notwendigen historischen Moment". Wir würden hierbei einer wahrhaften geistigen Verwandlung beiwohnen. Ionesco kam est stets so vor, als ob er sich an Monster wende, wenn er nicht mehr die Meinung der Leute teile oder sich nicht mehr mit ihnen verstehe (s. Ionesco, Notes et contre-notes).

Ionesco ist geprägt durch das Aufkommen des Totalitarismus in seinem Land, Rumänien, dadurch, daß er zusehen mußte, wie zahlreiche Freunde und Verwandte zu Anhängern der faschistischen Bewegung der Eisengarde wurden. Das hat ihn zum Außenseiter gemacht, hat ihn auch zweifeln lassen und ihn veranlaßt, sein Land zu fliehen. Er hatte dort die Judenverfolgung mitbekommen und war davon selbst im höchsten Maße abgestoßen, genauso schlimm war aber wohl, daß sogar seine besten Freunde sich die Ideen und Slogans über die Juden zueigen gemacht hatten. Seine Erfahrung hat ihm gezeigt, daß der Ablauf, wie dies geschieht (die Verwandlung der Menschen), immer derselbe ist, und daß die Menschen darauf aufmerksam gemacht werden müssen - z.B. im Theater.

"Et c'est dans cette Roumanie d'avant-guerre que j'ai appris comment les hommes devenaient des brutes. Certains de mes amis, par exemple, étaient contre la Garde de Fer, contre le nazisme, mais ils se laissaient infecter sans même s'en rendre compte (...)." (Le Nouvel Observateur, 1982)

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3. Entmenschlichung

Was Ionesco in Bezug auf die Gesellschaft schlimm findet, ist, daß der Mensch sich heutzutage voll und ganz mit seiner Funktion, seinem Amt, seinem Beruf identifiziert. Es sei dabei nicht sein Beruf, der ein "Gesicht" bekomme, sondern ein Mensch, der sich entmenschliche, der sein Gesicht verlöre (s. Bonnefoy, Entretiens avec Eugène Ionesco). Das passiere vor allem in totalitären Staaten häufig (Ionesco nennt die sozialistischen Gesellschaften als Beispiel). Früher, räumt er ein, sei der Mensch nicht so entmenschlicht gewesen: im Dorf sei er nicht mit seiner Stellung vermischt gewesen, dort sei alles personalisiert und konkret gewesen, denn man kannte z.B. den Lehrer auch als jemanden mit Familiengeschichten, mit Sorgen usw., wie Schauspieler, die nur eine Rolle spielen. Heutzutage würde der Mensch von der sozialen Maschinerie verschlungen werden. Es sei eine zum menschenfressenden Monster gewordene Gesellschaft.

 "(...) alors que dans notre monde même un "gens de lettres" est "gens de lettres", une femme "gens de lettres", des amis "gens de lettres", il est aboli par sa fonction, il n'est plus que sa fonction aliénante, il n'est plus. Il est bouffé par la machinerie sociale." (Bonnefoy, Entretiens avec Eugène Ionesco)

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4. Aufnahme in der Öffentlichkeit

Insgesamt wurde Ionescos Theater ziemlich gut angenommen. Seine Stücke wurden schnell berühmt und in immer größeren Theatern aufgeführt, das Publikum empfing ihn offenherzig. Im Stück "Les Rhinocéros" haben sich z.B. die Deutschen wiedererkannt. Sie meinten, darin vorgeführt zu bekommen, wie sie im Kollektiv Nazis geworden waren. Sie glaubten, daß hier nur den Prozeß einer vergangenen und vergessenen Schuld geschildert und gelehrt würde, denn dafür spricht die große Präsenz an Industriellen bei der Aufführung, die Ionesco lobten, obwohl sie selbst diejenigen waren, die das Hitlerrégime mitfinanziert hatten. Ionesco war darüber ziemlich verwundert, wie er in einem Interview betonte (Le Nouvel Observateur, Dezember 1982). Später fühlte sich die politische Linke durch Ionesco kritisiert und das Stück wurde eine zeitlang auch nicht auf sovietischen Bühnen aufgeführt. Etliche Spanier unter Franco wetterten nämlich gegen den Stalinismus und sahen in der Kritik des Stalinismus das Hauptanliegen Ionescos. Je nachdem in welchem Land seine Stücke gespielt wurden, bezog das Publikum die Kritik auf sich bzw. auf eine bestimmte Politik ihres Landes. Ionesco dagegen erklärte, daß er an all diese Einzelinterpretationen nicht gedacht hätte, sondern daß "sein Rhinozeros" viel zu monstruös und zu riesig sei, um nur einer einzigen Ideologie anzugehören. Er hasse nichts mehr mißverstanden zu werden und als seine Gedanken auf nur einen einzigen Aspekt reduziert zu sehen.

In den Vereinigten Staaten wurde sein Stück z.B. als komisch aufgefaßt. Ionesco erklärt dieses Mißverständnis in Notes et contrenotes und sagt klar und deutlich, was sein "Rhinozeros" für eine Bedeutung hat: es handelt sich um die mentale Transformation eines ganzen Kollektivs. Die alten Werte verlieren ihren Sinn, werden umgestoßen und durcheinandergebracht, andere wiederum entstehen und verfestigen sich. Ein einziger Mensch sieht dabei zu, ohnmächtig, und weiß zum Schluß selbst nicht mehr, wer recht hat und wer nicht. Er ist ganz allein, völlig verloren. Dennoch hat er den Willen in sich, zu kämpfen. Für Ionesco ist das, was geschieht, ein Prozeß, der im Fanatischer gipfelt: eine Art Totalitarismus entsteht, breitet sich aus und erobert die Welt, die Menschen. Eine Ideologie wird zu "Vergötterung" und dringt in alles ein und überflutet alles. Die Massen sind hysterisch, denn ein einziger Gedanke ist so riesig und so monströs geworden, daß er sich zur starken Droge entwickelt hat. Ionesco betont, daß er nicht den Konformismus angreift, sondern den Totalitarismus. Vor ihm muß man Angst haben, Konformismus kann noch relativ amüsant und harmlos sein. Auf jeden Fall will Ionesco nicht sagen, welches System das Beste ist oder welchen Vorschlag er selbst zu machen hätte. Den vorgefertigten Ideologien will er keine andere vorgefertigte Ideologie gegenüberstellen.

 "Si j'opposais une idéologie toute faite à d'autres idéologies toutes faites, qui encombrent les cervelles, je ne ferais qu'opposer un système de slogans rhinocériques à un autre système de slogans rhinocériques." (Notes et contre-notes)

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5. Literarische Verfahren

Der Ekel scheint für Ionesco das beste Mittel zu sein, um den Zuschauer Abstand zum Stück nehmen zu lassen. Diese "distanciation" ist Mittel zum Zweck. Die heftige Abneigung will er dadurch erwecken, daß sich normale Menschen in "wilde Tiere" verwandeln, die alles niedertrampeln und bar jeder menschlichen Regung sind. Durch Abscheu trennt er den Zuschauer vom Stück und läßt ihm die Möglichkeit, klar zu sehen, d.h. das Wahre vom Falschen zu unterscheiden. Was ist für Ionesco das Falsche nun genau? - Die Rhinozeritis, diese Krankheit, die wie eine Plage über die Menschen kommt. Die Veränderung, die Verwandlung der Menschen im Stück vollzieht sich vor den Augen der anderen. In diesem Sinne, so Ionesco, sei sein Stück ein realistisches Stück. Es zeige genau, was passiert, und will damit Abstoß erregen. Ionesco will "didaktisches Theater" machen, nicht Theater der Partzipation. Das schließt aber nicht aus, daß sich der Zuschauer mit der Heldenfigur im Stück identifizieren kann. Ja, er soll es sogar: während die Nashörner Abscheu erregen sollen, soll der letzte übriggebliebene Mensch, der auch "menschlich" bleibt, den "aufgeklärten" Zuschauer auf seine Seite ziehen.

"Il n'y a pas de plus parfaite séparation que par le dégoût. Ainsi, j'aurai réalisé la "distanciation" des spectateurs par rapport au spectacle. Le dégoût c'est la lucidité." (Notes et contre-notes)

Welche Verfahren ermöglichen es Ionesco, diese Verwandlung in Nashörner auf der Bühne darzustellen? Die Person, die sich gerade verwandelt, geht in das Nebenzimmer. Vom Schlafzimmer aus geht sie ins Badezimmer, das nicht mehr auf der Bühne zu sehen ist, kommt wieder und hat ein Horn. Da es am frühen Morgen ist, muß diese Person öfter ins Badezimmer gehen, und erscheint deshalb jedesmal wieder um ein bißchen verwandelt auf der Bühne (größeres Horn, grünere Haut usw.). Es ist also ein ständiges Hin und Her zwischen Bühne (Schlafzimmer) und Kulisse (Badezimmer). Diese Erklärung Ionescos der Theatermaschinerie ist nachzulesen in Entretiens avec Ionesco (von Claude Bonnefoy).

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6. Novelle und Theaterstück

Die Novelle geht dem Stück voran, d.h. sie war zuerst da, wurde bereits in verschiedenen literarischen Zeitschriften wie z.B. in Les Lettres Nouvelles 1957 veröffentlicht, während das Stück erst 1959 in Düsseldorf entstand. Die narrative Version und die dramatische unterscheiden sich insofern voneinander, als beim letzteren eine Steigerung im Schlußmonolog des Hauptdarstellers zu erkennen ist. Bérenger proklamiert laut seinen Willen zum Widerstand, er schreit:

"Je me défendrai contre tout le monde! (...) Contre tout le monde, je me défendrai! Je suis le dernier homme, je le resterai jusqu'au bout! Je ne capitule pas!"

In der Novelle heißt es:

"J'avais une conscience de plus en plus mauvaise, malheureuse. Je me sentais un monstre. Hélas, jamais je ne deviendrais rhinocéros: je ne pouvais plus changer. Je n'osai plus me regarder. J'avais honte. Et pourtant, je ne pouvais pas, non, je ne pouvais pas."

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7. Theaterkonzeption

Für Ionesco ist ein dramatischer Autor jemand, der Probleme aufwirft, der keine automatische Philosophie vorgeben will. Es wäre lächerlich, meint er, wenn man versuchen wolle, für alle Menschen zu denken und ihnen den einen richtigen Weg zu weisen, den es nicht gibt. Die Menschen sollen in ihrer Zurückgezogenheit und Einsamkeit über die - oft fatalen - Dinge des Lebens nachdenken und für sich selbst, völlig frei, zu einer Lösung kommen. Eine vorgefertigte Ideologie würde sie am Nachdenken hindern. Ionesco meint, er hätte für sich seine eigene Lösung gefunden, die er allerdings nicht verbreiten will, weil sie kein "passe-partout" und keine System von Slogans sein soll. Sie sei sein eigener Schlüssel, der nicht seine Kraft verlieren soll, indem ihn alle anderen auch benützen. Der Zuschauer in Ionescos Theater soll absichtlich im "Leeren" gelassen werden am Ende, damit er sich durch die Kraft seiner eigenen Anstrengung sich eine eigene Meinung bilde und so aus dem Leeren herauskomme.

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8. Gedanken zu "Metamorphose" und "Vermassung"

Welche psychologischen Prozesse spielen sich ab, wenn Menschen sich so verändern und schließlich in der Menge aufgehen? Schon die alten Stoiker warnten vor der Menge. Seneca sagt, er bringe seinen Charakter, den er in die Öffentlichkeit hinausgetragen habe, niemals unverändert wieder zurück, und daß alles, was er vorher geordnet hatte, wieder durcheinandergerate (Briefe an Lucilius über Ethik, 1. Buch). Man gehe so leicht zur Mehrheit über. Aber wie kommt das? Die Beeinflussung durch andere ist die eine, doch Suggestion ist die andere, noch viel stärkere Methode. Sie ist subtiler als ein Befehl, eine Anweisung, eine Meinung oder eine bloße Information. Suggestion heißt, daß das Denken, Fühlen, Wollen und Handeln eines Menschen durch Umgehen seiner Verstandeskräfte stark beeinflußt wird. Eine ungeprüfte Idee wird einer Person so eingetrichtert, daß sie nachher angenommen wird, als ob sie gerade spontan im Gehirn dieser Person entstanden wäre. Deshalb wird sie hinterher auch so stark verteidigt. Das, was als eigenes Produkt empfunden wird, ist in Wirklichkeit der Gedanke vieler, die genauso beeinflußt worden sind.

Wenn man merkt, daß man zu einer Menge Gleichdenkender gehört, empfindet man diese Gleichheit als etwas Positives. Da man sich nicht herausheben kann oder sich über die anderen erheben kann - durch den Druck, der dann folgen würde - wird man versöhnlich, schränkt seine Kritik ein, identifiziert sich, macht, was die Masse auch macht. Diese "Solidarität" wird als anerkannter Wert aufrechterhalten. Man fühlt sich in Sicherheit und legt seine Bürde auf anderen, verstehenden Schultern ab. Die Verantwortung kann abgegeben werden... und dies ist genau das, was Ionesco kritisiert! Er revoltierte sein Leben lang gegen die Dummheit und die Vergewaltigung der Menschenrechte.

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